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Mittwoch, 18. August 2010

Lulas emotionale Ignoranz


Vielleicht liegt es daran, dass er so beliebt ist. Mehr als 80 Prozent Zustimmung, und das in einem Land mit 190 Millionen Einwohnern, das kann einem Mann schon den Kopf verdrehen. Es ist fast zu hoffen, dass Lula nicht in normaler Verfassung war, als er kürzlich den bisher gröbsten Unfug seiner ohnehin nicht gerade rühmlichen Diplomatie-Geschichte verkündete.

Dabei gab es durchaus ähnliche Fälle in der Vergangenheit, aus denen Brasiliens charismatisches Oberhaupt hätte lernen können. Zum Beispiel die Episode bei seinem Kuba-Besuch, als er sich weigerte, die politischen Gefangenen zu besuchen oder auch nur freundliche Worte für sie zu finden. Arrogant und befremdlich wirkte es, als der ehemals selbst wegen seiner Gesinnung inhaftierte Lula die inhaftierten Oppositionellen auf Fidels Insel mit gemeinen Verbrechern in Sao Paulo gleich setzte. Politisch richtig peinlich wurde es, als die spanische Regierung und die katholische Kirche sich erfolgreich für die „gemeinen Verbrecher“ einsetzen.

Doch Lula kann noch schlimmer. Nicht nur, dass er sich neben diversen afrikanischen Diktatoren und den Südamerikanern Chavez und Morales ausgerechnet Ahmadinejad als neuesten Busenfreund ausgesucht hat. Er stellt diese Busenfreundschaft außerdem nonchalant über die Menschenrechte. Gefragt, ob er sich für die zur Steinigung verurteilte Iranerin Sakineh Mohammadi Ashtiani einsetzen würde, sagte Lula: „Da ist Vorsicht erforderlich, denn die Leute haben Gesetze, die Leute haben Regeln. Wenn sie anfangen würden, ihre eigenen Gesetze zu missachten, um den Bitten von Präsidenten nachzukommen, dann wird es bald lächerlich.“ Daraus ließe sich problemlos schlussfolgern: Die Menschenrechte zu respektieren scheint Lula lächerlich.

Ein paar Tage später schienen dem brasilianische Präsident Zweifel über seine eigene Aussage gekommen. Jedenfalls kam er bei einer Wahlkampfveranstaltung für seine Wunschnachfolgerin noch einmal auf Sakineh zu sprechen. In der ihm eigenen spontanen und lässigen Art, mit der er die Wähler so spielend für sich gewinnt, lancierte er etwas, was er selbst als „humanitären Appell“ bezeichnete und kündigte an, er werde seinen Kumpel Ahmadinejad anrufen, um über den Fall zu sprechen. Den Appell formulierte Lula folgendermaßen: „“Wenn diese Frau Unbehagen auslöst, werden wir sie gerne hier in Brasilien aufnehmen.“ Damit lag er gleich doppelt daneben. Unbehagen löst nicht Frau Mohammadi Ashtiani aus, sondern die Art, wie das Regime von Ahmadinejad mit ihr umzugehen droht. Ganz abgesehen davon, was die Bezeichnung „diese Frau“ über den Respekt aussagt, den der Sprecher der Verurteilten entgegen bringt. Wie um seine erschreckend ignorante Haltung zu zementieren, trällerte der Präsident abschließend fröhlich einen brasilianischen Gassenhauer, dessen Refrain lautet: „Wirf den ersten Stein, ai, ai, ai“.

Nicht nur beim Freien Sprechen unterlaufen dem Präsidenten solche groben Schnitzer. Auch überlegt vorgebrachte Aussagen können ihm peinlich geraten. Der iranische Regierungssprecher kanzelte Lulas seltsames spontanes Asylangebot ziemlich harsch ab und befand – hart an der Grenze der Beleidigung, der brasilianische Präsident sei „sehr menschlich und emotiv, aber wohl nicht ausreichend informiert über den vorliegenden Fall“. Das ist zumindest insofern zutreffend, als Lula selbst vorher reichlich naiv geäußert hatte: „Über den Fall der Menschenrechte im Iran, da weiß ich nicht, wie die funktionieren.“

Die Adjektive menschlich und emotiv klingen denn auch aus dem Mund des Sprechers des iranischen Außenministeriums nicht gerade wie ein Kompliment. Aber das kommt bei unserem beliebten Präsidenten nicht an. Ist der Mann so an Zustimmung gewöhnt, dass er alle Kritik einfach ausblendet, umdeutet, rationalisiert, wie die Psychologen sagen? Anders ist es kaum zu verstehen, wenn er dem Regierungssprecher immer noch fröhlich antwortet: „Ich bin glücklich, dass der iranische Minister gemerkt hat, dass ich ein emotionaler Mann bin. Ich bin sehr emotional.“ Das heißt dann wohl emotionale Ignoranz.

Foto: Lula weint über die Nationalelf (gesehen bei estadao.com.br, Foto von Paulo Liebert AE)

Donnerstag, 29. Juli 2010

Nix zu lachen bei der WM-Vorbereitung


Lula sieht – wie so oft – kein Problem. „Ich werde von Afrika nach Hause schwimmen, wenn Brasilien nicht auf die nächste WM vorbereitet ist“, verkündete er gewohnt optimistisch. Diesen Optimismus werden wir allerdings nur noch bis zum Ende des Jahres an der Spitze des Landes haben – und so ungebrochen zuversichtlich wie unser Lula ist keiner der Präsidentschaftskandidaten. Dennoch muss einer oder eine von ihnen mit dem WM-Problem leben.

Denn so sieht der Fifa-Generalsekretär die Sache. Straßen, Flughäfen, Stadien, Telekommunikation – Brasilien ist alles andere als darauf vorbereitet, nach 64 Jahren zum zweiten Mal eine WM auszurichten. Wörtlich sagte Jerome Valcke, der Verzug bei den Plänen sei „beeindruckend“. Beeindruckend sind auch die geschätzten Kosten des Großereignisses: Die WM 2014 soll etwa doppelt so teuer werden wie die soeben in Südafrika gelaufene. Brasilien muss also umgerechnet mehr als 7,5 Milliarden Euro locker machen, für 59 Baustellen, 12 davon Stadien. Dabei sind all die Steuervorteile nicht eingerechnet, die den beteiligten Unternehmen eingeräumt werden – und die dann in der Staatskasse fehlen. Sind ja auch nur bescheidene 150 Millionen Euro.

Während der CBF-Chef Ricardo Teixeira noch besorgte Gemüter beruhigen will und behauptet Brasilien sei ja irgendwie doch „relativ im Zeitplan“, wettern die Kollegen aus Sao Paulo - immerhin Brasiliens größte Metropole und der Wirtschaftsmotor des ganzen Landes - weil ihr Morumbi-Stadion nicht für die WM zugelassen ist. Damit droht Sao Paulo, von der WM ausgeschlossen zu bleiben. Wirtschaftlich ist das kein Nachteil. Entgegen allgemeiner Annahmen, eine WM im Land beschere demselben ein erhöhtes Wirtschaftswachstum, haben die Briten Simon Kuper und Stefan Szymanski herausgefunden: “Tatsächlich wird kein Land reich, weil es Sportereignisse ausrichtet. Der Grund, warum die Länder so scharf darauf sind, Sportevents auszurichten, ist ein ganz anderer: Sportgroßereignisse machen das Volk glücklich.“

Dass es dafür nicht unbedingt notwendig ist, das Ereignis auszurichten, ließ sich kürzlich in Deutschland bestens beobachten. Deswegen: Stadien, Straßen, Flughäfen und all die Infrastruktur sind wichtig, keine Frage. Aber vielleicht ist es eben so wichtig, die brasilianische Nationalelf geschickt neu aufzustellen.

foto gesehen bei: www.ibahia.globo.com

Samstag, 17. April 2010

Skalpierte Frauen

Zurzeit läuft in Nordbrasilien eine Kampagne gegen das Skalpieren. Ja, in Brasilien wird bis heute skalpiert. Gar nicht mal selten. Vollständige Erhebungen gibt es nicht, aber es sind wohl mindestens 50 Skalps jedes Jahr, die vor allem im Norden vor allem Frauen und Mädchen vom Kopf gerissen werden. Im Norden nicht etwa deswegen, weil dort besonders viele Indiostämme besonders blutige Bräuche pflegen, sondern weil dort viele Menschen unter bescheidensten Umständen auf Booten leben.

Wer auf einem Boot lebt, verrichtet dort alle Alltagstätigkeiten, vom Waschen und Kochen bis zum Zähneputzen und Haare-Kämmen. In Brasilien hat der Kurzhaarschnitt für Frauen bestenfalls in Metropolen wie Sao Paulo oder Rio bescheidenen Einzug gehalten, für die absolute Mehrheit der Brasilianerinnen ist eine üppige lange Mähne der Inbegriff von weiblicher Schönheit. So auch für die meisten Bootsbewohnerinnen. Wenn diese während der Fahrt auf ihrem Boot ihre langen Haare kämmen, passiert es: Das Haar verfängt sich in der Schraube des ungeschützt offenliegenden Motors, wird aufgewickelt bis an die Haarwurzel – und dann reißt die Motorkraft der Frau den Skalp vom Kopf. Manchmal nur einen Teil der Kopfhaut mit Haaren, manchmal die kompletten Haare, manchmal inklusive Augenbrauen oder sogar Ohren und Teilen der Gesichtshaut. Manche Frauen sterben an den Unfallfolgen, alle werden grausam verunstaltet.

Viele Familien haben nicht genug Geld, der Verletzten eine Perücke zu kaufen, manche kümmern sich aus Abscheu nicht einmal mehr um die Unfallopfer ihrer Familie im Krankenhaus. Die verunstalteten Frauen leben im Abseits der Gesellschaft, finden nur unter großen Schwierigkeiten Partner oder einen Job. Allein im Bundesstaat Amazonas sind schätzungsweise 100.000 Boote mit Personen unterwegs –ein Drittel davon außerhalb jeder Kontrolle. Bislang hat die Vereinigung der skalpierten Frauen 1400 Opfer gezählt, die Dunkelziffer dürfte weit darüber liegen.

Anfang 2010 hat Lula ein Gesetz verabschiedet, das den 28. August zum Tag des Skalpierens erklärt. Kürzlich wurde zudem beschlossen, dass den Skalpierten eine gesetzliche Entschädigung von umgerechnet etwa 1450 Euro zusteht. Das ist selbst in Brasilien kaum genug für eine Schönheits-OP, die den Frauen ein normales Aussehen zurückgäbe. Die Vorsitzende der Vereinigung skalpierter Frauen, Maria do Socorro Pelaes Damasceno, verlor ihren Skalp als Siebenjährige und hat bereits diverse OPs hinter sich, in denen ihr Gesicht wieder hergestellt werden sollte. Bislang ohne zufriedenstellendes Ergebnis. „Wir fordern, dass Chirurgen, die OPs zur Wiederherstellung durchführen, in unseren Bundesstaat kommen, denn wir haben nicht die nötigen Mittel, um zu ihnen nach Sao Paulo oder Rio zu reisen“, sagt Maria

Obwohl bereits im Juli des vergangenen Jahres ein weiteres Gesetz verabschiedet wurde, welches den Einsatz ungeschützter Motoren auf Booten verbietet und mit Bußgeldern sowie Bootsführerscheinentzug bestraft, geht das Skalpieren weiter. „Wie sollen wir denn unseren eigenen Vater oder Ehemann anzeigen, wenn dieser unseren Lebensunterhalt verdient?“, gibt Maria do Socorro zu bedenken.

Hat mal jemand daran gedacht, dass der gesetzlich geforderte Schutz zu teuer sein könnte, für Menschen, die sich nach einem Unfall nicht einmal eine Perücke leisten können? Oder dass es vielleicht mehr Wirkung zeigen würde, Schutzvorrichtungen zu stiften, anstatt Strafen zu verhängen?

foto: Die Vorsitzende der Vereinigung skalpierter Frauen, Maria de Socorro, verlor außer ihrem Skalp auch beide Ohren (Antonio Cruz, Agencia Brasil)

Samstag, 20. Februar 2010

Kein Dach auf unserer Schule


Nach Karneval sind in Brasilien die Sommerferien endgültig vorbei, und der Unterricht geht wieder los. Nicht so hier im Dorf. Hier wird der Unterricht voraussichtlich Anfang März wieder beginnen. Wenn bis dahin das neue Dach auf der Schule ist. Den ausgefallenen Unterricht sollen die Schüler dann im Juli nachholen – wenn alle anderen Winterferien haben. Das ist psychologisch nicht sehr geschickt und kann auch noch zu anderen Schwierigkeiten führen: Schüler, die mit dem Bus zur Schule fahren, bekommen für diese Fahrten staatlich finanzierte Wertmarken. Da im Juli allgemein unterrichtsfrei ist, werden für diesen Monat solche Marken gar nicht erst gedruckt. Ob daran schon jemand gedacht hat? Ob dann nur für eine einzige Schule die Druckerei angeworfen wird?

Für unbeteiligte Zuschauer wie mich, ist es nicht so richtig nachvollziehbar, wieso es zu diesem Problem überhaupt kommen musste. Das Dach, so meine ich, hätte doch einfach bereits am ersten Ferientag, Ende Dezember, abgedeckt werden können. Dann wäre jetzt längst alles fertig. Stattdessen wurde es erst vor Karneval abgedeckt, also am ersten Schultag nach den großen Ferien. So geraten die Dachdecker obendrein noch in die ersten Regenfälle, die traditionell hier im Nordosten nach Karneval nieder gehen. Vermeidbare Komplikationen, könnte man meinen.

Kürzlich veröffentlichte die Unesco ihren jährlichen Weltbildungsbericht, der die weltweiten Fortschritte auf dem Weg zum Milleniums-Ziel „Bildung für alle“ misst. Darin zeigte sich, dass Brasilien insgesamt weit mehr im Verzug ist als mit einem Schuldach. Das größte Land des südamerikanischen Kontinents, das die globale Krise so außergewöhnlich gut überstanden hat, und das wirtschaftlich in so rasantem Tempo auf die vorderen Plätze im weltweiten Vergleich vorprescht, liegt im Bildungsvergleich auf dem 88. Platz. Hinter den ärmsten Ländern Südamerikas wie Bolivien, Ecuador und Paraguay.

Eine andere Untersuchung zeigte, dass die besten Pädagogik-Studenten eines Jahrgangs sich nicht für den Lehrer-Beruf interessieren. Kein Wunder. Grundschullehrer verdienen hierzulande immer noch kaum mehr als den gesetzlich festgesetzten Mindestlohn von momentan umgerechnet rund 200 Euro. Davon kann keine Familie leben. Die Unesco-Untersuchung über Lehrer in Brasilien belegt, dass die Hälfte der brasilianischen Lehrer aus Familien der Unterschicht stammt, und 68 Prozent selbst ausschließlich staatliche Schulen besucht haben. 81 Prozent sind Lehrerinnen. Obwohl das Gesetz auch bei Grundschullehrern eine universitäre Ausbildung vorschreibt, haben die heute angestellten Lehrer im Schnitt 14 Jahre Schul- und Unibesuch vorzuweisen – nicht genug für einen Universitätsabschluss, meist nicht einmal genug für Kenntnisse in nur einer Fremdsprache. 20.000 Lehrer haben maximal acht Schuljahre absolviert. Laut einer Schätzung des Bildungsministeriums sollen mehr als eine halbe Million Lehrer ohne ausreichende Ausbildung lehren. Solche Daten verbreitet die brasilianische Regierung naturgemäß nicht so gern.

Bislang ging es der Regierung Lula hauptsächlich darum, möglichst viele Schüler überhaupt zum Schulbesuch zu bewegen. Dafür war die Unterstützung „Bolsa familia“, die nur ausgezahlt wird, wenn die Schule regelmäßigen Besuch bescheinigt, eine große Hilfe. Heute besuchen 97,6 Prozent der schulpflichtigen Kinder tatsächlich eine. Und die restlichen 680.000 werden innerhalb eines speziellen Programms gerade vom Erziehungsministerium identifiziert – vor allem unter der indigenen und der ländlichen Bevölkerung. Diese Zahlen werden regelmäßig gefeiert und sind ja auch wirklich schön anzusehen.

Langsam ist es also an der Zeit, genauer nachzufragen, was die Schulbesucher in der Schule eigentlich tun: Nahezu ein Drittel aller Schüler besucht eine Klasse, die dem jeweiligen Alter nicht angemessen ist. Jeder fünfte bleibt mindestens einmal sitzen. Jeder vierte Brasilianer über 15 Jahre ist funktionaler Analphabet: Er kann zwar einfache Sätze lesen und zu Papier bringen, ist aber nicht in der Lage, komplexere Texte zu verstehen oder eigene Ideen schriftlich auszudrücken.

Wie viel Hoffnung darf man haben, dass es einem Land gelingt, die öffentliche Bildung zu verbessern, wenn es einer Dorfschule nicht möglich ist, nötige Renovierungsarbeiten in die Ferien zu legen? Oder vergleiche ich da gerade Eier mit Nüssen?

foto: wollowski

Donnerstag, 4. Februar 2010

Prä-kämpferische Duelle


Politiker sind keine Brasilianer, jedenfalls keine normalen. Scheut der normale Brasilianer offene Konflikte, schürt der brasilianische Politiker dieselben mit Vorliebe. Vor allem natürlich im Wahlkampf. Der hat in diesem Wahljahr noch nicht begonnen, wie kürzlich die Richter entschieden haben. Es hatten nämlich böse Zungen behauptet, Lula schicke seine Lieblingskandidatin Dilma Rousseff nur deswegen durchs ganze Land, um soziale und andere Errungenschaften gemeinsam mit dem Volk zu feiern, damit die Leute gleich wissen, wen sie im Oktober wählen sollen. Das wäre ungesetzlich. Weil Steuergelder und Regierungsämter nicht für den Wahlkampf verwendet werden dürfen. Dilmas Reisen aber sind ganz ok, auch wenn sie dabei ständig auf die Opposition schimpft. Weil Wahlkampf erst dann existiert, wenn es einen deklarierten Kandidaten und ebenso deklarierten Stimmenfang gäbe. So doof ist die Ministerin natürlich nicht, platt zu sagen: Wählt mich, Leute!

Als doof stellt da lieber der Präsident ganz undiplomatisch den Chef der Oppositionspartei hin. „Babaca“ hat er den Senator Sérgio Guerra mitten in einer Plenarsitzung genannt, weil dieser in einem Interview angekündigt hatte, seine Partei werde im Falle eines Wahlsiegs das mit reichlich Vorschusslorbeeren eingeführte und bis jetzt nicht gerade durchschlagend erfolgreiche Programm zur Beschleunigung der Entwicklung, PAC, abschaffen. Vielleicht hat den Präsidenten auch gestört, dass Guerra behauptet hat, das Programm diene vornehmlich dazu, den Wähler in die Irre zu führen.

Auf Lulas verbalen Ausbruch ließ der Oppositionsführer gleich schriftlich verbreiten, dass Dilma eine Lügnerin sei. Dem kann nicht mal widersprochen werden, denn es ist bekannt, dass die Ministerin ihren Lebenslauf um einen Universitätsabschluss an der hoch angesehenen Unicamp und einen Doktortitel derselben Universität geschönt hat. Guerra geht aber noch weiter. Wörtlich schrieb er:

„Dilma Roussegg lügt. Sie hat in der Vergangenheit über ihren Lebenslauf gelogen und verbreitet heute Lügen über ihre Gegner. Sie benutzt die Lüge als Methode. Setzt auf Desinformation des Volks und missbraucht den guten Glauben der Bürger.“ Harte Geschosse, auf die der PT-Präsident umgehend antwortete, indem er Sérgio Guerra als „Jagunço“* beschimpfte. Diese Art Duelle nennt die Presse hierzulande jetzt Prä-Wahlkampf.

Im eigentlichen Wahlkampf, der irgendwann im März beginnt, geht es dann vermutlich erst richtig zur Sache. Lula hatte bereits im Januar angekündigt, er erwarte Debatten auf hohem Niveau. Einerseits. Dass aber keiner glaube, er werde im Wahlkampf den „Liebe und Frieden“-Weg einschlagen. „Ich bin Capoeirista“, tönte der Präsident, von dem als einzige sportliche Aktivität gelegentliche Fußballspiele bekannt sind. „Ich weiß mich gegen Angriffe über Brusthöhe zu schützen.“ Von Angriffen unter der Gürtellinie hat er nicht gesprochen. Die teilt er vielleicht lieber selbst aus.

* Jagunços waren in längst vergangenen Zeiten die fest angestellten Mörder der Großgrundbesitzer .


Foto: gesehen bei o-mascate.blogspot.com

Mittwoch, 13. Januar 2010

Kultur-Bons und ein Film fürs Volk


Hier in Brasilien ist es gesetzlich verboten und praktisch üblich, in Wahljahren die potentiellen Wähler durch Wahlgeschenke freundlich zu stimmen. Das geht von säckeweise Fischen über stundenlanges Freibier bis zu versprochenen oder gar errichteten Krankenhäusern, ausgearbeiteten sowie finanzierten Wirtschaftsankurbelungspaketen und allerlei Sozialprogrammen. Lulas bisherige Wahlerfolge haben nachweislich mit Sozialprogrammen zu tun. Wo besonders viele. Bolsa Familia*-Empfänger leben, gab es besonders viele Stimmen.

Ende letzten Jahres hieß es, die 11 Millionen Empfängerfamilien der Bolsa Familia könnten in 2010 auch eine Bolsa Celular empfangen, nämlich ein kostenloses Handy mit umgerechnet 2,80 Euro Guthaben pro Monat – von der Regierung steuerbefreit und von den Handy-Betreibern gestiftet. Eine Woche später zitierten die Medien Kommunikationsminister Hélio Costa so: „Ich will damit nichts mehr zu tun haben“. Kritiker hatten ihm vorgeworfen, Staatsmittel in einen Markt zu werfen, der mit 80 Prozent Handynutzern bereits gesättigt sei. Stimmt, Costa ist zu spät gekommen: gerade Geringverdiener legen großen Wert darauf, ein möglichst schickes teures Handy vorzuweisen.

Mit einer anderen Idee könnte Kultusminister Luca Ferreira eine weit innovativere Aktion gelingen: Die „Bolsa Cultura“ soll das Volk zur Kultur bringen. Mittels einer Art Kreditkarte, die von Regierung, Arbeitgebern und dem Arbeitnehmer selbst finanziert monatlich 50 Reais für diverse Kulturgenüsse von Kino bis Theater oder den Kauf von Büchern bereit stellt. Essensmarken für den Geist sozusagen. 14 Millionen Arbeitnehmer könnten davon profitieren, so die Rechnung des Kultusministeriums.

Als nächstes kommt dann wohl der „Freundinnen-Bon, der jedem Wähler eine Freundin garantiert“, unkte die Opposition. Es handele sich um eine Wahlkampf-Aktion, die nicht etwa Kultur fördern würde, sondern eher den Tanz der Jungwähler mit ihren Liebsten, in Musik-Schuppen der Peripherie, sagten Kritiker außerdem. Bereits im November, also noch im Vor-Wahljahr, hatte Lula den „Kultur-Gutschein“ gefeiert, dessen Einführung im Dezember vom Senat beschlossen wurde.

Gerade rechtzeitig. Anfang Januar ist „Lula – ein Sohne Brasiliens“ angelaufen, mit 12 Millionen Reais Produktionskosten der teuerste Film in der Geschichte dieses Landes. Er thematisiert nur die Jugend und Kindheit des Präsidenten, hält sich nicht dokumentarisch an die Fakten, sondern malt ein blütenweißes Heldenbild, in dem Klein-Lula die Mutter vor den Aggressionen des Vaters verteidigt, der Gewerkschafter später nur Bier trinkt statt Klaren und so fort. Kino ist teuer in Brasilien, in den Shoppingzentren kostet eine Eintrittskarte umgerechnet mehr als sechs Euro. Die Klassen C und D sehen normalerweise eher Screen-Shot-Raubkopien, als selbst ins Kino zu gehen.

Diesmal war das anders: Der Sohn Brasiliens lief genau dort hervorragend, wo Lula auch seine meisten Wähler sitzen hat. Im Nordosten. Bei den Klassen C und D. In Sao Paulo hingegen, waren die Eintrittszahlen kümmerlich. Als heimliches Wahlkampf-Instrument hat sich der Film damit nicht bewährt, da ihn Nicht-Lula-Wähler kaum gesehen haben. Dafür aber als Kultur-Aktion: Viele waren für Lula zum ersten Mal in ihrem Leben im Kino. Ob sie mit ihrem Kultur-Bon wohl auch eine gedruckte Lula-Biographie gekauft hätten?

NS. In abgelegene Kleinstädte ohne eigenes Kino soll der Film übrigens per Großleinwand gebracht werden. Damit auch wirklich jeder das kulturelle Großwerk des Jahres erleben kann.

* Bolsa Familie sind monatliche staatliche Hilfen für bedürftige Familien. Als Gegenleistung für die Geldzuwendung müssen die Familien z.B. nachweisen, dass die Kinder regelmäßig die Schule besuchen.

Donnerstag, 31. Dezember 2009

Glücklich ins neue Jahr mit Lula


Hinter vorgehaltenen Händen und verschlossenen Türen wird zurzeit gemunkelt, dass PSDB-Präsidentschaftskandidat José Serra sich mit der Grünen Marina Silva zusammen tun könnte, um die Wahlen im nächsten Jahr auch ganz bestimmt zu gewinnen. Weil doch Lulas Lieblingskandidatin Dilma Rousseff zwar langsam die Nase voll hat von dem ganzen Imagegetue („Ich werde jetzt einfach ich selbst sein“, soll sie kürzlich angekündigt haben), aber bei den Wählern immer noch nicht so recht beliebt ist. Abwarten. Noch hat offiziell nicht mal der Wahlkampf begonnen. Noch bleibt uns unser Lula erhalten.

Und weil unser Präsident, der das Land so wunderbar optimistisch durch die Krise geführt hat – und nebenbei die Staatsverschuldung in die Trillionen getrieben -, im Ausland beinahe so beliebt ist wie Obama, aber selten direkt zitiert wird, will ich heute den Deutschen unter den Lesern eine kleine Sammlung an Präsidentensprüchen aus dem heute zu Ende gehenden Jahr präsentieren. Zusammengestellt von der Zeitschrift Veja, frei übersetzt – ohne jede Haftung – von mir.

„Die Reichen brauchen uns nicht sehr. Den Müll einzusammeln reicht schon.“

"Warum ist diese Klimafrage heikel? Weil die Welt rund ist. Wenn die Welt quadratisch oder rechteckig wäre…"

"Diese Krise wurde nicht von einem Schwarzen, Indianer oder Armen ausgelöst. Diese Krise wurde von Weißen mit blauen Augen gemacht."

"Es gelingt mir nicht, viele Seiten an einem Tag zu lesen, das macht mich schläfrig. Ich sehe TV, je mehr Unsinn, desto besser."

"Es gibt Leute, die meinen Optimismus nicht mögen, aber ich bin Corinthians-Fan, katholisch, Brasilianer und außerdem Präsident dieses Landes. Wie könnte ich da nicht optimistisch sein?"

In diesem Sinne: Gehen wir mit Lula optimistisch ins nächste Jahr!

Karikatur gesehen bei www.aindamelhor.com

Sonntag, 22. November 2009

Zeit ist Geld

Manchmal funktioniert das öffentliche brasilianische Gesundheitssystem hervorragend. Zum Beispiel fahre ich nächste Woche nach Französisch Guyana, und für die Einreise ist eine Gelbfieberimpfung vorgeschrieben. Also habe ich bei unserer dörflichen Gesundheitsstation angerufen, um höflich anzufragen, wo ich so eine Impfung bekommen kann. Schon am nächsten Tag hat mich eine freundliche Dame in der Gesundheitsstation des nächsten Orts geimpft. Vollkommen kostenlos, ich musste nur mein Flugticket in die gefährdete Region vorlegen. Nicht einmal warten musste ich.

Das mag daran liegen, dass nicht so viele Menschen Gelbfieber-Impfungen brauchen. Normal ist eher, was ich erlebt habe, als ich einen Allergietest machen wollte. Zuerst saß ich auf der Wartebank hier im Dorf, bis der Allgemeinarzt mich vorließ. Der plauderte recht nett über seine Erfahrungen mit deutscher Literatur, empfahl mir ein gaaaanz neues Medikament und schrieb mir schließlich den Überweisungsschein zum Hautarzt im nächsten Ort. Zu dem konnte ich damit aber nicht etwa einfach gehen. Zuerst musste ich im Morgengrauen in einer weiteren Schlange ausharren, um unter Vorlage des Überweisungsscheins einen Termin zu ergattern. Dieser Termin lag etwa zwei Monate nach dem ersten Arztbesuch, eine Stunde Busfahrt von meinem Dorf entfernt.

Ich hatte an dem Tag ziemliches Glück, denn von den mehreren Dutzend Menschen, die mit mir warteten, tat das die Hälfte umsonst: die Psychologin, die ebenfalls Patienten empfangen sollte, war krank und konnte nicht kommen. Unsere Dermatologin hingegen war da. „Sag nicht immer Dermatologin“, tadelte der Rezeptionsfachmann seine offensichtlich neue Kollegin, „das versteht hier niemand. Sag, die Ärztin für die Hautsachen“. Nach drei Stunden saß ich vor der Ärztin für die Hautsachen. In einem Zimmer, das an einen Klassenraum für Zwerge erinnerte. Die Dermatologin war jung, lächelte freundlich und sah lange auf meinen Schein. Dann schüttelte sie bedauernd den Kopf und sagte: „Allergietests mache ich nicht.“ Da müsse ich ins Allergie-Zentrum in Recife gehen.

Dafür brauchte ich einen neuen Schein. Der freundliche Allgemeinarzt empfahl mir ein weiteres uuuuuunfehlbares Medikament. Dann schrieb er einen neuen Schein. Die Krankenschwester riet mir, ich solle mit dem ersten Bus morgens um vier losfahren, um rechtzeitig im Allergiezentrum anzukommen. Nein, ich müsse vorher keinen Termin machen, man würde da gleich behandelt. Also gut. Um vier ist es noch kalt und dunkel. Bis ich in Recife ankam, war es hell und halb sieben. Die Schlange im Allergiezentrum war ermutigend kurz. Der Wärter an der Tür blickte auf meinen Zettel und sagte: „Für heute sind alle Termine vergeben, aber da Sie nicht aus dem Stadtbereich Recife kommen, müssen Sie ohnehin nächste Woche wieder kommen, wenn alle Auswärtigen-Termine für den Dezember vergeben werden.“ Um am gleichen Tag untersucht zu werden, erfuhr ich, muss man um vier da sein. Vor anderen Krankenhäusern schlafen die Menschen deswegen in Schlangen. Bei diesem ist das wegen der riskanten Sicherheitslage unmöglich. Aber für die Auswärtigen wie mich reichte es, um halb sieben da zu sein. Sagte der Wärter.

Als ich am Stichtag um halb sieben aus dem dritten und letzten Bus stieg, war die Schlange vor dem Zentrum bereits mehrere Hundert Meter lang, obwohl die Rezeption noch nicht geöffnet hatte. Wenig später brannte die Sonne. Meine Nachbarin hatte einen Regenschirm dabei und lud mich in den Schatten ein. In den nächsten Stunden kamen wir uns alle ein wenig näher. Tauschten Pfefferminzbonbons und Tipps, um welche Uhrzeit man in welchem Krankenhaus noch eine Chance hat. Schimpften über Männer und die Regierung. Denn in solchen öffentlichen Krankenstationen stehen fast ausschließlich Frauen Schlange. Vielleicht jammern deren Männer lieber zuhause, anstatt medizinische Hilfe zu suchen. Versorgt werden sie ja auch so.

Irgendwann kam ein mobiler DJ auf einem Moped und spielte uns ein paar Roberto-Carlos-Schnulzen vor. Leider fuhr er schnell weiter, als er merkte, dass er seine raubkopierten Best-of-CDs bei uns nicht loswurde. Um elf Uhr mittags hatte ich meinen Termin. Für den 21.12. um die Mittagszeit. Angeblich muss ich dann nicht mehr warten. Ich habe lieber nicht gefragt, wie es aussieht, falls ich einen Folgetermin brauche.

Als ich in meinem Dorf aus dem Bus stieg, hatte sich in der Nachmittagssonne eine lange Schlange vor der Einwohnervereinigung gebildet. Darin entdeckte ich meine Nachbarin. Weil Präsident Lula jetzt auch in unserem Dorf den Hunger ausrottet: Säckeweise Yamswurzeln und Maniok, grüne Bananen und Süßkartoffeln warteten in dem geräumigen Schuppen darauf, an die Bevölkerung verteilt zu werden. „Stell dich doch auch an“, riet mir die freundliche Nachbarin. Wie bedürftig einer war, fragten die unendlich geduldigen Frauen an der Ausgabe anscheinend niemanden. Wahrscheinlich gingen sie davon aus, dass nur der für ein paar Wurzelgemüse Stunden Schlange steht, der das wirklich nötig hat.

Tatsächlich ist es so, dass, wer kein Geld hat, ständig in der Schlange steht. An der Bank, um sich jeden Monat seine staatlichen Unterstützungen abzuholen. An der Lottoannahmestelle, wo er aufs Glück hofft und seine Rechnungen in bar bezahlt, weil er kein Bankkonto hat. An der Null-Hunger-Gemüse-Ausgabe. Und in der Krankenstation. Kurz: Wer kein Geld hat, zahlt mir Zeit. Viel Zeit.
Hsaben wir ja alle schon mal gehört: Zeit ist Geld – und also ein probates Zahlungsmittel. Für wen aber diese Zeit, die all diese Leute in den Schlangen verlieren, Geld bedeutet, das ist mir nicht klar geworden.

Foto: Wollowski

Sonntag, 1. November 2009

Endlich Frieden für die Banditen


„Bewohner von Mittelklasse-Vierteln werden die Favela-Agglomeration Complexo do Alemão, im Norden von Rios beneiden”, behauptete Dilma, Lulas Präsidentschaftskandidatin bei einem Besuch dort zu Anfang dieses Monats. Eine erstaunlich optimistische Prognose, wenn man bedenkt, dass der Complexo do Alemão zu den gefährlichsten Gegenden von Rio gehört und fest in den Händen ihres “Besitzers” FB liegt. Drogengroßhändler Fabiano Anastácio da Silva, besser bekannt als Fabiano der Geier oder eben kurz FB, herrscht wie ein König, er lässt auf dem Hügel „Alemão“, der 13 Favelas mit insgesamt 65.000 Einwohnern zusammenfasst, nach Belieben Menschen festnehmen, frei lassen oder töten.

Im September vergangenen Jahres etwa wurden diverse verkohlte Leichen von minderen Drogenhändlern aufgefunden. Damals hatten mehr als 800 Polizisten in einem Großeinsatz den Complexo gestürmt. Außer den Leichen fanden sie 20 Kilo Kokain, 30 Kilo Marihuana, 3 Maschinengewehre, 32 zwölf-kalibrige Schrotflinten und reichlich Munition. Es wäre naiv, anzunehmen, dies sei das gesamte Waffenarsenal gewesen, über das Fabiano der Geier verfügt.

Dennoch kündigte Rios Sicherheitschef José Mariano Beltrame damals statt weiterer Aktionen an, er werde seine Männer vom Complexo do Alemão abziehen. Weil ihre Gegenwart die Aktionen des PAC stören könnte. Seine euphemistisch verbrämte Aussage bedeutet im Klartext: Favela-Chef FB könnte sich durch die Anwesenheit der Polizisten gestört fühlen. Und wenn der totalitäre Herrscher dieses Reichs innerhalb der Stadt Rio sich gestört fühlt, dann wird auch aus dem PAC nichts. Und der PAC wiederum, soll ja laut Dilma dafür sorgen, dass die Mittelklasse-Bevölkerung demnächst lieber im Complexo do Alemão wohnen will, als in ihren Mittelklasse-Vierteln. Dafür sollen umgerechnet rund 260 Millionen Euro in den Complexo fließen – mehr als dreimal so viel als im Jahr 2008 in ganz Brasilien für neu angelegte städtische Kanalisationssysteme ausgegeben wurde.

Gebaut werden die größte Erste-Hilfe-Station des Bundesstaates Rio de Janeiro, Wohneinheiten für Bedürftige und sechs Drahtseilstationen. Die Drahtseilbahn soll die Bewohner des Complexo mit dem Stadtzentrum verbinden und so ihre Beweglichkeit erhöhen. Bis Ende 2010 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Ein großes Geschenk des Staates an seinen Gegenspieler, und das sollen die Menschen des Alemão natürlich mit Kandidatin Dilma verbinden. Damit sie gleich wissen, wem sie dankbar sein und wen sie also nächstes Jahr wählen sollen. Dilma zeigte sich bei ihrem – höchstwahrscheinlich mit Parallelherrscher FB abgesprochenen – Besuch beeindruckt von Qualität und Ausmaßen der Baumaßnahmen und äußerte die Ansicht, die Gewalt, welche die Gegend bislang prägt, werde sicher abnehmen. Weil der Staat ja nun seine Pflichten in der Slum-Agglomeration do Alemão nicht mehr ignorierte.

Schon zwei Wochen später bekamen Dilmas schöne Worte einen hässlich zynischen Unterton, als Vertreter der Drogenmafia Comando Vermelho einen Polizeihubschrauber abschossen, der einen internen Konflikt zweier Fraktionen überflog. Beltrame verglich die Aktion dramatisch mit dem Angriff der AL Qaeda auf die USA. So überrascht waren nicht alle von diesem Gewaltausbruch: Die Ex-Polizeichefin und jetzige Abgeordnete Marina Magessi hatte bereits kurz nach der Rede der Kandidatin Dilma gewarnt: „Seit die Polizei wegen der PAC-Baumaßnahmen den Complexo do Alemão meidet, fliehen die ganzen Banditen dorthin.“.

Letzten Sonntag feierte der Complexo do Alemão mal wieder eine Funk-Party – ein Freudenfest anlässlich des abgeschossenen Polizei-Hubschraubers. Dabei sang DJ Will den beliebten Refrain: „Hier kommt die Militärpolizei nicht rein, hier gibt es nur Taliban, Terroristen der Al Qaeda!“.

Also hat Lula sein Ziel erreicht. Im Dezember des vergangenen Jahres hatte er angekündigt, er werde den Complexo do Alemão in ein „Territorium des Friedens“ verwandeln. Auch Dilma hat Recht: Der Complexo ist tatsächlich friedlicher geworden. Für die Banditen.

Foto (Banditen fackeln Busse ab): Ricardo Moraes/Reuters

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Franceneto, cabra da peste und demnächst Präsident?


Das ganze Dilemma der Lula-Nachfolge könnte so einfach gelöst werden. Dass er da noch nicht drauf gekommen ist! Während der mangelnde Charme seiner Bevorzugten Dilma durch die Kandidatur der grünen Marina noch stärker zu stören scheint und die Truppe um den Präsidenten verzweifelt hier und da Unterstützungs-Alliancen für die harsche Lady strickt, steht einer auf Abruf im Hintergrund. Dass Popularität allein schon für politische Ämter qualifiziert, ist bekannt. Vor allem, seit die Regelung für Wahlwerbung restriktiver geworden ist, gereicht ein bekannter Name zu Vorteilen auf dem Weg in die Politik.

Der inzwischen verblichene Designer Clodovil hat es vorgemacht: kein nennenswertes Programm, aber der meistgewählte Abgeordnete Sao Paulos. Romário, Ex-Fußballer und so pleite, dass er zwangsweise auf den Rasen zurück kehrte, ist kürzlich außerdem einer Partei beigetreten, deren Namen er sich zwar nicht merken kann, für die er aber als Abgeordneter kandidieren will. Der gutaussehende Hauptdarsteller der letzten Acht-Uhr-Tele-Novela, André Gonçalves, will ebenfalls kandidieren. Und auch Ex-Big-Brother Kléber "Bambam"will in die Politik. So gesehen träumt Frank einen verbreiteten Traum. Allerdings belässt er es nicht beim Träumen: 2006 bekam er bei seiner Wahl zum Abgeordneten die drittmeisten Stimmen aller Kandidaten seiner Partei. Kein schlechtes Ergebnis - so aus dem Stand. In diesem Jahr wird ein Film über Franks Leben gedreht – ein weiterer Pluspunkt auf Stimmenfang.

Es geht stetig aufwärts: Längst hat der Nachwuchs-Politiker den Abgeordneten-Job gegen den des Vize-Bürgermeisters in seinem Wohnort Sao Bernardo do Campo getauscht, wo es bereits ein Frank-Aguiar-Museum und eine Straße seines Namens gibt. Lula persönlich soll ihm vorgeschlagen haben, dafür anzutreten. Mit dem ist er seit vielen Jahren so gut befreundet, dass der brasilianische Präsident bei Frank schon zum Grillen war. Bei der Gelegenheit hat er in einer der sieben Suiten des Hauses übernachtet, die seitdem „Präsidentensuite“ heißt. Als Gilberto Gil sich aus der Politik verabschiedete, munkelten manche, Frank könne ihn als Kultusminister ablösen. Schließlich sind beide Musiker. Erhebt Gil, Mitbegründer der Bewegung Tropicalismo mit seinen Texten und Musik intellektuelle und politische Ansprüche, und musste deswegen unter der Militärdiktatur ins Exil gehen, hat Frank sich als Alleinunterhalter den Beinamen „Das Hündchen an der Hammondorgel“ verdient, weil er bei seinen Auftritten gelegentlich „au, au“ machte, wenn ihm der Text nicht mehr einfiel. Das sexy „au“ gehört inzwischen zu fast allen Songs, die mit Texten glänzen, wie „.Komm her reife Frau, komm her heiße Frau, das Sprichwort sagt: gewaschen, getrocknet, ist sie wie neu….“

Einer, der vor nur 15 Jahren aus dem armen Piauí auszog, und bereits Millionär und Vizebürgermeister in Sao Paulo ist, der kann alles werden. Sogar Präsident. Oder? Der Zeitschrift Veja sagt der Sänger und Politiker: „Ich bin ein Auserwählter“. Einer, der seinen Namen Franceneto da Luz Aguiar in einen international tauglichen „Frank“ ummünzt, überlässt auch sonst wenig dem Zufall. Frank Aguiar hat in den vergangenen 15 Jahren nicht nur – nach eigener Aussage - fünf Millionen Platten verkauft. Er hat außerdem einen Universitäts-Abschluss in Jura gemacht und arbeitet gerade an einem Master in öffentlicher Verwaltung. Anders als Präsidentschafts-Kandidatin Dilma, die erst Ende des vergangenen Jahres entdeckte, dass in Brasilien auch Politikerinnen dem Diktat der Schönheit unterliegen, ist Franceneto von Natur aus eitel: Jede Woche Maniküre, Lymphdrainage und regelmäßige Haarkuren für den Künstler-Pferdeschwanz gehören bei ihm längst zur Routine. Parfüm von Gaultier ist sein Markenzeichen.

Inhaltlich steht er ganz auf der Linie seines Grillkumpels Lula. „Ich interessiere mich für die menschliche Wärme der Arbeiter-Mutter, die uns umarmt und anfeuert. Ich interessiere mich für die Probleme der Ärmsten, für die Schwierigkeiten derjenigen, die bei den Entscheidungen der Politiker außen vor bleiben, und für die Ängste derjenigen, die immer noch im Kerker der sozialen Ausgrenzung leben“, beschreibt er sich auf seinem Blog. Vielleicht hat er sich das in den vielen Jahren als offizieller Wahlparty-Musiker der Arbeiter-Partei PT abgehört. Vielleicht hat er es auch selbst erfunden. Selbst jedenfalls lebt er nicht unbedingt bescheiden. Neben dem Personal in der Sieben-Suiten-Villa beschäftigt er 40 Berater und Assistenten. Je eine Truppe für sein öffentliches Leben, für sein Leben als Künstler und für sein Privatleben. Einer ist nur damit beschäftigt, dem Vielbeschäftigten die wichtigsten Filme und Bücher auszuwählen und zusammenzufassen. Ein anderer legt ihm die Kleidung für jeden Anlass zurecht. Eine dritte unterrichtet ihn in Rhetorik und hat ihm beigebracht, dass er „bei Reden keine Witze reißen soll“.

Das mag einem schwerfallen, der als Vize-Bürgermeister gerne bei Leuten aus dem Volk anruft und ankündigt: „Brat mal zwei Spiegeleier, ich komm dann zum Mittagessen“. Aber Lula ist ja bestes Beispiel dafür, dass einem beliebten Mann auch schlechtere Witze gern verziehen werden. Und Frank hat noch einen weiteren Pluspunkt vorzuweisen. Er ist nicht korrupt, sagt er. In seinen eigenen Worten heißt das: „Ich gehöre nicht zu den Hurensöhnen von Politikern, die dem Volk Geld stehlen.“

Da im Piauí, wo er herkommt, gibt es einen Ausdruck für Leute wie ihn. „Cabra da peste“ sagen sie da zu einem, der ein echter Kerl ist.

Foto: areavip.com.br

Dienstag, 15. September 2009

Schwarz, weiblich, Marina


Der britische Guardian hat schon 2007 verkündet, Marina Silva sei eine der 50 Personen, die helfen könnten, die Welt zu retten. Damals war Marina noch brasilianische Umweltministerin – vermutlich die härteste Kämpferin, die den Posten je inne hatte. Zu hart für die Regierung. Weil Marina zum Beispiel die geplanten Mega-Wasserkraftwerke Jirau und Santo Antonio, die reichlich Arbeitsplätze, Steuergelder und Prestige schaffen würden, erst genehmigen wollte, nachdem deren Auswirkungen auf die Umwelt genau geprüft wären. Das Ende vom Lied: Marina trat im Mai 2008 vom Amt zurück. Ihr Nachfolger, Carlos Minc, hat zuletzt mit seiner Teilnahme am „Marsch für Marihuana“ in Rio Schlagzeilen gemacht.

Wer gedacht hat, damit sei Marina abgetreten, muss spätestens jetzt merken: Falsch gedacht. Marina ist eine Kämpferin, das beweist schon ein Blick in ihre Biografie, die sich liest wie ein Kitschroman. In einer armen Gummizapfer-Familie aufgewachsen mitten im Urwald, wo es weder Straßen, noch Gesundheistversorgung oder Schulen gab, konnte sie als 14-Jährige gerade mal die Uhr lesen und einfachste Rechenaufgaben lösen – um beim Gummiverkauf nicht übers Ohr gehauen zu werden. Mit 15 verlor sie die Mutter und übernahm die Haushaltspflichten für die 10köpfige Familie. So gesehen war es geradezu Glück, als sie mit 16 Hepatitis bekam. Die ließ sich nämlich nur in der Stadt behandeln.

Einmal in Rio Branco angekommen, blieb Marina einfach da. Suchte sich einen Job als Hausangestellte und lernte. Lernte alles, was sie vorher verpasst hatte. Mit 19 hatte sie bereits das Abitur nachgemacht und sich für die Aufnahmeprüfung an der Uni eingeschrieben.

Und so jemand sollte aufgeben, nur weil sie als Ministerin zu unbequem war? Statt dessen wird Marina Silva gerade noch deutlich unbequemer. Sie hat nämlich nach 30jähriger Zugehörigkeit zur Arbeiterpartei gerade die Farbe gewechselt und trägt neuerdings Grün statt Rot. Und die brasilianischen Grünen, so heißt es, wollen sie als Präsidentschaftskandidatin aufstellen.

Auch wenn die Kandidatur noch nicht offiziell bestätigt ist: das bringt die rote Dilma zum Zittern. Und den Präsidenten dazu, schnell einen Plan B und einen
Ersatzkandidaten auszuwählen. Denn Marina ist ein Überraschungsfaktor, dessen Wucht schwer einzuschätzen ist. Unermüdlich im Lernen: Die Senatorin, Mutter von vier Kindern und studierte Historikerin, steht kurz vor dem Abschluss eines Aufbaustudiums. Und unerbittlich in der Moral: Bereits in ihrem ersten politischen Amt als Gemeinderatsmitglied hat Marina freiwillig diverse Finanzhilfen wie die Wohnbeihilfe zurück gegeben und öffentlich gemacht, wie hoch sie selbst und die Ratsmitglieder bezahlt wurden. Weil sie das durchaus reichlich fand.

Das Ausland hat womöglich schon viel länger verstanden, wie effizient diese unspektakuläre Kämpferin ihre Arbeit für die Umwelt tut: In den letzten Jahren hat Marina Silva einen internationalen Preis nach dem anderen gewonnen. „Champions of the Earth“ von den Vereinten Nationen in 2007, den „Duke of Edinburgh-Award" vom WWF in 2008, und den nach dem Jostein-Gaardener-Werk benannten norwegischen „Sophie-Preis“ in diesem Jahr.

Kürzlich titelte die Zeitschrift Veja „Marina ist eine gute Nachricht“ und fragte die Senatorin, ob sie von Obama, dem ebenfalls schwarzen Präsidenten, inspiriert sei. Sie sei zwar auch schwarz, aber es sei doch vermessen, sich mit dem amerikanischen Präsidenten zu vergleichen, antwortete Marina bescheiden. Erwähnte dann aber ganz am Rande, was Freunde von ihr gesagt hätten, als Hillary und Obama gegeneinander angetreten waren: Da mussten die US-Amerikaner sich zwischen einer Frau und einem Schwarzen entscheiden. Wenn Marina in Brasilien für das Präsidentenamt kandidieren würde, hätten die Brasilianer solche Probleme nicht.

Foto: Ana Limp

Montag, 3. August 2009

Schlagzeilen um ein phänomenales Dickerchen

Ist schon gemein, wenn jeder eine persönliche Schwäche sehen und darüber Witze machen kann. Schlagzeilen hat er deswegen mehr als reichlich wegstecken müssen: Er sei zu dick, er sei nicht in Form, er esse zu gern. Jeder Besuch im Grillrestaurant wurde kommentiert, Privatfotos genüsslich von der Klatschpresse zelebriert. Die immer besonders bissigen Engländern ertappten den Stürmer im vergangenen Jahr gar bei einer Auszeit wegen Verletzung in Calvin-Klein-Unterhose, mit Zigarette und einem Bauch, den sie fies mit dem einer im vierten Monat schwangeren TV-Moderatorin verglichen – dazu behauptete „The Sun“: Ronaldo und Louise Redknapp könnten locker ihre Klamotten tauschen. Das Belegfoto dazu:



Noch gemeiner die folgende Fotomontage, die eine Zeit lang auf diversen Sites zu sehen war:



Als selbst Präsident Lula dem Superstar während der Weltmeisterschaft 2006 Übergewicht unterstellte, schlug der endlich und treffend zurück. Das war nicht schwer, ist doch die empfindlichste präsidiale Schwäche hinlänglich bekannt: „Ich rede ja auch nicht über Lulas Alkohol-Konsum“, kommentierte Ronaldo in einem Interview. Seitdem herrscht prominentes Stillschweigen: keiner der beiden hat je wieder öffentlich an den wunden Punkt das anderen gerührt. Genutzt hat das dem Fußballer wenig: Die Fans ergänzten trotzdem frech seinen Spitznamen „das Phänomen“ zu „der phänomenale Dicke“.

Ob das an seinem Ego gefressen hat? Oder hat seine Frau Bia ein Machtwort gesprochen? Jedenfalls wollte der Dicke es eigentlich geheim halten. Tagelang wand sich sein Verein „Corinthians“ in Kommentaren wie: „Wer behauptet, er habe sich die OP nicht genehmigen lassen?", „Ja, der Verein weiß Bescheid, aber wir sagen nicht, ober er hat oder ob er nicht hat!“. Auch der Arzt hielt sich bedeckt: „das unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht.“ Und Torwart Felipe witzelte: „Falls er das gemacht hat, wird er noch schneller über den Platz fliegen als jetzt schon!“

Darauf darf man sich gefasst machen, denn jetzt ist es raus: Er hat! Nämlich: Fett von seinem phänomenalen Bauch absaugen lassen.

Zwei Gläser reines Fett sollen es gewesen sein, 700 ml mit einem Gewicht von 2 Kilo. Und zwar hat der Dicke das am vergangenen Mittwoch vor der ohnehin notwendigen Hand-OP machen lassen, um so die notwendige Schonzeit gleich doppelt zu nutzen. Die Spezialisten hatten natürlich sofort allerlei Kommentare bereit. Ein Schönheitschirurg behauptet: Alles im grünen Bereich – üblicherweise lassen sich die brasilianischen Männer zwischen 50 und 800 ml Fett aus den Flanken saugen, also liegt Ronaldo im statistischen oberen Mittel. Außerdem sei gerade diese Flankenfettansammlung genetisch bedingt und durch Gymnastik nicht zu besiegen. Fußballspezialisten behaupten, die Schönheits-OP könne den Spieler länger als die Hand-OP vom Rasen fern halten. Kollege Bill, der derweil als Stürmer beim Corinthians für den pausierenden Ronaldo einspringt, sagt halb solidarisch, halb im Scherz: "Fett habe ich mir bisher nicht absaugen lassen, aber mit dieser hässlichen Visage könnte ich eine Schönheits-OP gut gebrauchen."

Eins ist sowieso klar: Dick bleibt Ronaldo auch mit 2 Kilo weniger. Falls er sich die in den zwei bis vier Wochen Zwangspause nicht ohnehin wieder anfuttert. Egal.

Die Fans hat der Dicke nämlich längst auf seiner Seite. Nicht wegen der Fettabsaugerei, sondern wegen seiner phänomenalen Leitungen bei den brasilianischen Meisterschaften „Brasileirao“. Fan Nilson Cesar spricht in seinem Blog garantiert für viele: „Dieser Ronaldo ist wirklich phänomenal. Übergewichtig aber phänomenal! Er legt immer im richtigen Moment los und schafft es, auf minimalem Raum Wunder zu tun (…)! Ohne den Dicken ist der „Corinthians“ ein anderes Team! Er mag bei seinem ersten Auftritt ausgesehen haben wie ein Sumo-Ringer, aber er nimmt sein Comeback ernst. Ich würde ihn nach Südafrika mitnehmen! Glückwunsch, phänomenales Dickerchen!"

So wird die Schwäche womöglich noch zum Markenzeichen. Und mal ehrlich: so dick ist der Dicke nun auch wieder nicht!



alle Fotos aus dem Netz ohne Angaben zu den Fotografen

Samstag, 17. Januar 2009

Lula wirft zurück

Lula wirkt in letzter Zeit immer gelöster. Vielleicht liegt das an den sensationellen Umfrageergebnissen, die ihm eine Beliebtheit ohnegleichen bescheinigen.

Kürzlich musste der Präsident in Sao Paulo eine Ledermesse eröffnen – eigentlich kein sonderlich amüsanter Termin. Aber als sich da so die Fotografen um ihn drängten und vor ihm eine Reihe exklusiver Schuhe standen, griff sich der Präsident spontan einen davon, grinste wie ein Lausbub und drohte, die elegante Fußbekleidung auf die Reporter zu werfen: Großes Gelächter.

Lula hatte tatsächlich allen Grund, von Reportern genervt zu sein. Erst wenige Tage vorher hatte er seinen geplanten Urlaub auf der Insel Fernando de Noronha vorzeitig abgebrochen, weil die frechen Presseleute ihn und seine Frau ständig belagerten. Vielleicht auf der Lauer nach einem Badehosenfoto. Oder einem irgendwie gearteten Missgeschick. Statt leichte Beute zu bleiben, zog das Präsidentenpaar es vor, den Rest des Urlaubs irgendwo an einem Strand des Bundesstaats Bahia zu verbringen.
Seitdem trägt der Präsident eine kleidsame Bräune, ein gelöstes Lachen im Gesicht, möglicherweise volleres Haupthaar und einen ganz neuen Humor: „Natürlich wollte ich nicht wirklich werfen!“ wehrt er die Fragen der Presse nach dem erhobenen Schuh ab, „ich habe mich nur gegen eventuelle Angriffe von Ihnen gewappnet.“

Manche schimpfen, er hätte mit dem Schuh lieber Politiker bedrohen sollen als die Presse, und Fotografen beschweren sich grinsend über ihren neuerdings immer gefährlicheren Beruf. Dabei war die Schuh-Geste womöglich eine historische Wende im Verhältnis des Präsidenten zu den Medien: Weg von Zensurbestrebungen, hin zur Ironie. Schön wäre es.

Fotos: Jefferson Bernades/Preview.com

Samstag, 3. Januar 2009

9000 Quadratmeter Beton und ein kleines Familientreffen


Wenn Sänger wie Caetano Veloso und Maria Bethania ihrer Mutter ein Denkmal setzen wollen, ist das einfach: Sie schreiben ein Lied. Oder mehrere. Das kostet nichts und wirkt einwandfrei: In Brasilien – und teilweise sogar darüber hinaus - ist Dona Canô beinahe ebenso bekannt, wie ihr Star-Nachwuchs.

Weniger künstlerisch begabte Typen haben es schwerer, ihre Erzeugerin für die Nachwelt zu erhalten. Dona Lindu kennt noch kaum jemand. Der nach ihr benannte öffentliche Raum Parque Dona Lindu in Recifes Strandviertel Boa Viagem war zwar eine kostspielige Angelgenheit, wurde aber erst vor ein paar Tagen eingeweiht. „Öffentlicher Raum“ sage ich, um mich aus dem örtlichen politischen Hickhack rauszuhalten, denn ob es sich bei dem Werk um einen Park handelt, darüber streiten sich die Recifenser seit vielen Monaten. Auf jeden Fall war er teuer: 29 Millionen Reais für rund 3,3 Hektar, ein Drittel davon, beinahe ein Hektar, bestehend aus Beton und bereits nach seinem Hundertsten geplant von Stararchitekt Niemeyer, der dafür die Summe von zwei Millionen berechnete. Das nennen jetzt manche größenwahnsinnig oder pharaonenhaft.

Angefangen hat es - zugegeben deutlich bescheidener - mit einer Idee der Stadtviertel-Bewohner. Die liefen immer wieder an dem riesigen Brachlandareal direkt am Meer vorbei und guckten begehrlich auf Kokospalmen und Büsche. Das teure Boa Viagem ist nämlich so trefflich und vor allem wirtschaftlich genutzt, dass für jeden Einwohner statistisch weniger als ein Quadratmeter Grünfläche bleibt. Weil dieses ungenutzte Grün keinem Investor gehörte, sondern der Marine, kommt irgendeiner auf die Idee, Unterschriften zu sammeln und eine Spende zu erbitten: die Marine soll das Filet-Grundstück an die Gemeinde Recife verschenken, damit die dort einen öffentlichen Park einrichtet. 17.000 Unterschriften kommen schnell zusammen. Das war im Jahr 2004.

Knapp ein Jahr später gelingt es dem Bürgermeister, nach Gesprächen mit der Aeronautica, dem Verteidigungsminister und anderen, endlich auch mit Präsident Lula über das Projekt zu sprechen. Von da an wird alles anders. Zwölf Tage nach dem Telefonat gibt Lula die Abtretung des Geländes an die Gemeinde bekannt, weitere zwei Wochen später sind bereits alle nötigen Dokumente unterzeichnet. Beeindruckend. Wessen Idee es dann war, das Ganze nach der verblichenen Mutter des Präsidenten zu nennen, verschweigen alle Beteiligten. Die Spitznamen von Mutter und Sohn passen jedenfalls prima zusammen; und Dona Lindus vollen Namen Eurídece Ferreira de Melo kennt vermutlich schon lange niemand mehr. Offizielle Begründung für die Namenswahl: Dona Lindu sei eine typische Nordostfrau, die mit ihren sieben Kindern ohne Mann vor Not und Trockenheit aus Pernambuco nach Sao Paulo floh – darunter, und das ist weniger typisch, der künftige Präsident Lula. Arschkriecherei nennen das manche böse. Dona Lindu sei nie auch nur bis nach Recife gekommen und habe erst recht nichts für den Bundesstaat und seine Bewohner getan, um ein so üppiges Denkmal zu verdienen. Ersatzweise schlagen unzählige Internauten in Kommentaren ihre eigenen Mütter, Großmütter, Cousinen und andere weibliche Verwandte als Namensgeber vor, die ebenfalls Kinder allein durchgebracht hätten. Oder wenigstens einen Künstler, Schriftsteller – kurz: einen nicht politisch besetzten Namen einer Person, die sich um die Stadt verdient gemacht hätte.

Dass Lulas Mama mit der Stadt Recife nichts zu tun hat, stört mich gar nicht so sehr. Eher schon, dass man aus den Luxus-Bauten des Parks nicht mal das Meer sehen können soll. Oder dass die heiß erwarteten, angeblich erwachsenen Bäume, die den Parkbesuchern Schatten spenden sollen, noch immer nicht gepflanzt sind. Oder dass die Planer mit der zum Denkmal gehörenden Skulptur „Os retirantes“, das die typische Nordostflüchtlingsfamilie darstellt, einem ungelösten Problem ein Denkmal gesetzt haben – und nicht etwa einer Lösung. Bis heute rattern Lkws voller Flüchtlinge aus dem ganzen Nordosten Richtung Sao Paulo – genau wie der, auf dem damals Lindu und Lula unterwegs waren (übrigens auf Freifahrschein, weil sie das Fahrgeld nicht aufbringen konnten – so großzügig sind die Lkw-Fahrer wohl heute nicht mehr). Weil bis heute keiner eine Lösung für die Probleme Hunger, Not, Trockenheit sowie Struktur- und Bildungsmangel im Nordosten gefunden hat. So gesehen wäre es doch eine hübsche Idee, in Rio demnächst ein Denkmal für die „Favelados“ aufzustellen, für all die Hunderttausenden Slum-Bewohner, die aus Not keine Alternative haben, als die billige Unterkunft im illegalen von Drogenbossen und paramilitärischen Milizen dominierten urbanen Raum.

Aber darum geht es natürlich gar nicht. Hier haben sich – so darf vermutet werden – Politiker und Geschäftsleute diverse Gefallen getan. Der scheidende Bürgermeister von Recife hat sein Großwerk geschickt noch schnell vor der Amtsübergabe eingeweiht und beim Präsidenten bestimmt auf längere Zeit einen dicken Stein im Brett. Womöglich nicht nur beim Präsidenten: Das neuste stadtplanerische Werk in Boa Viagem hat in seinen zwei Jahren Planungs- und Bauphase eine Kostenexplosion erlebt, die erstaunlicherweise kaum kommentiert wurde: die neuerdings genannten umgerechnet fast 10 Millionen Euro Gesamtkosten sind das Doppelte der ursprünglich veranschlagten Summe.

Wer sucht, findet weitere Unstimmigkeiten: So hat etwa die benachbarte Hauptstadt des Bundesstaats Paraiba ebenfalls ein Niemeyer-Werk bekommen. Ebenfalls einen sogenannten Park. Mit ganz ähnlichen Bauwerken und sogar deutlich mehr Grünfläche. Der ist allerdings viel billiger. Unter anderem (aber nicht nur!), weil Niemeyer den Joao Pessoanern das Projekt geschenkt hat. Ob er das bei den anderen Nordost-Städten, die sich bald ebenfalls mit Niemeyer-Parks schmücken können, ebenfalls getan hat, weiß ich nicht. Könnte aber sein, dass unser beileibe nicht reiches Recife den Prototyp für alle anderen mit finanziert hat. Dabei mag jeder selbst entscheiden, ob dieser Prototyp nun ein Park ist, ein Platz, ein Vergnügungszentrum oder antidemokratischer Frevel, wie manche behaupten.

Jedenfalls ist der Präsident persönlich zur Einweihungsfeier gekommen. Auch wenn noch nicht viel fertig war, und sich vor dem Rohbeton reichlich zerrupfte Rest-Palmen im heißen Sommerwind wiegten: Es gab ein hübsches kleines Familienfest mit Musik vom immerhin aus der Nachbarstadt Olinda stammenden Sänger Alceu Valenca und nur wenig Proteste. Wenn einer 23 Brüder, Cousins und Neffen um sich versammelt, kann man das doch ein kleines Familienfest nennen, oder? So viele Verwandte des Präsidenten waren gekommen, das Denkmal für Dona Lindu zu sehen. Wer weiß, vielleicht ist sie bald ebenso bekannt wie Dona Canô.

Montag, 3. November 2008

Der Präsident trägt wieder Falten


„Das erste Opfer der Finanzkrise war das Botox.“ So titelte die Zeitschrift Piaui in ihrer neuesten Ausgabe. Danach schrieb Marcos Sá Corréa weiter: „Die Krise der amerikanischen Hypotheken kam am 21. Oktober in Brasilien an – mit winzigen Wellen. Drei milimeterfeine Ondulationen, um genauer zu sein. Sie waren so flach, dass sie nicht mal bis in die Zeotungen schwappen würden – hätten sie nicht die Stirn des Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva in Runzeln gelegt.

Lula sprach in diesem Moment vor der “Sociedade Brasileira para o Progresso da Ciência” über die weltweite Krise. Er gab behutsame Erklärungen zum Finanz-Tsunami, erklärte den Zuhörern, er sähe sich womöglich gezwungen sich ins eigene Fleisch zu schneiden, falls die Welle die Zentralbank voll erwischt. Wie immer war er dabei von Reportern, Kameramännern und Fotografen umgeben, die die Szene registrierten.

Die Worte des Präsidenten waren vielleicht nichts Besonderes. Aber seine Stirn erschien eloquent, von Sorgenfalten beschwert, Falten der Art, die die Augenbrauen hochziehen, die die Haut in Falten legen und die Bedeutung jedes beliebigen Themas unterstreichen, selbst bei Kneipengesprächen. Allerdings sind sie nur unter normalen Leuten normal. Unter Politikern und Berühmtheiten werden sie immer seltener.“ (…)

Tatsächlich hatte Lula seine Sorglosigkeit jahrelang mit einer babyglatten Stirn illustriert. In Zeitungen stand vor drei Jahren undementiert zu lesen, dass die Präsidenten-Hautärztin das Nervengift Botox bei Hausbesuchen spritzte. Kommentare gab es dazu keine, wozu auch. Macht ja jeder. Hier in Brasilien sowieso, aber auch McCain und wie sie sonst alle heißen. Lula hatte sich rundherum an sein neues Leben gewöhnt, mit Präsidentenflieger, Maßanzügen, edlen Weinen und eben Botox. Sorgenfalten hätten auch nicht zu einem gepasst, der alles im Griff hat.

Und jetzt hat er das Nachlassen der Wirkung des Nervengifts genau kalkuliert, damit die Zeichen seiner Besorgnis auch im richtigen Moment auftauchen. Das kann nichts anderes bedeuten als: Jetzt ist die Krise da. Wir sollten uns auf das Schlimmste gefasst machen: Der Präsident trägt wieder Falten.

*Piaui, das sollte an dieser Stelle auch noch gesagt werden, ist eine freche und frische journalistische Glanzleistung, die sich in dieser Art in Deutschland leider kein Verlag traut: großformatig wie Lettre aber weniger abgehoben, lange Reportagen über bis zu 10 Seiten, Porträts, für die Reporter die Porträtierten tagelang begleiten, Illustrationen, Comics, Gedichte, Fiktion und das beste „Vermischte“, was ich je in einem Printmedium gesehen habe.


Foto: Sebastiao Moreira, agencia EFE 2008, aus Piaui No. 26, Nov. 2008

Samstag, 18. Oktober 2008

Lula und Marta: Opfer von Vorurteilen


Er konnte nicht unmittelbar darauf eingehen, was seine Lieblingskandidatin Marta in Sao Paulo verzapft hatte, weil er auf Reisen war. Aber jetzt ist Präsident Lula zurück und eilte der Genossin endlich zu Hilfe. Marta Suplicy hatte sich in der vergangenen Woche mit indiskreten Fragen zum Privatleben des Gegenkandidaten als geeignete Bürgermeisterin von Sao Paulo profilieren wollen – was zu reichlich Polemik und eher Stimmenverlust als Stimmengwinn geführt hatte. Die umstrittenen Radiospots werden übrigens längst nicht mehr ausgestrahlt.

Laut „O Globo“, einer der wichtigsten Zeitungen des Landes, sagte Lula heute wörtlich:

"Ich war nicht da (auf Reisen im Ausland) als ich ein weiteres Vorurteil gegen diese Frau sah, das die Idee verbreiten wollte, diese Frau habe Vorurteile gegen Homosexualität. Gerade diese Frau, die als wir alle Vorurteile hatten, schon im Fernsehprogramm ‘TV Mulher’ die Minderheiten dieses Landes verteidigte.“*

Weiter habe der Präsident in Sao Paulo heute gesagt:

“Sie haben es geschafft, eine Kämpferin und Verteidigerin aller Minderheiten dieses Landes in eine Anklägerin eben dieser Minderheiten zu verwandeln. Oft nehmen wir so einen Schlag einfach hin und schlagen nicht zurück.Wer nimmt denn an den Paraden auf der Avenida Paulista teuil und wird auf der Avenida Paulista vergöttert? Wer wurde schon Opfer von Vorurteilen, weil sie Minderheiten verteidigt hatte? Genau diese Marta Suplicy."

Danach verglich er die gebeutelte Kollegin mit sich selbst, ebenfalls einem Opfer von Vorurteilen:

“Ah, mein Gott im Himmel, wenn die Presse nur mich jedes Mal verteidigen würde, wenn sie mir diffamierende Fragen stellen. Wenn sie mich jedes Mal verteidigte, wenn jemand fragt: 'sprechen Sie Englisch?', also können Sie Brasilien nicht regieren.”

Kommentare erübrigen sich.

Alldieweil der wichtigste Mann im Staat abschließend auch noch den Grund lieferte, warum überhaupt Martas Wahlkampfbüro auf die Idee kam, Fragen zu verbreiten, die dem politischen Gegner Homosexualität unterstellten:

“Wir sprechen nur schlecht über den Anderen, wenn wir nichts Besseres zu präsentieren haben.“


*der etwas holperige Stil ist eine Spezialität des Präsidenten – vor allem beim freien Reden

Foto (O Globo): Antonio Milena/AE

Sonntag, 28. September 2008

Lula ist der Größte

Unser Präsident ist der Größte. Das brasilianische Volk liebt ihn, wie noch nie in seiner gesamten Amtszeit: mehr als 77 Prozent loben den Mann persönlich, immer noch mehr als 68 Prozent sind mit seiner Regierung einverstanden, sagen die neuesten Umfragen. Sein Lieblingsspruch: „Niemals in der Geschichte dieses Landes“, mit dem er gerne die von ihm bewirkten Superlative aufzählt: … wurde so viel für die Indios getan, …wurde so viel für die Armen getan, … gingen so viele Kinder zur Schule, etc. ist längst zur festen Redewendung geworden. Kein Wunder, dass Lula in diesen Tagen den Mund noch ein bisschen voller nimmt, als sonst.

Kürzlich hatte der einfache Metallarbeiter sogar Gelegenheit via UNO quasi zum Weltvolk zu sprechen, jedenfalls zu dessen Staatsmännern. Gebührend selbstsicher trat er auf. Erklärte uns allen, warum die Wirtschaft der USA in der Krise ist. Weil die USA nämlich eine Wirtschaftspolitik betrieben, die nur auf maximalen kurzfristigen Gewinn ausgerichtet ist. Stattdessen müsse auch in der Wirtschaft ethisch gehandelt werden, erklärte der brasilianische Präsident., der bekanntermaßen einem Land vorsteht, in dem besonders ethisches Wirtschaftsverhalten an der Tagesordnung ist.

Mehr noch: „Ich habe das von den G8-Staaten verlangt und auch von der Weltbank, dass die sich mal melden zu der Sache – wenn ein kleines Land in die Krise gerät, sind sie gleich mit Rat und Tipps zur Stelle, wenn es um ein großes Land geht, hören wir nichts von ihnen“, meckerte der einzige Vertreter Lateinamerikas bei der UNO-Sitzung. So weit waren wir auch noch nie in der Geschichte dieses Landes, dass Brasilien der Weltbank auf die Füße tritt. Und der Mann scheint Recht zu haben. Die Amerikaner jedenfalls haben nicht etwa über die nicht sonderlich originellen Sprüche gelächelt, sondern dem Brasilianer positive Schlagzeilen gewidmet. Im Wall Street Journal hieß es etwa, Lula sei der Verteidiger eines Mittelwegs zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Dann allerdings auch noch - etwas weniger schmeichelhaft, er „balanciere auf einem schmalen Grat zwischen den Praktiken einer orthodoxen Wirtschaftspolitik und der Finanzierung populistischer Sozialprogramme.“

Tatsächlich, teure Sozialprogramme gibt es jedes Jahr mehr. . Allein die wichtigsten - vom Bolsa Familia, das den regelmäßigen Schulbesuch mit Geldwert belohnt, über Programme gegen Kinderarbeit, welche zur Alphabetisierung, bis hin zu Uni-Stipendien für Bedürftige – machen in diesem Jahr Ausgaben in der Größenordnung von mehr als 8 Milliarden Euro aus. Die Finanzierung sieht der Präsident wohl nicht weiter gefährdet, denn wir haben ja jetzt laut Lula den ersten brasilianischen Scheich. In der Person des Vorsitzenden der Petrobras, die bis 2012 voraussichtlich 112 Milliarden Dollar in die Förderung der neu entdeckten Erdölvorkommen investieren wird.

Das einzige Problem ist das Ende von Lulas Amtszeit. Denn so beliebt der Mann, so chancenlos scheint seine Partei ohne ihn. Ist es ihm überaus geschickt gelungen, sich bei sämtlichen Skandalen als unschuldigen Mit-Geprellten darzustellen, so hat das Volk der ehemaligen Partei der Saubermänner doch die größten und meisten Korruptionsvorkommnisse in der Geschichte dieses Landes ein wenig übel genommen. Der Philosoph Roberto Romano sagte gar letztens: „Die PT läuft Gefahr, sich aufzulösen, wenn Lula aus der Politik aussteigt.“

Vielleicht schwant auch dem Präsidenten selbst, dass das mit seiner Nachfolge nicht so einfach sein wird. Neuerdings sagt er gerne: „Mein Nachfolger wird es schwer haben, er will ja schließlich nicht als einer da stehen, der weniger erreicht hat als ein einfacher Metallarbeiter.“ Lula der Größte forever, also?

Sonntag, 17. Februar 2008

Respekt für den Präsidenten-Luxus

In letzter Zeit haben sich so einige Minister ungewollt als Luxusliebhaber geoutet – durch das Transparenz-Portal im Internet, in dem ihre Ausgaben für alle Steuerzahler einsehbar waren. Eine parlamentarische Untersuchungskommission soll nun der Sache auf den Grund gehen und nachweisen, wer sich wo und wann zu viel Luxus auf Staatskosten genehmigt hat. So weit, so gut. Aber was ist mit dem Präsidenten? Untersuchung ja, sagt der. Aber mit Grenzen. Wegen der Sicherheit. Und der Privatsphäre. Dürfen nun die Ausgaben des Präsidenten einzeln untersucht werden? Oder beeinträchtigt das dessen Privatsphäre, Sicherheit oder Amtswürde? Auf die Antwort warten die Brasilianer noch.

Ohne die Präsidentenwürde antasten zu wollen, läßt sich immerhin folgendes feststellen: Lula liebt Luxus. Die 7300 Quadratmeter des von Oscar Niemeyer entworfenen privaten Regierungssitzes, dem Palácio da Alvorada, hat er vor seinem Einzug erst mal für umgerechnet 6,4 Millionen Euro renovieren und umgestalten lassen: mehrere Kino- und Konzertsäle, Weinkeller für mindestens 2000 Flaschen, beheiztes Schwimmbad mit Olympiamaßen, Gymnastik- und Massageräume sowie sechs Suiten von mindestens 120 Quadratmetern – jetzt alle nach Geschmack und Vorlieben von Lula und seiner Gattin Marisa gestaltet. Für das Wohl des Päsidenten, seiner Familie und Gästen sorgen auf dem 40-Hektar-Gelände am Ufer des Flusses Paranoá allein 60 Angestellte – darunter ein Küchenchef. Mit dem Präsidenten-Gehalt von weniger als 5000 Euro monatlich ließe sich ein solcher Lebensstil nicht finanzieren.

Muß er auch nicht. Der Inhaber des höchsten Amtes darf sich nicht nur ein Amtsflugzeug mit Dusche, Ehebett, Mini-Intensivstation, zwei Tischen für acht Personen etc. für 56 Millionen US-Dollar anschaffen, er hat auch einen Anspruch auf Kostenübernahme für das persönliche Kabinett und diverse Assistenzen. Ehrlicherweise muß gesagt werden, dass die erste Küchenchefin in die bis dahin von Militärköchen geführte Präsidentenküche schon unter Lulas Vorgänger Einzug hielt. Dennoch: Kein Politiker vor Lula hat die Kabinettskosten so heftig gesteigert wie der aktuelle Präsident Brasiliens - 50 Prozent in drei Jahren. 2006 waren das umgerechnet etwa 140 Millionen Euro, das sind mehr als 12 Millionen pro Monat. Davon werden unter anderem 149 persönliche Assistenten des Staatschefs bezahlt, die alle mehr als 2400 Euro im Monat verdienen – vergleichbar hier etwa mit dem Gehalt von Ingenieuren. Bis Mitte letzten Jahres schafften die Arbeit auch 68 Assistenten, dann erließ der Präsident ein nicht zustimmungspflichtiges Dekret und genehmigte sich 81 persönliche Helfer mehr – fast alle Parteigenossen mit Gewerkschaftshintergrund.

Unter den Kabinetts-Ausgaben finden sich außerdem hohe Summen für nicht näher erläuterte „Werbekosten“ der Regierung, und von den 1,96 Millionen Euro, die das Präsidenten-Sekretariat per Präsidenten-Kreditkarte bezahlt hat, erklären Lulas engste Mitarbeiter 1,92 Millionen lapidar mit: Ausgabegrund geheim. Das ist legitim. Es existiert kein Gesetz, das eine genaue Trennung zwischen Privat- und Amtsausgaben des Präsidenten definieren würde. Geprüft wird vom Rechnungshof – und selbst der findet eine Trennung schwierig: „Die Legitimierung einer bestimmten Ausgabe ergibt sich nicht nur aus ihrem Objekt oder der Höhe der Kosten, sondern aus ihrem Zweck. Es finden sich auf der Liste auch – unter anderen Umständen zweifelhafte -Anschaffungen, wie alkoholische Getränke oder Luxus-Lebensmittel“, so drückte das Ubiratan Aguiar aus. Will sagen: Je nachdem, mit wem und unter welchen Umständen der Chef die importierte Gänseleberpastete verputzt, ist es absolut legal, den Steuerzahler die Rechnung begleichen zu lassen. Meistens tut er das wohl außer Landes; 2007 verbrachte Lula zwei Monate auf 32 Auslandsreisen in 29 Länder. Das kostet. Soll aber die Wirtschaft des Landes auf Trab bringen.

48 Ökonomen kümmern sich ausschliesslich um die Ausgaben des Präsidenten und seiner näheren Umgebung. Sie haben die 20 Morgenmäntel aus ägyptischer Baumwolle, die Lula für seinen Amtsantritt als notwenig erachtete (obwohl Brasilien ebenfalls feinste Baumwolle produziert), ebenso aufgelistet, wie 18 Harley Davidsons, die er für die polizeiliche Präsidenten-Eskorte bestellt hat. Zu den wenigen offen gelegten Errungenschaften gehören zudem mehr als 3000 Teile Geschirr: unter anderem Teller mit Goldrand und goldenen Darstellungen der Säulen des Alvorada-Palastes, sowie mehr als 600 neue Kristallkelche. Der Präsident ist während seiner Amtszeit nicht nur von einheimischen Zigarillos auf feine holländische umgestiegen, er hat sich auch vom Zuckerrohr-Schnaps-Liebhaber zum Weinkenner entwickelt und genießt jetzt gerne mal in italienischen Restaurants einen importierten Tropfen – zu 600 Euro die Flasche. Und einer der Ökonomen, der für die Ausgaben der Präsidentengattin zuständig ist, zählte zwischen Januar und August 2004 mehr als 21.000 Euro monatliche Kosten für die Erste Dame. Wofür? Ist ein Geheimnis. Die Presse spekuliert auf Botox-Behandlungen für sie und ihn, diverse Liftings und eine komplett neue Garderobe.

Natürlich leben auch andere Präsidenten nicht in Sozialwohnungen, tragen Second-Hand-Klamotten oder kaufen beim Discounter ein. Aber niemals in der Geschichte dieses Landes hat ein Oppositionsführer seine politischen Gegner so häufig zur Bescheidenheit aufgerufen wie Lula, als er noch nicht selbst den Schlüssel zum Staatstresor in der Hand hielt. Jetzt hält er Kritik an seinem Lebensstil für Mangel an Respekt. Zu Journalisten, die hartnäckig auf mehr Transparenz drängten, sagte der Staatschef am vergangenen Dienstag knapp: „Die Präsidentschaft ist eine Institution, und die Leute müssen lernen, diese zu respektieren.“

Dienstag, 21. August 2007

Schluss mit der Scham

Der Präsident und ich haben etwas gemeinsam. Es hat lange gedauert, bis ich das herausgefunden habe. Normalerweise schämen wir uns nämlich dafür ein wenig. Weil sich die Anderen gerne lustig über uns machen. Aber jetzt, wo sich sogar der Präsident öffentlich geoutet hat, kann ich es ja auch zugeben: Ich habe Angst vorm Fliegen.

Das war nicht immer so. Es hat sich schleichend in den letzten Jahren entwickelt: Je weniger ich flog, desto stärker wurde das Unbehagen. Geredet habe ich darüber nicht, weil es mir lächerlich vorkam. Jeder kennt ja die Statistiken, jeder weiß, dass Autofahren viel gefährlicher ist.

In Brasilien scheint sich das jetzt geändert zu haben. Nicht die Statistiken – auf den Strassen sind in den letzten Ferien mehr Leute verunglückt als bei allen Flugzeugunfällen des Jahres. Das lag daran, dass viel mehr Autos auf den Strassen unterwegs waren, weil die Leute nicht fliegen wollten. Denn was am Ende zählt, ist ja doch immer die gefühlte Gefahr. Die ist gestiegen, und das hat Vorteile.

Das allgemeine Sicherheitsgefühl kam schon beim Unfall der Gol-Maschine im letzten Jahr ins Wanken. Als jetzt der Airbus der TAM verunglückt ist, war es mit dem Vertrauen endgültig vorbei. Brasilianische Urlaubsreisende fürchten sich so vorm Fliegen, dass der gesamte Nordosten in den Winterferien im Juli kaum Umsatz mit Touristen gemacht hat – weil die Fluggäste aus dem Süden lieber mit dem Auto irgendwo in der Nähe Ferien gemacht haben. Ergebnis siehe oben. Der Präsident fürchtet sich, hat er gesagt, weil seine Dienstmaschine auch ein Airbus ist. Manchmal sieht neuerdings sogar das professionell beruhigende Lächeln der Stewardessen aus, als seien sie unsicher. Und als ich letztens aus Deutschland zurückkam, haben die Passagiere tatsächlich bei der Landung Beifall geklatscht – das habe ich so ungefähr in den 90er Jahren zum letzten Mal gehört. Diesmal wirkten die Leute ehrlich erleichtert.

Dabei steigern Unfälle die Sicherheit in der Luft. Die Maschinen werden öfter und sorgfältiger gewartet, Piloten bekommen Sonderschulungen am Flugsimulator, und im Cockpit gehen sie weniger Risiken ein, als in unfallfreien Zeiten. Seit dem TAM-Unfall hat es diverse Zwischenfälle gegeben. Ein Propeller fing Feuer, weil Treibstoff ausgelaufen war. Aufgrund der Umsicht aller Beteiligten, konnten sämtliche Passagiere aussteigen und sich in Sicherheit bringen, bevor die Maschine in die Luft flog. Ein Pilot weigerte sich, mit einer Maschine zu starten, die er als unsicher einschätzte. Ein anderer Pilot hat nach Bodenberührung auf der Landebahn das Flugzeug wieder in die Höhe gezogen, den entsetzten Passagieren erklärt, es sei alles in Ordnung, noch eine Runde gedreht und dann ganz normal gelandet.

Keine Ahnung, was da los war. Manche munkeln, ein anderes Flugzeug habe im Weg gestanden und um es nicht zu rammen, mußte der Pilot eben wieder in die Luft. Die Infraaero, deren Schuld so ein Getümmel auf der Landebahn wäre, behauptet, der Pilot sei ohne Landeerlaubnis vom Tower in Landeflug gegangen. Eigentlich ist es egal, wer hier wem die Schuld zuschiebt. Tatsache ist: Der Pilot hat - wie seine Kollegen bei den anderen Zwischenfällen auch - die Sache elegant und sicher gelöst.

Und die Passagiere hatten garantiert trotzdem Angst. Ich wette, keiner hat sich deswegen geschämt. Ich schäme mich auch nicht mehr, im Gegenteil. Der Präsident und ich haben jetzt einen echten Vorteil: Wir haben schon so lange geübt, mit der Angst umzugehen, dass wir längst Profi-Angsthasen sind. Deswegen kann ich nahezu unbesorgt übermorgen mit einer TAM-Maschine nach Rio fliegen.

Montag, 30. Oktober 2006

Sieg für den Mann aus Marzahn

Er ist der Mann aus Marzahn. Ich meine, wenn man sich mal vorstellt, wer Lula in Deutschland wäre. Einer, der sich mit Schule nicht lange abgegeben hat, der Hunger gelitten hat, sagen wir in Castrop-Rauxel, bis er mit seiner Mutter in die Großstadt flüchtet. Wo es dann doch nur für Marzahn reicht. Da wächst der Junge auf, bolzt auf der Strasse mit seinen Kumpels, wird Metallarbeiter, malocht aber nur kurz, weil er gleich einen Finger verliert und sich außerdem in der Gewerkschaft engagiert. Der Typ aus Marzahn lernt, öffentlich aufzutreten. „Kumpels“ bleibt sein Lieblingswort, auch als Präsident. Die verpaßte Bildung holt er nie mehr nach. Kommt viel besser an, wenn er sich selbst als Aufstiegswunder stilisiert, nach dem Motto: „Wenn einer wie ich Präsident werden kann, dann gibt es keine Grenzen!“ Ein Mann aus dem Volk, der viel schwitzt und viel redet. Der „icke dette kieke mal“ sagt. Einer wie wir.



So einen haben die Brasilianer gerade gewählt. Das Ende der Stimmen-Auszählungen muß man gar nicht mehr abwarten, er hat mit guten 60 Prozent (gegen 39 für Alckmin) so haushoch gewonnen, wie eigentlich schon im ersten Wahlgang erwartet. Weil der gemeine Brasilianer sich prima mit einem identifizieren kann, der fröhlich wie ein kleiner Junge die Nationalflagge herumschwenkt und „das Volk liebt mir“ sagt. Oder so ähnlich.



Schuld an dem Schreck zwischendurch war das Foto. Das Foto von den Millionen, die Lulas Parteigenossen für das Dossier gegen Serra bezahlen wollten. Erinnert sich noch jemand daran? Wie ein Mantra hat Gegner Alckmin bei jedem Treffen mit Lula danach immer wieder gefragt: „Und wo kommt das Geld her?“ Das war auf die Dauer fast ein bißchen nervig. Die Frage bleibt unbeantwortet. Lula-Gegner behaupten: Weil die Untersuchungen verschleppt wurden, um die Stichwahl nicht zu stören.



Jetzt ist nämlich alles zu spät und egal. Falls irgendwann doch noch bewiesen werden sollte, daß Lula in den Deal verwickelt war, dann wäre das ein Wahlverbrechen und das wäre theoretisch Grund genug für ein Impeachment. Aber ein Impeachment muß irgendwer beantragen. Und der Präsident des zuständigen Gerichts hat jetzt schon erklärt, er werde nicht gegen den Willen von Millionen von Wählern handeln. Und wenn Marco Aurélio keinen Handlungsbedarf sieht, falls Lula schuldig sein sollte, wer denn sonst sollte ein Impeachment beantragen? Wo doch das Volk selbst dauernd ein bißchen schummelt, ja schummeln muss, weil das Überleben so schwer ist?



Die Brasilianer sind Weltmeister im Schummeln. Früher hießen besonders begabte Schummler hierzulande „malandro“ – und das war ganz eindeutig ein Kompliment. Als „jeitinho“ ist die brasilianische Begabung nahezu weltweit bekannt, hart am Gesetz vorbei Lösungen zu finden, wenn alles aussichtslos scheint. Und in seiner endlosen Großzügigkeit scheint das brasilianische Volk seinen Regenten auch Schummeln im großen Stil zu vergeben. Solange sie aus dem Volk sind. Aus Marzahn eben.
 
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