Samstag, 30. September 2006

Die schönsten Pummelchen der Welt

Neben mir sitzt eine Dame mit blutunterlaufenen Augen, rotbraun gefärbtem schütterem Haar, reichlich Altersflecken auf der Hand – und der zarten Gesichtshaut einer 15Jährigen. Ihre Nachbarin hat was von Michael Jackson auf Brasilianisch: winzige Stupsnase, bleiche Haut, seltsamer Haaransatz, leicht schräge Augen. Ich sitze mit meiner Freundin im Wartezimmer von Henylda, einer der beliebtesten Schönheitschirurginnen Recifes. Henylda macht alles, von der Mini-Lipo bis zur Nasenkorrektur.

Beth will sich ihre Stirnfalten mit Botox wegspritzen lassen und fragt gleich mal in die Runde, ob jemand Erfahrung mit Botox hat. Und schon kommen alle ins Gespräch. Miss Michael Jackson will sich die Wangen liften lassen. Die hängen zwar gar nicht, aber Miss Jackson wohnt in den USA und da ist alles viel teurer. Hier sagt sie ihrem Mann einfach, sie gehe zum Friseur und läßt sich schnell ein paar Goldfäden in die Wangen ziehen. Wenn die dann irgendwann wirklich zu hängen drohen, kann Miss Jackson die einfach immer nachspannen lassen, praktisch, oder? Eigentlich ist Miss Jackson richtig sympathisch. Und das Lifting wird ihre erste Schönheits-OP sein – ihre Ähnlichkeit mit dem psychopathischen Popstar hat sie einem Verkehrsunfall zu verdanken. Klischees stimmen eben doch nicht immer.

Brasilianerinnen sind schön. Auch wenn sie übergewichtig sind. Auch wenn manche zu kurze Beine haben. Oder blutunterlaufene Augen. Die bekommt man, wenn man sich die Tränensäcke wegschneiden läßt, erklärt die Dame mit der sonst so rosigen Gesichtshaut. Geht aber bald wieder weg. Und Botox ist gar kein Problem, das dauert nur fünf Minuten, beteuert eine attraktive Rothaarige undefinierbaren Alters, die neben ihrer pummeligen Freundin sitzt. Was machen denn die beiden hier? „Ich mache eine Lipo am Bauch“, sagt die Pummelige, „der stört mich zwar nicht wirklich, aber irgendwie ist es blöd, größere Kleidergrößen zu brauchen als meine Mutter“. „Ich hab schon so ziemlich alles gemacht“, kichert die Mutter gutgelaunt. „Zuerst Botox, dann die Fältchen an der Oberlippe aufpolstern lassen, dann Lipo...“ Heute begleitet sie nur ihre Tochter. Aber das mit den Tränensäcken, das wäre natürlich eine Überlegung wert. Überhaupt sind hier alle ganz locker. Nicht so, als müßten sie traumatische Defekte an ihrem Körper beseitigen.

Müssen sie auch nicht. Die Brasilianerinnen haben nämlich ein ganz anderes Verhältnis zu ihrem Körper als wir Europäerinnen. Erstens können sie ihn nicht über die Hälfte des Jahres verstecken, weil Wintertemperaturen von 28 Grad keine dicken Klamotten rechtfertigen. Zweitens wollen sie ihn gar nicht verstecken. Egal, ob sie aussehen wie Gisele Bündchen, oder doch eher wie Maria XXL. Die ersten XXL-Marias in knappen Miniröcken und bauchfreien Shirts habe ich noch für ihren Mut bewundert. Mit der Zeit habe ich gemerkt, daß sie gar keinen Mut brauchen. Eine Bauchbesitzerin kann – ganz besonders hier im Nordosten - mehr Erfolg haben als eine Bauchlose, Vor allem, wer seine „Gostosura“* mit dem rechten Hüftschwung präsentiert, kann sich bewundernder männlicher Blicke sicher sein. Aus europäischer Sicht verunsichert das erst mal. Gibt es hier keine Diäten? Muß hier niemand kaschierende Flatterkleidchen über die Fülle hüllen? Hautenge Tops und Lycrajeans für alle? Ist das denn ästhetisch? Und wozu dann noch Schönheitsoperationen?

Meine Antworten nach ausgiebiger Feldforschung:

- Lycra für alle? Ja! Aus hautengen Tops quellende Üppigkeit findet viele Fans.

- Diäten? Machen manche Mädels trotzdem – um sie spätestens bei der nächsten Strandparty konsequent abzubrechen. Das ist erstens sympathisch und zweitens garantiert gesünder für Körper und Geist.

- Flatterkleidchen als Versteck? Nicht mal in der Körperkult-Hauptstadt Rio sind alle Frauen elfengleiche Models. Die anderen tragen auch Tangas und sonnen sich auch an der Copacabana.

- Schönheitsoperationen? Sind hierzulande vermutlich eher mit einem Frisörbesuch zu vergleichen als mit tiefenpsychologisch wirksamen Persönlichkeitsveränderungen: Schauspielerin Sonia Braga hat sich gerade generalüberholen lassen und präsentiert das Ergebnis stolz in der aktuellen Telenovela, nach dem Motto: „Guckt mal, wie hübsch das geworden ist!“
Das brasilianische Selbstbewußtsein ist übrigens so ansteckend, daß schon wenige Wochen Brasilien reichen, um sich den ersten Minirock zu kaufen. Nach spätestens einem halben Jahr ist der erste einheimische Bikini fällig – neben dem alle europäischen Modelle zwingend so aussehen, wie aus Urgroßmutters Klamottenkiste. Keine Ahnung, wie lange es dauert, den Hüftschwung zu erlernen. Der die Brasilianerinnen zu den schönsten Pummelchen der Welt macht. Selbst wenn sie keine Pummelchen sind. Aber das ist ja zum Glück Nebensache.



* Gostosura bedeutet so etwas wie lecker Rundungen

Freitag, 29. September 2006

Der Präsident macht blau

Der Stuhl ist leer geblieben. Der Präsident hat blau gemacht. Ist einfach nicht gekommen. Hat sich der großen Debatte der vier Präsidentschaftskandidaten verweigert. Und das im allerletzten Moment, drei Stunden vor Beginn der TV-Runde. Seine Marketingspezialisten hatten vom Live-Auftritt abgeraten, der bringe keine Wählerstimmen. Das hat Lula in seinem Absagebrief an die TV-Macher natürlich nicht so geschrieben. Statt dessen gab er sich moralisch entrüstet: Er nehme nicht teil, weil er sich sonst in eine Arena des unfairen Kampfs begeben würde, behauptete der Präsident. Dabei ist die TV-Globo-Debatte so regelstreng wie ein Ausflug ins Nonnenkloster, persönliche Beleidigungen und Angriffe auf die Ehre sind sowieso verboten.

Ihre fiesen Fragen mußten die anwesenden Kandidaten nun an den leeren Stuhl des Abwesenden stellen. Zum Beispiel die, ob er im Falle seiner Wiederwahl zurücktreten würde, falls sich der Verdacht bestätigt, daß er mit öffentlichen Geldern das Dossier gegen Serra kaufen wollte. Minderheits-Kandidat Cristovam Buarque nannte Lulas Abwesenheit gar „eine Form der Korruption“. Aber Korruption scheint das Volk nicht zu beeindrucken. Nie war so viel Korruption im Land wie während Lulas Mandat. Noch gestern, vor der Debatte meldete die Meinungsforscher 53 Prozent der Stimmen für Lula.

Nach der Debatte sagen 40 Prozent der Teilnehmer einer Internetumfrage, sie würden nicht wählen, wenn sie nicht müssen. Aber Wähler dürfen ja nicht blau machen in Brasilien.

Donnerstag, 28. September 2006

Der Wahlkampf gehört verboten

Eigentlich hätten sie den Wahlkampf komplett verbieten können. Statt dessen kommen die Verbote einzeln: Kandidatenwerbung auf Plakatwänden und Litfasssäulen ist in diesem Jahr verboten. Die beliebten Kandidaten-T-Shirts – von der ärmeren Bevölkerung gerne bis zur nächsten oder übernächsten Wahl getragen – sind in diesem Jahr verboten. Sogar kleine Kandidatenwerbegeschenke wie Kugelschreiber und Schirmmützen sind verboten. Und zum Glück sind auch die Lärmautos verboten. Lärmautos heißen auf Portugiesisch „Carros de som“ und sind eine Analphabeten-Erfindung: Weil jeder zehnte Brasilianer funktionaler Analphabet ist, kommen gedruckte Werbebotschaften nur bedingt beim potentiellen Wähler an. Das „Carro de som“ ist ein beliebiger Pkw, auf dessen Dach möglichst potente Lautsprecher geschraubt werden. Live übers Mikro in der Hand des Fahrers oder vom Band dröhnen die Werbespots in den Haushalt jedes Anwohners, an dem der mobile Werbetröter vorbeirollt: Morgens beim Zähneputzen erfahre ich so die neuesten Sonderangebote des Supermarkts Santo Agostinho, gipfelnd in der Aussage: „Die besten Angebote, todo dia, jeden Tag.“ Manche Nachbarn begrüßen sich schon so, mit „todo dia, todo dia“ anstatt „Guten Tag“.

Was den Politikern bleibt zur Selbstdarstellung? Private Räume. Das können auch private Heckscheiben sein. Von den Autos sämtlicher Politikerfamilienmitglieder strahlen Kandidaten. Die Gartenmauern all derjenigen, die sich einer offensiven Bitte nicht verschließen können, sind mit Namen und Nummern vollgepinselt. Auf dem Capibaribe-Fluss mitten in der Millionenstadt Recife trudeln Fischerboote, deren Segel Kandidatennamen tragen. Und an manchen Ampeln stehen Clowns mit Bambusstäben, zwischen denen sie bei jeder Rotphase mobile Transparente spannen. Mobil ist fast schon privat.

Privat ist auch die Wahlkampf-Sendezeit in Brasiliens größtem TV-Kanal Rede Globo. Geschickt in die Abendnachrichten eingeblockt, sprechen die Politiker zum Volk. Doch das Volk hört nicht zu. Weil die meisten einfach den Ton abdrehen, laufen die Spots inzwischen mit Untertiteln. Interessieren aber trotzdem kaum jemanden. Drei Themen sind Top-Titel im Marathon der Wahlversprechen: Arbeitsplätze schaffen, das Bildungswesen verbessern, die Kriminalität senken. Alles längst bekannt, längst versprochen und nie umgesetzt.

In diesem Jahr gibt es aber noch ein neues Thema: Ehrlich sein. „Ich klaue nicht, ich lüge nicht, ich bin nicht bestechlich“, verspricht Präsidentschaftskandidatin Heloisa Helena. Bis vor einiger Zeit hat die regierende PT das Monopol darauf beansprucht, Gutmenschen, Ethik-Apostel und korruptionsfreie Idealisten zu beherbergen. Dann kamen die Skandale. Der größte, der Mensalao, zeigte, daß mehr als ein Drittel des ganzen Senats in ein ausgeklügeltes Bestechungs-System verwickelt war. Minister nahmen an Treffen zum Organisieren der Korruption teil, Regierungsmitglieder wurden mit Dollarpaketen in der Unterhose gestellt, Abgeordnete ließen sich dafür bezahlen, daß sie bedürftigen Gemeinden mit öffentlichen Geldern Krankenwagen verschafften. Und jetzt die Geschichte mit dem Dossier. Hauptdarsteller: Alles ehrliche Ptler.

Lula sagt, er weiß von nichts, alle haben ihn betrogen. Und die Gegenkandiaten behaupten: Wir sind aber wirklich ganz ehrlich! Ehrlich sein ist eine tolle Sache. Jeder einzelne der ehrlichen Oppositionspolitiker oder jeder ehrliche Kandidat oder jede ehrliche Kandidatin könnte – um der Ehrlichkeit zum Sieg zu verhelfen - ein Impeachment des Präsidenten beantragen. Sogar ein ganz normaler Bürger kann das nach brasilianischem Recht. Macht aber keiner. Statt dessen sind Lulas Umfragewerte heute wieder auf über 50 Prozent gestiegen. Da könnte man doch wirklich gleich den Wahlkampf komplett verbieten.
 
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