Donnerstag, 26. August 2010

Harte Konkurrenz beim Busbetteln


Die Busfahrt von Recife bis in die Kreisstadt Cabo ist lang genug für ein Nickerchen, und die meisten Passagiere nutzen das gerne. Solange es geht. Ziemlich bald nach der Ausfahrt aus dem Stadtzentrum stört uns meistens eine sonore Stimme. Heute hat sie einen Sao-Paulo-Akzent, ihr Text aber ist der gleiche wie immer. Einen guten Nachmittag wünscht der schlaksige junge Mann jedem einzelnen Passagier. Er sei hier auf Mission seiner Arbeit für junge Menschen und Familienväter, die in die Unterwelt der Drogen abgetaucht seien. Wenn einer von uns einen solchen Menschen in der Familie habe, so helfe uns dieses kleine Pamphlet, das als Päckchen mit einem hübschen Kugelschreiber und einem beleuchteten Schlüsselanhänger verpackt ist. Für eine kleine Spende von nur 2 Reais gebe es diese Päckchen, die Menschen aus der Unterwelt retten können.

Er selbst sei auch acht Jahre lang abhängig gewesen, von Crack und Kokain und Alkohol und Marihuana, sagt der junge Mann. Er sei aus Sao Paulo hergekommen, zum Entzug. Ihm sei geholfen worden, jetzt wolle er anderen helfen. Gott werde uns danken, wenn er unser Herz berühren konnte. Und so weiter. Viele kaufen die Päckchen. Zwei Reais können die meisten eben noch entbehren, ein Drogenproblem gibt es in den meisten Familien, ein Herz hat jeder, und Gottes Dank ist auch nicht zu verschmähen. Ich schätze, die Missionare für den Drogenentzig gehören zu den erfolgreichsten Busbettlern im Großraum Recife.

Ich habe mich schon oft gefragt, was bei diesem Sammeln rumkommt, das angeblich das ganze Entzugszentrum finanziert. Heute rechne ich endlich nach. Wenn jedes verkaufte Päckchen sagen wir einen Real Gewinn bringt, dann hat der Schlaks heute nach Abzug des Buspreises in etwa 10 Minuten Vortrag rund 3 Reais eingenommen. Hochgerechnet wären das 18 in der Stunde, deutlich über hundert am Tag, bei einer Fünftagewoche weit über 2000 im Monat. Dreißig von ihnen seien unterwegs in den Bussen der Stadt, hat der Schlaks gesagt, und sechzig in Behandlung. Das macht womöglich mehr als 60.000 im Monat, mehr als 1000 pro Behandelten, nicht schlecht.

Kaum will ich wieder einnicken, weckt mich eine andere Stimme. Einen schönen Nachmittag wünscht der Bedürftige jedem einzelnen Passagier (sich an „jeden einzelnen“ zu wenden, müssen diese Jungs in einem Seminar fürs professionelle Busbetteln lernen, sie haben es alle, alle drauf). Und er wolle um eine kleine Unterstützung bitten. Er sei morgens um sechs Uhr aus dem Haus gegangen, auf der Suche nach einem Hilfsjob, allein vergebens. Er habe Familie, wie wir, er wolle überleben wie wir. Deswegen bitte er hier um eine kleine Unterstützung. Gott werde es uns danken. Familie hat jeder, einen festen Job kaum jemand, kurz: auch dieser Mann bekommt auf seiner Tour durch unseren Bus ein paar Münzen zusammen.

Warum also macht er sich jetzt wieder von vorne auf den Weg? Einen schönen Nachmittag, jedem einzelnen von Ihnen, tönt es neben meinem Ohr. Das ist nicht der Gleiche, das ist schon wieder ein neuer Busbettler. Dieser trägt Rauschebart und reichlich Übergewicht und will uns – im Namen Jesus – um eine kleine Unterstützung bitten. Weil er nämlich vier kleine Kinder hat. Oha, in dem Alter?, denke ich, und im selben Moment tönt es resolut aus dem hinteren Busteil: „Du hinterfotziger Alter, was brauchst du denn noch kleine Kinder! Geh lieber arbeiten!“ Das nimmt der Alte zum Stichwort, um seine Bittrede erstaunlich spontan in eine flammende Predigt umzuwandeln. Die damit beginnt, dass es Gott nicht gefalle, wenn seine Schäfchen den Nächsten nicht ehren – ihn nämlich. Wer Gottes Willen nicht tue, der komme in die Hölle, jawoll. Und außerdem Homosexuelle und Huren, das sei alles nichts wert, komme alles in die Hölle. Immer heftiger wird der Gottesmann, immer röter sein Gesicht – und immer frostiger die Atmosphäre im Bus. Dass seine Chancen auf milde Gaben gerade unter Null rutschen, scheint er nicht zu bemerken. Unter lauten Geschimpfe sowohl seinerseits, als auch seitens der Passagiere, und vielen „in Jesus Namen“, seinerseits, drängt sich der erfolglose Bettler durch den Bus.

„He Busfahrer“, brüllt die Frauenstimme von vorhin, „jetzt lässt du aber keine solchen Wegelagerer mehr rein, ja! Wir malochen für unser Geld, wir haben nichts übrig für solche Nichtsnutze!“ Vor dem Kassierer zählt gerade ein Mann Kleingeld für das Busticket, aber es scheint nicht zu reichen. Da dreht sich der Mann zu uns und hebt an: „Ich wünsche jedem einzelnen von Ihnen einen guten Nachmittag und bitte…“. Die Worte „.. um eine kleine Unterstützung“ gehen bereits im lautstarken Protest der Passagiere unter. Das macht den Mann wütend. „Das gefällt Gott nicht“, droht er, „Gott mag es nicht, wenn einer gibt, aber dabei denkt, das ist doch ein Nichtsnutz, ein Dieb, ein…“, lange sucht er nach einer Steigerung, bis er sie endlich findet: „… ein Kiffer!“ Mit offenem Herzen müsse man geben. Ja, es gebe Menschen, die Jesus Namen beschmutzen, die in Seinem Namen stehlen, aber ER gehöre zu den ehrenhaften Menschen, das müsse doch jeder gleich sehen. „Schwätz nicht rum, geh nach Hause, hier gibt’s nichts für dich“, bescheidet ihm die resolute Frau von hinten.

„Also ehrlich“, sagt meine Nachbarin, „die meisten sind doch einfach faul.“ Die andere ergänzt: „Und dann betteln sie noch in Jesus Namen, das ist doch das Allerletzte!“ Und die Frau von hinten brüllt: „Fahr nur zu Fahrer, drück mal richtig auf die Tube, und lass bloß niemanden mehr rein!“ Halt, brüllt da der Bettelnde, stopft eilig sein Kleingeld wieder in die Tasche, und macht sich auf, wieder auszusteigen. „Muss ich ja nun, hat ja nicht geklappt“, sagt er zum Abschied vorwurfsvoll an niemanden Bestimmtes gerichtet. Sogar beim Busbetteln ist die Konkurrenz groß geworden.

Foto: Diese Frau bittet für ihr krankes Kind. Bild gesehen bei http://olivacijunior.blogspot.com/2010_04_01_archive.html

Mittwoch, 18. August 2010

Lulas emotionale Ignoranz


Vielleicht liegt es daran, dass er so beliebt ist. Mehr als 80 Prozent Zustimmung, und das in einem Land mit 190 Millionen Einwohnern, das kann einem Mann schon den Kopf verdrehen. Es ist fast zu hoffen, dass Lula nicht in normaler Verfassung war, als er kürzlich den bisher gröbsten Unfug seiner ohnehin nicht gerade rühmlichen Diplomatie-Geschichte verkündete.

Dabei gab es durchaus ähnliche Fälle in der Vergangenheit, aus denen Brasiliens charismatisches Oberhaupt hätte lernen können. Zum Beispiel die Episode bei seinem Kuba-Besuch, als er sich weigerte, die politischen Gefangenen zu besuchen oder auch nur freundliche Worte für sie zu finden. Arrogant und befremdlich wirkte es, als der ehemals selbst wegen seiner Gesinnung inhaftierte Lula die inhaftierten Oppositionellen auf Fidels Insel mit gemeinen Verbrechern in Sao Paulo gleich setzte. Politisch richtig peinlich wurde es, als die spanische Regierung und die katholische Kirche sich erfolgreich für die „gemeinen Verbrecher“ einsetzen.

Doch Lula kann noch schlimmer. Nicht nur, dass er sich neben diversen afrikanischen Diktatoren und den Südamerikanern Chavez und Morales ausgerechnet Ahmadinejad als neuesten Busenfreund ausgesucht hat. Er stellt diese Busenfreundschaft außerdem nonchalant über die Menschenrechte. Gefragt, ob er sich für die zur Steinigung verurteilte Iranerin Sakineh Mohammadi Ashtiani einsetzen würde, sagte Lula: „Da ist Vorsicht erforderlich, denn die Leute haben Gesetze, die Leute haben Regeln. Wenn sie anfangen würden, ihre eigenen Gesetze zu missachten, um den Bitten von Präsidenten nachzukommen, dann wird es bald lächerlich.“ Daraus ließe sich problemlos schlussfolgern: Die Menschenrechte zu respektieren scheint Lula lächerlich.

Ein paar Tage später schienen dem brasilianische Präsident Zweifel über seine eigene Aussage gekommen. Jedenfalls kam er bei einer Wahlkampfveranstaltung für seine Wunschnachfolgerin noch einmal auf Sakineh zu sprechen. In der ihm eigenen spontanen und lässigen Art, mit der er die Wähler so spielend für sich gewinnt, lancierte er etwas, was er selbst als „humanitären Appell“ bezeichnete und kündigte an, er werde seinen Kumpel Ahmadinejad anrufen, um über den Fall zu sprechen. Den Appell formulierte Lula folgendermaßen: „“Wenn diese Frau Unbehagen auslöst, werden wir sie gerne hier in Brasilien aufnehmen.“ Damit lag er gleich doppelt daneben. Unbehagen löst nicht Frau Mohammadi Ashtiani aus, sondern die Art, wie das Regime von Ahmadinejad mit ihr umzugehen droht. Ganz abgesehen davon, was die Bezeichnung „diese Frau“ über den Respekt aussagt, den der Sprecher der Verurteilten entgegen bringt. Wie um seine erschreckend ignorante Haltung zu zementieren, trällerte der Präsident abschließend fröhlich einen brasilianischen Gassenhauer, dessen Refrain lautet: „Wirf den ersten Stein, ai, ai, ai“.

Nicht nur beim Freien Sprechen unterlaufen dem Präsidenten solche groben Schnitzer. Auch überlegt vorgebrachte Aussagen können ihm peinlich geraten. Der iranische Regierungssprecher kanzelte Lulas seltsames spontanes Asylangebot ziemlich harsch ab und befand – hart an der Grenze der Beleidigung, der brasilianische Präsident sei „sehr menschlich und emotiv, aber wohl nicht ausreichend informiert über den vorliegenden Fall“. Das ist zumindest insofern zutreffend, als Lula selbst vorher reichlich naiv geäußert hatte: „Über den Fall der Menschenrechte im Iran, da weiß ich nicht, wie die funktionieren.“

Die Adjektive menschlich und emotiv klingen denn auch aus dem Mund des Sprechers des iranischen Außenministeriums nicht gerade wie ein Kompliment. Aber das kommt bei unserem beliebten Präsidenten nicht an. Ist der Mann so an Zustimmung gewöhnt, dass er alle Kritik einfach ausblendet, umdeutet, rationalisiert, wie die Psychologen sagen? Anders ist es kaum zu verstehen, wenn er dem Regierungssprecher immer noch fröhlich antwortet: „Ich bin glücklich, dass der iranische Minister gemerkt hat, dass ich ein emotionaler Mann bin. Ich bin sehr emotional.“ Das heißt dann wohl emotionale Ignoranz.

Foto: Lula weint über die Nationalelf (gesehen bei estadao.com.br, Foto von Paulo Liebert AE)

Mittwoch, 11. August 2010

Kinderglück beim Klauen?

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Dienstag, 3. August 2010

Zico haut auf den Tisch


So geht es nicht weiter. Brasilien wird in absehbarer Zeit die beiden größten Sportereignisse der Welt beherbergen, und gleichzeitig geraten immer wieder gerade die Sportstars in Schlagzeilen. Genauer gesagt, die Fußballer. Zuletzt und am schrecklichsten Bruno, der Torhüter und Kapitän des Vereins Flamengo in Rio de Janeiro. Gerade der Flamengo, der einst Größen wie den legendären Zico hervorgebracht hat. Wie gesagt, so geht es nicht weiter. Deshalb haut jetzt Zico haut jetzt auf den Tisch.

Seit zwei Monaten ist er in der Direktion des traditionellen Vereins – und musste dabei die schlimmste Phase des Vereins erleben. Fehltritte bringen Brasiliens Fußballstars regelmäßig – und häufig werden ausufernde Orgien, uneheliche Kinder, außereheliche Beziehungen, gar Kontakte zu käuflichen Transvestiten mit der einfachen Herkunft der Kicker erklärt. Die Favela-Wurzeln müssen auch als Erklärung herhalten, wenn die oft schwerreichen Jungs die Nähe von Banditen suchen. Fast schien es, als sei der Verein wie eine Mutter, die dem fehlgeleiteten Sohn alles verzeiht. Bruno etwa, wurde von seinem Verein nur beurlaubt, als ihm kriminelle Machenschaften bereits nachgewiesen waren und er außerdem unter schwerem Mordverdacht stand. Dagegen wirken andere Details wie Kinkerlitzchen. Etwa dass häufig für den frühen Morgen angesetzte Trainings verschoben werden mussten - weil mancher Star so früh einfach nicht erschien, womöglich weil er noch verkatert war.

Jetzt soll Schluss sein mit der mütterlichen Nachsicht. Wie ein strenger Vater will Zico endlich Konsequenz einführen, die bekanntlich bei jeder Art von Erziehung unerlässlich ist. Wer beim Flamengo fehlt, bekommt künftig Konsequenzen zu spüren, die von Strafgeldern über Sperrung bis zum Ausschluss aus dem Verein reichen sollen. „Wir sprechen hier von Idolen, die Millionen Brasilianer bewundern und imitieren. Ihr Verhalten sollte sich auf der Höhe dieser Vorbildrolle bewegen“, sagt Zico in einem Interview der Zeitschrift Veja. Eventuelle Vorbehalte, Vereine sollten sich nicht ins Privatleben ihrer Spieler einmischen, lässt er ebenso wenig gelten, wie die Herkunftsentschuldigungen. Ohne Disziplin gehe es nicht, sagt der Altstar, der in sechs Ländern als Spieler und Trainer gearbeitet hat, nur mit Talent komme niemand weit. Dafür seien die Vereine verantwortlich – und auch die Agenten der Spieler, die häufig nur schnelles Geld sähen, anstatt ihre Klienten menschlich zu beraten.

Ob es Zufall ist, dass Ronaldo Fenómeno gerade jetzt seinen Ausstieg für 2011 ankündigt? Das Wunderkind der WM 2002 kam immer mal wieder wegen ausufernden Partys oder wechselnder Gespielinnen in die Medien, aber noch treuer begleitete ihn ein anderes Disziplinproblem während seiner ganzen Karriere: die Vorliebe für Leckeres vom Grill und das daraus folgende Übergewicht. Ab 2011 darf der zum dritten Mal verheiratete Ronaldo endlich schlemmen wie er will. Er wird eine Eventfirma leiten, die außerdem auch Fußballerkarrieren betreut. Hoffentlich in Zicos Sinne.

Foto (Zico) gesehen bei: http://urubunews.com.br/francisco-aiello-novo-comentarista-o-zico-dirigente/
 
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