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Mittwoch, 22. Juli 2009

Partyspaß oder Sextourismus

Die endgültige Entscheidung steht noch aus. Vorläufig aber wird es den Cityguide „Rio for partiers“ weiter geben. Aufgekommen sind diese Art Miniführer in den 1990ern, als Beihefte mancher Zeitschriften. In weiter verkürzter Form drucken vor allem Frauenzeitschriften bis heute Kurzinfos über Städte, für den Wochenendbesuch oder gar den 24-Stunden-Super-Kurz-Trip. Scheint gut anzukommen, die Mischung aus knapper Kultur und reichlich Konsum. Vor allem, weil die praktischen Infos mit Adresse und teils sogar Fotos immer von sogenannten Insidern kommen. Was in Europa läuft, geht auch in Brasilien. Vor allem in Rio.

„Rio for Partiers“ wirbt damit, der „erste Führer“ zu sein, der von jungen Leuten für junge Leute gemacht sei. Geschrieben hat ihn ein Brasilianer, der laut Selbstbeschreibung, Schriftsteller und Redakteur ist und bereits in Rio, Chicago und Wien gelebt hat. Er wollte sich daran orientieren, so sagte Cristiano Nogueiro, der sich gelegentlich auch als Designer bezeichnet, bei der Vorstellung der aktuellen Ausgabe, welche Tipps er seinen ausländischen Freunden für ihren Rio-Besuch geben würde. Neben reichlich Angaben zum besten Sandwich und diversen Clubs, in denen diverse brasilianische Musikstile zu hören seien. Die der Autor den Fremden kurz umreißt, wie folgt: Rio Funk klingt so, als wenn ein Geistesgestörter nach einer Unterrichtstunde Keyboard spielt. Bossa Nova klingt nach 50er Jahre, Strand und Frank Sinatra. Pagode ist Samba, mit allem, was sich auf einen Tisch trommeln lässt.

Lustig, oder? Stolz berichtet Nogueira auf der Homepage seines Führers: „Das Buch verbreitet die humorvolle, joviale, moderne und sportliche Seite der fantastischen Stadt Rio de Janeiro und hat bereits drei internationale Preise für touristische Veröffentlichungen gewonnen.“ Im Grunde ist das immer der gleiche Preis: einer, der von der Amerikanischen Vereinigung der Reisejournalisten jährlich verliehen wird.

Obwohl das Heft seit Jahren so gut beim Publikum ankommt, hat das brasilianische Fremdenverkehrsamt Embratur versucht, es mit einer einstweligen Verfügung aus dem Verkehrt zuziehen. Grund für den Ärger: ein paar der Tipps unter Freunden unter dem Titel: „Umgang mit den brasilianischen Frauen“

- Versuch nicht, deine Brasilianerin am Strand aufzureißen
- Versuch, so schnell wie möglich mit dem Küssen loszulegen
- Bestehe nicht darauf, zu ihr nach Hause zu gehen, sondern schlag einen Spaziergang in eine Gegend mit vielen Motels vor

Zum vereinfachten Aufriss hat Nogueira Rios Frauen kategorisiert. Möglicherweise uninteressant, jedenfalls nicht näher beschrieben, erscheint da zunächst das „normale Mädchen“. Es folgen:

- Typ Britney Spears. So etwas wie höhere Töchter. “Schön aber lassen nicht mit sich flirten”. Tipp: Lass sie links liegen.
- Typ Hippie oder Raver. Leicht anzuquatschen. Schwer zu küssen. Leicht, mit ihnen zu trinken und sich zu amüsieren.
- Typ über 30. Tanzen, trinken, küssen und vergnügen sich gern. Behandele sie wie eine Dame und du wirst ihr König sein, wenn nicht heute nacht, dann mit Sicherheit morgen.
- Typ Knackarsch. Sexmaschinen, die ins Fitnesstudio gehen und hautenge Hosen tragen. Immer eine gute Investition, da das Motel bei diesen Mädels immer im Bereich des Möglichen liegt.

Mag sein, dass der gemeine männliche Rio-Besucher tatsächlich Anderes im Sinn hat, als der männliche Besucher von, sagen wir, Wien oder Chicago, Städte für die Nogueiro bezeichnenderweise keine Cityguides veröffentlicht hat. Mag ebenfalls sein, wie Blogautor Alex M. Costa schreibt, dass Sextourismus in Brasilien keinerlei Förderung mehr benötigt, weil Schweinereien hierzulande sowieso an der Tagesordnung sind, vor allem in der Politik. Mag auch sein, dass die brasilianischen Frauen die schönsten der Welt sind, wie in einem anderen Blog behauptet wird. Nogueiras Freunde – und das erwartet er auch von seinen Lesern - jedenfalls haben eindeutig nur eines mit ihnen vor. Das finde ich durchaus bedauerlich.

Ob es aber tatsächlich diese Formulierungen waren, über die sich die Leute von der Embratur aufegergt haben, mag dahin gestellt bleiben. Der Führer ist nämlich bereits zum sechsten Mal erschienen – mit genau diesen Aussagen. Ein Leonardo Name hat vor Jahren in einer wissenschaftlichen Arbeit über „Rio for partiers“ dessen Zielgruppe seinerseits so kategorisiert: mit „junge Leute“ seien offensichtlich weiße, männliche, heterosexuelle Vertreter der Bourgeoisie gemeint – die ihre Selbstbestätigung durch das Praktizieren exhibitionistischer Sportarten und das respektlose Behandeln von Frauen bezögen. Kurz, ein Typ, der in Brasilien (vor allem in Rio) durchaus kritisch als „Playboy“ bezeichnet wird.

So weit, so bekannt. In diesem Jahr allerdings haben sich die Guide-Macher erdreistet, auf ihr Heft das offizielle Brasil-Logo der Embratur zu drucken, Und das ging dann wirklich zu weit. Gestern hat der Richter vorläufig entschieden: Nein, „Rio for partiers“ verletze nicht die nationale Politik der Embratur (die bekanntlich seit Jahren gegen das stereotype Bild eines Brasiliens voller halbnackter Sambatänzerinnen anwirbt). Nein, es verletze auch nicht die Würde der brasilianischen Frau. Also darf Nogueira schon mal fleißig Hefte nachdrucken: Die kostenlose Publicity dürfte die Nachfrage gewaltig steigern.

Dienstag, 30. September 2008

Jetzt also Maria

Am Sonntag rief überraschend Maria an. Sie wolle mit mir reiten gehen. Sagte sie. Tatsächlich wollte sie mir die Neuigkeit mitteilen. Dass sie einen neuen Freund hat, und zwar einen Holländer. Der wolle etwas Festes. Und heute komme er zu ihr nach Hause, wer weiß, vielleicht würde er sie bald beim Ausbau ihres Rohbaus unterstützen. Oder gar ein Haus für sie kaufen. Wer weiß. Dann klingelte Marias Handy. Der Holländer war dran. Die wichtigsten Dinge waren schnell gesagt, auch ohne große Fremdsprachenkenntnisse: Kiss. Saudade.

Bei mir im Kopf klingeln dann schnell die Klischees. Von den treuen, großzügigen Europäern und den exotischen, erotischen, kaum von Emanzipation verdorbenen Nordost-Brasilianerinnen. Das Dumme ist: oft läuft es wirklich so. Ich habe da eine bildhübsche junge Dame erlebt, interessiert an Mode und Haarkunst und Tanzen. Die fabrizierte für ihren Europäer – den sie „mein griechischer Gott“ nannte – Hausmannkost und wusch ihm die Wäsche. Kaum hatte er sie nach Deutschland eingeladen, lernte sie diverse andere griechische Götter kennen. Und wechselte später ohne Tränen zu vergießen zu einem, der außer blauen Augen auch noch eine Firma sein eigen nannte.

Als ich einmal Besuch von zwei Freunden hatte, die beide blond und blauäugig und nicht einmal hässlich waren, klopften Frauen bei mir an der Tür, die bislang noch nie mit mir geredet hatten. Umgekehrt erzählte mir ein Bekannter, als er seine brasilianische Ehefrau am Strand von Boa Viagem kennen gelernt habe, hätte sie ihn nahezu sofort gebeten: Nimm mich mit nach Deutschland. Natürlich gibt es Ausnahmen. Natürlich finden sich manchmal zwei, die sich wirklich von Herzen gern haben.

Heute traf ich im Mini-Baumarkt eine Freundin von Maria. Sie war ziemlich in Eile, weil sie den Holländer in seinem Hotel abholen und zu Marias Haus bringen musste. Der wollte dort den Tag verbringen. Und, sagte die Freundin, „das ist eine ernste Sache: Er hat schon gefragt, wo es hier einen Juwelier gibt…“ Dann verabschiedete sie sich, zu ihrem Job als Cupido und Dolmetscherin für das turtelnde Pärchen.

Natürlich gibt es hier keinen Juwelier. Es laufen ja selbst die Damen der besseren Gesellschaft mit billigem Modeschmuck herum, um keine Banditen anzulocken. Sollte also der Holländer Maria einen echten Ring schenken, wird sie womöglich einen Safe anmieten müssen. Denn ihr Haus ist ein Rohbau, mit Fensterlöchern, durch die die Vögel hereinfliegen können. War bislang kein Problem, denn es gab keine Wertsachen zu stehlen. Das könnte bald anders werden.

„Naja, er hat mir schon Geld gegeben“, druckst Maria herum. „Aber bezahlt hat er mich nicht, das würde ich nie machen.“ Stattdessen träumt sie weiter. Ihr Neuer war schon in Dubai, vielleicht nimmt er sie dahin mal mit? Aber wichtiger wäre doch zuerst das Haus. Und unabhängig wird sie trotzdem bleiben. Arbeiten. Capoeira tanzen. Wenn er das erlaubt. Wer weiß.

Ja, wer weiß. Jetzt also Maria.

Freitag, 14. März 2008

Alles Creu

Die Sommerhits in diesem Jahr zeichnen sich durch besonders knappe Texte aus. Die wenigen Worte reflektieren gerne niedere Instinkte und simple Freizeitvergnügen. "Trinken, Umfallen und wieder Aufstehen", heißt so ein Mitgröl-Hit. In einem anderen quietscht eine weibliche Stimme, dass ihr Nachbarn Intimes von ihr will, und noch dazu von hinten, von hinten, von hinten. Ein dritter Song hat einen Refrain, der auf Hochdeutsch mit „meine Vagina“ übersetzt werden müßte. Der absolute Abschuß aber ist der Creu. Dieser Superhit besteht überhaupt nur aus Refrain. Das heißt: aus einem Wort. Das Wort lautet: Creu, ausgesprochen: Krä-u. Das geht dann so: E Creu, Creu, Creu, Creu, Creu, CREU.... Dazu vollführen die begeisterten Zuhörer eine angeregte Pantomime im Wortsinn. Was Creu bedeutet? Steht nicht im Wörterbuch, ebenso wenig, wie „Ficken“ im Wörterbuch steht.

Aber in den internationalen Schlagzeilen steht Creu, wenn auch nicht mit diesem Wort. Es geht um Eliot Spitzer, Ex-Gouverneur von New York. Der hat Creu gemacht. Nicht mit der Angetrauten zuhause, sondern mit einer Edelhure vom Escort-Service. In Brasilien diskutiert das interessierte Volk in einem solchen Fall in Internetforen über Qualitäten und Preis der entsprechenden Dame - sogar, wenn es um amerikanische Politiker geht. Gerät in Amerika so ein Ausrutscher in die Fleischeslust an die prüde Öffentlichkeit, nimmt der ertappte Politiker seinen Hut, tritt mit der alles verzeihenden Ehefrau an der Seite im TV auf, und sucht noch schnell einen Sündenbock. Im Fall Spitzer heißt der Sündenbock Andréia und ist eine 32jährige Brasilianerin. „Brasilianisches leichtes Mädchen bringt Gouverneur zu Fall“ heißt es in den Schlagzeilen.

Die Brasilianerin hatte mit dem Gouverneur allerdings gar keinen Körperkontakt, sie führte nur ein illegales Bordell, hatte einen Prozeß am Hals und versuchte durch Herausgabe von allerlei Unterlagen einer Haftstrafe zu entgehen. In diesen Unterlagen stand irgendeine Information, die zum Gouverneur führte. Der Handel ist Andréia gelungen: Vor ein paar Tagen wurde sie straffrei in ihr Heimatland deportiert. Nur das Bordell ist futsch. Dafür hat Andéia einen gewissen Ruhm erlangt, der in Brasilien nicht unbedingt zu ihrem Schaden sein muß. Sagt jedenfalls das Volk. So wie die Dinge im Land liegen, könnte sie vielleicht in die Politik gehen, schlägt ein brasilianischer Internaut vor, sie habe ja bereits internationale Erfahrung. Ein anderer rät der Ex-Bordell-Chefin zu einer Modelkarriere in Männermagazinen. Mehrere fragen nach Andréias Telefonnummer. Und einer schlägt vor, die brasilianische Regierung könnte eine Steuer auf Prostitierten-Dienstleistungen im Ausland erheben, da diese offenbar eine der wichtigsten Exportwaren des Landes seien.

Natürlich ist das ein Vorurteil. Es wird sich vermutlich noch lange halten: Nie macht Brasilien internationale Schlagzeilen. Und wenn es mal dazu kommt, muß es ausgerechnet um eine Puffmutter gehen. Dabei stehen wir kurz vor dem Investment Grade. Bekommen demnächst einen Regierungs-Fernsehsender. Verdienen viel mehr mit dem Export von Fußballtalenten als mit dem von Erotik-Queens. Alles nicht so wichtig: É Creu, Creu, Creu, Creu, CREU.

Montag, 7. Januar 2008

Töchter abzugeben

Dona Fátima hat Sorgen. Das merke ich sofort, weil sie morgens deutlich lauter und länger mit ihren beiden Töchtern schimpft als üblicherweise. Die Töchter sind 13 und 15 Jahre alt – und das ist an sich schon Grund genug, sich aufzuregen, findet Dona Fátima. Momentan ist es aber einer der Söhne, der ihr noch mehr Kopfzerbrechen macht. „Ich habe ihm ja gleich gesagt: Du wirst noch im Gefängnis landen!“, schimpft Fátima.

Das Problem: Der Sohn - 21 Jahre alt, arbeitslos, Schulabbrecher, lebt bei Oma und Opa und schlägt sich so durch – hat sich verliebt. In eine 15Jährige. Tochter aus gutem Hause. Vom Verlieben zum Verführen war der Weg schnell und gedankenlos. Sich-Verführen-Lassen aber ist in ehrwürdigen Familien hier im Nordosten eine Sache, die mit den Worten „sich verlieren“ bezeichnet wird. Die Tochter hat sich mit Fátimas Sohn verloren. Das ist schlimm. Der Vater des Mädchens könnte Fátimas Sohn anzeigen, denn auch in Brasilien wird die sogenannte Unzucht mit Minderjährigen unter 16 Jahren auf Antrag strafrechtlich verfolgt. „Ich hab es ihm vorher gesagt!“, klagt Fátima. Das hat natürlich, wie fast immer bei verliebten Jugendlichen mit Hormonstau, nichts genutzt.

Es ist durchaus üblich, dass Väter ihre verlorenen Töchter nicht mehr haben wollen, sobald sie ihr anscheinend wichtigstes bis einziges Gut weggegeben haben. Hier im Nordosten überleben ja erstaunlich archaische Bräuche. Dazu gehört es, verlorene Töchter bei dem Verlierer einfach abzugeben. Ein Bekannter kam so recht unverhofft zu einer „Ehefrau“: Er hatte sich mit der Siebzehnjährigen eher locker verbunden gefühlt, bis diese ihrem Vater erzählte, dass sie sich verloren hatte. Am nächsten Tag erschien der Vater mit Tochter und einem Kleiderbündel bei meinem Bekannten und lieferte das Mädchen mit den Worten ab: „Jetzt kannst du sie auch behalten“.

Fátimas Lösungsidee war also folgende: sie hat dem Vater der verlorenen Tochter angeboten, das Mädchen bei sich aufzunehmen. Vielleicht würde er dann ja von einer Anzeige absehen. Doch der Vater lachte ihr nur ins Gesicht. „Meine Tochter“, sagte er, „ist ein anderes Niveau gewohnt, als das Ihre – Sie können ja nicht mal ihre Haarpflegeprodukte bezahlen!“ Einerseits war Fátima ganz froh, sagt sie, denn der Mann hatte insofern Recht, als allein ein weiterer zu fütternder Mund ihre wackelige Finanzplanung deutlich ins Wanken gebracht hätte. Andererseits: Wer war dieser Mann, dass er es wagen konnte, sie so zu beleidigen?

Das war vor ein paar Wochen, sagt Fátima. Und jetzt hat sich dieser Mann erneut bei ihr gemeldet und ihr gesagt, sie könne seine Tochter haben. „Was kann denn das nun bedeuten?“, fragt Fátima. „Die ist doch bestimmt schwanger. Da habe ich bald drei Esser mehr am Hals“. Die Sorgen um die 13- und 15jährigen Töchter bleiben ihr außerdem. Aber vielleicht kann sie die dann auch irgendwann woanders abgeben.

Freitag, 5. Oktober 2007

Der Zirkus und die Statistik

Plötzlich lagen auf der Pferdewiese seltsame Sachen herum: Stangen und Planen und noch mehr Stangen. Sah aus, wie ein Altmetallager. Ein paar Typen wuselten dazwischen rum und erklären: „Das ist ein Zirkus“.

Wenig später stand das Zelt, davor ein wohnwagenähnliches Kassenhäuschen, das war alles. Die gesamten Zirkus-Zutaten passen auf einen klapprigen Anhänger, den wohl der noch klapprigere Chevrolet zieht, der daneben geparkt ist. Ein magerer Junge mit einem alten Gesicht radelt seither jeden Nachmittag mit einer Lautsprecheransage durchs Dorf: „Nur noch heute abend, kommen Sie in den magischen Zirkus Douglas, bringen Sie ihre ganze Familie mit!“

Mangels Familie bin ich mit der Besitzerin der Pferdewiese hin gegangen, eine respektable Dame um die 60, die gleich noch ihre depressive ältere Schwester mitbrachte, damit die mal was anderes zu sehen bekam.

So einen Mini-Zirkus sucht man ja schon milde gestimmt auf. Bereit, allerlei Unzulänglichkeiten zu verzeihen, setzt man sich auf staubige schmale Holzbretter, ignoriert die Moskitos und wartet geduldig darauf, was passiert. Zunächst kommt nacheinander so ziemlich das gesamte Dorf: Mütter, an denen mehrere Kleinkinder klammern, aufgebrezelte Teenies in Miniröcken, Männerrunden in Feierlaune und zittrige Omas drängen in das immer stickiger werdende Zelt. Die letzten müssen stehen bleiben.

Nach umständlichen Vorreden („wir möchten jeden im geschätzten Publikum vollends zufrieden stellen mit unseren einzigartigen Darbietungen“ etc etc.) balanciert uns ein kleinwüchsiger Seiltänzer etwas vor. Nur ein Teil des Publikums ist beeindruckt. Der andere kauft fleißig Bier und Popcorn bei dem mageren Jungen mit dem alten Gesicht, der ständig zwischen den Reihen umherhuscht. Zum Seiltanz gibt es Schmalzhits aus übersteuerten Boxen und ein paar Zwischenrufe der ersten Betrunkenen: „Wo sind die Frauen?“. Als auch noch ein Jongleur auftritt, ein buckliger Kerl im blauen Satinhemd, der gelegentlich eine seiner Keulen verliert, buhen die ersten, obwohl es sich um den „berühmten Michael Douglas“ handelt, nach dem vermutlich der Zirkus benannt ist.

Endlich kommt eine Frau, die „weltberühmte Jaciara“. Mindestens 1,75 gross, davon mehr als die Hälfte Beine, die allerdings unterhalb des Knies in dünne Kleinkinderwaden auslaufen, nur halbwegs kaschiert durch kleine Schnürstiefelchen. Jaciara trägt einen Glitzer-BH, einen Stringtanga, darunter fleischfarbene Nylons und lächelt huldvoll ins Publikum. Dann legt sie los. Jaciara ist kein Schlangenmensch und auch keine Trapezkünstlerin. Sie bewegt sich in einer eigentümlichen Choreographie, deren Elemente aus dem Tanz eines Roboters, einem epileptischen Anfall und einer Peepshow zusammengesetzt scheinen. Das männliche Publikum ist nicht so pingelig wie ich. Es tobt. Ein paar der Stehgäste geraten so in Fahrt, dass ein Kollege Jaciaras sie mit einigem Nachdruck davon abhalten muß, die Arena zu stürmen.

Und die Frauen? Und die Kinder? Und die Omas? Gucken gleichmütig nach vorne, als laufe gerade eine Werbung für Hundefutter, und stopfen Popcorn in sich hinein.

Nach Jaciara kommt ein Clown. Als der sagt "mein Bruder ist schwul" grölen die Leute. Als er anfängt über seine Maniokwurzel in der Hose zu sprechen, fallen sie fast von den Bänken. Danach zeigt Janaína, eine blasse Schwarzhaarige ihren beeindruckendem Bauch, den sie permanent kreisen läßt. Danach kommt der Clown und danach die kaum bekleidete Yvonne. Der magere Junge muß dem Publikum immer öfter Biernachschub holen gehen. Mir würden die rotierenden Hängebäuche jetzt allmählich genügen, aber die Besitzerin der Pferdewiese hält mich vom Gehen ab: „Wart nur ab, gleich werden die Männer anfangen, ihre T-Shirts in die Arena zu werfen, damit die Frauen sich den Schweiß daran abwischen!“, erklärt mir die 60jährige begeistert. Auch die Depressive scheint zufrieden. Niemand verläßt vorzeitig die Show, und nachdem insgesamt sechs Frauen ihre primären und sekundären Geschlechtsteile inklusive Bäuchen vor der Menge geschwenkt haben, strömt gegen 23 Uhr eine aufgeheizte Masse aus dem Zelt. Manche stehen noch eine Weile unschlüssig mit Bierdosen rum, andere schleichen sich ins Dunkel der Pferdewiese zu weiteren Vergnügungen.

Was das mit der Statistik zu tun hat? Nun, der magere Junge gehört vermutlich zu den 16 Prozent der 15-17jährigen, die trotz Schulpflicht dieselbe nicht besuchen. Und die Gleichaltrigen im Publikum könnten zu den 50 Prozent dieser Alterklasse gehören, die zwar zur Schule gehen, aber ein, zwei oder noch mehr Klassen wiederholt haben. Je weniger geübt das Hirn, desto leichter die Begeisterung über die einzigartigen Darbietungen des magischen Zirkus Douglas, oder? Ein wenig aktives Hirn stört auch wenig beim Gang ins nächste Gebüsch. Und hilft dadurch, der nächsten Statistikrubrik zuzuarbeiten: Es gibt immer mehr minderjährige Mütter in Brasilien.

Deren Mütter verstehen nicht, wie das passieren kann: Die Telenovelas zeigen bestenfalls mal leidenschaftliche Küsse. Und sie selbst lassen ihre Töchter niemals abends unbeaufsichtigt aus dem Haus. Ausser vielleicht zum Zirkus.
 
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