Dienstag, 29. April 2008

Pech für Ronaldo

Irgendwie ist alles schief gelaufen in der Nacht vom Sonntag. Erholen von der erneuten Knie-OP sollte Ronaldo, das Phänomen, sich in der Heimat - und das war sicher nicht nur physisch gemeint. Am Sonntag ist der 31jährige Weltstar also in Rio zu einer Party des beliebten Vereins Flamengo gegangen. Dort traf er ein Mädel, das ihm gefiel. Als Andrea dem Fußballer erklärte, sie gehöre zur käuflichen Zunft, fand der das gar kein Hindernis, eher im Gegenteil: Er sei nur auf ein kleines Abenteuer aus, und habe keine Lust auf Komplikationen, Presse oder sonstigen Trubel, erklärte er der Fremden. Und dann verließen die beiden die Party und fuhren ins Motel Papillon.*

Soweit schien es, als würde der Plan mit dem Amüsieren ganz gut klappen. Als Andrea Albertine im Motel anbot, sie könne noch zwei Freundinnen einladen, stimmte Ronaldo zu. Oder ließ sich überreden, wer weiß.

Kurz darauf trafen die Freundinnen ein. Und damit ging die Pleite los. Die Damen waren nämlich keine echten Damen, sondern Transvestiten, und das sah man ihnen deutlich an. Im Gegensatz zu Andrea. Deren echter Name lautet André Albertino und auch er ist ein Mann. Muss eine ziemlich ernüchternde Erfahrung sein, wenn die geplante Gespielin für eine Nacht sich quasi auf der Bettkante als Kerl entpuppt. Ronaldo nahm die Enttäuschung mit Fassung. Er bot den Professionellen je 1000 Reais** an, damit sie weiterzögen und ihn auch künftig und vor allem vor der Presse in Ruhe ließen.

Eine guter Preis für Nichtstun: Die beiden Freundinnen akzeptierten sofort und erklärten glücklich, sie führen jetzt zur Cidade de Deus, Drogen kaufen.

Andrea hingegen war mit 1000 Reais nicht zufrieden. 50.000 schienen ihr angemessener. Als Pfand nahm sie kurzerhand die Kfz-Papiere an sich, die sie im Handschuhfach fand. Das wiederum war dem Phänomen zu viel: Die beiden gerieten auf dem Weg vom Parkplatz zum Tor in ein so lautstarkes Wortgefecht, dass die Motelleitung die Polizei rief, die den Fußballer für den nächsten Tag zur Vernehmung bat, und die Prostituierte gleich zur Aussage mitnahm.

Andrea ist erfinderisch: Die beiden Freundinnen seien nicht für sich, sondern für den Mann Drogen kaufen gefahren und sie habe ihre Arbeit gemacht, Leistung erbracht und kein Geld erhalten, sondern nur eine Garantie in Form der Autopapiere. Als sie soweit fabuliert hatte, lief die angeblich Geschädigte mitten in der vernehmung davon. Niemand lief ihr hinterher.

Ronaldo sagte in etwa aus, was hier wiedergegeben ist. Carla, eine der Transvestiten-Freundinnen, erschien gestern nachmittag bei der Polizei, um ihre Version zu Protokoll zu geben. Dass sie dabei in ein Blitzlichtgewitter der Journalisten geriet, schien sie sehr zu erfreuen. Augenblicklich erklärte sie sich bereit für Interviews - leider war niemand interessiert. Zum Abschluss der Angelegenheit will die Polizei im Viertel Barra da Tijuca noch die andere Professionelle vernehmen und Ronaldo erneut vorladen. Aber eigentlich ist der Fall bereits gelöst.

Vorläufige Bilanz der Nacht: Schnelle Kohle und ein bißchen Publicity für die beiden Herren Damen. Publicity auch für das Motel Papillon. Und Ronaldo, der sich nur ein bißchen amüsieren wollte? Muss noch mal aussagen. Und hatte jetzt schon reichlich Spesen für nix gewesen.

* es ist in Brasilien keinesfalls verwerflich zur Liebe ein Motel aufzusuchen, angesichts der oft beengten Wohnverhältnisse ist so etwas ganz normal

* Rund 400 Euro

Sonntag, 27. April 2008

Die Konkurrenz der Wassermelone

"Fotografierst du auch die Wassermelonen-Frau?“ Das hätten die Maler als Erstes gefragt, als sie anfingen, sein Studio zu renovieren, erzählte Guido vieldeutig grinsend. Hä? Welche Frau bitte? Na die Wassermelonen-Frau! TV-Faulheit bestraft der liebe Gott sofort: Beinahe wäre die Konkurrenz der Früchte an mir vorbei gegangen. Die Wassermelonen-Frau ist nämlich die Ex-Tänzerin des Creu. Erfuhr ich von der Tochter des Hauses. Ach so, der Creu, dieser Ein-Wort-Hit zu dem die Leute diese rhythmischen Bewegungen mit der Hüfte ausüben. Der Creu ist ja längst allgemeines Ausdrucksmittel geworden: Fußballteams machen den Creu, wenn sie gewinnen – oder wenn sie verlieren. Kleine Kinder machen den Creu, Paare und heitere Männerrunden – nur die Best Ager habe ich noch nicht beim Creu gesehen. Vielleicht weil da die Hüften schon etwas eingerostet sind.

Das ist exakt das Thema: Hüfte. Nachdem ganz Brasilien die Wassermelonen-Frau auf Videoclips oder in der Playboy-Sonderausgabe bewundert hat, weiß ich jetzt endlich auch, wie Andressa Soares aussieht. Wie soll ich sagen? Beeindruckend. Sehr beeindruckend. Eine „abundancia“ nennen brasilianische Kollegen das, was Andressa auszeichnet. Bunda heißt auf Portugiesisch Hintern, und der von Andressa ist ein Phänomen.* 121 Zentimeter Umfang, und nicht etwa aus Fett. Wie zwei Wassermelonen. Ehrlich. Vollkommen übertrieben und unwirklich sieht das aus. Die Fotograf vom Playboy hat Andressa in eine Lkw-Ladung von echten Wassermelonen gelegt, und neben den 1500 runden Früchten relativieren sich die Formen der 20-Jährigen ein bisschen. Aber nur ein bisschen.

Brasilianer stehen mehr auf üppige Hintern als auf üppige Oberweite, kein Wunder also, dass die Wassermelone momentan die absolute Queen ist. Demnächst kommt sie auf den Playboy-Titel. Letztens war sie bei Jo Soares Interviewshow (wo ich sie entdeckt habe), danach im Fantástico, und künftig will sie als Funk-Sängerin auf Europa-Tournee gehen. „Nicht, dass ich besonders gut singen könnte“, erzählt sie Jo Soares lachend, „das ist mehr ein Spaß“. Muss ein Bombenspaß sein, wenn die 121 Zentimeter live ins Schwingen geraten.

Der MC Creu, der seine Wassermelone verloren hat, wünscht übrigens großzügig viel Glück für die Solokarriere. Nur die Jackfrucht-Frau schreit ein bißchen beleidigt: "Und wo bleibe ich?" Hä? Die Jackfrucht-Frau? Die hat neben Andressa den Creu getanzt. Warum sie sich Jackfrucht-Frau nennt? Vielleicht wollte sie im Bild bleiben, eben noch ein Frucht-Name. Aber Jackfrucht? Die Dinger hängen doch und haben so komische Pickel... Ganz anders als die Jackfrucht ist Dadá Cristina durchaus knackig, versucht im Windschatten der Melone auch Publicity zu ergattern und beteuert, sie sei mindestens genau so ein lecker Mädchen wie ihre Cousine.

Das mag stimmen. Aber ihr Hintern macht nur 110 Zentimeter Hüftumfang – elf weniger als der der Melone.

Und genau so viel wie der Allerwerteste der Melonen-Nachfolgerin beim Creu. Die sich übrigens ganz bescheiden „Erdbeerchen“ nennt. Besser als Jackfrucht, finde ich. Eine Frucht zu finden, die mit den Rundungen der Wassermelone konkurrieren könnte, ist sowieso ungefähr so schwierig, wie 121 Zentimeter durchtrainierten Hüftumfang zu toppen.

Deswegen geht die Tänzerin des MC Catra einen ganz anderen Weg: „Genug mit den blöden Früchten“, sagt sie, „was Männer wirklich gerne vernaschen, ist Fleisch.“ Und nennt sich folgerichtig: Die Filet-Frau.

Ob sie damit die Frucht-Konkurrenz der Wassermelone ausstechen kann, halte ich allerdings für mehr als fraglich. Denn die ist hat nicht nur 21 Zentimeter mehr. Sie ist ausserdem frech, intelligent, witzig, selbstironisch und nicht nur in der Hüfte ziemlich locker.

* http://www.fofocandoblog.com.br/galleria/andressa-soares-a-mulher-melancia

Donnerstag, 24. April 2008

Der Pfarrer, der zum Himmel fuhr

Der größte Popstar Brasiliens ist ein Pfarrer: Padre Marcelo Rossi verkauft alle Jahre wieder mehr CDs als jeder andere. Seine singenden Messen verfolgen Millionen auf dem TV-Bildschirm. So viel Ruhm ist selten für einen Prediger. Nicht jeder hat auch so viel Charisma und so viel Stimme. Deswegen endet die Bekanntheit der meisten Pfarrer spätestens an der nächsten Ortsgrenze.

Padre Adelir de Carli war das zu wenig. Deswegen fuhr er zum Himmel. Zum ersten Mal am 13. Januar. Gekleidet in ein silbriges Thermogewand und eine Fliegerlatzhose ließ sich der Pfarrer in seinen speziell angefertigten Hartschalensitz nieder und mit mehreren dicken Seilen an einen Lkw fesseln. Dann banden eifrige Helfer 500 Heliumballons an den Pfarrer. Und als sie die Sicherheitsseile kappten, stieg Adelir zum Himmel auf.

Er wolle auf die Aktivitäten der Bundesstraßen-Pastorale aufmerksam machen, behauptete der rundliche Einundvierzigjährige, auf das Leiden von Brummi-Fahrern und ihren Angehörigen. Warum er dazu Party-Ballons gewählt hat, erklärte der Mann nicht.

Jedenfalls hatte Adelir ein rechtes Gottvertrauen - viel Einfluß auf seine Ballonfahrt hat so ein menschliches Party-Ballon-Anhängsel nämlich nicht. Im Januar stieg die Ballontraube mit Pfarrer dran auf mehr als 5000 Meter und flog gute 110 Kilometer vom südbrasilianischen Paraná bis nach Argentinien. Dann stieß Adelir sein Stilett in die Ballons und stieg halbwegs sanft zur Erde nieder. Betend, wie er später aussagte.

War eine tolle Publicity. Die Zeitungen berichteten. Gläubige bewunderten den Mut und den Glauben des Ballonfahrers für die gute Sache.

Also plante der Pfarrer mehr. Einen Rekord. Die längste Fahrt überhaupt mit Partyballons. Zwanzig Stunden wollte er im Himmel bleiben. Und zwar bis in die Vollmondnacht des 20. April, das Datum hatte er wegen der Mondphase ausgewählt. Außer dem Thermoanzug und der Latzhose hatte er am Sonntag auch ein Handy mit GPS dabei. Dass Gott reichlich Wolken und Winde geschickt hatte, war dagegen nur ein Detail. „Ich werde ja über den Wolken fliegen“, sagte er selbstbewußt.

Mit einem Schutzhelm gekrönt und dick verpackt in den Seilen hängend, breitete des Pfarrer segnend seine Hände aus – und ging ab wie eine Rakete: diesmal hing er an beinahe 1000 Ballons. Über Handy sprach er zu den Menschen unten auf der Erde. Der ultimative Promotion-Trip. Mag er sich gedacht haben. Bis der Wind die Ballontraube Richtung Meer schob, und der Pfarrer nichts dagegen tun konnte. Bald wußte er nicht mehr, wo er war – und ebenso wenig, wie er das GPS zu bedienen hatte. „Schickt mir jemanden an den Apparat, der mir das GPS erklärt“. Das waren seine letzten Worte, bevor die Handyverbindung abbrach.

Seit Sonntag suchen mehrere Schiffe, ein Flugzeug und ein Hubschrauber nach dem Padre. Laut Berechnungen der wahrscheinlichen Flugroute, soll er vierzig Kilometer von der Küste entfernt er im Meer gelandet sein. Fünfzig Kilometer entfernt wurden Ballonfetzen und Kabel gefunden. Der Pfarrer ist bis heute verschwunden. Er trägt weder einen Neoprenanzug noch einen Signalgeber und wird wahrscheinlich erbärmlich erfrieren.

Derweil liefern sich die brasilianischen Internauten Kommentarschlachten zum Thema. „Wenn alle so dächten wie der Padre, hätten wir eine bessere Welt“, schreibt einer. „Er hat sein Leben für die Brummifahrer riskiert, das macht ihm so leicht keiner nach“, meint ein anderer. Aus den Reihen der Ballonfahrer kommen weniger freundliche Mails: Ein kompletter Idiot, sei der Pfarrer, ein Selbstmörder und Steuergeldverschwender und überhaupt ein eitler Rekordfatzke. Manche hoffen wider alle Vernunft, dass der Pfarrer doch noch auftaucht. Und einer meint gar: „Vielleicht hat ihn ja ein Wal verschluckt, wie einst Jonas, und spuckt ihn unversehrt irgendwann wieder aus...“

Damit könnte Padre Adelir sogar Marcello Rossi noch den Rang ablaufen. Ansonsten wird er wohl einfach der Pfarrer bleiben, der unvorbereitet zum Himmel fuhr.

Dienstag, 22. April 2008

Ein neues Modem am Ende der Wewlt

Mein Dorf ist wie ein Ende der Welt. Paar Fischerkneipen am Platz, ein Supermarkt, eine Bäckerei, zwei Kirchen, eine Schule. Nachtleben Null. Macht nichts. Kulturelles Leben ebenfalls Null. Macht schon eher was. Auch deswegen war es eine große Freude, als hier endlich diverse Klein-Unternehmer Breitband-Internetanschlüsse angeboten haben. Ein Draht in die Welt!

Zuerst hat der Besitzer des Internetcafés sich einen legen lassen. Der hatte tatsächlich bis dahin sein Café mit gewählter Verbindung über die Telemar betrieben. Dao unterschrieb also den Vertrag sofort. Ich war die zweite, eine Woche später. 128 MB pro Minute sollte ich von nun an empfangen, Wahnsinn.

Große Hoffnungen machen einen schnell leichtgläubig. Die beiden Techniker installierten meine Antenne spät abends und änderten für den Empfang auch einige Einstellungen an meinem Computer. Nach ihrer Arbeit zeigte mir mein Computer 100 MB Leistung an – und das gleichbleibend ohne jede Schwankung. Theoretisch waren die 100 MB da, sobald das Antennenkabel Strom bekam. Tatsächlich waren es vielleicht 60 oder 80. Egal. Richtig frech fand ich die 100-MB-Anzeige nur dann, wenn ich gar keine Verbindung hatte. Was leider öfter vorkam.

Die Techniker hatten auch gesagt: 24-Stunden-Service. Beim ersten längeren Signalausfall rief ich die Festnetznummer an, um 9 Uhr morgens: Niemand da. Um halb elf erreichte ich eine freundliche Mitarbeiterin des Unternehmens „Point Net“, die mir versicherte, ein Techniker werde sich innerhalb der nächsten halben Stunde bei mir melden. Um 12 Uhr erreichte ich bei Point Net nicht einmal die freundliche Fabiana. Ebenso wenig um 14 und um 15 Uhr. „Wir haben bis 15 Uhr Mittagspause“, erklärte sie mir sanft um 15 Uhr 30. und der Techniker sei momentan leider nicht zu sprechen. Er werde sich aber am gleichen Tag noch melden.

Am nächsten Tag hatte ich wieder Internet – wer wird da darüber meckern, dass davor kein Anruf gekommen war. Dao, der Vorreiter, wechselte nach zwei Monaten zu einem anderen Anbieter. Ich blieb bei dem alten - sonst hätte ich eine neue Antennen-Installation zahlen müssen.

Inzwischen habe ich folgende Grundregeln verstanden: Am Wochenende passiert grundsätzlich nichts. Die Techniker von Point Net sind auch an Werktagen nicht erreichbar. Die freundliche Fabiana nimmt montags bis freitags von 10 bis 11 Uhr 30 und von 15 Uhr 30 bis 17 Uhr Anrufe entgegen und verspricht in 100 Prozent der Fälle umgehende Rückrufe. Die sie in 100 Prozent der Fälle nicht tätigt.

Dao geht es bei seinem neuen Anbieter nicht viel besser. Er erreicht zwar eine deutlich bessere Höchstgeschwindigkeit – hat aber auch deutlich mehr Ausfälle zu verzeichnen.

Zurzeit bin ich mal wieder vom Internet abgeschnitten. Genauer gesagt: Seit mehr als einer Woche. Am ersten Tag habe ich flexibel einen Hausputz eingeschoben. Am zweiten die Wäsche gewaschen. Am dritten hatte ich bürokratische Dinge in Recife zu erledigen. Am vierten habe ich ein bisschen an Texten gearbeitet, für die eine Internet-Recherche nicht zwingend notwendig war. Am Freitag wurde ich langsam sauer.

Natürlich hatte ich jeden Tag bei Point Net angerufen. Die hatten bereits nach meinem dritten Anruf erklärt, sie warteten auf ein Ersatzteil, das aber garantiert am nächsten Tag käme. Am nächsten Tag erklärten sie das Gleiche wieder, nur mit etwas mehr Nachdruck. Am Freitag hatten sie wohl den Hörer neben die Gabel gelegt. Es gelang mir nicht, mit jemandem zu sprechen.

Selten war am Wochenende so schuldfreies Nichtstun! Ging ja nicht anders. Zeit für Ganztages-Reitausflüge, Besuche bei Freunde, Picknicks am Fluß; Montag war auch noch Feiertag.

Und Dienstag, so hatte ich mir vorgenommen, würde ich eben das Nötigste im Internet-Café bei Dao recherchieren. Der hat inzwischen ein weiteres Mal den Anbieter gewechselt: Er surft jetzt über das Modem eines mobilen Anbieters. In echter Hochgeschwindigkeit, wie in den WiFi-Zonen in der großen weiten Welt.

Heute morgen trat ich als erstes in eine Pfütze. Das war Schmelzwasser aus meinem Kühlschrank. In der Nacht war der Strom ausgefallen. Kommt hier öfter vor. Wenn solche Stromausfälle über Nacht auftreten, hat meist eine Gruppe Langfinger ein paar Kilometer Stromkabel geklaut, um den Kupferdraht illegal zu verhökern. Kann dann schon mal einen halben Tag dauern, bis ein neues Kabel gezogen ist. Da nützt auch Daos neues Modem nichts: Solange ist hier mal wieder Ende der Welt.

PS. Habe eben (um nach 18 Uhr!) mit Fabiana gesprochen: Sie hat mir keinen Rückruf versprochen, sondern den Besuch eines Technikers, heute noch. Der ist bis jetzt nicht gekommen, aber das Internet funktioniert.

Samstag, 12. April 2008

Der Regen, der Schimmel und die Geschenke

Kürzlich bin ich nach einer Woche Recherche in Rio nach Hause gekommen. Meine Vermieterin hatte – wie versprochen – bestens auf die Hunde und Katzen aufgepaßt, und auch die Pflanzen lebten alle noch. Die Sonne lachte, es war wunderbar, nach der Großstadt mein friedliches Dorf wiederzusehen, und freudig schloss ich die Wohnungstür auf. Aufdringlicher Schimmelgeruch strömte mir entgegen. Obwohl sämtlich Fenster in der Woche meiner Abwesenheit offen geblieben waren.

Nach einer Nacht in diversen Flugzeugen und auf dem Flughafen von Salvador (Billigflüge sind in Brasilien nur zu haben, wenn man sich auf vollkommen absurde Flugzeiten à la: Abflug um 1.30 morgens, zwei Stunden Aufenthalt irgendwo, Weiterflug um 4.45 Uhr etc. einläßt) hatte ich mich darauf gefreut, sofort ins Bett zu fallen. Dieses Bett war in meiner Vorstellung ein warmer, kuscheliger Ort gewesen, perfekt zum Erholen. Was ich vorfand, war eine klamme, muffelige Höhle, die mit einer Lagerstätte nicht viel gemein hatte.

Auf meinem Schreibtisch hatte sich sogar eine millimeterdicke Schimmelschicht auf dem Holz gebildet. Über den Laptop hatte ich ein Tuch gebreitet. Mit einer Geste wie ein Magier und unter angehaltenem Atem zog ich das Tuch weg: Darunter immerhin war kein Schimmel, mein wichtigstes Arbeitesgerät gerettet. Puh.

"Naja, es hat einfach ziemlich viel geregnet“, sagte meine Vermieterin entschuldigend, als sie mich wenig später mit dem Putzeimer sah. Das mag stimmen, aber die Tatsache, dass ihr Haus an einen Hang oder besser: in einen Hang hinein gebaut ist, spielt sicher auch eine Rolle. Der Tag jedenfalls wurde zu einer endlosen Putzorgie. Alle Möbel abwaschen und gegen die Schimmelflecken einölen. Alle Böden mehrmals wischen - beim letzten Mal mit ätherischem Öl im Wasser gegen den Geruch. Alle Schränke von innen entschimmeln. Sämtliche Wäsche waschen, weil auch die saubere im Schrank den durchdringenden Schimmelduft aufgesogen hatte. Schliesslich auch sämtliche Sättel und Lederzeug – auf das sich der Schimmel in losen Flocken gesetzt hatte - waschen und einölen.

Irgendwann guckten mich die Hunde und Katzen hungrig an. Als ich ihnen Futter geben wollte, mußte ich feststellen: auch das war verschimmelt. Das brachte mich auf eine neue Idee. Und richtig: Auch das Müsli, der Grieß, die Weizenkeime und was ich sonst noch in hübschen Vorratsgläsern aufbewahre, strahlte den häßlichen Duft der Verwesung aus. Also: Tierfutter bestellen, Großeinkauf starten.

Als ich am frühen Abend endlich in die Kissen sinken konnte, lag meine Matratze statt im Schlafzimmer auf dem Bettgestell im Arbeitszimmer auf dem Boden: Im Schlafzimmer hatten sich zwei Wände bis auf Schulterhöhe mit Wasser vollgesogen und verbreiteten ein ekelig-feucht-klammes Klima – im Arbeitszimmer zeigte nur eine Wand zwei Handbreit vom Boden Feuchtigkeitsspuren.

Das ist inzwischen ein paar Tage her, die Wäsche ist getrocknet und einsortiert, das neue Hundefutter eingetroffen und die Wohnung riecht wieder halbwegs normal. Im Arbeitszimmer schlafe ich allerdings immer noch – denn das Schlafzimmer ist weiterhin unbewohnbar geblieben. Dafür bekomme ich jetzt jeden Tag Geschenke.

Zuerst hat meine Vermieterin versucht, die Wand im Arbeitszimmer durch ein Dauer-Feuer an der Außenseite zu trocknen. Das roch wie am Prenzlauer Berg im Winter, nutzte aber nicht viel. Die Wand im Schlafzimmer wollte sie durch eine Plastikplane vor dem Regen schützen. Leider ist die Feuchtigkeit trotzdem bis auf knapp unter die Decke gestiegen. Seit ich wieder hier bin, kommt die Tochter meiner Vermieterin jeden Tag gucken, wie die Lage ist – und neuerdings bringt sie mir dabei kleine Geschenke mit.

An einem Tag war das eine Riesenschüssel „Manguzá“, ein süßer Maisbrei mit Kokosmilch. An einem anderen ein Halbkilo-Stück Schokotorte. Am dritten eine Tüte voller frisch gepflückter Orangen. Und am vierten eine Handvoll frisch gefangener Sardinen. Die netten Gaben sind wahrscheinlich eine Art Bestechung. Sie sollen mich davon abhalten, auszuziehen. Denn bald ist Winter. Dann werden Einkommensmöglichkeiten rar und Mietwohnungen billig und reichlich verfügbar. Was soll ich machen: Noch mal alles einpacken, umziehen und dann den Rest der Regenzeit trocken wohnen? Oder den Schimmel die paar Monate Winter aushalten und weiter Geschenke einsammeln?

Montag, 7. April 2008

Inszenierung am Straßenrand

Zuerst habe ich sie gar nicht bemerkt. Was am Rand eines Weges passiert, den man ständig fährt, sieht man ja irgendwann nicht mehr. Die Erinnerung produziert ein immer gleiches Bild auf die Netzhaut, weil das Gehirn anderweitig beschäftigt ist. Mit Musik aus dem Kopfhörer, Gedanken, Träumen. Also habe ich auf dem Weg nach Recife lange nur Zuckerrohr-Pflanzungen gesehen. Wie immer. Endlose grüne Hügel voller Zuckerrohr, eine gnadenlos den Boden aussaugende Monokultur. Aber hübsch anzusehen. Und sicher nicht unproduktiv.

Irgendwann sind sie mir dann aufgefallen. Dicht aneinander gedrängte Holzgerüste in einer langen Reihe, direkt am Straßenrand. So nah an der Bundesstraße bauen normalerweise Verkäufer ihre Buden auf, die den Vorbeisausenden allerlei Früchte, selbst geröstete Nüsse, Pflanzen oder Tontöpfe anbieten. Dazu bedecken sie ein Holzgerüst mit einer schattenspendenden Plane, breiten ihre Ware auf einem improvisierten Tisch darunter aus, und treten mit einer Probe in der Hand ganz nah an den Asphalt. Über diesen Holzgerüsten hingen keine Planen, und es waren auch keine Menschen zu sehen. Seltsam, aber nicht seltsam genug, um länger darüber nachzudenken.

Bis sie mir wieder auffielen. Die Holzskelette hatten sich zu einem ganzen Gerüstdorf vermehrt, und manche von ihnen waren inzwischen mit schwarzer Plastikplane bedeckt. Andere hatten Plastikplanen-„Wände“ bekommen, und einige waren mit Brettern und Preßspanplatten verrammelt. Langsam wurde mir klar, dass hier keine potentiellen Fruchtverkäufer am Werk waren, sondern dass dies eine sogenannte Land-Besetzung der MST werden sollte, der Bewegung der Landlosen, die hier im Nordosten besonders aktiv und aggressiv agiert. Noch sah das Ganze allerdings eher aus wie ein halbfertiges Bühnenbild für eine Freilichtaufführung im nächsten Sommer

Dabei blieb es auch.

Lange.

Erstaunlicherweise schien sich niemand an den unschönen Bauwerken am Straßenrand zu stören: Der Rand von Bundesstraßen fällt unter den Hoheitsbereich des Verkehrsamts und darf natürlich nicht bebaut werden. Vielleicht zählen planenbedeckte Holzgerüste nicht als Bauten, vor allem, wenn sie so offensichtlich unbewohnt sind

Irgendwann waren sie plötzlich nicht mehr unbewohnt. Rauchfahnen von Herdfeuern stiegen aus mehreren Hütten auf, Menschen lehnten aus Plastikplanen-Fenstern, andere standen in Grüppchen beieinander und schwätzten. Vielleicht zwei Dutzend Personen waren in das Bühnenbild eingezogen.

Wenn Vertreter des MST Land besetzen, ergeht normalerweise auf Antrag der Grundbesitzer eine einstweilige Verfügung, in der den Besetzern eine Frist gesetzt wird, binnen derer sie das fremde Land zu räumen haben. Gleichzeitig beginnt die Untersuchung, ob es sich um unproduktive Ländereien und um Landlose mit Anspruch auf eigenen Grund und Boden handelt.

Kritiker halten die Fristenlösung für falsch, weil die Landbesetzer meist gar nicht die besetzten Ländereien in Besitz nehmen wollten, sondern die Aufmerksamkeit der Medien erreichen und damit Druck auf die Regierung ausüben. Und die Frist zur Räumung lasse ihnen exakt die Zeit, diese eigentlichen Ziele zu erreichen.

Ich fand es spannend, politische Aktualität mal live aus dem Busfenster beobachten zu können. Wie würde es weiter gehen? Boden beackern wollten die Leute hier sicherlich nicht – der war ja schon beackert. Ging es also um Presse?

Als ich das nächste Mal an der Hüttensiedlung am Rande der Zuckerrohr-Pflanzungen vorbei fuhr, war keine Presse zu sehen. Auch keine Bewohner oder Rauchfahnen. Der Wind zerrte an den Planen, Regen hatte den Boden aufgeweicht, und manche Gerüste hatten sich zur Seite geneigt. Als sei die Aufführung schon vorbei und nur das Bühnenbild übrig geblieben. Ein Pressetermin war die Inszenierung wohl nicht – ich habe in den Medien jedenfalls nichts dazu gefunden.

Seitdem habe ich nie wieder Menschen dort entdeckt. War wohl nichts mit dem Live-Erlebnis. Nur eins hat sich geändert: Ich gucke jetzt jedes Mal ganz genau hin, ob sich am Rand der Zuckerrohr-Pflanzungen etwas tut.

Freitag, 4. April 2008

Mückentöter für alle

"Wenn es zu Todesfällen kommt, wird die Sache heikel.“ Sagte Lula kürzlich. Er sprach über die Dengue-Epidemie in Rio, und verkündete in seiner spontanen Ansprache außerdem, der Kampf gegen die Krankheit müsse ansetzen „lange bevor die Mücke zubeißt“. Natürlich hat der Staatschef Recht, er kommt nur ein bisschen spät damit. Längst hat die Mücke reichlich Menschen gestochen, und heikel ist die Sache auch bereits: Mehr als 50 Menschen sind seit vergangenem Januar in Rio am Dengue-Fieber gestorben. Das öffentliche Gesundheitssystem steht kurz vor dem Kollaps, die Wartezeiten in der Notaufnahme betragen teilweise mehrere Stunden - zu viel vor allem für geschwächte Kinder. Mehrere sind deswegen der Krankheit erlegen.

Die Bewohner der Stadt sind verängstigt und wütend. „Sie haben uns ins Jahr 1900 zurückversetzt“, schimpft ein Leser der Tageszeitung „o Globo“ über die Politiker, die anstatt zu regieren, nur auf den Wahlkampf bedacht seien. „Glückwunsch an Lula in der Person seines Ministers Temporao“, schreibt ein anderer Leser, „niemals in der Geschichte dieses Landes hatten wir eine so signifikante Zahl an Dengue-Fällen“. Ein dritter meint, die Cariocas seien selbst schuld, denn sie mobilisierten sich nur für den Karneval, Fußball und Big Brother, anstatt Dengue-Brutstatten zu beseitigen.

Manche halten sich vorsichtshalber nur noch in Air Condition auf. Manche Homöopathen verschicken kostenlos Rezepte für ein Präventivmittel, das einmal wöchentlich eingenommen, vor Ansteckung schützen soll. Manche Privatkliniken hingegen haben Transparente an ihre Tür gehängt: „Hier keine Notaufnahme“. Laut Gesetz müssen auch Privatkliniken jeden akut medizinisch Hilfebedürftigen erstversorgen – das kann teuer werden, wenn so eine Epidemie erst einmal ausgebrochen ist.

Hier im Großraum Recife kommen seit Jahren mindestens alle zwei Monate Angestellte des Gesundheitsbehörde in allen Haushalten vorbei und kontrollieren diese auf Dengue-Risiken; sie leeren Blumentopfuntersetzer aus, streuen Pülverchen in stehendes Gewässer und erklären die Symptome der Krankheit, deren leichtere Variante gerne mit einer normalen Grippe verwechselt wird. Vor ein paar Jahren gab es hier reichlich Dengue-Fälle, inzwischen ist die Lage unter Kontrolle. Natürlich ist der Großraum Rio wesentlich größer und bevölkerter als der Großraum Recife. Ich weiß nicht, ob eine solche Dengue-Risiken-Kontrolle in Rio entweder nicht präventiv statt gefunden oder einfach nicht ausgereicht hat. Jetzt jedenfalls ist die Sache heikel.

Mückenschutzmittel zum Auftragen auf die Haut und Insektizide zur Anwendung im geschlossenen Raum sind seit Monaten Verkaufsschlager in Rio. In manchen Restaurants kommt das Mückenspray gleichzeitig mit der Speisekarte auf den Tisch. Andere haben ihre Kellner mit einer totsicheren Waffe gegen die Aegypti ausgestattet: Eine Art Badmintonschläger, der auf Knopfdruck mit Strom geladen wird, und bei Berührung die Aedes Aegypti (und alle anderen Arten Insekten, bis hin zur Kakerlake) zischend und endgültig versengt. Eine Gruppe Amerikaner war davon so begeistert, dass sie kürzlich einem Kellner in der Barra da Tijuca kurzerhand die Todeswaffe abgekauft haben.

Wäre das nicht eine Lösung? Mückentöter für alle?
 
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