Der Präsident und ich haben etwas gemeinsam. Es hat lange gedauert, bis ich das herausgefunden habe. Normalerweise schämen wir uns nämlich dafür ein wenig. Weil sich die Anderen gerne lustig über uns machen. Aber jetzt, wo sich sogar der Präsident öffentlich geoutet hat, kann ich es ja auch zugeben: Ich habe Angst vorm Fliegen.
Das war nicht immer so. Es hat sich schleichend in den letzten Jahren entwickelt: Je weniger ich flog, desto stärker wurde das Unbehagen. Geredet habe ich darüber nicht, weil es mir lächerlich vorkam. Jeder kennt ja die Statistiken, jeder weiß, dass Autofahren viel gefährlicher ist.
In Brasilien scheint sich das jetzt geändert zu haben. Nicht die Statistiken – auf den Strassen sind in den letzten Ferien mehr Leute verunglückt als bei allen Flugzeugunfällen des Jahres. Das lag daran, dass viel mehr Autos auf den Strassen unterwegs waren, weil die Leute nicht fliegen wollten. Denn was am Ende zählt, ist ja doch immer die gefühlte Gefahr. Die ist gestiegen, und das hat Vorteile.
Das allgemeine Sicherheitsgefühl kam schon beim Unfall der Gol-Maschine im letzten Jahr ins Wanken. Als jetzt der Airbus der TAM verunglückt ist, war es mit dem Vertrauen endgültig vorbei. Brasilianische Urlaubsreisende fürchten sich so vorm Fliegen, dass der gesamte Nordosten in den Winterferien im Juli kaum Umsatz mit Touristen gemacht hat – weil die Fluggäste aus dem Süden lieber mit dem Auto irgendwo in der Nähe Ferien gemacht haben. Ergebnis siehe oben. Der Präsident fürchtet sich, hat er gesagt, weil seine Dienstmaschine auch ein Airbus ist. Manchmal sieht neuerdings sogar das professionell beruhigende Lächeln der Stewardessen aus, als seien sie unsicher. Und als ich letztens aus Deutschland zurückkam, haben die Passagiere tatsächlich bei der Landung Beifall geklatscht – das habe ich so ungefähr in den 90er Jahren zum letzten Mal gehört. Diesmal wirkten die Leute ehrlich erleichtert.
Dabei steigern Unfälle die Sicherheit in der Luft. Die Maschinen werden öfter und sorgfältiger gewartet, Piloten bekommen Sonderschulungen am Flugsimulator, und im Cockpit gehen sie weniger Risiken ein, als in unfallfreien Zeiten. Seit dem TAM-Unfall hat es diverse Zwischenfälle gegeben. Ein Propeller fing Feuer, weil Treibstoff ausgelaufen war. Aufgrund der Umsicht aller Beteiligten, konnten sämtliche Passagiere aussteigen und sich in Sicherheit bringen, bevor die Maschine in die Luft flog. Ein Pilot weigerte sich, mit einer Maschine zu starten, die er als unsicher einschätzte. Ein anderer Pilot hat nach Bodenberührung auf der Landebahn das Flugzeug wieder in die Höhe gezogen, den entsetzten Passagieren erklärt, es sei alles in Ordnung, noch eine Runde gedreht und dann ganz normal gelandet.
Keine Ahnung, was da los war. Manche munkeln, ein anderes Flugzeug habe im Weg gestanden und um es nicht zu rammen, mußte der Pilot eben wieder in die Luft. Die Infraaero, deren Schuld so ein Getümmel auf der Landebahn wäre, behauptet, der Pilot sei ohne Landeerlaubnis vom Tower in Landeflug gegangen. Eigentlich ist es egal, wer hier wem die Schuld zuschiebt. Tatsache ist: Der Pilot hat - wie seine Kollegen bei den anderen Zwischenfällen auch - die Sache elegant und sicher gelöst.
Und die Passagiere hatten garantiert trotzdem Angst. Ich wette, keiner hat sich deswegen geschämt. Ich schäme mich auch nicht mehr, im Gegenteil. Der Präsident und ich haben jetzt einen echten Vorteil: Wir haben schon so lange geübt, mit der Angst umzugehen, dass wir längst Profi-Angsthasen sind. Deswegen kann ich nahezu unbesorgt übermorgen mit einer TAM-Maschine nach Rio fliegen.
Dienstag, 21. August 2007
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen