Sonntag, 20. September 2009

Du musst, musst, musst in den Himmel hinein


Gestern tanzten im TV übermenschengroße disneyähnliche Puppen einen albernen Hüpftanz und sangen dabei schmalzige Melodien. Zuerst wollte ich gleich weiter schalten, aber dann guckte ich vorher noch schnell genauer hin: In den Puppen steckten Menschen, und die hüpften in einer Kirche herum und sangen Sachen wie: „….denn du musst, du musst in den Himmel hinein.“ Die Texte der modernen freikirchlichen Lieder sind gelegentlich etwas eigenwillig. Meine Nachbarin etwa hört besonders gerne ein Stück, dessen Refrain lautet: „Jesus, assa-me por dentro“, was auf Deutsch etwa heißen könnte: „Jesus, brate mich von innen“. Weitere mögliche Interpretationen lasse ich hier weg, um nicht pornographisch zu werden.

Bedrohlicher scheint mir dennoch der Refrain mit der Himmelseinfahrt. Denn das meinen die Pastoren anscheinend ernst. Jeder muss in ihren Himmel. Dafür tun sie alles. Schleichen Pastoren in Capoeira-Gruppen und neuerdings sogar in die Nationalelf ein. Die Fifa hat das ostentative Vorzeigen religiöser Botschaften bei den Interviews nach gewonnen Spielen bereits ausdrücklich verboten. Daraufhin hat einer sich das entsprechende Shirt um den Bauch gebunden… Schrift natürlich gut sichtbar. Man sieht: Die Gehirnwäsche klappt bestens.

Um den Weg in den Himmel zu finden, muss sich längst keiner mehr für Kirche und Religion an sich interessieren. Ähnlich wie die Scientologen, die in den 80er Jahren ihre Kunden durch Tests zur Selbsterkenntnis köderten – immerhin mitten in der Psycho-Ära - holen die Seelenfänger der evangelischen Freikirchen ihre Kunden dort ab, wo deren Interesse liegt. Vermutlich deswegen wachsen sie von allen Religionsgemeinschaften in Brasilien am schnellsten.

Besonders beliebt bei jungen Leuten ist die Kirche „Renascer em Cristo“. Kein Wunder: in manchen Tempeln sind Tattoo-Studios integriert, andere bieten Videogames oder Reggae-Shows. Für eine pfiffige Verbindung zur angeblichen Spiritualität sorgen die pfiffigen Pastoren mühelos - selbst wenn das Thema des Abends „Extreme Fight“ heißt, wie kürzlich bei einer Großveranstaltung. Da stiegen zuerst Pastoren beim Jiu-Jitsu gegeneinander in den Ring, danach hielt ein weiterer Pastor in Army-Hosen die passende Predigt: °Kämpfe lieber um dein Leben“ hieß die originelle Botschaft.

Die neuen Gläubigen lieben diese Kirchen wegen ihrer „Flexibilität beim, Ausdruck des Glaubens“, sagt Silvia Fernandes, Professorin aus Rio, die ein Buch über die evangelischen Bewegungen geschrieben hat. Diese Flexibilität geht so weit, dass etwa der Gründer der Kirche „Bola de Neve“ auf einem Surfbrett als Altar predigt- Weil er Surfer ist und im ersten Versammlungsraum kein anderer Altar zur Verfügung stand. Inzwischen gehört das geheiligte Surfbrett zur Ausstattung der Kirche, und aus sieben Mitgliedern sind 3000 Gläubige aller sozialen Schichten geworden. „Sport und Musik überwinden alle Barrieren“, sagt Kirchengründer Rinaldo Pereira. „Selbst Leute, die nicht gerne in die Kirche gehen, mögen Surf-Contests oder Reggae-Konzerte“. Oder Extreme Fight“. Wer in die Kirche kam, um den Kampf anzusehen, geht womöglich mit einem neuen Glauben nach Hause. Den kann er sich gleich auf den Arm schreiben: „Ich gehöre Jesus“ ist einer der Renner unter den Tattoo-Botschaften.

Die Pastoren mögen Surfer sein, Rocker oder tätowiert - eines haben sie alle gemeinsam. Sogar die jüngsten wie der 15jährige Sohn von Kirchengründer Pereira. Der hält bereits Predigten wie ein Profi. Und weiss genau, was am Schluss nicht fehlen darf: "Gib und Gott wird dir doppelt zurück geben“, heißt der Zauberspruch für den Klingelbeutel.

Klingt nicht ganz so schön, wie „du musst, musst, musst in den Himmel hinein.“ Aber auch das ließe sich durchaus noch steigern. Etwa zu: „Du musst, musst, musst in den Himmel hinein, sonst wirst du von innen gebraten“.

Fotos: NYT

Dienstag, 15. September 2009

Schwarz, weiblich, Marina


Der britische Guardian hat schon 2007 verkündet, Marina Silva sei eine der 50 Personen, die helfen könnten, die Welt zu retten. Damals war Marina noch brasilianische Umweltministerin – vermutlich die härteste Kämpferin, die den Posten je inne hatte. Zu hart für die Regierung. Weil Marina zum Beispiel die geplanten Mega-Wasserkraftwerke Jirau und Santo Antonio, die reichlich Arbeitsplätze, Steuergelder und Prestige schaffen würden, erst genehmigen wollte, nachdem deren Auswirkungen auf die Umwelt genau geprüft wären. Das Ende vom Lied: Marina trat im Mai 2008 vom Amt zurück. Ihr Nachfolger, Carlos Minc, hat zuletzt mit seiner Teilnahme am „Marsch für Marihuana“ in Rio Schlagzeilen gemacht.

Wer gedacht hat, damit sei Marina abgetreten, muss spätestens jetzt merken: Falsch gedacht. Marina ist eine Kämpferin, das beweist schon ein Blick in ihre Biografie, die sich liest wie ein Kitschroman. In einer armen Gummizapfer-Familie aufgewachsen mitten im Urwald, wo es weder Straßen, noch Gesundheistversorgung oder Schulen gab, konnte sie als 14-Jährige gerade mal die Uhr lesen und einfachste Rechenaufgaben lösen – um beim Gummiverkauf nicht übers Ohr gehauen zu werden. Mit 15 verlor sie die Mutter und übernahm die Haushaltspflichten für die 10köpfige Familie. So gesehen war es geradezu Glück, als sie mit 16 Hepatitis bekam. Die ließ sich nämlich nur in der Stadt behandeln.

Einmal in Rio Branco angekommen, blieb Marina einfach da. Suchte sich einen Job als Hausangestellte und lernte. Lernte alles, was sie vorher verpasst hatte. Mit 19 hatte sie bereits das Abitur nachgemacht und sich für die Aufnahmeprüfung an der Uni eingeschrieben.

Und so jemand sollte aufgeben, nur weil sie als Ministerin zu unbequem war? Statt dessen wird Marina Silva gerade noch deutlich unbequemer. Sie hat nämlich nach 30jähriger Zugehörigkeit zur Arbeiterpartei gerade die Farbe gewechselt und trägt neuerdings Grün statt Rot. Und die brasilianischen Grünen, so heißt es, wollen sie als Präsidentschaftskandidatin aufstellen.

Auch wenn die Kandidatur noch nicht offiziell bestätigt ist: das bringt die rote Dilma zum Zittern. Und den Präsidenten dazu, schnell einen Plan B und einen
Ersatzkandidaten auszuwählen. Denn Marina ist ein Überraschungsfaktor, dessen Wucht schwer einzuschätzen ist. Unermüdlich im Lernen: Die Senatorin, Mutter von vier Kindern und studierte Historikerin, steht kurz vor dem Abschluss eines Aufbaustudiums. Und unerbittlich in der Moral: Bereits in ihrem ersten politischen Amt als Gemeinderatsmitglied hat Marina freiwillig diverse Finanzhilfen wie die Wohnbeihilfe zurück gegeben und öffentlich gemacht, wie hoch sie selbst und die Ratsmitglieder bezahlt wurden. Weil sie das durchaus reichlich fand.

Das Ausland hat womöglich schon viel länger verstanden, wie effizient diese unspektakuläre Kämpferin ihre Arbeit für die Umwelt tut: In den letzten Jahren hat Marina Silva einen internationalen Preis nach dem anderen gewonnen. „Champions of the Earth“ von den Vereinten Nationen in 2007, den „Duke of Edinburgh-Award" vom WWF in 2008, und den nach dem Jostein-Gaardener-Werk benannten norwegischen „Sophie-Preis“ in diesem Jahr.

Kürzlich titelte die Zeitschrift Veja „Marina ist eine gute Nachricht“ und fragte die Senatorin, ob sie von Obama, dem ebenfalls schwarzen Präsidenten, inspiriert sei. Sie sei zwar auch schwarz, aber es sei doch vermessen, sich mit dem amerikanischen Präsidenten zu vergleichen, antwortete Marina bescheiden. Erwähnte dann aber ganz am Rande, was Freunde von ihr gesagt hätten, als Hillary und Obama gegeneinander angetreten waren: Da mussten die US-Amerikaner sich zwischen einer Frau und einem Schwarzen entscheiden. Wenn Marina in Brasilien für das Präsidentenamt kandidieren würde, hätten die Brasilianer solche Probleme nicht.

Foto: Ana Limp

Dienstag, 8. September 2009

Luxus am Lago Sul


Geplant war das alles ein bisschen anders. Aber wo Politik gemacht wird, ist meist das große Geld nicht weit, und das ist in Brasília nicht anders. Neben Rio und Sao Paulo hat sich die Verwaltungsmetropole im Landesinneren als Stätte des Luxus etabliert. Da mögen die Kommerz-Blocks zwischen den Wohnsiedlungen, die sogenannten Entrequadras Comerciais, ursprünglich noch so sozialistisch gleich angesetzt worden sein.

Was in Sao Paulo die DASLU, ist in Brasília die Magrella – zu Deutsch so etwas wie Hungerhaken. Auch wenn deren Chefin den Vergleich nicht gern hört, seit die DASLU-Chefin wegen Steuerbetrugs beim Import zu 90 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Über Magrellas Importverfahren ist uns nichts bekannt, in den Ständern hängen ohnehin überwiegend Produkte einheimischer Designer. Natürlich nicht ausgezeichnet. Preise sind Nebensache, bestätigt die Dame des Hauses. Im Hintergrund lockt die Champagner-Bar, oben wartet die Dachterrasse, und die besseren Kundinnen bekommen als kleines Dankeschön ein Schächtelchen erlesener Schokolade – aus der hauseigenen Fabrikation. Die liebsten Stammkundinnen, die durchaus um die 20.000 Dollar pro Monat bei Magrella lassen können, sind der Chefin eine hauseigenes Parfum als Präsent wert.

Ihre Kundinnen, so Cleuza, seien „hart arbeitende Geschäftsfrauen, die ihr Geld selbst verdienen und nicht von irgendwem zugeschoben bekommen.“ Überhaupt sei das ganze Gerede um Korruption und Geldwäsche vollkommen übertrieben. Man wohne und lebe eben gut in Brasília. Weil man arbeite.

Betty wohnt und lebt offensichtlich gut: Vielleicht zwei Hektar Grund direkt am Lago Sul – der exquisiten Wohnlage der Stadt – mehrere pavillion-ähnliche Wohn- und Atelierräume aus edlen Tropenhölzern und viel Glas. Betty sammelt nicht irgendwelche Kunst, sondern die Größten. Bei ihr hängen die Modelle, nach denen die Engel in der Kathedrale gefertigt wurden. Ihre Küchenwände sind mit Werken von Athos Bulcao gekachelt. „Fast alles Geschenke, die ich vor lange Zeit bekommen habe“, sagt sie, „es ist unglaublich, was das alles heute wert ist.“ Betty arbeitet grafisch. In einem historischen Eisenbahnwaggon, zu dem sie sich demnächst einen originalgetreuen Bahnhof in den Garten bauen lassen will. Obwohl sie selbst lieber fliegt, und zwar mit ihrem eigenen Flugzeug. Ihr Mann, der Anwalt, hat auch eines. Geld verdienen muss Betty nicht.

Lucio Costa soll an Menschen mit offenem Geist gedacht habe, als er Brasílias weitläufige Raumnutzung entwarf. In den Superquadras sollten Maurer und Künstler, Politiker und Wissenschaftler zusammen wohnen, sich in den Entrequadras Comerciais treffen und austauschen. Auch an Reiche hatte Costa gedacht. Die dürften auf weitläufigen Grundstücken ausnahmsweise architektonisch hochwertige Gebäude errichten, je einen Kilometer voneinander entfernt. Nur sollten diese Schmuckstücke nicht am Seeufer stehen. Denn das wäre nach dem Masterplan kein Wohn-, sondern ein Erholungsgebiet für die gesamte Bevölkerung geworden, mit Restaurants und Clubs und Sportanlagen.

Soweit der Plan. Aber wo Politik gemacht wird, findet sich immer ein Weg, Pläne umzumodeln. So lebt eben jetzt der Luxus am Lago Sul in Brasília. Für manche ist das auch sehr schön.

Foto: Agusto Areal / Lago Sul, Brasília
 
Add to Technorati FavoritesBloglinks - Blogkatalog - BlogsuchmaschineBrasilien