Montag, 30. Oktober 2006

Sieg für den Mann aus Marzahn

Er ist der Mann aus Marzahn. Ich meine, wenn man sich mal vorstellt, wer Lula in Deutschland wäre. Einer, der sich mit Schule nicht lange abgegeben hat, der Hunger gelitten hat, sagen wir in Castrop-Rauxel, bis er mit seiner Mutter in die Großstadt flüchtet. Wo es dann doch nur für Marzahn reicht. Da wächst der Junge auf, bolzt auf der Strasse mit seinen Kumpels, wird Metallarbeiter, malocht aber nur kurz, weil er gleich einen Finger verliert und sich außerdem in der Gewerkschaft engagiert. Der Typ aus Marzahn lernt, öffentlich aufzutreten. „Kumpels“ bleibt sein Lieblingswort, auch als Präsident. Die verpaßte Bildung holt er nie mehr nach. Kommt viel besser an, wenn er sich selbst als Aufstiegswunder stilisiert, nach dem Motto: „Wenn einer wie ich Präsident werden kann, dann gibt es keine Grenzen!“ Ein Mann aus dem Volk, der viel schwitzt und viel redet. Der „icke dette kieke mal“ sagt. Einer wie wir.



So einen haben die Brasilianer gerade gewählt. Das Ende der Stimmen-Auszählungen muß man gar nicht mehr abwarten, er hat mit guten 60 Prozent (gegen 39 für Alckmin) so haushoch gewonnen, wie eigentlich schon im ersten Wahlgang erwartet. Weil der gemeine Brasilianer sich prima mit einem identifizieren kann, der fröhlich wie ein kleiner Junge die Nationalflagge herumschwenkt und „das Volk liebt mir“ sagt. Oder so ähnlich.



Schuld an dem Schreck zwischendurch war das Foto. Das Foto von den Millionen, die Lulas Parteigenossen für das Dossier gegen Serra bezahlen wollten. Erinnert sich noch jemand daran? Wie ein Mantra hat Gegner Alckmin bei jedem Treffen mit Lula danach immer wieder gefragt: „Und wo kommt das Geld her?“ Das war auf die Dauer fast ein bißchen nervig. Die Frage bleibt unbeantwortet. Lula-Gegner behaupten: Weil die Untersuchungen verschleppt wurden, um die Stichwahl nicht zu stören.



Jetzt ist nämlich alles zu spät und egal. Falls irgendwann doch noch bewiesen werden sollte, daß Lula in den Deal verwickelt war, dann wäre das ein Wahlverbrechen und das wäre theoretisch Grund genug für ein Impeachment. Aber ein Impeachment muß irgendwer beantragen. Und der Präsident des zuständigen Gerichts hat jetzt schon erklärt, er werde nicht gegen den Willen von Millionen von Wählern handeln. Und wenn Marco Aurélio keinen Handlungsbedarf sieht, falls Lula schuldig sein sollte, wer denn sonst sollte ein Impeachment beantragen? Wo doch das Volk selbst dauernd ein bißchen schummelt, ja schummeln muss, weil das Überleben so schwer ist?



Die Brasilianer sind Weltmeister im Schummeln. Früher hießen besonders begabte Schummler hierzulande „malandro“ – und das war ganz eindeutig ein Kompliment. Als „jeitinho“ ist die brasilianische Begabung nahezu weltweit bekannt, hart am Gesetz vorbei Lösungen zu finden, wenn alles aussichtslos scheint. Und in seiner endlosen Großzügigkeit scheint das brasilianische Volk seinen Regenten auch Schummeln im großen Stil zu vergeben. Solange sie aus dem Volk sind. Aus Marzahn eben.

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