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Mittwoch, 13. Januar 2010

Kultur-Bons und ein Film fürs Volk


Hier in Brasilien ist es gesetzlich verboten und praktisch üblich, in Wahljahren die potentiellen Wähler durch Wahlgeschenke freundlich zu stimmen. Das geht von säckeweise Fischen über stundenlanges Freibier bis zu versprochenen oder gar errichteten Krankenhäusern, ausgearbeiteten sowie finanzierten Wirtschaftsankurbelungspaketen und allerlei Sozialprogrammen. Lulas bisherige Wahlerfolge haben nachweislich mit Sozialprogrammen zu tun. Wo besonders viele. Bolsa Familia*-Empfänger leben, gab es besonders viele Stimmen.

Ende letzten Jahres hieß es, die 11 Millionen Empfängerfamilien der Bolsa Familia könnten in 2010 auch eine Bolsa Celular empfangen, nämlich ein kostenloses Handy mit umgerechnet 2,80 Euro Guthaben pro Monat – von der Regierung steuerbefreit und von den Handy-Betreibern gestiftet. Eine Woche später zitierten die Medien Kommunikationsminister Hélio Costa so: „Ich will damit nichts mehr zu tun haben“. Kritiker hatten ihm vorgeworfen, Staatsmittel in einen Markt zu werfen, der mit 80 Prozent Handynutzern bereits gesättigt sei. Stimmt, Costa ist zu spät gekommen: gerade Geringverdiener legen großen Wert darauf, ein möglichst schickes teures Handy vorzuweisen.

Mit einer anderen Idee könnte Kultusminister Luca Ferreira eine weit innovativere Aktion gelingen: Die „Bolsa Cultura“ soll das Volk zur Kultur bringen. Mittels einer Art Kreditkarte, die von Regierung, Arbeitgebern und dem Arbeitnehmer selbst finanziert monatlich 50 Reais für diverse Kulturgenüsse von Kino bis Theater oder den Kauf von Büchern bereit stellt. Essensmarken für den Geist sozusagen. 14 Millionen Arbeitnehmer könnten davon profitieren, so die Rechnung des Kultusministeriums.

Als nächstes kommt dann wohl der „Freundinnen-Bon, der jedem Wähler eine Freundin garantiert“, unkte die Opposition. Es handele sich um eine Wahlkampf-Aktion, die nicht etwa Kultur fördern würde, sondern eher den Tanz der Jungwähler mit ihren Liebsten, in Musik-Schuppen der Peripherie, sagten Kritiker außerdem. Bereits im November, also noch im Vor-Wahljahr, hatte Lula den „Kultur-Gutschein“ gefeiert, dessen Einführung im Dezember vom Senat beschlossen wurde.

Gerade rechtzeitig. Anfang Januar ist „Lula – ein Sohne Brasiliens“ angelaufen, mit 12 Millionen Reais Produktionskosten der teuerste Film in der Geschichte dieses Landes. Er thematisiert nur die Jugend und Kindheit des Präsidenten, hält sich nicht dokumentarisch an die Fakten, sondern malt ein blütenweißes Heldenbild, in dem Klein-Lula die Mutter vor den Aggressionen des Vaters verteidigt, der Gewerkschafter später nur Bier trinkt statt Klaren und so fort. Kino ist teuer in Brasilien, in den Shoppingzentren kostet eine Eintrittskarte umgerechnet mehr als sechs Euro. Die Klassen C und D sehen normalerweise eher Screen-Shot-Raubkopien, als selbst ins Kino zu gehen.

Diesmal war das anders: Der Sohn Brasiliens lief genau dort hervorragend, wo Lula auch seine meisten Wähler sitzen hat. Im Nordosten. Bei den Klassen C und D. In Sao Paulo hingegen, waren die Eintrittszahlen kümmerlich. Als heimliches Wahlkampf-Instrument hat sich der Film damit nicht bewährt, da ihn Nicht-Lula-Wähler kaum gesehen haben. Dafür aber als Kultur-Aktion: Viele waren für Lula zum ersten Mal in ihrem Leben im Kino. Ob sie mit ihrem Kultur-Bon wohl auch eine gedruckte Lula-Biographie gekauft hätten?

NS. In abgelegene Kleinstädte ohne eigenes Kino soll der Film übrigens per Großleinwand gebracht werden. Damit auch wirklich jeder das kulturelle Großwerk des Jahres erleben kann.

* Bolsa Familie sind monatliche staatliche Hilfen für bedürftige Familien. Als Gegenleistung für die Geldzuwendung müssen die Familien z.B. nachweisen, dass die Kinder regelmäßig die Schule besuchen.

Dienstag, 18. August 2009

Globo-TV und der Bischof


Wer hätte das nicht schon länger geahnt? Dass die ach so edlen Pastoren der vielen evangelischen Freikirchen und Sekten hier in Brasilien nicht immer rein spirituell motiviert sind? Hier auf dem Dorf jedenfalls ist nicht zu übersehen, dass neben dem Groß-Unternehmer nur der Pastor ein neues Auto fährt und ständig schicke Anzüge trägt. Beachtlich ist auch, dass es in unserem kleinen Dorf gleich drei Kirchen solcher Gemeinden gibt. Muss alles finanziert werden. Also gehört es zumindest zum Pastorendasein dazu, ordentlich Spenden einzutreiben.

Kürzlich zeigte TV Globo in den Abendnachrichten Filmausschnitte, die scharf darauf schließen lassen, dass für den Bischof der Igreja Universal, Edir Macedo, das Spendensammeln längst zur Hauptbeschäftigung geworden ist: Während eines fröhlichen Bolz-Zusammentreffens mit anderen Unter-Pastoren seiner Kirche erzählt er seinen Jungs, wie sie die Gläubigen am besten um ihr Geld erleichtern. Und wird dabei ziemlich deutlich. Die Schäfchen sollten das eindeutige Gefühl bekommen: wenn sie spenden, kommen sie in den Himmel, wenn nicht, gehe es abwärts in die Hölle. Und dass die Pastoren dabei nur nicht zu zimperlich vorgingen, mahnt ihr Kirchoberhaupt: „Bescheidene Pastoren machen keine Schnitte“. Poltern und donnern muss der geistliche Geldeintreiber „ständig im Kampf gegen den Dämon“, ein Held sein, ein Retter – und vor allem ein Kämpfer für die Kirchenkasse. Selbst kann Macedo das übrigens bestens.

Mit dem reichlich fließenden Ablass-Geld lassen es sich die Kirchenoberen gut gehen. Während es bei unserem Dorfpastor nur für ein neues Auto reicht, so hat Macedo sich neben anderen Immobilien gleich zwei Wohnungen in Miami leisten können. Gemeinsam mit anderen Seelenhütern feiert er seine Erfolge bei – ebenfalls gefilmten – Ausflügen in die Inselwelt von Angra dos Reis oder bei fröhlichen Tänzen mit den Kollegen. Besonders spirituell wirkt das alles nicht. Besonders neu ist es aber auch nicht.

Problematisch wurde die materielle Ausrichtung des Bischofs vor allem dadurch, dass er 2007 den TV-Sender Record kaufte – und seitdem eifrig daran bastelt, dem bislang nie herausgeforderten brasilianischen Einschalt-Sieger TV Globo knallharte Konkurrenz zu machen. Ungeniert kopiert Macedo die erfolgreichsten Globo-Formate – und macht seine Kopie nicht selten besser als das Original: Kein Problem mit den Spenden-Milliarden. So gut läuft die kirchliche Vergnügungsmaschinerie, dass sie TV Globo in letzter Zeit bedrohlich nahe kommt – und den Spitzenreiter in der Gunst des Publikums gelegentlich gar überholt. Genau das dürfte der Grund sein, warum TV Globo den Laien-Filme über Edir Macedo ganze neun Minuten bester Sendezeit gewidmet hat.

Schön ist das sicher nicht für die Gläubigen, zu sehen, wie ihre geistigen Vorbilder grölend lachen über ihre eigenen plumpen Sammelmethoden. Wie sie sich auf die Schenkel klopfen und so gar keinen Respekt für ihre Schäfchen zeigen. Seit dem 10. August sind der Bischof und neun seiner Mitstreiter außerdem angeklagt wegen Bandenbildung und Geldwäsche – weil sie das Spendengeld ins Ausland verschafft und wieder zurück geschmuggelt haben sollen, um es so für ihre Zwecke umwidmen zu können.

Natürlich konnte der Oberpastor solche Angriffe nicht ewig schweigend hinnehmen. Am Wochenende ließ er nun - in einer entsetzlich langatmigen Antwort-Sendung im eigenen Sender - verbreiten, dass TV Globo selbst allerlei Dreck am Stecken habe, angefangen von behaupteten illegalen Verflechtungen mit am Fall beteiligten Richtern und Staatsanwälten bis hin zum angeblich von Beginn an illegalen Erwerb des ganzen Senders. Höhepunkt der Sendung war schließlich ein Interview mit Macedo, zu dem dieser – ganz der einfache Gottesmann – im selbst gesteuerten Privatwagen anrollte, und frech behauptete, die Spenden-Millionen würden ausschließlich zum Bau von Kirchen und für gute Werke verwendet. Seine Gegner bei TV Globo hätten Angst vor ihm und seinem Erfolg, sagte der Bischof. Früher hätten sie Angst gehabt, er könne sich zum Präsidenten von Brasilien wählen lassen, jetzt fürchteten sie, er könne höhere Einschaltquoten erreichen.

Zu den in den Nachrichten gezeigten Filmen und seinen eigenen hässlichen Worten darin, sagte der Bischof nichts. Statt dessen sprach er von religiösen Vorurteilen und rief dazu auf, „die Kirche müsse in diesen Zeiten harter Angriffe besonders stark wachsen.“

Ich fürchte, die Schäfchen werden ihm auch das abnehmen. Was ist anderes von Menschen zu erwarten, die glauben, sie kommen in den Himmel, wenn sie nur genug Spenden abdrücken?

Das Foto zeigt eine der Immobilien des Bischofs.

Montag, 3. August 2009

Schlagzeilen um ein phänomenales Dickerchen

Ist schon gemein, wenn jeder eine persönliche Schwäche sehen und darüber Witze machen kann. Schlagzeilen hat er deswegen mehr als reichlich wegstecken müssen: Er sei zu dick, er sei nicht in Form, er esse zu gern. Jeder Besuch im Grillrestaurant wurde kommentiert, Privatfotos genüsslich von der Klatschpresse zelebriert. Die immer besonders bissigen Engländern ertappten den Stürmer im vergangenen Jahr gar bei einer Auszeit wegen Verletzung in Calvin-Klein-Unterhose, mit Zigarette und einem Bauch, den sie fies mit dem einer im vierten Monat schwangeren TV-Moderatorin verglichen – dazu behauptete „The Sun“: Ronaldo und Louise Redknapp könnten locker ihre Klamotten tauschen. Das Belegfoto dazu:



Noch gemeiner die folgende Fotomontage, die eine Zeit lang auf diversen Sites zu sehen war:



Als selbst Präsident Lula dem Superstar während der Weltmeisterschaft 2006 Übergewicht unterstellte, schlug der endlich und treffend zurück. Das war nicht schwer, ist doch die empfindlichste präsidiale Schwäche hinlänglich bekannt: „Ich rede ja auch nicht über Lulas Alkohol-Konsum“, kommentierte Ronaldo in einem Interview. Seitdem herrscht prominentes Stillschweigen: keiner der beiden hat je wieder öffentlich an den wunden Punkt das anderen gerührt. Genutzt hat das dem Fußballer wenig: Die Fans ergänzten trotzdem frech seinen Spitznamen „das Phänomen“ zu „der phänomenale Dicke“.

Ob das an seinem Ego gefressen hat? Oder hat seine Frau Bia ein Machtwort gesprochen? Jedenfalls wollte der Dicke es eigentlich geheim halten. Tagelang wand sich sein Verein „Corinthians“ in Kommentaren wie: „Wer behauptet, er habe sich die OP nicht genehmigen lassen?", „Ja, der Verein weiß Bescheid, aber wir sagen nicht, ober er hat oder ob er nicht hat!“. Auch der Arzt hielt sich bedeckt: „das unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht.“ Und Torwart Felipe witzelte: „Falls er das gemacht hat, wird er noch schneller über den Platz fliegen als jetzt schon!“

Darauf darf man sich gefasst machen, denn jetzt ist es raus: Er hat! Nämlich: Fett von seinem phänomenalen Bauch absaugen lassen.

Zwei Gläser reines Fett sollen es gewesen sein, 700 ml mit einem Gewicht von 2 Kilo. Und zwar hat der Dicke das am vergangenen Mittwoch vor der ohnehin notwendigen Hand-OP machen lassen, um so die notwendige Schonzeit gleich doppelt zu nutzen. Die Spezialisten hatten natürlich sofort allerlei Kommentare bereit. Ein Schönheitschirurg behauptet: Alles im grünen Bereich – üblicherweise lassen sich die brasilianischen Männer zwischen 50 und 800 ml Fett aus den Flanken saugen, also liegt Ronaldo im statistischen oberen Mittel. Außerdem sei gerade diese Flankenfettansammlung genetisch bedingt und durch Gymnastik nicht zu besiegen. Fußballspezialisten behaupten, die Schönheits-OP könne den Spieler länger als die Hand-OP vom Rasen fern halten. Kollege Bill, der derweil als Stürmer beim Corinthians für den pausierenden Ronaldo einspringt, sagt halb solidarisch, halb im Scherz: "Fett habe ich mir bisher nicht absaugen lassen, aber mit dieser hässlichen Visage könnte ich eine Schönheits-OP gut gebrauchen."

Eins ist sowieso klar: Dick bleibt Ronaldo auch mit 2 Kilo weniger. Falls er sich die in den zwei bis vier Wochen Zwangspause nicht ohnehin wieder anfuttert. Egal.

Die Fans hat der Dicke nämlich längst auf seiner Seite. Nicht wegen der Fettabsaugerei, sondern wegen seiner phänomenalen Leitungen bei den brasilianischen Meisterschaften „Brasileirao“. Fan Nilson Cesar spricht in seinem Blog garantiert für viele: „Dieser Ronaldo ist wirklich phänomenal. Übergewichtig aber phänomenal! Er legt immer im richtigen Moment los und schafft es, auf minimalem Raum Wunder zu tun (…)! Ohne den Dicken ist der „Corinthians“ ein anderes Team! Er mag bei seinem ersten Auftritt ausgesehen haben wie ein Sumo-Ringer, aber er nimmt sein Comeback ernst. Ich würde ihn nach Südafrika mitnehmen! Glückwunsch, phänomenales Dickerchen!"

So wird die Schwäche womöglich noch zum Markenzeichen. Und mal ehrlich: so dick ist der Dicke nun auch wieder nicht!



alle Fotos aus dem Netz ohne Angaben zu den Fotografen

Montag, 27. Juli 2009

Romário, para onde?


Morgen, so berichtet die Zeitschrift Veja, wird eine Penthouse-Wohnung im Viertel Barra da Tijuca zwangsversteigert. Bisheriger Besitzer: Romário de Souza Faria, 43, Ex-Fußballer und einer der größten Stürmer der Fußballgeschichte. Während Ronaldo, das Phänomen, sich schwergewichtig und zielsicher in einen zweiten Aufstieg kickt, geht es mit seinem Ex-Kollegen steil bergab.

Dabei hatte der Mann sich erst letztes Jahr in die Rente verabschiedet – nachdem er mit den 1000 Toren des Idols Pelé gleichgezogen hatte (manche behaupten, er habe beim Zählen geschummelt und auch Trainingstore mitgerechnet). Damals hatten allein die beiden Vereine Flamengo und Vasco Schulden in Höhe von umgerechnet fast 10 Millionen Euro bei ihm. Der als großzügig bekannte Romário hatte den Vereinen in Finanzschwierigkeiten mit Privatkrediten ausgeholfen, damit sie ihre Spieler bezahlen konnten. Zu seiner aktiven Zeit war Romário der bestbezahlte Spieler Brasiliens: er bekam knapp 170.000 Euro monatlich bei eben den Vereinen, denen er später half.

Die einen nennen ihn „großzügig“. Dafür spricht die Geschichte, als Romário einem Kumpel seinen Ferrari geliehen hatte. Der Kumpel fuhr den Wagen unbeabsichtigt ziemlich Schrott. „Po peixe*“, soll Romário nur gesagt haben, „jetzt ist mein Wagen hin!“ Der Wahrheitsgehalt der Story ist nicht belegt – aber sie ist nicht unwahrscheinlich. Großzügig ging der Großverdiener auch mit seinen finanziellen Verpflichtungen um. Manche vergaß er einfach. So soll er die Nebenkosten seines Penthouses seit 2003 nicht bezahlt haben – insgesamt eine halbe Million Euro. Dazu kommen Steuerschulden in Höhe von 370.000 Euro. Wegen verschleppter Unterhaltszahlungen an seine beiden ältesten Kinder in Höhe von mehr als 30.000 Euro war er kürzlich sogar 22 Stunden im Knast.

Andere nennen ihn „verschwendungssüchtig“. Der Profi-Fußballer lebte nämlich gerne wie ein kleiner König. Er hielt sich fünf Luxuskarossen gleichzeitig - neben dem Ferrari einen Porsche, einen BMW, einen Volvo und einen Hummer. Mit seiner dritten Ehefrau lebte er in seinem mehr als 770 Quadratmeter großen Penthouse mit eigener Sauna, Dampfbad und Heimkino. Und umgab sich mit einem Hofstaat, der ihn nicht immer gut beriet.

Die Folgen: Nicht genehmigte und schlecht ausgeführte Umbauten an seinem Heim haben Wasserschäden bei den Mietern unter ihm verursacht. Einer zog deswegen aus und verursachte so jeden Monat knapp 9000 Euro Mietausfall für den Besitzer der Wohnung. Der klagt auf mehr als 800.000 Schadensersatz. Eine ebenfalls nicht genehmigte Veränderung an der Fassade brachte zusätzlich einen Prozess von der Hausverwaltung ein. Das Mindestgebot für Romários Heim sind 3,3 Millionen Euro. Ungefähr ausreichend um die summierten Zahlungsverpflichtungen von 28 Prozessen zu begleichen. Dann bleiben immer noch mehr als 40 Prozesse übrig.

„Manchmal fehlte ihm die Orientierung“, sagt sein Berater aus den Jahren 1996 bis 2002 heute. Der musste damals gehen, weil er von den Umbauten abgeraten hatte.

Und wohin geht jetzt Romário?

* Peixe - also auf Deutsch "Fisch" nennt Romário gern seine Freunde
Foto: brasileirao.com

Dienstag, 2. Dezember 2008

Der Leibhaftige hilft nicht


Xuxa ist es in den nahezu dreißig Jahren ihrer Karriere gewohnt, im Rampenlicht zu stehen, und normalerweise genießt die inzwischen 45Jährige blonde Kindermoderatorin den Rummel. In letzter Zeit hätten ihr bessere Quoten bei ihrer Samstagsshow sogar gelegentlich gefehlt. Manche meckern schon, Xucas beste Zeiten seien vorbei.

Und dann kamen die Schlagzeilen - allerdings anders als erwartet. In einer Auflage von sensationellen drei Millionen, davon können die Medienmanager in der Krise nur träumen. Die „Folha Universal“ schafft solche Traumzahlen mit einem schäbig gedruckten Printprodukt, das erst kürzlich auch außerhalb der Igreja Universal do Reino de Deus bekannt wurde. Auf dem Titel der Ausgabe Nummer 855 der Folha Universal, die eine Woche im August unter Gläubigen kursierte, starrt Brasiliens Ikone, die 45jährige Xuxa, leicht irr ins Leere. Überschrieben ist das Bild mit „Pakt mit dem Dämon“, darunter heißt es: Mein König „Exux“ – in Anlehnung an die afro-brasilianische Religion des Candomblé, in der „Exu“ nicht nur Vermittler zwischen Menschen- und Geisterwelt ist, sondern von manchen auch mit dem Teufel gleich gesetzt wird.

Erfolg ruft Neider auf den Plan, das ist in Brasilien nicht anders. Und Xuxa ist vielleicht die erfolgreichste Brasilianerin überhaupt: Bereits im Jahr 2002 wurde ihr privates Vermögen mit 250 Millionen Reais angegeben, damals verdiente sie bei TV-Globo jeden Monat 2,2 weitere Millionen. In ihrer bisherigen Karriere hat die Sängerin insgesamt beinahe 900 Lieder aufgenommen, rund 30 Millionen Platten, CDs etc. verkauft und steht damit auf dem zweiten, fünften, sechsten und achten Platz der zehn Top-Seller-Alben Brasiliens.

In der Folha Universal stand also im August, Xuxa habe einen Pakt mit dem Leibhaftigen geschlossen. Für 100 Millionen Dollar habe sie dem Teufel ihre Seele verkauft. Die TV-Kinder-Tante Brasiliens spende Blut für den Satan, wer ihr Lied „Hündchen Xuxo“ rückwarts abspiele, höre Teufelsanrufungen, und die Xuxa-Puppe terrorisiere Kinder.

Irgendwie ist Missionar Josué spät dran mit seinen Leibhaftigen-Vorwürfen. Bereits als Xuxa in den 1980ern ihren Aufstieg in den Himmel der Kinder begann, regnete es solche gehässigen Kommentare. Und weil ihren seichten Liedtexten nicht viel anzudichten war, hieß es damals: spiele man das Stück „a vida é doce, doce, doce“ (das Leben ist süß, süß, süß) rückwärts ab, sei: sangue, sangue, sangue (Blut, Blut, Blut) zu hören. Entweder hat Josué also abgeschrieben, oder selbst erfunden. Dass die Xuxa-Puppen nachts Kinder erdrosseln, haben wir schon vor Jahren gehört, und außerdem hat Xuxa den Höhepunkt ihrer Karriere, egal ob mit oder ohne Dämonenhilfe, längst überschritten.

Paulo Coelho, Ozzy Osborne, Alice Cooper und die Rolling Stones sind übrigens laut dem Kirchenmann ebenfalls dem Dämon verfallen. Geklagt hat bislang nur Xuxa. Vielleicht, weil sie damit bis zu drei Millionen Reais Schmerzensgeld verdienen kann. Offiziell sagt sie: Weil sie „alle Religionen respektiert, Liebe und Glauben für Gott empfindet und ihr ganzes Leben darauf ausgerichtet hat, Gutes zu tun, wie etwa in der nach ihr benannten Stiftung“. Fast könnte man meinen, Xuxa sei wirklich besorgt.

Grund hätte sie dafür eher einen anderen: Neuerdings macht ihr ein sechsjähriger Lockenkopf namens Maisa heftige Quoten-Konkurrenz. Der minderjährigen Samstags-Moderatorin wird vermutlich als nächster Teufelsanbetung unterstellt, denn frech ist die erfolgreiche Kleine auch noch.

Foto: Fototapete Xuxa von deviantart.com

Freitag, 21. November 2008

Der schöne Fabio und die Droge


Fabio Assuncao ist hier in Brasilien so etwas wie eine Mischung aus Til Schwaiger und Moritz Bleibtreu. Groß, blond und mit leuchtend blauen Augen, ist er das Mensch gewordene tropische Schönheitsideal für Männer. Ich habe den Super-Star vor Jahren einmal getroffen, als er bei der brasilianischen Variante von Oberammergau den Jesus gab: Er war nett und zugänglich und posierte bereitwillig mit der Pressedame, die mich begleitete und angesichts dieses Traummannes den eigenen – ebenfalls anwesenden - sofort und vollständig vergaß. Soviel zu seiner Wirkung. Damals. Als ich Fabio das letzte Mal sah, trat er in einer der Telenovelas als Held auf – immer noch groß und blond und blauäugig, aber seltsam abgemagert, müde und mit tiefen Schatten unter den Augen. „Der ist aber schnell alt geworden“, dachte ich mir. Jetzt weiß ich es – ebenso wie das restliche Brasilien - besser: Der schöne Fabio ist dem Kokain verfallen.

Die ersten haben das spätestens im Januar dieses Jahres vermutet, als der Schauspieler in Gesellschaft eines bekannten Dealers in Rio erwischt und deswegen zur Aussage gebeten wurde. Familienmitglieder sagten damals aus, Fabio nehme Kokain und sei deswegen in Behandlung. Die soll er abgebrochen haben. Und jetzt liegt am Kiosk eines der großen Nachrichtenmagazine mit der Schlagzeile: „Der Kampf ums Leben“ - ließe sich auch als "Kampf für das Leben" übersetzen. Natürlich geht es um die Droge.

Ziemlich reißerisch. Trotzdem war ich beeindruckt, denn wann spricht schon mal einer der Showstars über seine Suchtprobleme. Bis vor nicht allzu langer Zeit umgab gerade Kokain ja ein Ruf der Droge der Künstler und Intellektuellen, die den Verstand und die Sinne schärfe. Von Abhängigkeit und Verfall war eher selten die Rede. In seiner spektakulären Kokain-Beichte vermarktete Autor Stuckrad-Barre auch die schlimmsten Stunden noch irgendwie medienwirksam. Hierzulande wurde vor ein paar Jahren nach dem Tod der Sängerin Cassia Eller ebenso von Drogen gemunkelt wie schon einst bei Elis Regina. All diese Berichte waren – vergleichbar mit den Bildern einer erschreckend abgemagerten Amy Winehouse - meist purer Sensationalismus, und hatten mit einer Auseinandersetzung mit Drogen im Showgeschäft nichts zu tun. Von Veja konnte man eventuell mehr erwarten.

Pustekuchen. Das Magazin, das sich selbst gerne als Aufklärer, Wärter der Demokratie und überhaupt sehr seriös darstellt, macht keine Ausnahme. Ja, der Mann ist kokainabhängig. Aber ob, wie und wo er dagegen kämpft, erfahren wir gar nicht. Statt dessen eine Reihe seiner Symptome: Dass er Mühe hatte, Text zu lernen, dass er ständig am Set einschlief wegen der Beruhigungsmittel, die er gegen die Koksüberwachheit nahm. Dass er einmal zusammen gebrochen ist, und man ihm schon seit einiger Zeit beim Abnehmen beinahe zusehen konnte. Solange er trotzdem halbwegs funktioniert hat, durfte er weiter arbeiten. Nun ist vorläufig Schluss: Seine Hauptrolle in der Sechs-Uhr-Novela verschwindet flugs aus dem Drehbuch, und der Darsteller ist auf unbestimmt Zeit frei gestellt, um sich behandeln zu lassen. „Wenn er den Kampf gewinnt, könnte das Zeichen setzen“, behauptet der Autor der Veja-Geschichte.

Ob er solche Zeichen überhaupt setzen will, hat den Star anscheinend keiner gefragt. In seiner Presserklärung zum Ausstieg auf Zeit ist weder von Sucht noch von Kokain die Rede. "Gesundheitliche Gründe" gibt er diffus an. Zur Art, Dauer und sonstigen Details der Behandlung: keine Auskünfte. Und weil der Mann beliebt ist, auch bei den Kollegen, will von denen kaum einer was zum Thema sagen. Vielleicht, um ihn zu schützen. Vielleicht, um sich selbst zu schützen, denn wer weiß, ob sich der eine oder die andere nicht regelmäßig mit dem schönen Fabio zum Teco-Teco getroffen hat - wie die Leute es hier nennen, wenn sich Menschen gesellig ein paar Lines reinziehen. Bekanntlich koksen die Wenigsten allein und im Showbiz-Milieu koksen bekanntlich nicht wenige. Aber darüber redet keiner so gerne.

Nicht mal als Inhalt für eine Novela – Brasiliens wichtigste Informations- und Erziehungsplattform - hat Drogensucht bislang eine Chance gehabt: Zu viel Angst haben die Quotenhörigen vor einer Ablehnung des Themas durch das Publikums. Lesbische Liebe, Prostitution, Aids, häusliche Gewalt – alles haben die Zuschauer in Novelas schon gesehen, diskutiert und schließlich geschluckt. Drogen traut ihnen keiner zu. Das bemerkt der Veja-Autor kritisch. Aber seinem eigenen Publikum traut er die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema offensichtlich ebenso wenig zu.

Der schöne Fabio hat seinem Outing im Nachrichten-Magazin bislang nicht widersprochen. Wahrscheinlich hat er Besseres zu tun. Ich hoffe, dass er seinen heimlichen Kampf tatsächlich gewinnt. Und danach Zeichen setzt: Vor allem für die Medien.

Foto: PR

Dienstag, 29. April 2008

Pech für Ronaldo

Irgendwie ist alles schief gelaufen in der Nacht vom Sonntag. Erholen von der erneuten Knie-OP sollte Ronaldo, das Phänomen, sich in der Heimat - und das war sicher nicht nur physisch gemeint. Am Sonntag ist der 31jährige Weltstar also in Rio zu einer Party des beliebten Vereins Flamengo gegangen. Dort traf er ein Mädel, das ihm gefiel. Als Andrea dem Fußballer erklärte, sie gehöre zur käuflichen Zunft, fand der das gar kein Hindernis, eher im Gegenteil: Er sei nur auf ein kleines Abenteuer aus, und habe keine Lust auf Komplikationen, Presse oder sonstigen Trubel, erklärte er der Fremden. Und dann verließen die beiden die Party und fuhren ins Motel Papillon.*

Soweit schien es, als würde der Plan mit dem Amüsieren ganz gut klappen. Als Andrea Albertine im Motel anbot, sie könne noch zwei Freundinnen einladen, stimmte Ronaldo zu. Oder ließ sich überreden, wer weiß.

Kurz darauf trafen die Freundinnen ein. Und damit ging die Pleite los. Die Damen waren nämlich keine echten Damen, sondern Transvestiten, und das sah man ihnen deutlich an. Im Gegensatz zu Andrea. Deren echter Name lautet André Albertino und auch er ist ein Mann. Muss eine ziemlich ernüchternde Erfahrung sein, wenn die geplante Gespielin für eine Nacht sich quasi auf der Bettkante als Kerl entpuppt. Ronaldo nahm die Enttäuschung mit Fassung. Er bot den Professionellen je 1000 Reais** an, damit sie weiterzögen und ihn auch künftig und vor allem vor der Presse in Ruhe ließen.

Eine guter Preis für Nichtstun: Die beiden Freundinnen akzeptierten sofort und erklärten glücklich, sie führen jetzt zur Cidade de Deus, Drogen kaufen.

Andrea hingegen war mit 1000 Reais nicht zufrieden. 50.000 schienen ihr angemessener. Als Pfand nahm sie kurzerhand die Kfz-Papiere an sich, die sie im Handschuhfach fand. Das wiederum war dem Phänomen zu viel: Die beiden gerieten auf dem Weg vom Parkplatz zum Tor in ein so lautstarkes Wortgefecht, dass die Motelleitung die Polizei rief, die den Fußballer für den nächsten Tag zur Vernehmung bat, und die Prostituierte gleich zur Aussage mitnahm.

Andrea ist erfinderisch: Die beiden Freundinnen seien nicht für sich, sondern für den Mann Drogen kaufen gefahren und sie habe ihre Arbeit gemacht, Leistung erbracht und kein Geld erhalten, sondern nur eine Garantie in Form der Autopapiere. Als sie soweit fabuliert hatte, lief die angeblich Geschädigte mitten in der vernehmung davon. Niemand lief ihr hinterher.

Ronaldo sagte in etwa aus, was hier wiedergegeben ist. Carla, eine der Transvestiten-Freundinnen, erschien gestern nachmittag bei der Polizei, um ihre Version zu Protokoll zu geben. Dass sie dabei in ein Blitzlichtgewitter der Journalisten geriet, schien sie sehr zu erfreuen. Augenblicklich erklärte sie sich bereit für Interviews - leider war niemand interessiert. Zum Abschluss der Angelegenheit will die Polizei im Viertel Barra da Tijuca noch die andere Professionelle vernehmen und Ronaldo erneut vorladen. Aber eigentlich ist der Fall bereits gelöst.

Vorläufige Bilanz der Nacht: Schnelle Kohle und ein bißchen Publicity für die beiden Herren Damen. Publicity auch für das Motel Papillon. Und Ronaldo, der sich nur ein bißchen amüsieren wollte? Muss noch mal aussagen. Und hatte jetzt schon reichlich Spesen für nix gewesen.

* es ist in Brasilien keinesfalls verwerflich zur Liebe ein Motel aufzusuchen, angesichts der oft beengten Wohnverhältnisse ist so etwas ganz normal

* Rund 400 Euro

Sonntag, 21. Oktober 2007

Ein richtig prominenter Überfall

"Brasilien ist genau das, was Sie sehen!“, sagte kürzlich der ehemalige Präsident Fernando Henrique Cardoso – und wehrte sich damit dagegen, ein geschöntes Bild des Landes zu zeichnen. Natürlich sieht in Brasilien jeder etwas anderes, der eine lobt positive Wirtschaftsdaten, der andere kritisiert immer reichlicher vergebene Hilfen zum Lebensunterhalt und der dritte zitiert vielleicht unvermindert erschreckende Kriminalitätsraten.

In Sao Paulo etwa gab es in den ersten neun Monaten dieses Jahres 235.028 Raubüberfälle, das heißt, im reichsten Bundesstaat des Landes wurde etwa alle zwei Minuten jemand überfallen (dazu kommen ausserdem knapp eine halbe Million einfache Diebstähle). Einzelne Überfälle machen deswegen keine Schlagzeilen.

Es sei denn, es handelt sich um einen prominenten Überfall. Der kann es bis auf die Seite Drei einer der grössten brasilianischen Tageszeitungen schaffen. Etwa so, als würde Günter Jauch auf der Seite Drei der Süddeutschen Zeitung ausführlich unter dem Titel schreiben: „Ich wurde überfallen!“ Luciano Huck, vermutlich der bestbezahlte brasilianische TV-Moderator, wählte für seine Offenbarungen in der Folha de Sao Paulo eine etwas dramatischere Überschrift. „Beinahe postume Gedanken“ nannte er die Überlegungen, die er anstellte, nachdem ihm ein bewaffneter Strassenräuber in Sao Paulo seine Rolex abgenommen hatte.

Um es gleich zu sagen: Sonderlich geistreich sind die Überlegungen des Publikumslieblings nicht. Hier ein paar Auszüge: Wo er doch alle seine Steuern zahle, habe er etwa anderes verdient. Wo er doch jeden Tag darüber nachdenke, wie er das Volk glücklicher machen könne, habe er so etwas nicht erwartet. Er hätte auch tot sein können, stellt sich der Mann vor und beklagt schon mal die trauernde Witwe, das trauernde TV-Publkum, die dann vaterlosen Kinder. Zwischendurch betont er, es gehe ihm nicht um die Rolex. Er beklagt also quasi selbstlos die absurde Kriminalität in dieser Stadt, ruft nach einem „Retter des Vaterlandes“ und behauptet schliesslich, ein fähiger Chef einer Sondereinheit der Polizei könne das Problem der Strassenräuber in einem Monat lösen.

Bei dem Überfall wurde Luciano Huck kein Haar gekrümmt - die auf seinen Artikel folgende Leserbrieflawine hätte den Mann fast erschlagen. Die gestohlene Rolex, deren Wert auf zwischen 10.000 und 50.000 Reais* beziffert wird – stellt viele Leser vor ein Moralproblem: Darf ein Rolexbesitzer sich beschweren, wenn er überfallen wird? Oder: Darf der Moderator einer der beliebtesten Jugendsendungen des Landes, in denen er seine meist mehr oder weniger bedürftigen Kandidaten auch mal fies bloß stellt, so tun, als sei er ein makelloser Gutmensch? Darf so ein Promi erst merken, dass Kriminalität existiert, wenn sie ihm selbst passiert? Oder noch drastischer: Lebt der überhaupt im gleichen Land wie wir?

Vielleicht war es Huck tatsächlich nicht klar, dass auch er mal überfallen werden könnte. Brasilien ist schließlich weltweit eines der Länder mit der größten sozialen Ungerechtigkeit, und in Hucks Kreisen verbringt man seine Freizeit auf der eigenen Insel in der Bucht von Angra oder im eigenen Hotel auf der Ökoinsel Noronha: da kommen keine Strassenräuber hin. Huck hätte tatsächlich bei dem Überfall erschossen werden können, wie er schreibt. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres ist das in Sao Paulo 67 Personen passiert – manchen sicher für weniger als eine Rolex. Und es gibt noch einen Unterscheid: Keines der Raubüberfallopfer in Sao Paulo oder sonstwo im Land hat sich bisher auf der Seite Drei der Folha de Sao Paulo ausweinen dürfen.

Anstatt diese Chance zu nutzen, um der Obrigkeit zum Beispiel zu erklären, wie sie die Kriminalität in Sao Paulos Strassen in 30 Tagen beenden könnte, hat Luciano Huck leider nur betont, wie schlecht die Welt und was für ein guter Mensch er selbst ist.

Der Polizeibeamte Roger Franchini schrieb als Antwort auf Hucks Artikel: „Ich verdiene 568,29 Reais** im Monat – dafür lasse ich mich nicht auf eine Schießerei mit Banditen ein, um Hucks Rolex wieder zu besschaffen.“

Ich glaube gar nicht mal, dass Huck seine Rolex so unbedingt wieder haben will. Ehefrau Angelica schenkt ihm sicher gerne eine neue. Nein, eher scheint es, als beschwere der Fernseh-Mann sich in seinem Artikel darüber, dass Gewalt nicht nur in TV-Spielfimen vorkommt. Und dass die Super-Helden der Polizei dagegen nur im Kino Wunder schaffen. Das eigentliche Problem ist: Brasilien ist kein Kino. Brasilien ist genau das, was Sie hier sehen. Jetzt auch Sie, Herr Huck.

* umgerechnet ca. 3800 bis knapp 20.000 Euro

** ca. 218 Euro

Samstag, 12. Mai 2007

Blöd gelaufen für den König

Für eine gewisse Kontrollsucht ist er bekannt. Täglich werden die Telefone in seinem Haus geputzt, jahrelang hat er die Farbe Braun nicht ertragen, und zu seiner Obsessiv-Kompulsiven Störung (OKS) steht er sogar öffentlich. Aber so weit ist er noch nie gegangen. Er hat es noch nicht einmal für nötig gehalten, einen öffentlichen Kommentar abzugeben. Zur Bücherverbrennung. Der potentiellen, muß man fairerweise hinzufügen. Denn noch ist es nicht sicher, ob die 10.700 Bücher tatsächlich verbrannt werden, oder vielleicht doch nur in 2,5 Tonnen Altpapier recycelt. 670 Kisten stehen schon im Privat-Depot des „Rei“ in Santo André, letzte Exemplare werden noch aus den Buchläden zurückgerufen. Auf der Bestsellerliste der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Veja“ rangiert das Werk noch auf Platz 5 – weitere Käufer wird es nicht geben.

Der Mann ist mächtig. Nicht umsonst nennt man Roberto Carlos, den erfolgreichsten Herzschmerz-Sänger Brasiliens, den „Rei“, den König. Der Mann mit den schütteren Haarsträhnen und dem Schmelz in der Stimme singt sich seit 45 Jahren in die Herzen der Brasilianer. Mehr als 75 Millionen Platten hat er in dieser Karriere verkauft, damit ist er bis heute die Nummer eins im Land und finanziell so unabhängig, wie man nur sein kann.

Wie die meisten Berühmtheiten sucht auch der Rei mit gezielt gepflegten Marotten ein schmeichelhaftes Licht auf sich selbst zu werfen. So gibt er sich gerne religiös – schon seit den 1970er Jahren, aber vor allem seit dem Tod seiner Ehefrau Maria Rita – der er nach ihrem Ableben ein ganzes Album und unzählige Texte gewidmet hat. Zu ihren Lebzeiten soll er es, wie die meisten Berühmtheiten, mit der ehelichen Treue nicht so genau genommen haben. Als das ein ehemaliger Angestellter den Fans unter dem Titel „Der König und ich“ verkünden wollte, wurde der Rei richtig wütend. Kann man ja irgendwie verstehen. Wer mag es schon, wenn ihm nachgesagt wird, bei Frauen sei er so gar nicht wählerisch, was grad komme, sei recht, wenn er spitz sei...

Diesmal liegt der Fall anders. Der Historiker – und Carlos-Fan – Paulo Cesar Araujo hat keinen Enthüllungsroman sondern eine Biographie geschrieben. Über einen Mann, der seit 45 Jahren im Rampenlicht steht. Über den bekannt ist, daß er als Kind einen Teil seines rechten Beins verlor und seitdem eine Prothese trägt – auch wenn er das nicht dauernd betont. Nicht nur Fans wissen, daß Carlos gelegentlich ein Kind im Krankenhaus besucht, wenn er davon hört, daß eines einen ähnlichen Unfall erlitten hat wie er damals, um dem KInd Mut zu machen – auch wenn der Star damit nicht prahlt. Über die Obsessiv-Kompulsive Störung, die mit Zwangshandlungen und wiederkehrenden Angstvorstellungen einhergeht, hat Carlos selbst ausführlich in der Presse gesprochen.

Gibt es noch Geheimnisse über Roberto Carlos? Aus Araujos Buch erfährt man sie jedenfalls nicht.

Warum also? Warum verhandelt der Superstar fünf Stunden lang mit dem Verlag, der die Biographie veröffentlicht hat, über moralische und materielle Schäden, die ihm das Werk beigebracht haben soll? Was meint sein Anwalt, wenn er sich auf Ehrverletzung beruft?

Konkret stört sich der Rei an drei Punkten des 504 Seiten-Schmökers.

1. Araujo erzählt von dem Zugunglück, das den Sänger Teile des Beins gekostet hat
2. Araujo erzählt von Carlos’ Sexualleben
3. Der Autor beschreibt die Todesstunde der krebskranken Ehefrau des Stars

Nichts davon ist ein Geheimnis. Carlos selbst hat zu all diesen Stichpunkten schon öffentlich gesprochen.

Und jetzt das. Ergebnis der zähen Verhandlungen beim Gerichtstermin zur gütlichen Einigung: Druckstopp. Auslieferungsstopp. Alle bereits gedruckten Bücher werden an Robeto Carlos ausgehändigt, der damit tut, was immer ihm beliebt.

Ein Detail ist dem Rei dabei entgangen: Die elektronische Version des Werks ist im Internet zu finden: als pdf-Datei zum Runterladen. Ungenehmigt. Unkontrolliert. Umsonst. Und sogar in mehreren Versionen.

Da hätte der König gar nicht so lange verhandeln müssen. Blöd gelaufen.

Donnerstag, 21. Dezember 2006

Das fluchende Aschenputtel

Das Aschenputtel heißt Tati und hat es geschafft: Letzte Woche war sie der Wochenzeitschrift Veja eine Doppelseite wert – und vielleicht ist das noch nicht mal das Ende des Märchens.

Es beginnt vor ein paar Jahren, als Tatiana Santos Lourenco noch in einer Kinderkrippe in der Favela Cidade de Deus kocht, 92 Kilo wiegt, und außer ein paar guten Partys nicht viel vom Leben erwartet. Eines Nachts steigt sie auf eine wackelige Bühne in einer der düsteren Buden voller Partywilliger ohne Geld, in denen in Rios Slums „Baile funk“ gefeiert wird. Damals kommen noch keine Muttersöhnchen zu den Bailes. Damals finden nur die anderen Mädels aus der Favela ziemlich gut, was die Dicke da auf der Bühne macht. Tati tut so, als gelte für sie kein Modediktat. Sie quetscht sich in die schlauchartigen Lycrajeans der angesagten Marke „Gang“, läßt den Bauch über den Bund schlabbern und dröhnt los. „Ich bin häßlich, aber ich bin in Mode“ heißt der Titel ihres erster Hits.

Bald schwappt der Funk Carioca auf die andere Seite der Welt: Die Musikgattung mit den simplen Melodien und den peitschenden Rhythmen, mit den einfältigen und eindeutigen Texten und den vulgären Choreografien gefällt den Wohlstandskindern überall. In Brasilien fehlt inzwischen auf keiner Party, in keiner Clubnacht der Funk, es gibt TV-Sendungen darüber, Miss-Funkeira-Wahlen und Fansites. Und in den Clubs in London, Paris, Barcelona und Berlin versuchen die europäischen Kids, ihre Hüften ebenso provokant kreisen zu lassen, wie die Brasilianerinnen.

Tati wird zum Star. Kein Wunder. Wir wollen auch so sein wie Tati. So ungeniert. So frech. So rotzig.

Die Frau schämt sich für nix. Erzählt freiwillig in der Reportage der Veja, daß sie sich nicht mehr an die Zahl ihrer Lover erinnern kann. Dass sie inzwischen mehr als 900 Gang-Jeans und 200 Paar Turnschuhe besitzt – danach hat sie aufgehört zu zählen. Dass sie mindestens 20 Schönheitsoperationen hinter sich hat und damit noch lange nicht Schluß ist. Von den 92 Kilo sind nur noch 57 übrig. „Alles abgesaugt“, sagt Tati stolz: „Allein am Rücken waren das neun Liter. Ich mach keine Diät, ich esse alles und viel davon!“

Tati ist jetzt 27 und hat sich von 300 Reais Mindestlohn vor ein paar Jahren auf bis zu 250.000 Reais im Monat verbessert. Das hat bisher für 15 Mietwohnungen in der Cidade de Deus, für ein Haus in Rio und eine Wohnung in Sao Paulo gereicht. „Sie ist bescheiden geblieben“, behauptet die offizielle Website. Tatsache ist: Tati wohnt immer noch in der Cidade de Deus und kennt die Kumpels von früher. Sie ist kaufsüchtig, zahlt ihrer Mutter 100 Reais am Tag dafür, daß die ihre Wohnung putzt, aber sie verschenkt nix und spendet nix. Sie mag keine Schecks, weil „die nur Illusion sind“, und läßt niemanden ihr Geld verwalten, weil „ich ja morgen wieder arm sein könnte".

Tati ist nicht bescheiden. Sie ist laut und provokant und vulgär wie vorher - nur eben mit viel mehr Geld. Ihr Künstlername „Quebra-Barraco“ heißt übersetzt: „die die Hütte zusammen schlägt“. Genau deswegen lieben wir sie: weil sie um sich schlägt, wenn ihr was nicht paßt, Egal wo. Letztens hat sie einem TV-Ansager, der seine kümmerliche Show mit ihrer Präsenz bis zum Schluss aufwerten wollte, ins Gesicht gesagt: „Ich hab jetzt in deiner verfickten Show gesungen und das wars, ich bleib hier verdammt nicht mehr, ich hau jetzt ab.“ Und weg war sie.

Tati pfeift auf PR, sie ist wie sie ist. Das ist ihre beste PR. Das ist das Märchen. Und das wünschen wir uns auch: Nicht wie das Original-Aschenputtel in der Ecke am Herd warten, bis der Prinz uns rettet. Sondern fluchen, wenn uns danach ist und überhaupt einfach sein, wie wir sind - und genau damit ganz groß rauskommen.

Inzwischen erwartet Tati eine Menge vom Leben. Ihre nächsten Pläne: Silikonimplantate in den Allerwertesten pflanzen, einen Jeep Marke Hilux kaufen, ein Restaurant-Club aufmachen, für Aktfotos Modell stehen...

* ein Real entspricht zurzeit etwa 0,35 Euro
 
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