Dienstag, 10. Januar 2006

Doch kein Treffen mit dem Papst

Gestern ging es schief. Bis gestern war der 28jährige Erivandro Férrer de Lima durch das Hinterland des Bundesstaates Ceará gezogen. Das Hinterland des Ceará ist so trocken, dass die Bauern dem Vieh in manchen Sommern Kaktusse zu fressen geben, weil die wenigstens einen Rest Wasser enthalten. Meistens verdurstet in der wüstenähnlichen Steppe trotzdem ein Teil der Herde. Manchmal verhungern Kinder. Im Inneren des Ceará glauben die Menschen inniger als anderswo. Es bleibt ihnen sonst nicht viel Hoffnung.

Da kommt einer wie Erivandro gerade recht. Einer, der feurige Messen betet, mit den Bewohnern der abgelegensten Winkel. Wo es einen Pfarrer gibt, betet er mit dem zusammen. Und dann erzählt er von der großen Karawane der Gläubigen, die er gerade zusammenstellt. Diese einzigartige Karawane soll im Mai im Bundesstaat Sao Paulo im Süden des Landes mit Papst Bento XVI zusammentreffen. Den Papst sehen! Wer wollte das nicht? Was für ein unerhoffter Lichtblick im Steppenleben! Nicht ganz billig zwar, aber Sao Paulo ist weit und der Papst kommt nicht alle Jahre vorbei. 175 Reais – die Hälfte eines Monatslohns von einem Landarbeiter – verlangt Erivandro als Anzahlung. Weitere 375 Reais sollen die potentiellen Karawanenmitglieder in fünf Raten bezahlen. So wirbt der begnadete Redner nach jeder Messe. Und die Gläubigen zahlen an und freuen sich und können ihr Glück kaum fassen.

Die fünf Rest-Raten werden jetzt allen erlassen. Denn gestern ging es schief. Da wollte Erivandro zwei Damen vom Verkehrsamt Detran für seine Karawane gewinnen. Vielleicht hatten sich seine Argumente schon abgenutzt. Vielleicht hatte er einen schlechten Tag. Vielleicht paßte er einfach nicht in die Stadt mit seinen Versprechungen. Die Damen jedenfalls machten, was nicht einmal den Pfarrern im Inneren des Ceará eingefallen war: sie wurden misstrauisch. Trotz der sanften Worte des Erivandro riefen sie die Polizei. Das störte den professionellen Papst-Treffer zunächst wenig: er zeigte den Uniformierten einfach einen hübschen Ausweis der brasilianischen Bischofskonferenz. Doch der überzeugte die beiden Gesetzeshüter nicht. Da behauptete der Mann, er gehöre der Brasilianischen Freikirche an. Die gehört gar nicht zur Bischofskonferenz. Als das auch nichts half, und der Pseudo-Prediger tatsächlich eine offizielle Aussage machen mußte, leugnete er rundweg alles, was er vorher gesagt hatte und gab statt dessen an, er studiere seit 2003 Philosophie in Belo Horizonte. Eingesperrt wurde er trotzdem.

Nun wird es keine Karawane der Gläubigen geben. Wahrscheinlich wird keiner der Menschen vom Inneren des Ceará den Papst Bento XVI treffen. Aus ist es mit dem unverhofften Lichtblick im Steppenleben. Wäre nicht gestern alles schief gegangen, womöglich wäre der falsche Prediger Erivandro tatsächlich mit den Gläubigen nach Sao Paulo gefahren. Die Pfarrer hatte er schließlich alle überzeugt. Warum müssen sich die öffentlichen Angestellten nur immer in alles einmischen!

Samstag, 7. Januar 2006

Teure Vaterjagd

Im Bundesstaat Sao Paulo werden neuerdings säumige Väter gezwungen, ihre Nachkommen anzuerkennen. Erst müssen sie zum DNA-Test und dann ins Standesamt, die Kinder registrieren lassen. Angefangen hat die Vaterjagd im Städtchen Mirassol – demnächst wollen die anderen Gemeinden des reichsten Bundesstaates Brasiliens nachziehen.

Uneheliche Kinder sind nichts Besonderes in Brasilien. Nach offiziellen Statistiken lebt ungefähr jedes dritte Kind ohne seinen Vater. Nach meinen privaten Schätzungen gibt es kaum einen Mann über 20, der nicht mindestens ein Kind gezeugt hat – und nicht mit dessen Mutter zusammen lebt. Wenn sie noch sehr jung sind, lassen die jungen Mütter ihren Nachwuchs gerne bei der Oma und machen sich auf zu neuen Leben, neuen Lieben – und womöglich neuen unehelichen Kindern. Wenn sie Glück haben, bekommen die ledigen Mütter staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt: die „Bolsa familia“. Sie geht inzwischen an 11 Millionen brasilianische Familien und wird in 93 Prozent der Fälle an Mütter oder Großmütter ausgezahlt. Männer sind zum Zeugen da. Beinahe ein Drittel der brasilianischen Haushalte wird von Frauen geführt.


So wie bei meinen Nachbarn im Eckhaus. Die Mutter hat sechs Kinder in die Welt gesetzt - jedes von einem eigenen Vater, und keiner ist bei der Familie geblieben. Als der Jüngste drei war, ist die Mutter an Brustkrebs gestorben. Seitdem kümmert sich ihre unverheiratete Schwester um die drei Kleinsten. Sie leben in einem Einzimmerhaus und schlagen sich mit allerlei staatlichen Hilfen durch. Wenn am Monatsende Geld für den Bus übrig bleibt, fahren die Knirpse manchmal auf Bitt-Tour zu ihren Vätern. Gelegentlich kommen sie sogar mit ein bißchen Geld zurück. Meistens fehlt hinterher nur das Busgeld in der knappen Haushaltskasse. Achtung: Dies ist kein repräsentatives Beispiel. Statistisch belegt ist nur, dass beinahe die Hälfte aller alleinerziehenden Mütter unterhalb der Armutsgrenze lebt.


Da kann es nicht schaden, die Väter mal in die Pflicht zu nehmen. Erfinder der neuen Vaterjagd von Sao Paulo ist der Staatsanwalt José Heltor dos Santos. Er hat in allen Kinderkrippen von Mirassol die Akten durchgesehen. Wo kein Vater für das Kind eingetragen war, hat er sich die Mutter vorgeknöpft. „In 90 Prozent der Fälle wussten die ganz genau, wer der Vater ist“, sagt der Gesetzesvertreter stolz. Sein Druck auf die Väter war durchaus erfolgreich: Die Hälfte hat ihren Sproß schon anerkannt, die andere Hälfte wartet noch auf das Ergebnis des DNA-Tests.


Den teuren Test zahlt die Staatsanwaltschaft, denn dos Santos hat festgestellt, daß bei der Mehrzahl der jugendlichen Kriminellen „Vater unbekannt“ in der Geburtsurkunde steht. „Ich nehme an, daß die väterliche Abwesenheit viele Jungs ins Verbrechen treibt“, schliesst er daraus. Und meint damit wohl vor allem die väterliche Abwesenheit auf der Geburtsurkunde: Ausser der Unterschrift im Standesamt bekommen die alleinerziehenden Mütter in Sao Paulo von den offiziell gemachten Vätern nämlich nichts. Mehr als acht Prozent aller Grundschüler in Sao Paulo haben den Vermerk „Vater unbekannt“ in der Geburtsurkunde stehen. Jeder DNA-Test kostet mehr als 300 Euro. Eine teure Vaterjagd wird das.
 
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