Donnerstag, 22. Oktober 2009

Franceneto, cabra da peste und demnächst Präsident?


Das ganze Dilemma der Lula-Nachfolge könnte so einfach gelöst werden. Dass er da noch nicht drauf gekommen ist! Während der mangelnde Charme seiner Bevorzugten Dilma durch die Kandidatur der grünen Marina noch stärker zu stören scheint und die Truppe um den Präsidenten verzweifelt hier und da Unterstützungs-Alliancen für die harsche Lady strickt, steht einer auf Abruf im Hintergrund. Dass Popularität allein schon für politische Ämter qualifiziert, ist bekannt. Vor allem, seit die Regelung für Wahlwerbung restriktiver geworden ist, gereicht ein bekannter Name zu Vorteilen auf dem Weg in die Politik.

Der inzwischen verblichene Designer Clodovil hat es vorgemacht: kein nennenswertes Programm, aber der meistgewählte Abgeordnete Sao Paulos. Romário, Ex-Fußballer und so pleite, dass er zwangsweise auf den Rasen zurück kehrte, ist kürzlich außerdem einer Partei beigetreten, deren Namen er sich zwar nicht merken kann, für die er aber als Abgeordneter kandidieren will. Der gutaussehende Hauptdarsteller der letzten Acht-Uhr-Tele-Novela, André Gonçalves, will ebenfalls kandidieren. Und auch Ex-Big-Brother Kléber "Bambam"will in die Politik. So gesehen träumt Frank einen verbreiteten Traum. Allerdings belässt er es nicht beim Träumen: 2006 bekam er bei seiner Wahl zum Abgeordneten die drittmeisten Stimmen aller Kandidaten seiner Partei. Kein schlechtes Ergebnis - so aus dem Stand. In diesem Jahr wird ein Film über Franks Leben gedreht – ein weiterer Pluspunkt auf Stimmenfang.

Es geht stetig aufwärts: Längst hat der Nachwuchs-Politiker den Abgeordneten-Job gegen den des Vize-Bürgermeisters in seinem Wohnort Sao Bernardo do Campo getauscht, wo es bereits ein Frank-Aguiar-Museum und eine Straße seines Namens gibt. Lula persönlich soll ihm vorgeschlagen haben, dafür anzutreten. Mit dem ist er seit vielen Jahren so gut befreundet, dass der brasilianische Präsident bei Frank schon zum Grillen war. Bei der Gelegenheit hat er in einer der sieben Suiten des Hauses übernachtet, die seitdem „Präsidentensuite“ heißt. Als Gilberto Gil sich aus der Politik verabschiedete, munkelten manche, Frank könne ihn als Kultusminister ablösen. Schließlich sind beide Musiker. Erhebt Gil, Mitbegründer der Bewegung Tropicalismo mit seinen Texten und Musik intellektuelle und politische Ansprüche, und musste deswegen unter der Militärdiktatur ins Exil gehen, hat Frank sich als Alleinunterhalter den Beinamen „Das Hündchen an der Hammondorgel“ verdient, weil er bei seinen Auftritten gelegentlich „au, au“ machte, wenn ihm der Text nicht mehr einfiel. Das sexy „au“ gehört inzwischen zu fast allen Songs, die mit Texten glänzen, wie „.Komm her reife Frau, komm her heiße Frau, das Sprichwort sagt: gewaschen, getrocknet, ist sie wie neu….“

Einer, der vor nur 15 Jahren aus dem armen Piauí auszog, und bereits Millionär und Vizebürgermeister in Sao Paulo ist, der kann alles werden. Sogar Präsident. Oder? Der Zeitschrift Veja sagt der Sänger und Politiker: „Ich bin ein Auserwählter“. Einer, der seinen Namen Franceneto da Luz Aguiar in einen international tauglichen „Frank“ ummünzt, überlässt auch sonst wenig dem Zufall. Frank Aguiar hat in den vergangenen 15 Jahren nicht nur – nach eigener Aussage - fünf Millionen Platten verkauft. Er hat außerdem einen Universitäts-Abschluss in Jura gemacht und arbeitet gerade an einem Master in öffentlicher Verwaltung. Anders als Präsidentschafts-Kandidatin Dilma, die erst Ende des vergangenen Jahres entdeckte, dass in Brasilien auch Politikerinnen dem Diktat der Schönheit unterliegen, ist Franceneto von Natur aus eitel: Jede Woche Maniküre, Lymphdrainage und regelmäßige Haarkuren für den Künstler-Pferdeschwanz gehören bei ihm längst zur Routine. Parfüm von Gaultier ist sein Markenzeichen.

Inhaltlich steht er ganz auf der Linie seines Grillkumpels Lula. „Ich interessiere mich für die menschliche Wärme der Arbeiter-Mutter, die uns umarmt und anfeuert. Ich interessiere mich für die Probleme der Ärmsten, für die Schwierigkeiten derjenigen, die bei den Entscheidungen der Politiker außen vor bleiben, und für die Ängste derjenigen, die immer noch im Kerker der sozialen Ausgrenzung leben“, beschreibt er sich auf seinem Blog. Vielleicht hat er sich das in den vielen Jahren als offizieller Wahlparty-Musiker der Arbeiter-Partei PT abgehört. Vielleicht hat er es auch selbst erfunden. Selbst jedenfalls lebt er nicht unbedingt bescheiden. Neben dem Personal in der Sieben-Suiten-Villa beschäftigt er 40 Berater und Assistenten. Je eine Truppe für sein öffentliches Leben, für sein Leben als Künstler und für sein Privatleben. Einer ist nur damit beschäftigt, dem Vielbeschäftigten die wichtigsten Filme und Bücher auszuwählen und zusammenzufassen. Ein anderer legt ihm die Kleidung für jeden Anlass zurecht. Eine dritte unterrichtet ihn in Rhetorik und hat ihm beigebracht, dass er „bei Reden keine Witze reißen soll“.

Das mag einem schwerfallen, der als Vize-Bürgermeister gerne bei Leuten aus dem Volk anruft und ankündigt: „Brat mal zwei Spiegeleier, ich komm dann zum Mittagessen“. Aber Lula ist ja bestes Beispiel dafür, dass einem beliebten Mann auch schlechtere Witze gern verziehen werden. Und Frank hat noch einen weiteren Pluspunkt vorzuweisen. Er ist nicht korrupt, sagt er. In seinen eigenen Worten heißt das: „Ich gehöre nicht zu den Hurensöhnen von Politikern, die dem Volk Geld stehlen.“

Da im Piauí, wo er herkommt, gibt es einen Ausdruck für Leute wie ihn. „Cabra da peste“ sagen sie da zu einem, der ein echter Kerl ist.

Foto: areavip.com.br

Samstag, 17. Oktober 2009

Plopp, da war die Kröte

Manche mögen allmählich denken, ich erfinde diese Tiere. Manchmal glaube ich selbst kaum daran, dass sie echt sind. Deswegen habe ich diesmal gleich das Original fotografiert. Und darüber andere, womöglich wichtigere Handlungen vergessen. Aber der Reihe nach. Letztens beim Zähneputzen wurden plötzlich meine Füße nass. Der Zusammenhang erschloss sich mir nicht sofort. War ja auch noch früh am Morgen und ich nicht ganz wach. Beim Gesicht Waschen wurden meine Füße noch nasser. Ein bisschen Anschauung im Bad brachte mich auf folgende Lösung des Rätsels: Das Wasser aus dem Waschbecken fließt in ein Abflussrohr, das einen zweiten Zulauf am Fußboden des Bades hat. Und was oben gerade abgeflossen war, spülte mir nun unten die Füße. Unschön.

Ich weiß, ganz Brasilien singt derweil fröhlich „wir sind Olympia“, wer nicht singt, bereitet sich auf die WM in Südafrika vor, andere nutzen die Gunst der Stunde, sich schnell illegal die Taschen zu füllen - und überhaupt gibt es viel Wichtigeres als eine Überschwemmung im Bad. Deswegen wollte ich das Problem so schnell wie möglich lösen. Stocherte also mit einem dicken Draht in dem unteren Abflussloch herum. Und brachte tatsächlich ein bisschen Sand und Laub zutage. Laub findet man in deutschen Abflüssen seltener, weil in deutschen Häusern zwischen Wohnraum und Dachziegeln meist ein Dachboden ist und also das Laub nicht einfach so durch Lücken zwischen den Ziegel herein flattern und womöglich unbemerkt heimtückisch daran arbeiten kann, Abflüsse zu verstopfen. Es gelang mir, noch ein wenig mehr Laub zu angeln, aber nicht sehr viel. Nicht genug, um das Problem zu beheben.

Die nächsten Tage übte ich also, mir mit möglichst wenig Wasser den Mund auszuspülen. Das Gesicht wasche ich seitdem in mehreren Etappen. Die verkraftet der Abfluss.

Gestern wollte ich das Bad putzen. Mit ungesund riechenden chemikalischen Zusätzen namens Pinho Sol: Falls es wegen des drohenden Wasserstaus nicht richtig sauber werden würde, hatte ich mir überlegt, sollte es doch wenigstens nach geputzt riechen. Fröhlich schrubbte ich den etwas sandigen Boden, die Dusche und die Wände und goss schließlich schwungvoll den letzten Rest Pinho-Sol-Putzwasser Richtung Abfluss.

„Plopp“ machte es da. Und wie im Märchen ploppte plötzlich eine kleine Kröte aus dem Abflussrohr in die Überschwemmung. Saß da auf dem Badezimmerboden und erzählte mir leider nichts von drei freien Wünschen. Die Kröte sagte gar nichts, sie saß nur da. Und ich rannte los, den Fotoapparat zu holen, damit mir das auch jemand glauben würde. Beim Fotografieren fiel mir auf, dass die Kröte beinahe exakt die Rohrgröße hatte. Sie musste sich nur ein winziges bisschen lang machen, um wieder in dem Rohr zu verschwinden. Weg war sie, als sei sie nur zum Fototermin aufgeploppt. Die Kröte war die Verstopfung, ganz klar!

Mein Vermieter fand das auch. Ich hätte es gleich ausprobieren sollen, kritisierte er, als die Kröte aus dem Rohr raus geploppt war, sofort das Wasser aufdrehen. Recht hatte er, aber ich musste ja fotografieren. Macht nichts, meinte er, schütte einfach wieder Pinho Sol in das Rohr. Dann wird sie wieder vor den Chemikalien flüchten, du nimmst sie und trägst sie tief in den Wald hinein, damit sie den Weg nicht mehr zurück findet. Kennt sich jemand mit dem Orientierungssinn von Kröten aus? Ich nicht. Ich machte mich auf eine weitere Wanderung gefasst.

Chemikalien in ein Rohr zu gießen, das verstopft ist, ist gar nicht so einfach. Ich träufelte den Krötenschreck über einen geraumen Zeitraum liebevoll hinein und wartete ab. Es geschah nichts. Keine Kröte. Kein Plopp. Keine Wanderung. Leider floss das Wasser trotzdem nicht ab. Wahrscheinlich hat das Krötentier die märchenhaften Wünsche einfach selbst genutzt und sich zuerst gewünscht, dass so ein Pinho Sol auf der Krötenhaut nicht mehr jucken sollte.

Bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als morgen im Garten nach dem Rohr zu graben.

Foto: Wollowski

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Vertreibung im Namen des Fortschritts


Hier in Pernambuco wird ja viel vom Fortschritt geschwärmt. Der Fortschritt ist vor allem der neue Industriehafen von Suape, und der soll der Wirtschaft des Bundesstaats einen ungeheuren Schub geben. Pernambuco wächst wie noch nie, heißt es. Zigtausende von Arbeitsplätzen werden entstehen, heißt es. Welchen Preis das hat, schreibt natürlich lieber keiner. Ich will auch gar nicht behaupten, ich wüsste genau, was es für Auswirkungen hat, wenn einerseits Mangrovensümpfe massenhaft trocken gelegt und andererseits neue Fahrrinnen für Cargoschiffe ausgebaggert, Flüsse umgeleitet oder versandet werden.

Natürlich sind die vielen neuen Arbeitsplätze nicht für die Einheimischen. Die haben fast alle viel zu wenig gelernt, um auch nur als Bauhelfer dabei zu sein. Die Neuen kommen aus Bahia und dem Süden, manche jetzt schon aus dem Ausland. Ein Teil der zugezogenen Arbeiter wohnt im Nachbarort Gaibu. Weil die sogenannten Peoes irgendwo essen und schlafen müssen, wird in Gaibu gebaut wie noch nie, und die Mietpreise haben sich im letzten Jahr ungefähr verdoppelt: Für die Firmen ist es immer noch billiger, vier Arbeiter in einer vollkommen überteuerten Mietwohnung unter zu bringen, als in einem Hotel. Jeder, der einen Löffel halten kann, eröffnet ein Restaurant oder bietet Mahlzeiten zum Mitnehmen an. Und morgens um sechs, wenn die großen Firmenbusse ihre Mitarbeiter abholen kommen, stehen Hunderte von Männern in knallroten Blaumännern überall an den Straßen. Manche Leute finden das einen schönen Anblick, weil Ausdruck des Fortschritts. Eine Bekannte findet es toll, dass es jetzt so viel Männerauswahl gibt. Ich fahre noch seltener nach Gaibu als vorher.

Am Wochenende haben mich Freunde zu einem Ausflug eingeladen. Mit einem kleinen wendigen Segler sind wir über den Fluss übergesetzt auf die Insel Tatuoca. Dort wohnen ein paar Dutzend Familien, darunter Dona Dete, die Tante der Bekannten. Tatuoca ist flach und sandig, mit Salinen, Mangroven und Waldstücken. Dona Dete wohnt in einem kleinen Haus aus Holz. Direkt am Wasser. Im Garten wachsen Papayas, Cashews, Kokospalmen. Ein paar Hühner streifen durch die Gegend. Auf der hinteren Terrasse im Lehmofen brennt den ganzenn Tag ein kleines Feuer, auf dem sich jederzeit ein Tässchen Kaffee brühen lässt oder ein Essen bereiten. Normalerweise ist Dona Dete hier allein mit ihrem Neffen. An Wochenenden kommt manchmal Besuch.


Außer uns war eine andere Nichte von Dona Dete da. Die hatte den größten Teil ihres Lebens auf Tatuoca und der benachbarten Insel Cocaia verbracht. In einem kleinen Häuschen direkt am Wasser. „Man musste keine zehn Schritte tun, um Muscheln zu suchen“, erinnert sie sich. „Bei Flut schwammen die Fische um unsere Terrasse herum.“ Als die Industrie sich nach Cocaia ausdehnte, ist sie vertrieben worden. Bekam eine gesetzlich festgelegte Entschädigung in die Hand gedrückt und eine Räumungsfrist von 15 Tagen. „Ich habe damals mehr geweint, als am Tag, an dem mein Vater gestorben ist“, erinnert sich die Nichte. Inzwischen wohnt sie seit mehr als zehn Jahren viele Kilometer entfernt im Landesinneren.

Dona Dete ist über siebzig, aber sie fegt ihren Garten jeden Tag selbst mit dem Reisigbesen. Nur das Trinkwasser kann sie sich nicht mehr selbst holen, denn dafür müsste sie über den Fluss rudern. „Sie wollen uns ja jetzt hier auch weg haben“, sagt sie, „ich weiß gar nicht, was ich machen soll, ich kann halt nicht mehr wie früher“. Und guckt auf ihren Garten und die Hibiskusbüsche. Es gibt Pläne, dass eine Siedlung für alle Bewohner von Tatuoca gebaut werden soll, auf dem Festland. Dort soll jeder Vertriebene ein Häuschen bekommen. „Aber wie werden sich denn die Leute gewöhnen?“, fragt sich Dona Dete. „Wer hier in dieser Freiheit gelebt hat, soll auf einmal in einer Siedlung wohnen, mit dem Nachbarn gleich nebendran?“ Ihr Holzhäuschen hat kein Schloss. Braucht es auch nicht. Manchmal übernachten Besucher im Garten in der Hängematte. Wenn frisch der Wind weht, stören dabei nicht mal Moskitos.

Die Kinder der Bekannten sammeln ein paar Kakteen und Orchideen zum Mitnehmen für ihren Garten. Sie paddeln im Ruderboot zur Insel Cocaia, deren langer weißer Sandstrand noch nicht für Tagesbesucher gesperrt ist. Bemalen sich mit Lehm und sammeln Muscheln, die sie gleich roh verputzen.



„Andere gehen mit ihren Kindern ins Shopping-Zentrum“, sagt mein Bekannter. Das ist vermutlich auch eine Art Fortschritt.


Fotos: Wollowski

Montag, 5. Oktober 2009

Beamte und die Bildung


Brasilianer, wenigstens hier im Nordosten, lieben Alliterationen bei den Namen ihrer Kinder. Wenn es zu viele Kinder werden und die Fantasie bei der Namenschöpfung erschöpft ist, kann das so enden wie bei meiner Vermieterin. Sie heißt Lenilda, aber in ihrem Paß steht Genilda, weil bereits eine ihrer älteren Schwestern als Lenilda registriert war. Zugegeben ein vergleichsweise geringfügiges Problem.

Präsident Lula soll kürzlich ganz entgegen seiner Gewohnheit gesagt haben, ohne Bildung käme niemand in Brasilien ins Präsidentenamt. Vielleicht schafft das nach ihm wirklich niemand mehr, seine Kandidatin Dilma hat sich ja vorsichtshalber gleich zwei Universitätsabschlüsse in den Lebenslauf geschönt. Woanders hin kommt man in Brasilien allerdings durchaus ohne Bildung. Beamte ohne Bildung kosteten Gilson Ramalho da Costa kürzlich zehn Tage seines Lebens.

Der 38-Jährige war arbeitslos und wollte sich einen Job suchen. Als Putzhilfe. Egal. Die Hauptsache war für ihn, seine Mutter, bei der er wohnte, ein bisschen unterstützen können. Gilson hatte sogar Chancen auf eine feste Arbeit. Es fehlte ihm nur ein Führungszeugnis, dann würde er eingestellt, hatte man ihm in der Personalabteilung gesagt. Also ging er los, sich ein solches Zeugnis zu besorgen. Und dann kam alles anders als geplant. Gilson wartete noch am Schalter, als drei Männer mit einem Dokument auftauchten, das sie als Haftbefehl bezeichneten.
„Gilson, du bist verhaftet“, hieß es plötzlich und ab ging es in eine Massenzelle, in der nicht einmal auf dem Boden genug Platz war, als dass alle dort Inhaftierten sich zum Schlafen hätten hinlegen können.

Gilson hat den Haftbefehl gesehen, Gilson kann lesen. Da stand nicht sein Name, sondern Gerson Ramalho da Costa. Es ist nicht bekannt, ob die in den Fall verwickelten Vertreter der Polizeigewalt lesen konnten. Gilson jedenfalls versuchte vergeblich, ihnen klar zu machen, dass sie mitnichten Gerson inhaftiert hatten. „Wieso stehen dann hier die gleichen Namen bei den beiden Eltern, wie in deinem Ausweis“, fragten die Beamten zurück. „Ganz einfach, weil Gerson mein Bruder ist“, erklärte Gilson. Nutzte ihm alles nichts. Er blieb zehn Tage im Knast.

Derweil hatte der schuldige Bruder den Haftgrund längst aus dem Weg geschafft: Es ging um umgerechnet weniger als 200 Euro Unterhalt, die Gerson seiner Ex-Frau schuldete. Die beiden hatten sich längst geeinigt, als es nach zehn Tagen endlich einem Anwalt gelang, den Unschuldigen Gilson frei zu bekommen. Der will jetzt den Staat auf umgerechnet um die 75.000 Euro Schmerzensgeld verklagen.

Mehr Bildung bewiesen ebenfalls in Sao Paulo bereits vor längerer Zeit ein paar Streifenpolizisten. Die guckten ziemlich genau hin, als sie einen hübschen neuen Toyota in einer Verkehrskontrolle vor sich hatten. Der Name stand gleichlautend auf dem Nummernschild und in allen Fahrzeugpapieren. Obwohl die Hauptstadt des Bundesstaates Santa Catarina mehr als 700 KIlometer entfernt war und den Beamten nicht jeden Tag ein Pkw mit Kennzeichen von dort unter die Augen kam - irgendwie sah das komisch aus:

Frorianopolis*

stand da. Geistesgegenwärtig nahmen die Beamten den Fahrer auf der Stelle fest.

* Die Hauptstadt von Santa Catarina heißt Florianopolis.

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Schlechtes Karma und schlaflose Nächte


Was ist schlimmer, schlechtes Karma oder schlaflose Nächte? Letztens bin ich mitten in der Nacht von seltsamen Geräuschen wach geworden. Klang so, als würde jemand an den Dachziegeln rütteln. Genaueres Hin-Lauschen ergab, dass das Geräusch vom Dachfirst kam. Innen. Taschenlampe geholt, geleuchtet. Da guckte ein Tier auf mich runter. Mit rundlichen weißen Ohren, einem gestreiften Gesicht und einem Körper, den es lang und platt zwischen Dachbalken und Dachziegel gequetscht hatte. Wozu es da eingeklemmt war? Keine Ahnung. Während wir uns so anstarrten, schlängelte es sich in Zeitlupe weiter, Dachziegel anhebend, den langen nackten Schwanz um den Balken geschlungen.

Von unten bellten die Hunde den Eindringling wütend an, was den wenig kümmerte, waren schließlich beruhigende drei Meter Höhenunterschied zwischen ihm und den Bellern. Mein Kater, dem die Höhe wenig ausmachen würde, saß still und unauffällig in einer Ecke des Wohnzimmers – wahrscheinlich fürchtete er sich vor dem Tier, das deutlich größer war als er. Und ich starrte. Tiere töten bringt schlechtes Karma, fiel mir ein. Weil ich außerdem weder ein Waffe noch eine gute Idee hatte, ging ich irgendwann wieder ins Bett.

Am nächsten Tag suchte ich Rat bei Freunden und Nachbarn. Eie Freundin sagte: Das sind zwei. Die leben als Pärchen und haben garantiert längst ein Nest auf dem Dach, das musst du ausheben. Und warnte: die fressen Hühner und auch manchmal Katzen. Sie bezeichnete das Tier als Timbú.

Timbú, weiß ich inzwischen, ist ein typischer Ausdruck aus Pernambuco, der ein Beuteltier benennt, das anderswo Gambá genannt wird, sich von Früchten, Getreide oder Kleintieren ernährt und Nester gerne in Bäume baut. Der Cashew-Baum des Nachbarn reckt seine Äste weit über mein Dach. Darin versteckt sich womöglich das Nest. Gambá-Kinder zu töten bringt sicher doppelt schlechtes Karma.

Also habe ich Gift gelegt. Fies und gemein und in zwei Varianten. Einmal Rattengift in einem Schälchen, zwischen Dachbalken geklemmt, sodass auch sicher nicht die Katzen dran kommen. Das ist für Nagetiere, Gambás sind Nagetiere, also funktioniert das – so die Argumentationskette des Verkäufers. Und einmal in Form von Zementpulver, mit Maisschrot gemischt: den Zement sollen die Nager versehentlich mit verschlucken, und dann innerlich zementieren. Bringt sicher auch schlechtes Karma. Falls es je dazu kommt. Denn die Giftgaben sind auch nach zwei Nächten unberührt.

Mein Bekannter sagt: Die kommen Pferdefutter fressen. Und weil es das bei dir früher im Schuppen gab, bist Du auf deren Route gelandet. Der nächtliche Besucher war ein Späher, der hat nichts Fressbares gefunden, also kommen sie in ein paar Wochen wieder nachsehen. Die wirst du nicht mehr los!

Meine Bekannte sagt: Die kommen die Küken deiner Nachbarin fressen. Und schleichen sich über dein Haus an. Und weil sie nie die ganzen Tiere fressen, sondern nur die Innereien, werden sie hinterher die Leichen bei dir liegen lassen. Dann glaubt deine Nachbarin, dein Kater sei der Mörder gewesen.

Im Internet heißt es: Gambás sind immun gegen Schlangengift, nur eine Dosis, die 4000 Mal stärker wäre als um einen Bullen zu töten, brächte einen Gambá um. Und sie fressen nicht nur Hühner, sie schlürfen auch Hühnerblut direkt aus der Arterie.

Abends sitzt mein Kater jetzt oft auf einer der Zwischenwände, die nicht bis zum Dach hoch gezogen in Fischerhäusern die Zimmer voneinander trennen. Dann starrt er auf die Dachbalken. Keine Ahnung, ob er da etwas sieht oder riecht oder nur auf eine Chance wartet, seine Feigheit vom letzten Mal wett zu machen.

Ich wache inzwischen mehrmals pro Nacht von Geräuschen auf. Die sich dann jedes Mal als eingebildet heraus stellen. Meine Füße setze ich auch tagsüber nur noch vorsichtig auf – immer darauf gefasst, in eine von Innereien befreite Kükenleiche zu treten.

Mein Nachbar nennt das Tier Cassaco und empfiehlt eine Lanze. Nachts bereit gestellt, neben dem Bett. Beim leisesten Geräusch aufspringen und zwischen Balken und Ziegel zielstrebig zustechen. Kaltblütig abmurksen. Und dann glücklich weiter schlafen.

Seit gestern denke ich darüber nach, wie ich mir am besten eine Lanze baue. Ob schlechtes Karma wohl Schlaflosigkeit verursacht?

Foto: Daniel Lavenere
 
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