Mittwoch, 25. November 2009

Schon wieder...

... eine Pause. Bin bei unseren europäischen Nachbarn - in Französisch Guyana - unterwegs. Wenn ich heil aus der grünen Hölle zurück komme, melde ich mich Mitte Dezember wieder. Und hoffe, dass bis dahin weder Lina Dominanski, noch die Fledermaus die Gewalt über mein Haus übernommen haben. Dazu dann mehr.

Sonntag, 22. November 2009

Zeit ist Geld

Manchmal funktioniert das öffentliche brasilianische Gesundheitssystem hervorragend. Zum Beispiel fahre ich nächste Woche nach Französisch Guyana, und für die Einreise ist eine Gelbfieberimpfung vorgeschrieben. Also habe ich bei unserer dörflichen Gesundheitsstation angerufen, um höflich anzufragen, wo ich so eine Impfung bekommen kann. Schon am nächsten Tag hat mich eine freundliche Dame in der Gesundheitsstation des nächsten Orts geimpft. Vollkommen kostenlos, ich musste nur mein Flugticket in die gefährdete Region vorlegen. Nicht einmal warten musste ich.

Das mag daran liegen, dass nicht so viele Menschen Gelbfieber-Impfungen brauchen. Normal ist eher, was ich erlebt habe, als ich einen Allergietest machen wollte. Zuerst saß ich auf der Wartebank hier im Dorf, bis der Allgemeinarzt mich vorließ. Der plauderte recht nett über seine Erfahrungen mit deutscher Literatur, empfahl mir ein gaaaanz neues Medikament und schrieb mir schließlich den Überweisungsschein zum Hautarzt im nächsten Ort. Zu dem konnte ich damit aber nicht etwa einfach gehen. Zuerst musste ich im Morgengrauen in einer weiteren Schlange ausharren, um unter Vorlage des Überweisungsscheins einen Termin zu ergattern. Dieser Termin lag etwa zwei Monate nach dem ersten Arztbesuch, eine Stunde Busfahrt von meinem Dorf entfernt.

Ich hatte an dem Tag ziemliches Glück, denn von den mehreren Dutzend Menschen, die mit mir warteten, tat das die Hälfte umsonst: die Psychologin, die ebenfalls Patienten empfangen sollte, war krank und konnte nicht kommen. Unsere Dermatologin hingegen war da. „Sag nicht immer Dermatologin“, tadelte der Rezeptionsfachmann seine offensichtlich neue Kollegin, „das versteht hier niemand. Sag, die Ärztin für die Hautsachen“. Nach drei Stunden saß ich vor der Ärztin für die Hautsachen. In einem Zimmer, das an einen Klassenraum für Zwerge erinnerte. Die Dermatologin war jung, lächelte freundlich und sah lange auf meinen Schein. Dann schüttelte sie bedauernd den Kopf und sagte: „Allergietests mache ich nicht.“ Da müsse ich ins Allergie-Zentrum in Recife gehen.

Dafür brauchte ich einen neuen Schein. Der freundliche Allgemeinarzt empfahl mir ein weiteres uuuuuunfehlbares Medikament. Dann schrieb er einen neuen Schein. Die Krankenschwester riet mir, ich solle mit dem ersten Bus morgens um vier losfahren, um rechtzeitig im Allergiezentrum anzukommen. Nein, ich müsse vorher keinen Termin machen, man würde da gleich behandelt. Also gut. Um vier ist es noch kalt und dunkel. Bis ich in Recife ankam, war es hell und halb sieben. Die Schlange im Allergiezentrum war ermutigend kurz. Der Wärter an der Tür blickte auf meinen Zettel und sagte: „Für heute sind alle Termine vergeben, aber da Sie nicht aus dem Stadtbereich Recife kommen, müssen Sie ohnehin nächste Woche wieder kommen, wenn alle Auswärtigen-Termine für den Dezember vergeben werden.“ Um am gleichen Tag untersucht zu werden, erfuhr ich, muss man um vier da sein. Vor anderen Krankenhäusern schlafen die Menschen deswegen in Schlangen. Bei diesem ist das wegen der riskanten Sicherheitslage unmöglich. Aber für die Auswärtigen wie mich reichte es, um halb sieben da zu sein. Sagte der Wärter.

Als ich am Stichtag um halb sieben aus dem dritten und letzten Bus stieg, war die Schlange vor dem Zentrum bereits mehrere Hundert Meter lang, obwohl die Rezeption noch nicht geöffnet hatte. Wenig später brannte die Sonne. Meine Nachbarin hatte einen Regenschirm dabei und lud mich in den Schatten ein. In den nächsten Stunden kamen wir uns alle ein wenig näher. Tauschten Pfefferminzbonbons und Tipps, um welche Uhrzeit man in welchem Krankenhaus noch eine Chance hat. Schimpften über Männer und die Regierung. Denn in solchen öffentlichen Krankenstationen stehen fast ausschließlich Frauen Schlange. Vielleicht jammern deren Männer lieber zuhause, anstatt medizinische Hilfe zu suchen. Versorgt werden sie ja auch so.

Irgendwann kam ein mobiler DJ auf einem Moped und spielte uns ein paar Roberto-Carlos-Schnulzen vor. Leider fuhr er schnell weiter, als er merkte, dass er seine raubkopierten Best-of-CDs bei uns nicht loswurde. Um elf Uhr mittags hatte ich meinen Termin. Für den 21.12. um die Mittagszeit. Angeblich muss ich dann nicht mehr warten. Ich habe lieber nicht gefragt, wie es aussieht, falls ich einen Folgetermin brauche.

Als ich in meinem Dorf aus dem Bus stieg, hatte sich in der Nachmittagssonne eine lange Schlange vor der Einwohnervereinigung gebildet. Darin entdeckte ich meine Nachbarin. Weil Präsident Lula jetzt auch in unserem Dorf den Hunger ausrottet: Säckeweise Yamswurzeln und Maniok, grüne Bananen und Süßkartoffeln warteten in dem geräumigen Schuppen darauf, an die Bevölkerung verteilt zu werden. „Stell dich doch auch an“, riet mir die freundliche Nachbarin. Wie bedürftig einer war, fragten die unendlich geduldigen Frauen an der Ausgabe anscheinend niemanden. Wahrscheinlich gingen sie davon aus, dass nur der für ein paar Wurzelgemüse Stunden Schlange steht, der das wirklich nötig hat.

Tatsächlich ist es so, dass, wer kein Geld hat, ständig in der Schlange steht. An der Bank, um sich jeden Monat seine staatlichen Unterstützungen abzuholen. An der Lottoannahmestelle, wo er aufs Glück hofft und seine Rechnungen in bar bezahlt, weil er kein Bankkonto hat. An der Null-Hunger-Gemüse-Ausgabe. Und in der Krankenstation. Kurz: Wer kein Geld hat, zahlt mir Zeit. Viel Zeit.
Hsaben wir ja alle schon mal gehört: Zeit ist Geld – und also ein probates Zahlungsmittel. Für wen aber diese Zeit, die all diese Leute in den Schlangen verlieren, Geld bedeutet, das ist mir nicht klar geworden.

Foto: Wollowski

Sonntag, 15. November 2009

Desculpem

Ich könnte die Schuld auf die Krise schieben, die macht, dass die Redaktionen Texte immer knapper bezahlen, Fotos nicht mehr drucken und Reisekosten schon gar nicht genehmigen. Oder auf den höchst willkommenen Besuch aus Deutschland, der dazu verleitet, viel mehr Stunden frei zu nehmen, als die Arbeit zulässt. Ich kann aber auch gar keine Schuld verteilen und einfach sagen: Tschuldigung, liebe Leser, ich habs nicht geschafft, ein Post zu formulieren, dieser Tage. Und die nächsten sind ebenso vollgestopft. Aber am Wochenende, da melde ich mich wieder.

PS. Kommentare sind der Treibstoff jedes Bloggers, nicht vergessen!

Samstag, 7. November 2009

Sicherheits-Seil gegen die Bekehrung


Heute morgen haben sie mich erwischt. Ich hatte den Müll an die Straße gestellt und dann vergessen, das Seil wieder zu spannen.

Gleich nach meinem Einzug hier habe ich nämlich ein dickes Seil in die Einfahrt gespannt. Gegen die Missionarinnen. Hier im Dorf sind schätzungsweise 80 Prozent der Bewohner religiös fanatisch. Sei es bei den Baptisten, bei den Erlösern oder der Osterbewegung. Im Dorf selbst gibt es drei solcher Kirchen, neben der die kleine katholische Kapelle beinahe wie eine Puppenstube wirkt. Und die Hirten der Schäfchen dieser Kirchen schicken alle Tage Missionarinnen aus. Es sind immer Frauen. In Zweier- oder Dreier-Grüppchen ducken sie sich unter großen bunten Sonnenschirmen durchstreifen unermüdlich die Sträßchen des Dorfs nach Opfern. Mein Seil hat sie bisher abgehalten. Die Haustür ist auch weit genug davon entfernt, als dass sie sich zum Rufen inspiriert fühlten.

Jetzt standen sie direkt an meine Haustür, und die beiden Hunde hatten nicht einmal gebellt. Faules Pack. Freundlich fragte die eine: „Bist du gerade beschäftigt?“. Nun ja, es war samstags vormittags zur Frühstückszeit. „Ich arbeite gerade“, sagte ich vorsichtshalber. „Ah, dann werde ich dich nur ganz kurz stören“, sagte die Missionarin und blätterte in ihrer Bibel. „Nur so viel, will ich dir sagen. Manche glauben ja, Jesus sei nur für die Reichen da. Aber nein, er segnet auch die Armen.“ Offensichtlich sieht es hier aus wie bei armen Leuten. Zur Bekräftigung ihres Urteils suchte sie weiter in der Bibel und las mir einen entsprechenden Vers vor, der vielleicht zwei Zeilen lang war. Länger können sich die meisten Dörfler wohl nicht konzentrieren. Ich eingeschlossen, denn ich hörte den Spruch und vergaß ihn in derselben Sekunde. „Jesus war auch ein einfacher Mensch“, sagte die Dame noch. Auch? Wie ich? Wie sie? Ich zog es vor, nicht nachzufragen, um das Gespräch nicht in die Länge zu ziehen.

Prüfend blickte die Retterin der Seelen mir ins Gesicht und fragte dann: „Liest du gern?“ Da antwortete es aus mir heraus „ja“, bevor ich nachdenken konnte. Das brachte mir ein Heftlein mit dem Titel ein: „Wer ist Jesus“, auf dem vorne ein für einen maximal 37-Jährigen ziemlich verlebter Typ in Gesundheitssandalen abgebildet ist. Innen erklärt ein Text, dass Jesus vor 2000 Jahren gelebt hatte, ein Lehrer war, der seine Lehren lebte, und dass er die Liebe gelehrt und gelebt hatte. Später ist noch die Rede von den Wundern, die er vollbracht hat, und dass wie seine Liebe imitieren sollen. Klingt hübsch. Illustriert ist das Ganze mit Bildern von Korngaben tragenden Männern und blonden Kindern. Sieht nicht sehr nach Brasilien oder dem biblischen Land aus.

Das Kleingedruckte am unteren Rand des Heftleins erklärt, warum: Es ist eine Produktion von www.watchtower.org – und wer mehr Informationen möchte, bekommt Adressen der Zeugen Jehovas in Angola, Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Ecuador, USA, Französisch Guyana, Mosambik, Paraguay, Peru, Portugal, Surinam, Uruyguay und Venezuela. Nach welchen Kriterien die Länder wohl so zusammen gefasst worden sind?

Die freundliche Dame jedenfalls hat sich gleich verabschiedet, nachdem sie mir die Lektüre in die Hand gedrückt hatte. Ihr gutes Werk für heute ist getan. Und „nächstes Mal“, so kündigt sie an: „da werden wir uns dann länger unterhalten!“

Ich weiß, was dann kommt: Einladungen und Einladungen und Abholkommandos zum Besuch des „Culto“, den ich beinahe täglich bis in mein Wohnzimmer vernehme, mit all den gebrüllten Sündenbekenntnissen und Attacken auf die Geldbörsen der Schafe. Denn umsonst ist bei diesen Leuten nur das allererste Heftlein. Kaum waren die Missionarinnen außer Sichtweite, habe ich deswegen sofort mein Sicherheits-Seil gespannt. Vielleicht sollte ich noch ein Schild dazu hängen: Vorsicht bissige Hunde.

Foto: Wollowski

Sonntag, 1. November 2009

Endlich Frieden für die Banditen


„Bewohner von Mittelklasse-Vierteln werden die Favela-Agglomeration Complexo do Alemão, im Norden von Rios beneiden”, behauptete Dilma, Lulas Präsidentschaftskandidatin bei einem Besuch dort zu Anfang dieses Monats. Eine erstaunlich optimistische Prognose, wenn man bedenkt, dass der Complexo do Alemão zu den gefährlichsten Gegenden von Rio gehört und fest in den Händen ihres “Besitzers” FB liegt. Drogengroßhändler Fabiano Anastácio da Silva, besser bekannt als Fabiano der Geier oder eben kurz FB, herrscht wie ein König, er lässt auf dem Hügel „Alemão“, der 13 Favelas mit insgesamt 65.000 Einwohnern zusammenfasst, nach Belieben Menschen festnehmen, frei lassen oder töten.

Im September vergangenen Jahres etwa wurden diverse verkohlte Leichen von minderen Drogenhändlern aufgefunden. Damals hatten mehr als 800 Polizisten in einem Großeinsatz den Complexo gestürmt. Außer den Leichen fanden sie 20 Kilo Kokain, 30 Kilo Marihuana, 3 Maschinengewehre, 32 zwölf-kalibrige Schrotflinten und reichlich Munition. Es wäre naiv, anzunehmen, dies sei das gesamte Waffenarsenal gewesen, über das Fabiano der Geier verfügt.

Dennoch kündigte Rios Sicherheitschef José Mariano Beltrame damals statt weiterer Aktionen an, er werde seine Männer vom Complexo do Alemão abziehen. Weil ihre Gegenwart die Aktionen des PAC stören könnte. Seine euphemistisch verbrämte Aussage bedeutet im Klartext: Favela-Chef FB könnte sich durch die Anwesenheit der Polizisten gestört fühlen. Und wenn der totalitäre Herrscher dieses Reichs innerhalb der Stadt Rio sich gestört fühlt, dann wird auch aus dem PAC nichts. Und der PAC wiederum, soll ja laut Dilma dafür sorgen, dass die Mittelklasse-Bevölkerung demnächst lieber im Complexo do Alemão wohnen will, als in ihren Mittelklasse-Vierteln. Dafür sollen umgerechnet rund 260 Millionen Euro in den Complexo fließen – mehr als dreimal so viel als im Jahr 2008 in ganz Brasilien für neu angelegte städtische Kanalisationssysteme ausgegeben wurde.

Gebaut werden die größte Erste-Hilfe-Station des Bundesstaates Rio de Janeiro, Wohneinheiten für Bedürftige und sechs Drahtseilstationen. Die Drahtseilbahn soll die Bewohner des Complexo mit dem Stadtzentrum verbinden und so ihre Beweglichkeit erhöhen. Bis Ende 2010 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Ein großes Geschenk des Staates an seinen Gegenspieler, und das sollen die Menschen des Alemão natürlich mit Kandidatin Dilma verbinden. Damit sie gleich wissen, wem sie dankbar sein und wen sie also nächstes Jahr wählen sollen. Dilma zeigte sich bei ihrem – höchstwahrscheinlich mit Parallelherrscher FB abgesprochenen – Besuch beeindruckt von Qualität und Ausmaßen der Baumaßnahmen und äußerte die Ansicht, die Gewalt, welche die Gegend bislang prägt, werde sicher abnehmen. Weil der Staat ja nun seine Pflichten in der Slum-Agglomeration do Alemão nicht mehr ignorierte.

Schon zwei Wochen später bekamen Dilmas schöne Worte einen hässlich zynischen Unterton, als Vertreter der Drogenmafia Comando Vermelho einen Polizeihubschrauber abschossen, der einen internen Konflikt zweier Fraktionen überflog. Beltrame verglich die Aktion dramatisch mit dem Angriff der AL Qaeda auf die USA. So überrascht waren nicht alle von diesem Gewaltausbruch: Die Ex-Polizeichefin und jetzige Abgeordnete Marina Magessi hatte bereits kurz nach der Rede der Kandidatin Dilma gewarnt: „Seit die Polizei wegen der PAC-Baumaßnahmen den Complexo do Alemão meidet, fliehen die ganzen Banditen dorthin.“.

Letzten Sonntag feierte der Complexo do Alemão mal wieder eine Funk-Party – ein Freudenfest anlässlich des abgeschossenen Polizei-Hubschraubers. Dabei sang DJ Will den beliebten Refrain: „Hier kommt die Militärpolizei nicht rein, hier gibt es nur Taliban, Terroristen der Al Qaeda!“.

Also hat Lula sein Ziel erreicht. Im Dezember des vergangenen Jahres hatte er angekündigt, er werde den Complexo do Alemão in ein „Territorium des Friedens“ verwandeln. Auch Dilma hat Recht: Der Complexo ist tatsächlich friedlicher geworden. Für die Banditen.

Foto (Banditen fackeln Busse ab): Ricardo Moraes/Reuters
 
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