Mittwoch, 3. Januar 2007

Optimistisch ins neue Jahr

Das Jahr fängt gut an. 89 Prozent der Brasilianer gehen optimistisch oder gar sehr optimistisch ins Jahr 2007, sagt eine aktuelle Studie des staatlichen Amts für Statistik, Ibge. Besonders zufrieden sind sie mit ihrem Präsidenten: 71 Prozent aller Brasilianer finden Lula gut.

Weswegen sie ihn nun genau gut finden, hat das Amt wohl nicht gefragt, jedenfalls steht das nicht in der Umfrage. Statt dessen gibt es weitere Beweise für den Frohsinn des brasilianischen Volks: 75 Prozent aller Brasilianer können als Analphabeten betrachtet werden, sagt das Ibge – wenn man unter Analphabetismus versteht: sie sind nicht in der Lage, einfache Sätze zu verstehen. Gleichzeitig sind 85 Prozent aller Brasilianer zufrieden mit der Qualität des öffentlichen Bildungssystems. Vielleicht können sie die Welt gerade deswegen so positiv sehen, weil ihnen die gute Laune nicht durch irgendwelche einfachen Sätze voller Informationen verdorben wird.

Mit dem hässlichen Begriff Holocaust wissen zum Beispiel 96 Prozent nichts anzufangen. Und wenn es um Sicherheit im Strassenverkehr geht, finden optimistische 51 Prozent, der Omnibus sei das sicherste Verkehrsmittel. Das mag daran liegen, dass alle im TV die häßlichen Bilder des Flugunfalls der Gol gesehen haben, aber kaum jemand die Statistiken liest, die besagen, daß jedes Jahr mehr als 2000 Brasilianer bei Omnibusunfällen sterben.

Ebenso scheint niemanden zu stören, dass in den letzten Jahren die Zahl der in Grundschulen angemeldeten Kinder zurück gegangen, die Zahl der Kinderarbeiter hingegen gestiegen ist. Bis heute sind außerdem rund 60 Prozent aller Haushalte nicht an das öffentliche Abwassersystem angeschlossen. Unzufrieden sind die Brasilianer trotzdem nur mit der Demokratie: 83 Prozent haben das angegeben.

Womit sie genau unzufrieden sind, erfahren wir nicht. Aber so arg stört sie diese Unzufriedenheit offensichtlich nicht, denn 83 Prozent aller befragten Brasilianer schätzen sich insgesamt in ihrem Leben zufrieden oder gar sehr zufrieden. Das Volk ist eben optimistisch. Vielleicht hat der eine oder andere auch nur Schwierigkeiten gehabt, die einfachen Sätze der Ibge-Befragung zu verstehen.

Montag, 1. Januar 2007

Kater für die Senatoren

Das neue Jahr fängt gut an. Mit einem schweren Kater. Hier vor der Haustür dröhnt die Partymusik schon wieder oder immer noch, schwankende Menschen in Badehosen schwenken schon wieder oder immer noch Bierdosen, und versuchen, gegen den Kater anzutrinken. Soweit alles normal für einen ersten Januar.



Der Kater der Senatoren und Abgeordneten dürfte allerdings diesmal etwas schwerer ausgefallen sein. Denn ihre kurzerhand selbst bewilligte Bezugserhöhung um 91 Prozent (siehe Beitrag: Abends bei Galego vom 16.12.2006) liegt auf Eis.



24.000 Reais plus Zusatzleistungen wollten sie in diesem Jahr jeden Monat verdienen. Das sind rund 8780 Euro und damit mehr als die Gouverneure der reichsten Bundesstaaten des Landes bekommen, mehr sogar als der Präsident verdient. 26 großzügige Politiker hatten in einer Sitzung im kleinen Kreis in der letzten Woche mal schnell ihren Lebensstandard anheben wollen. „Wenn es keine Erhöhung gibt, werden uns die guten Gehirne davonlaufen“, hatte der Abgeordnete José Múcio ersten Meckerern sogar noch gedroht.



Doch bevor irgendwer davon laufen konnte, regte sich das Volk, dessen gesetzlicher Mindestlohn ab Mai auf 380 Reais (knapp 140 Euro) angehoben wird. Damit hatten die Senatoren nicht gerechnet: Die Brasilianer waren trotz Jahresende und unzähliger vorangegangener Skandale nicht zu erschöpft, um gegen die Ungleichheit zu protestieren. In Sao Paulo machten hundert Personen einen Protestmarsch durchs Stadtzentrum, in Curitiba gingen fünfzig Studenten auf die Strasse, in Rio schrieben Unbekannte aus Protest Schimpfwörter auf den Asphalt im Edelviertel Leblon. Ein Rentner kettete sich im Senatsgebäude an eine Säule und sagte jedem, der es hören wollte: „Irgendwer ist hier verrückt, und ich glaube, ich bin es nicht!“



Im Vergleich ist das eine eher winzige Protest-Welle, zugegeben. Aber sie hat ausgereicht, den Geldsegen für Senatoren und Abgeordnete zumindest zu verzögern. Was ein paar der Begünstigten schon diskret unter sich beschlossen hatten, muß jetzt erst in einer Plenarsitzung bestätigt werden, entschied der Oberste Gerichtshof. Inzwischen hat sogar der Erzbischof von Brasilia den Politikern ins Gewissen geredet. Manche trauen sich nun nicht mehr, ein zweites Mal für die Erhöhung zu stimmen. Manche sprechen von einer Erhöhung um „nur“ 28 Prozent. Manche wollen alles bei den alten 12.800 Reais (rund 4570 Euro) lassen. Mit Davonlaufen zu drohen, traut sich vorläufig keiner mehr. Kurz: Es herrscht Katerstimmung unter den Politikern. Das ist doch schon mal kein schlechter Anfang für ein neues Jahr.
 
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