Montag, 3. November 2008
Der Präsident trägt wieder Falten
„Das erste Opfer der Finanzkrise war das Botox.“ So titelte die Zeitschrift Piaui in ihrer neuesten Ausgabe. Danach schrieb Marcos Sá Corréa weiter: „Die Krise der amerikanischen Hypotheken kam am 21. Oktober in Brasilien an – mit winzigen Wellen. Drei milimeterfeine Ondulationen, um genauer zu sein. Sie waren so flach, dass sie nicht mal bis in die Zeotungen schwappen würden – hätten sie nicht die Stirn des Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva in Runzeln gelegt.
Lula sprach in diesem Moment vor der “Sociedade Brasileira para o Progresso da Ciência” über die weltweite Krise. Er gab behutsame Erklärungen zum Finanz-Tsunami, erklärte den Zuhörern, er sähe sich womöglich gezwungen sich ins eigene Fleisch zu schneiden, falls die Welle die Zentralbank voll erwischt. Wie immer war er dabei von Reportern, Kameramännern und Fotografen umgeben, die die Szene registrierten.
Die Worte des Präsidenten waren vielleicht nichts Besonderes. Aber seine Stirn erschien eloquent, von Sorgenfalten beschwert, Falten der Art, die die Augenbrauen hochziehen, die die Haut in Falten legen und die Bedeutung jedes beliebigen Themas unterstreichen, selbst bei Kneipengesprächen. Allerdings sind sie nur unter normalen Leuten normal. Unter Politikern und Berühmtheiten werden sie immer seltener.“ (…)
Tatsächlich hatte Lula seine Sorglosigkeit jahrelang mit einer babyglatten Stirn illustriert. In Zeitungen stand vor drei Jahren undementiert zu lesen, dass die Präsidenten-Hautärztin das Nervengift Botox bei Hausbesuchen spritzte. Kommentare gab es dazu keine, wozu auch. Macht ja jeder. Hier in Brasilien sowieso, aber auch McCain und wie sie sonst alle heißen. Lula hatte sich rundherum an sein neues Leben gewöhnt, mit Präsidentenflieger, Maßanzügen, edlen Weinen und eben Botox. Sorgenfalten hätten auch nicht zu einem gepasst, der alles im Griff hat.
Und jetzt hat er das Nachlassen der Wirkung des Nervengifts genau kalkuliert, damit die Zeichen seiner Besorgnis auch im richtigen Moment auftauchen. Das kann nichts anderes bedeuten als: Jetzt ist die Krise da. Wir sollten uns auf das Schlimmste gefasst machen: Der Präsident trägt wieder Falten.
*Piaui, das sollte an dieser Stelle auch noch gesagt werden, ist eine freche und frische journalistische Glanzleistung, die sich in dieser Art in Deutschland leider kein Verlag traut: großformatig wie Lettre aber weniger abgehoben, lange Reportagen über bis zu 10 Seiten, Porträts, für die Reporter die Porträtierten tagelang begleiten, Illustrationen, Comics, Gedichte, Fiktion und das beste „Vermischte“, was ich je in einem Printmedium gesehen habe.
Foto: Sebastiao Moreira, agencia EFE 2008, aus Piaui No. 26, Nov. 2008
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