Donnerstag, 26. Februar 2009

Die lächelnde Dilma tanzt keinen Frevo


Hier im Dorf können die Leute sich einfach nicht von der tollen Jahreszeit verabschieden: gestern tönte bis weit nach Mitternacht fröhlicher Live-Frevo durch die Hauptstraße, heute lärmt draußen ein allerletzter Karnevalszug. In dem feiern die Strandbuden-Inhaberinnen, weil die ja schließlich die ganzen anderen Tage arbeiten mussten. Um gar nicht erst in die Versuchung zu kommen, die schweren Frevo-Schritte zu probieren, lassen die Barfrauen dumpfe Axé-Rhythmen dröhnen.

Ich muss zugeben, dass ich in diesem Jahr geradezu karnevalsflüchtig war. Nach dem Galo kam der Regen, mit diesem eine Erkältung, allgemeine Mattigkeit und Bettschwere. Anders als mir ging es der Präsidentschaftskandidatin. Dilma Roussef, weit ab der Karnevalshochburgen in Minas Gerais geboren und eher als ehemalige Linksaktivistin denn als Karnevalsjecke bekannt, war in Olinda. Große Ehre für eine kleine Künstlerstadt.

„Sie ging zu Fuß“ bis zur Ehrentribüne oben im Regierungspalast, hieß es in einer Pressemitteilung. Kommt ganz volksnah rüber. Dabei ist allseits bekannt, dass die Kandidatin gerne mit ihrem Hund spazieren geht und also halbwegs gut zu Fuß sein muss. Außerdem würde am Karnevalssamstag selbst eine Regierungslimousine Schwierigkeiten haben, durch Olindas Gassen zu fahren. Auf dem Fußweg haben Dilma ein paar Passanten erkannt, meldet die Presse weiter. Vor allem Frauen.

Kein Wunder, dass es nur ein paar waren: Die Dame hat sich in den letzten Monaten so verändert, dass sie ohne Vorwarnung vermutlich nicht mal ihre eigene Mutter erkennen würde. Mag sein, dass die Aussicht, Präsidentin des Landes zu werden, an sich schon für fröhliche Stimmung sorgt. Zudem hat eine kleine OP die vormals chronisch hängenden Mundwinkel von Dilma angehoben. Die Tränensäcke sind weg, die Lider geliftet, die strengen Stirnfalten geglättet. Das Ganze sieht nicht mal besonders künstlich aus. Nur eben nicht mehr wie Dilma, so wie wir sie kannten.

Frauen sind auf solche Veränderungen neugieriger als Männer, deswegen gibt es Vorher-Nachher-Fotos auch meist in Frauenzeitschriften. Vielleicht wollten die Passantinnen in Olinda auch aus der Nähe checken, ob die neue Dilma tatsächlich zu lächeln gelernt hat, wie das neuere Pressefotos glauben machen. Hat sie. Nur eins hat sie nicht gelernt: Frevo zu tanzen. Das überlässt sie lieber den Kindern aus Olinda.

Fotos: Leo Medeiros, NN

Sonntag, 22. Februar 2009

Das richtige Klima im Karneval


In Recife fängt der Karneval mit dem Hahn an. Der „Galo“ rühmt sich, der größte Karnevalsumzug der Welt zu sein – ganz im Stil der brasilianischen Freude an Superlativen. Tatsache ist, dass schon Tage vorher diverse Straßen und eine Brücke gesperrt werden, um den Massenumzug vorzubereiten und den mehrere Meter hohen Deko-Hahn zu montieren, der dann am Karnevalssamstag lässig auf die krabbelnden Menschlein herunter guckt. Die kommen aus Vororten, Dörfern, Städten und sogar aus ganz Brasilien angereist, um beim Hahn dabei zu sein, zwei Millionen sollen es dieses Mal gewesen sein. Natürlich haben alle Läden geschlossen, fährt keiner zum Fischen, gibt es kein Capoeira-Training und auch sonst nicht viel am Karnevalssamstag, denn das ist der Tag des „Galo da Madrugada“. Erfunden haben den ein paar Trunkenbolde vor 30 Jahren, indem sie früh morgens fröhlich durch die Innenstadt lärmten. Deswegen ist es bis heute Tradition, schon auf dem Weg zum Galo allerlei Alkoholika zu konsumieren, damit die Stimmung stimmt: „entrar no clima“ heißt das auf Portugiesisch.

Das Klima ist bestens an diesem Samstag, Straßenverkäufer halten alle paar Meter am Straßenrand, an der Route des Galo, allerlei Sorten Bier und Schnaps und Fruchtsaft-Schnaps-Mischungen bereit. Blechbläserbands spielen die alten Karnevalshits im Frevo-Rhythmus, zu dem manche Einheimische in akrobatische Frevo-Tanzschritte verfallen, eine rasante Mischung aus Kasatschock und Funkenmariechen, die sie mit einem kleinen bunten Schirmchen ausbalancieren.

Für Zugereiste ist die Kunst des Frevo-Tanzens noch unerreichbarer als Samba. Zum Glück sind die Recifenser da großzügig: alle Unwissenden dürfen auch in braven Trippelschrittchen mittanzen, Hauptsache das Klima stimmt. Soweit alles prima mit dem Galo. Doch nach dem Galo will plötzlich das Klima selbst nicht mehr. Schon am Vorabend hatte es gegossen, als wolle die Regenzeit den Karneval auslöschen - und am Nachmittag des Galo zieht sich der Himmel wieder bedrohlich zu. Spontan beschloss ich, ganz aus dem Klima zu fallen und einfach nach Hause zu fahren. Sturzfluten und Sturmböen müssen bis zum Abend die große Open-Air-Bühne so verwüstet haben, dass die abendlichen Shows abgesagt werden mussten. Da war ich zum Glück bereits im Trockenen.

Und musste feststellen, dass das voreilig nasse Klima allerlei Verwirrung in der Tierwelt gestiftet hatte: Lange vor der Zeit hatten während des Galo die Flugameisen mein Haus heimgesucht, die einmal im Jahr, so gegen Winteranfang, kollektiv ihre Flügel abwerfen - und das am liebsten in menschlichen Behausungen. Letztes Jahr haben sie das bei mir im April getan. Wenn sie jetzt schon im Februar meine Regale, Bücher, Töpfe, Vorhänge, Spinnennetze und Sofas unter Flügeln begraben, werde ich dieses Jahr im April Ruhe haben? Oder kommen sie dann nochmal? Ebenfalls an den Winterausbruch glauben offensichtlich die nicht-fliegenden Ameisen, diese Fliegendreck-kleinen, die ganz besonders scharf beißen. In den Wänden von Küche und Wohnzimmer haben sich während meiner Galo-Abwesenheit mehrere Löcher aufgetan, aus denen die kleinen Mitesser in Tausendschaften anmarschieren, um allem Essbaren hier im Haus auf den Leib zu rücken. Dazu zählen sie mich offensichtlich auch.

Eben habe ich im Internet gesehen, dass die große Bühne in Recife wieder hergestellt ist und der Bürgermeister persönlich versprochen hat: Heute werden alle Konzerte stattfinden. Draußen vor dem Fenster türmen sich dunkle Wolken auf noch dunklere Wolken. Unten an meinen Füßen beißt es verdächtig. Schwere Entscheidung: Lenine im Regen? Oder Ameisenbisse und -flügel im Trockenen?

Fotos: Ricardo Phebo (Galo), Christine Wollowski (Frevo)

Montag, 16. Februar 2009

Der Fall Paula Oliveira


Wut macht blind. Wissen wir alle. Vergessen wir ebenso alle, wenn es wieder einmal passiert. Wie in der vergangenen Woche. Eine 26jährige Brasilianerin sei in Zürich von Neonazis angegriffen worden, berichteten die brasilianischen Medien. Brutal mit einem Stilett zerschnitten. Die Misshandlungen hätten einen Spontanabort ausgelöst, direkt auf der Bahnhofstoilette habe die Juristin die Zwillinge verloren. Eine schreckliche Geschichte. Kein Wunder, dass der Fall vielerorts Diskussionsthema Nummer eins war - auch in dem kleinen Fischerdorf im Ceará, in dem ich gerade recherchierte.

„Was ist da los in Europa“, fragten die Leute entsetzt und ungläubig. Was sollte ich sagen? Fremdenfeindliche Gräueltaten sind ja leider auch in Deutschland schon häufiger vor gekommen. Kurz: Ich war ebenfalls entsetzt. Noch mehr, als es hieß, die Schweizer Polizei zweifle an der Aussage der Paula Oliveira und hege den Verdacht, die junge Frau aus Recife habe sich die Verletzungen selbst beigebracht. Absurd, ein Opfer, das bei der Polizei Anzeige erstattet, als Selbsttäter zu verdächtigen. Absurd, Beweise für eine offensichtliche Attacke zu verlangen. Fanden die Fischer. Fand ich auch. Peinlich für die Schweizer. Peinlich für alle Europäer. Sogar der brasilianische Präsident hatte gesagt, er könne nicht schweigen angesichts eines solch brutalen Angriffs auf eine Brasilianerin. Notfalls würde die brasilianische Regierung den Fall vor der UNO verhandeln.

Als ich von meiner Recherchereise zurück kam, klang die Geschichte ein wenig anders. Da erklärte der Vater von Paula in den TV-Nachrichten, er wisse nicht, ob es Beweise für die Schwangerschaft seiner Tochter gebe. Die Untersuchung durch den Schweizer Gerichtsmediziner hatte nämlich inzwischen ergeben, Paula sei zum Zeitpunkt des Überfalls gar nicht schwanger gewesen. Und überhaupt sei nicht klar, ob es einen Überfall gegeben habe: sämtliche Verletzungen seien oberflächlich und befänden sich an Körperteilen, die Paula problemlos selbst hätte erreichen können. Selbst erreichen können, muss nicht heißen, dass Paula sich selbst verstümmelt hat. Kann es aber.

Angesichts dieses Vorwurfs kochten die Emotionen erst richtig hoch. Da ließ sich sogar die ansonsten sehr seriöse Folha de Sao Paulo dazu verleiten, den Gerichtsmediziner mit Worten zu zitieren, die dieser nicht von sich gegeben hat. Andere Blätter vermelden widersprüchliche Geschichten: Einmal sollen sich Polizisten noch im Krankenhaus bei Paula und der brasilianischen Konsulin entschuldigt haben. An anderer Stelle leugnet die Konsulin, bei einem solchen Gespräch je anwesend gewesen zu sein. Einmal sagt Paulas Vater angeblich aus, die Fotos von den Verletzungen seiner Tochter habe dessen Verlobter auf seine Anregung hin aufgenommen. An anderer Stelle heißt es, der Vater habe mit dem Verlobten kaum gesprochen und dieser sei seit dem Vorfall spurlos verschwunden. Einmal heißt es, eine Arbeitskollegin wisse sicher, dass Paula ihren ersten Frauenarztbesuch zur Kontrolle der Schwangerschaft für den Tag nach dem Überfall geplant habe – wie hätte sie also wissen können, dass es Zwillinge und Mädchen sein würden? Anderswo wiederum wird erklärt, es gäbe eine Ärztin, die die Schwangerschaft begleitet habe, und mit der sei Paulas Vater in Kontakt.

Sieben Tage sind seit dem Vorfall vergangen. Während vor vielen brasilianischen TV-Geräten und an brasilianischen Kneipentischen bereits das gesamte Schweizer Volk des feigen Vertuschens beschuldigt wurde, haben andererseits auf manchen Internetseiten Schweizer User böse über die schwerwiegenden Anschuldigungen geschimpft, die aufgrund der Aussage einer psychisch Gestörten leichtfertig gegen ihr Volk vorgebracht würden. Die Schweizer Polizei bleibt äußerst zurückhaltend in ihren Aussagen. Die brasilianische Presse hat ihren Ton so weit zurück geschraubt, dass manche Medien eine Selbstverletzung nicht mehr komplett ausschließen. Gesicherte Erkenntnisse? Scheint es kaum zu geben. Zweifel? Immer mehr. Kann es sein, dass abends um 19 Uhr 30 eine Bahnstation im Großraum Zürich bereits so verlassen war, dass niemand die massiven Angriffe beobachtet hat? Wir ist es möglich, dass Paula während ihr schmerzhafte Schnittwunden zugefügt wurden, so still hielt, dass ihre Aggressoren säuberlich Buchstaben in ihre Haut ritzen konnten? „Paula ist ein Opfer“, zitiert der brasilianische Internetserver IG ihren Vater: „entweder ein Opfer von schweren psychologischen Störungen oder ein Opfer der Angriffe, von denen sie seit dem Anfang berichtet und an denen zu zweifeln ich keinen Grund habe.“

Sollte Paula Oliveira die Neonazis erfunden und sich selbst geschnitten haben, können sich viele schämen. Für die Vorverurteilung der Schweizer. Für ihre mangelnde Kritikfähigkeit. Für ihre blinde Wut. Ich gehöre auch dazu. Genau so blind wäre es allerdings, würden die Schweizer in einem solchen Fall sich auf den Triumph beschränken: Haben wir doch gleich gewusst.

In den letzten fünf Jahren hat es mehr als 200 rassistisch begründete Angriffe in der Schweiz gegeben, so der Schweizer Soziologe Jean Ziegler. Und die Schweizer Volkspartei, deren Initialen SVP in die Haut von Paula geritzt sind, benutze Fremdenfeindlichkeit tatsächlich als politisches Mittel. Das heißt: Grundsätzlich wäre wohl ein neonazistischer Angriff auf eine Brasilianerin in der heutigen Schweiz nicht unmöglich. Das ist schlimm. Egal, ob der Vorfall um Paula Oliveira nur in ihrer Vorstellung Realität gewesen sein mag. Und es sollte Grund genug sein, nicht für blinde Wut, sondern für überlegte Handlungen.

Foto: Marco Trapp

Mittwoch, 4. Februar 2009

Até logo

Jetzt mache ich es mal beinahe so, wie dem typischen Nordost-Mann, der seiner Frau nur im Vorbeigehen zuraunzt: Ich bin mal eben weg. Und dann mindestens Stunden, womöglich Tage später wieder auftaucht. Also: Ich bin mal eben weg. Der Klischee-Mann liefert normalerweise keine Erklärungen. Ich schon: Gehe auf Recherchereise. MItte Februar komme ich wieder. Mit neuen Alltagsgeschichten. Até logo!
 
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