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Dienstag, 3. August 2010

Zico haut auf den Tisch


So geht es nicht weiter. Brasilien wird in absehbarer Zeit die beiden größten Sportereignisse der Welt beherbergen, und gleichzeitig geraten immer wieder gerade die Sportstars in Schlagzeilen. Genauer gesagt, die Fußballer. Zuletzt und am schrecklichsten Bruno, der Torhüter und Kapitän des Vereins Flamengo in Rio de Janeiro. Gerade der Flamengo, der einst Größen wie den legendären Zico hervorgebracht hat. Wie gesagt, so geht es nicht weiter. Deshalb haut jetzt Zico haut jetzt auf den Tisch.

Seit zwei Monaten ist er in der Direktion des traditionellen Vereins – und musste dabei die schlimmste Phase des Vereins erleben. Fehltritte bringen Brasiliens Fußballstars regelmäßig – und häufig werden ausufernde Orgien, uneheliche Kinder, außereheliche Beziehungen, gar Kontakte zu käuflichen Transvestiten mit der einfachen Herkunft der Kicker erklärt. Die Favela-Wurzeln müssen auch als Erklärung herhalten, wenn die oft schwerreichen Jungs die Nähe von Banditen suchen. Fast schien es, als sei der Verein wie eine Mutter, die dem fehlgeleiteten Sohn alles verzeiht. Bruno etwa, wurde von seinem Verein nur beurlaubt, als ihm kriminelle Machenschaften bereits nachgewiesen waren und er außerdem unter schwerem Mordverdacht stand. Dagegen wirken andere Details wie Kinkerlitzchen. Etwa dass häufig für den frühen Morgen angesetzte Trainings verschoben werden mussten - weil mancher Star so früh einfach nicht erschien, womöglich weil er noch verkatert war.

Jetzt soll Schluss sein mit der mütterlichen Nachsicht. Wie ein strenger Vater will Zico endlich Konsequenz einführen, die bekanntlich bei jeder Art von Erziehung unerlässlich ist. Wer beim Flamengo fehlt, bekommt künftig Konsequenzen zu spüren, die von Strafgeldern über Sperrung bis zum Ausschluss aus dem Verein reichen sollen. „Wir sprechen hier von Idolen, die Millionen Brasilianer bewundern und imitieren. Ihr Verhalten sollte sich auf der Höhe dieser Vorbildrolle bewegen“, sagt Zico in einem Interview der Zeitschrift Veja. Eventuelle Vorbehalte, Vereine sollten sich nicht ins Privatleben ihrer Spieler einmischen, lässt er ebenso wenig gelten, wie die Herkunftsentschuldigungen. Ohne Disziplin gehe es nicht, sagt der Altstar, der in sechs Ländern als Spieler und Trainer gearbeitet hat, nur mit Talent komme niemand weit. Dafür seien die Vereine verantwortlich – und auch die Agenten der Spieler, die häufig nur schnelles Geld sähen, anstatt ihre Klienten menschlich zu beraten.

Ob es Zufall ist, dass Ronaldo Fenómeno gerade jetzt seinen Ausstieg für 2011 ankündigt? Das Wunderkind der WM 2002 kam immer mal wieder wegen ausufernden Partys oder wechselnder Gespielinnen in die Medien, aber noch treuer begleitete ihn ein anderes Disziplinproblem während seiner ganzen Karriere: die Vorliebe für Leckeres vom Grill und das daraus folgende Übergewicht. Ab 2011 darf der zum dritten Mal verheiratete Ronaldo endlich schlemmen wie er will. Er wird eine Eventfirma leiten, die außerdem auch Fußballerkarrieren betreut. Hoffentlich in Zicos Sinne.

Foto (Zico) gesehen bei: http://urubunews.com.br/francisco-aiello-novo-comentarista-o-zico-dirigente/

Donnerstag, 29. Juli 2010

Nix zu lachen bei der WM-Vorbereitung


Lula sieht – wie so oft – kein Problem. „Ich werde von Afrika nach Hause schwimmen, wenn Brasilien nicht auf die nächste WM vorbereitet ist“, verkündete er gewohnt optimistisch. Diesen Optimismus werden wir allerdings nur noch bis zum Ende des Jahres an der Spitze des Landes haben – und so ungebrochen zuversichtlich wie unser Lula ist keiner der Präsidentschaftskandidaten. Dennoch muss einer oder eine von ihnen mit dem WM-Problem leben.

Denn so sieht der Fifa-Generalsekretär die Sache. Straßen, Flughäfen, Stadien, Telekommunikation – Brasilien ist alles andere als darauf vorbereitet, nach 64 Jahren zum zweiten Mal eine WM auszurichten. Wörtlich sagte Jerome Valcke, der Verzug bei den Plänen sei „beeindruckend“. Beeindruckend sind auch die geschätzten Kosten des Großereignisses: Die WM 2014 soll etwa doppelt so teuer werden wie die soeben in Südafrika gelaufene. Brasilien muss also umgerechnet mehr als 7,5 Milliarden Euro locker machen, für 59 Baustellen, 12 davon Stadien. Dabei sind all die Steuervorteile nicht eingerechnet, die den beteiligten Unternehmen eingeräumt werden – und die dann in der Staatskasse fehlen. Sind ja auch nur bescheidene 150 Millionen Euro.

Während der CBF-Chef Ricardo Teixeira noch besorgte Gemüter beruhigen will und behauptet Brasilien sei ja irgendwie doch „relativ im Zeitplan“, wettern die Kollegen aus Sao Paulo - immerhin Brasiliens größte Metropole und der Wirtschaftsmotor des ganzen Landes - weil ihr Morumbi-Stadion nicht für die WM zugelassen ist. Damit droht Sao Paulo, von der WM ausgeschlossen zu bleiben. Wirtschaftlich ist das kein Nachteil. Entgegen allgemeiner Annahmen, eine WM im Land beschere demselben ein erhöhtes Wirtschaftswachstum, haben die Briten Simon Kuper und Stefan Szymanski herausgefunden: “Tatsächlich wird kein Land reich, weil es Sportereignisse ausrichtet. Der Grund, warum die Länder so scharf darauf sind, Sportevents auszurichten, ist ein ganz anderer: Sportgroßereignisse machen das Volk glücklich.“

Dass es dafür nicht unbedingt notwendig ist, das Ereignis auszurichten, ließ sich kürzlich in Deutschland bestens beobachten. Deswegen: Stadien, Straßen, Flughäfen und all die Infrastruktur sind wichtig, keine Frage. Aber vielleicht ist es eben so wichtig, die brasilianische Nationalelf geschickt neu aufzustellen.

foto gesehen bei: www.ibahia.globo.com

Samstag, 17. Juli 2010

Das Ende eines Fußballmärchens


Wer arm geboren wird in Brasilien, kann problemlos sein ganzes Leben arm bleiben. Oder er steigt auf. Dass es ein Slumbewohner zum Bankdirektor schafft, ist bekanntlich eher selten. Die Chancen darauf, Profi-Fußballer zu werden, sind auch nicht so groß, wie viele träumen, aber im Vergleich stehen sie doch deutlich besser. Am einfachsten ist es immer noch, eine Karriere im Drogen- und Bandenmilieu zu machen. Kein Wunder, dass beides oft sehr nah beieinander liegt.

Wenn ein Nachwuchskicker einen Profivertrag bei einem der großen Vereine bekommt, kann er oft auf einen Schlag seiner Mutter ein Haus und sich selbst ein Auto kaufen. Er wird zum Frauenheld und gern gesehenen Gast auf jeder Party – und selbst die Feinde seiner Kindheit wollen seine Freunde sein. Meist muss er mit dem Vertragsbeginn aber auch hinaus in die Welt der anderen. Die anderen, bei denen er nie dazu gehört hat. Weil die anderen immer schon Geld gehabt haben. Weil sie eine gute Schule besucht haben. Weil sie immer schon eine sichere Zukunft hatten. Dass sie immer noch nicht dazu gehören, verkraften viele nicht.

Manche schmücken sich mit dicken Diamanten und coolen Sprüchen, wie Carlos Alberto, der immer noch bei Bremen unter Vertrag steht, aber wegen seiner Anpassungsschwierigkeiten schon an so viele brasilianische Vereine zurück ausgeliehen wurde, dass man schnell den Überblick verlieren kann. Oder sie verlieren sich in Alkohol und Frauengeschichten wie Adriano, der bei Mailands Inter eine so beneidenswerte Karriere hingelegt hatte. Irgendwann ist der Zwei-Meter-Mann zusammengebrochen und ist untergetaucht. Gesichtet wurde er nach Tagen zuhause in seinem Slum in Rio.

Von Adriano existieren Fotos mit erhobener Waffe – angeblich nur ein Spielzeug. Er hat zugegeben, einem Drogenboss größere Geldmengen zugeschoben zu haben – angeblich, damit dieser Nahrungsmittel an die Armen verteilen sollte. Sein Kollege Vagner Love wird regelmäßig auf Funkparties in zweifelhafter Gesellschaft gesichtet. Alles kein Problem? Alles nur Spielerei? "Wir können die Jungs nicht von ihren Wurzeln abschneiden, da kommen sie eben her" – heißt es gerne von Seiten der Vereine. Das mag stimmen. Aber jetzt ist es komplizierter geworden. Im Fall Bruno.

Bruno ist ein vielversprechender junger Torwart, unter Vertrag beim traditionellen Flamengo-Club in Rio. Der 25Jährige verdient momentan beinahe 100.000 Euro im Monat und hat sich von seinem neuen Reichtum bereits ein Haus in Belo Horizonte, eine Wohnung in Rio und einen Jeep gekauft. Unter anderem. In die Schlagzeilen ist er jetzt allerdings wegen einer anderen Sache gekommen. Bruno steht unter dringendem Verdacht, an einem Mord beteiligt zu sein.

Bei einer Party, die der junge Mann selbst als „Orgie“ bezeichnet, hat er eine junge Frau kennengelernt. Eliza sah gut aus, war jung und sie war vor allem scharf darauf, einen Profi-Fußballer zum Freund zu haben. Dafür war sie schon mit mehreren ins Bett gegangen. Vor gut einem Jahr tat sie das auch mit Bruno. Und wurde schwanger. Das Sex-Intermezzo hatte dem Torwart so gut gefallen, dass er es noch mindestens zweimal wiederholte. Die Folgen gefielen dem seit Jahren verheirateten Star gar nicht. Er soll Eliza deswegen mit folgenden Worten gedroht haben: Ich will dieses Kind nicht und ich bin zu allem bereit, damit du dieses Kind nicht bekommst. Du kennst mich nicht und weißt nicht, wozu ich fähig bin, denn ich komme aus der Favela.“

Eliza ist tot. Misshandelt, verprügelt und schließlich erwürgt, zerteilt und Rottweilern zum Fraß vorgeworfen. Es sieht ganz so aus, als habe Bruno das veranlasst, der junge Held aus dem Fußballmärchen. Wie ist so eine Barbarei zu erklären? Weil Bruno aus der Favela kommt? Weil das seine Wurzeln sind? Weil er bei seinem kometenhaften Aufstieg jegliches Gefühl für die Realität verloren hat? Oder ist er einfach ein Psychopath, der zufällig auch noch Fußballer ist?

Foto: http://urubuzadams.wordpress.com/noticias/

Donnerstag, 4. Februar 2010

Prä-kämpferische Duelle


Politiker sind keine Brasilianer, jedenfalls keine normalen. Scheut der normale Brasilianer offene Konflikte, schürt der brasilianische Politiker dieselben mit Vorliebe. Vor allem natürlich im Wahlkampf. Der hat in diesem Wahljahr noch nicht begonnen, wie kürzlich die Richter entschieden haben. Es hatten nämlich böse Zungen behauptet, Lula schicke seine Lieblingskandidatin Dilma Rousseff nur deswegen durchs ganze Land, um soziale und andere Errungenschaften gemeinsam mit dem Volk zu feiern, damit die Leute gleich wissen, wen sie im Oktober wählen sollen. Das wäre ungesetzlich. Weil Steuergelder und Regierungsämter nicht für den Wahlkampf verwendet werden dürfen. Dilmas Reisen aber sind ganz ok, auch wenn sie dabei ständig auf die Opposition schimpft. Weil Wahlkampf erst dann existiert, wenn es einen deklarierten Kandidaten und ebenso deklarierten Stimmenfang gäbe. So doof ist die Ministerin natürlich nicht, platt zu sagen: Wählt mich, Leute!

Als doof stellt da lieber der Präsident ganz undiplomatisch den Chef der Oppositionspartei hin. „Babaca“ hat er den Senator Sérgio Guerra mitten in einer Plenarsitzung genannt, weil dieser in einem Interview angekündigt hatte, seine Partei werde im Falle eines Wahlsiegs das mit reichlich Vorschusslorbeeren eingeführte und bis jetzt nicht gerade durchschlagend erfolgreiche Programm zur Beschleunigung der Entwicklung, PAC, abschaffen. Vielleicht hat den Präsidenten auch gestört, dass Guerra behauptet hat, das Programm diene vornehmlich dazu, den Wähler in die Irre zu führen.

Auf Lulas verbalen Ausbruch ließ der Oppositionsführer gleich schriftlich verbreiten, dass Dilma eine Lügnerin sei. Dem kann nicht mal widersprochen werden, denn es ist bekannt, dass die Ministerin ihren Lebenslauf um einen Universitätsabschluss an der hoch angesehenen Unicamp und einen Doktortitel derselben Universität geschönt hat. Guerra geht aber noch weiter. Wörtlich schrieb er:

„Dilma Roussegg lügt. Sie hat in der Vergangenheit über ihren Lebenslauf gelogen und verbreitet heute Lügen über ihre Gegner. Sie benutzt die Lüge als Methode. Setzt auf Desinformation des Volks und missbraucht den guten Glauben der Bürger.“ Harte Geschosse, auf die der PT-Präsident umgehend antwortete, indem er Sérgio Guerra als „Jagunço“* beschimpfte. Diese Art Duelle nennt die Presse hierzulande jetzt Prä-Wahlkampf.

Im eigentlichen Wahlkampf, der irgendwann im März beginnt, geht es dann vermutlich erst richtig zur Sache. Lula hatte bereits im Januar angekündigt, er erwarte Debatten auf hohem Niveau. Einerseits. Dass aber keiner glaube, er werde im Wahlkampf den „Liebe und Frieden“-Weg einschlagen. „Ich bin Capoeirista“, tönte der Präsident, von dem als einzige sportliche Aktivität gelegentliche Fußballspiele bekannt sind. „Ich weiß mich gegen Angriffe über Brusthöhe zu schützen.“ Von Angriffen unter der Gürtellinie hat er nicht gesprochen. Die teilt er vielleicht lieber selbst aus.

* Jagunços waren in längst vergangenen Zeiten die fest angestellten Mörder der Großgrundbesitzer .


Foto: gesehen bei o-mascate.blogspot.com

Montag, 18. Januar 2010

Der gezähmte Strand



Jedes Kind weiß, dass der Strand der demokratischste Raum von Rio de Janeiro ist. Die einzelnen Lebensretter-Stationen und ihr Gebiet mögen unter Hausfrauen, Gays und Modelanwärterinnen aufgeteilt sein. Aber die Stadtverwaltung hat sich da nie groß eingemischt. Nie. Sie bezahlt die Jungs auf den großen Traktoren, die jede Nacht die Spuren von Picknicks, Sportveranstaltungen, Flirts und Orgien beseitigen. Sie hat die Plakatwände mit den Sprühdüsen aufgestellt, aus denen sich Jogger oder schwitzende Touristen mit einer frischen Brise bestäuben können. Sie hat sogar – vor Jahren – versucht, ein neues überaus elegantes Modell an Kiosken an der Avenida Atlantica einzuführen. Beispiele für die Metall-Glas-Konstruktionen sind vor dem Copacabana Palace und etwas weiter unten zu besichtigen, viel weiter ist die Initiative bislang nicht gediehen. Und das war‘s. Das hätte es sein können.

Der Strand von Rio de Janeiro bietet Platz für allerlei Beschäftigungen und Geschäfte. Sonntags ist besonders viel zu sehen. Von perfekt modellierten Körpern bis zu perfekt frisierten Hunden, von Selbstdarstellern bis zu selbstvergessenen Sandburgen-Bau-Profis. Ich setze mich am liebsten irgendwo in die Mitte und gucke. Und kaufe mir all die herrlichen Snacks, die mir sozusagen unter der Nase vorbei getragen werden: Garnelenspieße oder gegrillter Käse, frische Säfte oder knuspriges Kokoskrokant. Alles hausgemacht oft besser und immer billiger als in den Bars und Restaurants. Das soll jetzt alles anders werden.

Der Bürgermeister der Stadt hat vielleicht an die nahende WM 2014 oder die ebenfalls vor der Tür stehenden Olympischen Spiele 2016 gedacht, als er verfügt hat: Nur noch industrialisierte Nahrung an Rios Stränden. Toller Wurf: Statt vieler komplizierter Euro-Normen ein einziges Gesetz. Das auch nur eine einzige Firma begünstigt. Von der nämlich künftig alle der mehreren Hundert Strandkiosk-Betreiber mit festem Standort ihre industrialisierten Waren beziehen müssen. Das erzählt der Bürgermeister natürlich nicht so gerne.

Zu gucken gibt es auch weniger. Strandsportarten wie Fuß- oder Volleyball dürfen nämlich jetzt zwischen 8 und 17 Uhr nicht mehr am Wasser betrieben werden, sondern nur noch neben der Avenida im tiefen Sand. Das macht zwar sicher mehr Muskeln, aber garantiert weniger Zuschauer: Am Strand guckt man Richtung Wasser, das ist ehernes Gesetz. Zuletzt wird es auch nahezu unmöglich, Freunde am Strand zu treffen, jedenfalls sonntags. Üblicherweise kostet es bereits ein gutes Dutzend Handygespräche, um sich in dem wilden Getümmel zur richtigen Stelle zu lotsen, orientiert an gelben und grünen Sonnenschirmen und mehr oder minder hübschen Styropor-Kühlkästen. Das war einmal. Jetzt sehen alle Kioske weiß, alle Sonnenschirme rot und alle Strandstühle gelb aus, egal ob sie Dona Dilma oder Claudete gehören.


Die Brasilianer sind nicht für ihren revolutionären Geist bekannt, sie ziehen es meist vor, still und unauffällig eine hübsch flexible, ihnen genehme Lösung zu suchen, als auf die Straße zu gehen. Aber diese Aktion des Bürgermeisters ging den Cariocas zu weit. Nutzte nichts, dass der bedrängte Mann betonte, er habe gar keine neuen Gesetze gemacht, er lasse nur zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes für ihre Beachtung sorgen. Pustekuchen. Am schlimmsten schien es den Strandgängern, künftig Kokoswasser aus Plastikflaschen trinken zu müssen, anstatt direkt aus der grünen Kokosnuss, ökologisch korrekt und außerdem natürlich kühl gehalten. Nach einigem Hin und Her – öffentlich und lautstark – ist der Gouverneur zurück gerudert. Kokosnüsse werden doch nicht verboten. Ob er das seinem teuer eingekauften Berater, dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani verschwiegen hat? Zu dessen „Null Toleranz“ passt solche Schwäche jedenfalls nicht so richtig.

Insgesamt wird der Spezialeinsatz markig fortgeführt: Statt 143 sollen jetzt 400 Aufpasser kontrollieren, ob alles seinen gesetzlich erlaubten Gang geht, mit elektrisch angetriebenen Skates und Elektroautos, Einsatzleitungs-Zelten und einem regionalen Einsatz-Zentrum. Zweifler gibt es trotzdem.

„Das Gesetz existiert, aber wir sind hier in Brasilien“, wird der Student Bernardo von der Agentur Reuters zitiert: „Man muss hier nur ein bisschen rum laufen, dann sieht man, wie alle Gesetze ignoriert werden.“ Der gezähmte Strand wird wohl eine Utopie bleiben.


fotos: christine wollowski (2), globo.com und reuters

Montag, 3. August 2009

Schlagzeilen um ein phänomenales Dickerchen

Ist schon gemein, wenn jeder eine persönliche Schwäche sehen und darüber Witze machen kann. Schlagzeilen hat er deswegen mehr als reichlich wegstecken müssen: Er sei zu dick, er sei nicht in Form, er esse zu gern. Jeder Besuch im Grillrestaurant wurde kommentiert, Privatfotos genüsslich von der Klatschpresse zelebriert. Die immer besonders bissigen Engländern ertappten den Stürmer im vergangenen Jahr gar bei einer Auszeit wegen Verletzung in Calvin-Klein-Unterhose, mit Zigarette und einem Bauch, den sie fies mit dem einer im vierten Monat schwangeren TV-Moderatorin verglichen – dazu behauptete „The Sun“: Ronaldo und Louise Redknapp könnten locker ihre Klamotten tauschen. Das Belegfoto dazu:



Noch gemeiner die folgende Fotomontage, die eine Zeit lang auf diversen Sites zu sehen war:



Als selbst Präsident Lula dem Superstar während der Weltmeisterschaft 2006 Übergewicht unterstellte, schlug der endlich und treffend zurück. Das war nicht schwer, ist doch die empfindlichste präsidiale Schwäche hinlänglich bekannt: „Ich rede ja auch nicht über Lulas Alkohol-Konsum“, kommentierte Ronaldo in einem Interview. Seitdem herrscht prominentes Stillschweigen: keiner der beiden hat je wieder öffentlich an den wunden Punkt das anderen gerührt. Genutzt hat das dem Fußballer wenig: Die Fans ergänzten trotzdem frech seinen Spitznamen „das Phänomen“ zu „der phänomenale Dicke“.

Ob das an seinem Ego gefressen hat? Oder hat seine Frau Bia ein Machtwort gesprochen? Jedenfalls wollte der Dicke es eigentlich geheim halten. Tagelang wand sich sein Verein „Corinthians“ in Kommentaren wie: „Wer behauptet, er habe sich die OP nicht genehmigen lassen?", „Ja, der Verein weiß Bescheid, aber wir sagen nicht, ober er hat oder ob er nicht hat!“. Auch der Arzt hielt sich bedeckt: „das unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht.“ Und Torwart Felipe witzelte: „Falls er das gemacht hat, wird er noch schneller über den Platz fliegen als jetzt schon!“

Darauf darf man sich gefasst machen, denn jetzt ist es raus: Er hat! Nämlich: Fett von seinem phänomenalen Bauch absaugen lassen.

Zwei Gläser reines Fett sollen es gewesen sein, 700 ml mit einem Gewicht von 2 Kilo. Und zwar hat der Dicke das am vergangenen Mittwoch vor der ohnehin notwendigen Hand-OP machen lassen, um so die notwendige Schonzeit gleich doppelt zu nutzen. Die Spezialisten hatten natürlich sofort allerlei Kommentare bereit. Ein Schönheitschirurg behauptet: Alles im grünen Bereich – üblicherweise lassen sich die brasilianischen Männer zwischen 50 und 800 ml Fett aus den Flanken saugen, also liegt Ronaldo im statistischen oberen Mittel. Außerdem sei gerade diese Flankenfettansammlung genetisch bedingt und durch Gymnastik nicht zu besiegen. Fußballspezialisten behaupten, die Schönheits-OP könne den Spieler länger als die Hand-OP vom Rasen fern halten. Kollege Bill, der derweil als Stürmer beim Corinthians für den pausierenden Ronaldo einspringt, sagt halb solidarisch, halb im Scherz: "Fett habe ich mir bisher nicht absaugen lassen, aber mit dieser hässlichen Visage könnte ich eine Schönheits-OP gut gebrauchen."

Eins ist sowieso klar: Dick bleibt Ronaldo auch mit 2 Kilo weniger. Falls er sich die in den zwei bis vier Wochen Zwangspause nicht ohnehin wieder anfuttert. Egal.

Die Fans hat der Dicke nämlich längst auf seiner Seite. Nicht wegen der Fettabsaugerei, sondern wegen seiner phänomenalen Leitungen bei den brasilianischen Meisterschaften „Brasileirao“. Fan Nilson Cesar spricht in seinem Blog garantiert für viele: „Dieser Ronaldo ist wirklich phänomenal. Übergewichtig aber phänomenal! Er legt immer im richtigen Moment los und schafft es, auf minimalem Raum Wunder zu tun (…)! Ohne den Dicken ist der „Corinthians“ ein anderes Team! Er mag bei seinem ersten Auftritt ausgesehen haben wie ein Sumo-Ringer, aber er nimmt sein Comeback ernst. Ich würde ihn nach Südafrika mitnehmen! Glückwunsch, phänomenales Dickerchen!"

So wird die Schwäche womöglich noch zum Markenzeichen. Und mal ehrlich: so dick ist der Dicke nun auch wieder nicht!



alle Fotos aus dem Netz ohne Angaben zu den Fotografen

Montag, 27. Juli 2009

Romário, para onde?


Morgen, so berichtet die Zeitschrift Veja, wird eine Penthouse-Wohnung im Viertel Barra da Tijuca zwangsversteigert. Bisheriger Besitzer: Romário de Souza Faria, 43, Ex-Fußballer und einer der größten Stürmer der Fußballgeschichte. Während Ronaldo, das Phänomen, sich schwergewichtig und zielsicher in einen zweiten Aufstieg kickt, geht es mit seinem Ex-Kollegen steil bergab.

Dabei hatte der Mann sich erst letztes Jahr in die Rente verabschiedet – nachdem er mit den 1000 Toren des Idols Pelé gleichgezogen hatte (manche behaupten, er habe beim Zählen geschummelt und auch Trainingstore mitgerechnet). Damals hatten allein die beiden Vereine Flamengo und Vasco Schulden in Höhe von umgerechnet fast 10 Millionen Euro bei ihm. Der als großzügig bekannte Romário hatte den Vereinen in Finanzschwierigkeiten mit Privatkrediten ausgeholfen, damit sie ihre Spieler bezahlen konnten. Zu seiner aktiven Zeit war Romário der bestbezahlte Spieler Brasiliens: er bekam knapp 170.000 Euro monatlich bei eben den Vereinen, denen er später half.

Die einen nennen ihn „großzügig“. Dafür spricht die Geschichte, als Romário einem Kumpel seinen Ferrari geliehen hatte. Der Kumpel fuhr den Wagen unbeabsichtigt ziemlich Schrott. „Po peixe*“, soll Romário nur gesagt haben, „jetzt ist mein Wagen hin!“ Der Wahrheitsgehalt der Story ist nicht belegt – aber sie ist nicht unwahrscheinlich. Großzügig ging der Großverdiener auch mit seinen finanziellen Verpflichtungen um. Manche vergaß er einfach. So soll er die Nebenkosten seines Penthouses seit 2003 nicht bezahlt haben – insgesamt eine halbe Million Euro. Dazu kommen Steuerschulden in Höhe von 370.000 Euro. Wegen verschleppter Unterhaltszahlungen an seine beiden ältesten Kinder in Höhe von mehr als 30.000 Euro war er kürzlich sogar 22 Stunden im Knast.

Andere nennen ihn „verschwendungssüchtig“. Der Profi-Fußballer lebte nämlich gerne wie ein kleiner König. Er hielt sich fünf Luxuskarossen gleichzeitig - neben dem Ferrari einen Porsche, einen BMW, einen Volvo und einen Hummer. Mit seiner dritten Ehefrau lebte er in seinem mehr als 770 Quadratmeter großen Penthouse mit eigener Sauna, Dampfbad und Heimkino. Und umgab sich mit einem Hofstaat, der ihn nicht immer gut beriet.

Die Folgen: Nicht genehmigte und schlecht ausgeführte Umbauten an seinem Heim haben Wasserschäden bei den Mietern unter ihm verursacht. Einer zog deswegen aus und verursachte so jeden Monat knapp 9000 Euro Mietausfall für den Besitzer der Wohnung. Der klagt auf mehr als 800.000 Schadensersatz. Eine ebenfalls nicht genehmigte Veränderung an der Fassade brachte zusätzlich einen Prozess von der Hausverwaltung ein. Das Mindestgebot für Romários Heim sind 3,3 Millionen Euro. Ungefähr ausreichend um die summierten Zahlungsverpflichtungen von 28 Prozessen zu begleichen. Dann bleiben immer noch mehr als 40 Prozesse übrig.

„Manchmal fehlte ihm die Orientierung“, sagt sein Berater aus den Jahren 1996 bis 2002 heute. Der musste damals gehen, weil er von den Umbauten abgeraten hatte.

Und wohin geht jetzt Romário?

* Peixe - also auf Deutsch "Fisch" nennt Romário gern seine Freunde
Foto: brasileirao.com

Freitag, 13. Juni 2008

Triumph der Paraibas

Es war eine Heimlichtuerei wie bei kleinen Jungs. Niemand sollte wissen, wo die Spieler des Corinthians aus Sao Paulo vor dem Endspiel hier in Recife übernachten würden, damit keine gegnerischen Fans ihren Schlaf stören. (Zur Erinnerung: in Sao Paulo ließen Böllerschüsse die Spieler aus Recife kaum schlafen) Tage vor dem Endspiel der Copa do Brasil war außerdem nicht bekannt, wie die beiden Mannschaften genau aussehen würden. Nur die gegenseitigen Beschimpfungen waren schon in vollem Gang: „Carlinhos Balla, wer soll das schon sein“, taten die Corinthians-Fans den legendären Stürmer des Sport Clube Recife ab. „Ihr könnt ruhig kommen, aber stellt euch darauf ein: wir putzen euch weg“, erwiderten die Sport-Fans. 35.000 Eintrittskarten waren binnen eines halben Tages verkauft. Mein Bekannter Valdenio, dessen Leidenschaft für den Sport Clube seine Ehe bereits um einiges überdauert hat, war unter den ersten und hat umgerechnet rund 16 Euro bezahlt. Auf dem Schwarzmarkt später sollen die Tickets mehr als 120 Euro gekostet haben.

Ich habe keines gekauft, und war trotzdem bei so einigem dabei. Mein kleines Dorf ist nämlich angenehme vierzig Kilometer von Recife entfernt, und es gibt hier ein Fünf-Sterne-Hotel. Jawohl. Das liegt einsam am Ende des Dorfstrands und ist meistens so leer, dass mich der Bademeister auf seinem Wachturm begrüßt wie die letzte Überlebende eines Weltuntergangs, wenn ich mit den Hunden am Strand an ihm vorbei laufe. In diesem Hotel haben die Corinthians-Spieler sich versteckt. Die Medien haben behauptet, sie hätten gut geschlafen, bei Meeresrauschen und dem Surren der Air Condition. Vielleicht haben die Geräusche der Air Condition die Böller übertönt. Ich habe sie jedenfalls gehört, bis in die Morgenstunden. Vormittags rauschte dann der Bus mit den Spielern an mir vorbei. Keine Ahnung, wohin sie unterwegs waren, die Entscheidung war ja erst auf den späten Abend angesetzt.

Ebenfalls vormittags flatterten am Nachbarstrand riesige Fahnen – in den Händen der Corinthians-Fans. Sie waren in Massen in Autokolonnen und angeblich 20 Reisebussen angereist. Die Reisebusse soll der Corinthians-Präsident aus der eigenen Tasche bezahlt haben, um seinen Jungs psychologische Unterstützung auf dem Platz zu garantieren. Und weil 20 Busse viele Freiplätze haben, waren da am Strand neben zivilisierten Fans auch durchaus martialische Gestalten dabei, brasilianische Hooligans eben. Die fragten die einheimischen Strandbesucher – vor allem Surfer – wo es denn verdammt noch mal Drogen zu kaufen gebe in diesem Kaff, sie hätten die ganze Reise gekokst. Als sie vormittags in diesem Kaff auf die Schnelle kein Koks bekommen konnten, ließen sie sich zu mehreren Hundert auf einem Felsen am Ende der Bucht nieder und kifften, dass die Rauchfahnen aufstiegen. Vor den Augen von drei Polizisten, die von unten zusahen. Die drei Ordnungshüter dachten gar nicht daran, auf den Felsen zu steigen: Dort oben hätten sie sich in ein Feindesheer begeben – und das Beweismittel wäre bis dahin ohnehin längst verschwunden. Über der Anarchie-Zone flatterte eine Bob-Marley-Fahne, auf welcher der Rastafari zu seinen Dreadlocks ein Corinthians-Shirt trägt.

Unten am Strand haben sich die wilden Männer übrigens außerordentlich brav verhalten. Zum Beispiel am Zuckerrohr-Saft-Stand von Lúcio. Der ist noch leidenschaftlicher Sport-Fan als Valdenio. Und als ein baumlanger Corinthians-Fan bei ihm einen Saft bestellte, brach es übermächtig aus dem schmächtigen Lúcio heraus: „Ihr werdet schon noch sehen, wie wir Euch vernichten werden, Ihr Stümperverein! Dass ihr euch überhaupt hertraut!“ Und so weiter. Grego, ein Surfer, erstarrte daneben auf seinem Barhocker als hoffe er, dadurch unsichtbar zu werden. „Ich hätte dem Typen die ganze Corinthians-Hymne vorgesungen, wenn der mich nur einmal schief angeguckt hätte. Ich hätte mir deren Wappen auf den Rücken tätowieren lassen, nur um aus der Situation heil rauszukommen“, erzählt er später. Aber der Hüne aus Sao Paulo nahm seinen Saft und trollte sich schweigend.

Es gab nämlich etwas zu verlieren: Außer der Fahrt hatte der Club-Präsident auch noch ein Mittagessen hier im schicken Hotel spendiert. Und dazu wäre der Mann nach einer Prügelei womöglich nicht mitgenommen worden. Wenig später rief eine Lautsprecheransage die Fan-Horden zurück zu den Bussen: Abfahrt zum Essen-Fassen. Die bösen Männer drückten ihre Joints aus, rollten ihre Fahnen zusammen und zogen ab. Wie Schulkinder auf Klassenfahrt.

Der Präsident muss sich ordentlich geärgert haben über seine Investition: die vielen Fans haben eine katastrophale 2:0-Niederlage seines Vereins am Abend nicht verhindern können. Es waren halt doch nur 1000 (laut Angaben der Corinthians) oder 3000 (laut Angaben des Sport Clube) Mannen aus Sao Paulo angereist. Von Polizei eskortiert, haben die erfolglosen Horden anschließend ihre Busse bestiegen, ohne Chance auf Ausschreitungen.

Seitdem tragen hier alle nur noch Schwarz-Rot, die Farben des Sport Clubs. Alte, Junge, Autos, Mopeds und sogar seine Terrasse hat einer in den Farben des Siegs angemalt. Öffentliche Busfahrer hupen im Rhythmus der Sport-Hymne, Fahrradfahrer klingeln sie, Schulkinder brüllen sie durch den Bus. Passenderweise ist morgen lokaler Feiertag Santo Antonio, da läßt sich nahtlos ins Wochenende weiter feiern. Es ist nämlich etwas Unglaubliches passiert: Die Paraibas* haben die Copa do Brasil gewonnen.

* so nennen manche Südbrasilianer, die sich für etwas Besseres halten, die Nordostbevölkerung verächtlich

Mittwoch, 4. Juni 2008

Fußball, Emotionen und das Nord-Süd-Gefälle

Angefangen hat es damit, dass Botafogo gegen den Nautico zu verlieren drohte. Botafogo ist ein Club aus Rio de Janeiro, dessen Fans und Spieler sich normalerweise über den armen Nordosten und seine Fußballvereine erhaben fühlen – zumindestens, solange sie ihnen nicht gefährlich werden. Solches Denken ist Tradition für viele Cariocas, die ja auch Einwanderer aus dem armen Nordosten gerne mit „Paraiba“ bezeichnen, und das durchaus abwertend meinen. Geraten nun im Fußball solche Welten aneinander, kann das die Gemüter bis zum Siedepunkt erhitzen. So geschehen am vergangenen Sonntag, als Botafogo hier in Recife gegen den einheimischen Nautico spielte.

Botafogo geht es nicht besonders gut in den diesjährigen Meisterschaften. Aus dem Libertadores ist der Club schon draußen, aus der Copa do Brasil ebenfalls, bleibt nur noch der Brasileirao – und auch da ist sein 14. Platz nicht gerade Grund zur Freude. Und nun in Recife, gelingt dem Nautico das erste Tor. Panisch wechselt der neue Trainer als vermeintliche Rettung den Abwehrmann Luis André ein, der seine Ellenbogen so aggressiv auf Körperkontakt programmiert, dass er bald die gelbe Karte zu sehen bekommt und schließlich des Spielfelds verwiesen wird. Schimpfend trollt sich der Mann auf die Reservebank. Auf die er nicht gehört: Wer des Platzes verwiesen wird, gehört in die Umkleide. Jedenfalls: Weg vom Platz.

30.000 Nautico-Fans auf der Tribüne brüllen den Mann nieder, doch Luis André will nicht gehen. Wütend zeigt er den gegnerischen Fans den Stinkefinger und schleudert eine Wasserflasche gegen die Sitzreihen. Es ist wie im Slapstick: die Wasserflasche fliegt in die Höhe, trifft einen älteren Herrn an der Brille und zerschmettert dieselbe. Derweil bittet die Polizistin Lúcia Helena den baumlangen wütenden Kerl, ihr doch bitte vom Platz zu folgen. „Wenn du mich festnimmst, verklag ich dich, du Scheiß-Polizistin“, meckert der Hüne. Woraufhin er wirklich festgenommen wird, die anderen Botafogo-Spieler sich auch noch aufregen und sogar der Vereinspräsident versucht, einzugreifen. Als sei wüstes Meckern und Beleidigen eben so die Art der Botafoguenses. Verloren haben sie dann außerdem, Drei zu Null, was Abrutschen auf Platz 15 bedeutet.

Und die Folge der Geschichte? Die Medien kommentieren nicht etwa das ungehobelte Auftreten von Luis André und seinem Vereinschef. Sie schreiben von Amtsmißbrauch der Polizei, von exzessivem Eingreifen, von „die Polizisten hätten beachten müssen, dass es sich um ein Sportereignis handelt.“ Wie jetzt? Im Fußball darf der Spieler Fans und Polizisten beleidigen, Leute verletzen und alles ist fein? Scheint so.

Vielleicht war es keine gute Idee, in der Macho-Welt des Fußballs ausgerechnet eine Polizistin loszuschicken, um den mehrere Köpfe größeren wütenden Spieler des Felds zu verweisen. Vielleicht war es auch gerade eine gute Idee, denn Lúcia Helena hat in der Stressituation einen weitaus kühleren Kopf behalten als der Macho. Nicht nur in der Situation selbst, sondern auch bei Star-Interviewerin Ana Maria Braga, welche Lúcia Helena Tage später aufs Glatteis locken wollte, frei nach dem Vorurteil: Polizisten sind eben nicht die Hellsten. Ätsch, reingelegt. Lúcia Helena ist durchaus helle und so gelang es ihr, alle Fangfragen so geschickt zu kontern, dass Frau Braga, anstatt sie bloßzustellen, ihr schließlich in allen Punkten Recht gab. Bravo.

Luis André sagte übrigens später auf Anraten seines Anwaltes nicht aus. Der Spieler hat sich durch schnelles Zahlen einer Strafe von 4000 Euro aus der Affäre gezogen. Trotzdem machen sich die Medien weiter über den Bundesstaat Pernambuco und dessen schlecht trainierte Polizei her. Und bestraft wird jetzt der heimische Verein und Stadionbesitzer: Das Stadion ist bis auf weiteres für Spiele gesperrt. Obwohl für die Sicherheit während des Spiels nicht der Club , sondern der örtliche Fußballverband zuständig ist.

So ist das, wenn ein emotionales Volk vom Fußballfieber gepackt wird. Und so ist das, wenn der arme nichtsnutzige, ungebildete Nordosten mit seinen „Paraibas“ Rio und den Süden herausfordert (hier herrscht eher ein Süd-Nord-Gefälle, umgekehrt zu europäischen Verhältnissen). Der Nautico liegt nämlich bislang auf dem dritten Platz im Brasileirao. Und unser Sport Club Recife wird noch heute in Sao Paulo ins Endspiel gegen den dort heimischen Corinthians gehen.

Übermüdet übrigens. Bis in die frühen Morgenstunden ließen Unbekannte Raketensalven vor dem Hotel der Nordost-Spieler explodieren. Es gilt nicht als bestätigt, dass es Corinthians-Fans waren, die den Schlaf der Gegner stören wollten. Trotzdem gehen Gerüchte, die Spieler aus Sao Paulo trauten sich nicht, vor dem Rückspiel in Recife zu übernachten – sie würden in eine benachbarte Stadt ausweichen. Da warnt der Fußballdirektor des Sport Clubs jetzt schon: Falls die Sport-Fans Raketen abfeuern wollen, werden sie dies auch in Maceió und Joao Pessoa tun! Mal sehen, was die Medien dann berichten.
 
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