Donnerstag, 19. Oktober 2006

Wenn das Maniokmehl anrollt - Sonntag am Strand

Der Strand gehört allen. Leider. Denn sonntags kommt das Maniokmehl herangerollt. „Farofa“ ist die billigste Sättigungsbeilage, der die Brasilianer boshaft nachsagen, daß sie das Gehirnwachstum hemmt. Und „Farofa“ heißen auch die mindestens finanziell Minderbemittelten, die am Sonntag den Strand belagern.

Die Farofa ist eine häßliche Nebenerscheinung der Demokratie. Dicke, blasse Hinterwäldler werden zu Dutzenden in altersschwache billig angemietete Busse gepackt und Hunderte von Kilometern an den Strand gekarrt. Dort quellen sie aus den Gefährten wie Eiter und überschwemmen am liebsten unschuldige Strandbarbesitzer. Sie bestellen im Schnitt eine Dose Cola für sieben Leute, denn in ihren Kühltaschen haben sie literweise Rum und auch reichlich Cola dabei. Nicht zu reden von Salzgebäck, Vorgebratenem und ihrem Namensgeber, dem Maniokmehl. Ich erfinde hier mal schnell eine Statistik und behaupte, daß so ein Farofeiro seinen Strandausflug locker für weniger als zehn Euro hinbekommt, inklusive stundenlange Busanfahrt. Wenn die Farofa nach einem gelungenen Strandtag spätnachmittags sturztrunken wieder abrollt, bleibt nur Müll zurück. Verdient hat bestenfalls der Busfahrer.

In vielen Strandorten sind deswegen Ausflugsbusse verboten. Die Busladungen Hinterwäldler müssen in sicherem Abstand zum Strand parken und die letzten Kilometer zu Fuss zurücklegen. Der Hintergedanke: So weit können sie ihre Picknicktaschen voller Rum und Cola und vorgebratenem Trockenfleisch und Maniokmehl nicht tragen.

Am Sonntag brüllt es plötzlich rasend schief und scheppernd in meine Träume. Das ist Pagode – die billigste Variante des Samba, bei der mehrere, meist bedudelte Jungs auf den „cavaquinho“ genannten Mini-Gitarren rumklimpern und sich nicht weiter drum scheren, wenn dabei eine oder mehrere Saiten reißen. Dazu jaulen sie bewundernswert atonal schnulzige Texte. Diese Ton-Untermalung dient den ebenfalls bedudelten jüngeren Vertretern der Farofa als Vorwand, einen Paarungstanz aufzuführen, bei dem die Beteiligten möglichst provokant ihre speckberollten Hüften schwenken und dabei die Bäuche und andere Körperteile aneinander reiben. Genau so heißt das auch: „Rala-bucho“, übersetzt etwa: Bauch-Reiben. Pagode mit Rala-Bucho ist sonntags ziemlich normal. Auffällig ist an diesem Pagode nur, daß die Sonne gerade ihre allerersten Strahlen schüchtern über den Horizont schickt. Es ist fünf Uhr, noch nicht richtig hell, und der Partylärm kommt vom Strand.

Da sage noch mal einer, zu viel Maniokmehl mache dumm. Blödsinn. Diese Farofa ist verdammt schlau. Am Strand bietet sich mir eine geradezu surrealistische Szene. Wie ein Stelldichein zu einem Anti-Model-Wettbewerb. Frauen, Männer, Mödchen, Jungs, Kinder, alle, alle, alle übergewichtig und in knappe Strandfetzen gezwängt, tummeln sich im Sand, wie in einem Ameisenhaufen, in dem gerade jemand mit dem Stock herumgewühlt hat. Hunderte sind das. Sie schwenken Plastikbecher und Flaschen und futtern dazu irgend etwas, was aus der Entfernung nicht zu erkennen ist. Manche tanzen tatsächlich. Sie sind in alten klobigen Toyota-Jeeps gekommen, und die parken einfach mitten auf dem Strand und haben ihre Musik-Anlagen bis zum Anschlag aufgedreht. Niemand hindert sie daran. Weil um fünf Uhr morgens noch keine Polizisten unterwegs sind, um die Farofa-Busse aufzuhalten. Hoffentlich sagen die erfolgreichen Invasoren das nicht allen anderen Farofeiros im Land weiter.

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