Sonntag, 2. September 2007

Die Brasilianer gibt es nicht

Die Brasilianer gibt es nicht. 188 Millionen Menschen heißen Brasilianer. Manche leben in wüstenähnlichen Gegenden, andere im Urwald, wieder andere am Strand. Und nicht mal die Strandbewohner sind sich unbedingt ähnlich. Die von Rio de Janeiro heißen Cariocas und sind ganz eindeutig anders als die Pernambucaner, unter denen ich sonst lebe. Die Pernambucaner sind so etwas wie die Bayern Brasiliens: Ganz gross im Granteln. Wenn ein Zugereister lange genug durchhält, kann er trotzdem mit dem einen oder anderen Pernambucaner Freundschaft schließen. Trotzdem bleibt jede Reise nach Rio ein Besuch in einer anderen Welt: Die Cariocas scheinen mit einem Extra-Gen für Hilfsbereitschaft, Kommunikationsfreude und Freundlichkeit geboren zu werden.

Und das nicht nur anderen Cariocas gegenüber. Der Busfahrer der Linie 384 von Leblon nach Laranjeiras etwa hält unaufgefordert genau an meiner Einfahrt, anstatt an der Bushaltestelle – als ich das zweite Mal mitfahre. An einem anderen Tag diskutiert ungefähr die Hälfte der Mitfahrer eifrig darüber, wo ich am besten aussteige, um ins Centro Cultural der Banco do Brasil zu gelangen –auch dabei werden nicht nur offizielle Haltestellen berücksichtigt. Als ich auf Recherche die Favela Cidade de Deus besuche, fährt mich ein Bewohner stundenlang auf seinem Moto-Taxi durch die Gegend, damit ich – die fremde Journalistin – auch einen richtigen Eindruck von seinem Viertel bekomme. Geld will er nicht dafür nehmen. Im Museumscafé wühlt sich der Café-Kellner geduldig durch mehrere Schränke – weil ich vielleicht meinen Schirm dort vergessen habe. Als er nicht fündig wird, entschuldigt er sich bei mir. So etwas ist mir in Pernambuco in sieben Jahren nicht passiert.

Letztens sah ich an einem netten kleinen Häuschen hier im Dorf ein Schild: Zu verkaufen. Die Nummer hatte ich mir schon länger notiert, aber angerufen habe ich erst gestern, Das heißt, ich habe Ricardo anrufen lassen, weil ich mich nicht gleich am Telefon durch meinen Akzent entlarven und damit die Preisliste für reiche Ausländer aufrufen wollte. Ricardo ist zwar Carioca, aber immerhin Brasilianer. Er ruft also die Nummer an, die auf dem „Zu-Verkaufen“-Schild steht. Es ergibt sich folgender Dialog:

Weibliche Stimme: Wer spricht?

Ricardo: Guten Abend, meine Name ist Ricardo, ich habe Ihre Nummer auf dem „Zu-Verkaufen“-Schild an Ihrem Haus gesehen, können Sie mir darüber Informationen geben?

Weibliche Stimme: Ach ja, das Haus. Das verkauft meine Mutter.

Entfernt sich. Im Hintergrund: Mama, da ruft jemand an wegen dem Haus. Schlurfen. Räuspern.
Zweite weibliche Stimme: Wer spricht?

Ricardo: Ich rufe wegen dem Haus an, das Sie verkaufen.

Zweite weibliche Stimme: Haus? Ach so. Nein. Ich habe das Schild vor zwei Wochen aufgehängt. Ich will nicht verkaufen.

Ricardo: Ach? Dann nehmen Sie das Schild am besten wieder ab.

Zweite weibliche Stimme: Aber ich würde vermieten. Wollen Sie das Haus nicht mieten?

Ricardo: Nein danke.

Zweite weibliche Stimme: Wo kommen Sie denn überhaupt her?

Ricardo: Ich wohne hier im Dorf, schon seit Jahren.

Zweite weibliche Stimme: Ja, hm. Ich verlange 45.000 für das Haus.

Ricardo: Haben Sie es sich anders überlegt? Verkaufen Sie doch?

Schweigen.
Ricardo: Wann sind Sie denn in der Gegend? Ich würde mir das Haus gerne ansehen.

Zweite weibliche Stimme: Am nächsten Wochenende. Freitag, Samstag und Sonntag bin ich im Haus.

Ricardo: Gut, ich rufe Sie dann wieder an.

Zweite weibliche Stimme: Aber Sie müssen schon am Freitag kommen.

Ricardo: Gut, ich melde mich. Einen schönen Abend noch.

Klick - die Leitung ist unterbrochen.

Noch Fragen?

Die Brasilianer gibt es nicht.

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