Mittwoch, 19. September 2007

Fiktion und Fakten

Fakt ist: Die Eintrittskarten waren trotzdem innerhalb von einer Stunde ausverkauft. Für die Premiere von „Tropa de Elite“, morgen beim Film-Festival in Rio. Dabei gibt es den Film auf DVD schon für 5 Reais, und das seit Anfang des Monats in den meisten Grosstädten Brasiliens auf der Strasse. Weil auf noch nicht ganz erforschten Wegen eine Kopie über die Tontechnik beim Synchronisieren zu professionellen DVD-Raubkopierern gelangt ist. Natürlich ist das kriminell und illegal. Kriminelles und Illegales sind auch der Inhalt des Films, der als neues Grossereignis nach dem oscarverdächtigen „City of God“ gehandelt wird. Der Film ist brutal. Hervorragend fotografiert. Unglaublich erschreckend. Und Fiktion. Behauptet jedenfalls Drehbuch-Co-Autor Rodrigo Pimentel.

Es geht um einen Hauptmann der Eliteeinheit BOPE, die in Rio hochriskante Missionen vor allem im Kampf gegen die Drogenmafia übernimmt. Was der Film zeigt, ist Krieg. In dem die Spezialtruppen Verdächtigen mal eben eine Plastiktüte über den Kopf stülpen, um sie zum Sprechen zu bringen. Auch wenn die Verdächtigen Kinder sind. Wenn diese gefolterten Kinder dann einen Mittler verraten, werden sie anschließend vom örtlichen Drogenboß erschossen. Einer der Hauptmannsanwärter ist nicht brutal genug für den Job. Weil „es im Krieg kein Verzeihen“ gibt – wie einer der Protagonisten sagt. Stimmt. Ein paar Studenten, die ihr soziales Gewissen und ihren Bedarf an Drogen in der Favela befriedigen wollen, läßt der Boss „in die Mikrowelle“ stecken. Das bedeutet, sie werden in einen Turm aus aufgeschichteten Reifen gestellt, mit Benzin übergossen und angezündet.

Viele der BOPE-Anwärter sind korrupt. Lassen sich von der Drogenmafia bezahlen, dass sie rechtzeitig Tipps geben, wenn ein Polizeieinsatz bevorsteht. Haben ein paar Nutten in Copacabana laufen. Verkaufen Waffen an die Banditen und lassen sich in Kokain bezahlen. Und Hauptmann Nascimento erträgt das alles nicht mehr.

Fiktion, sagt Ex-BOPE-Hauptmann und Drehbuchautor Pimentel. Zufällig schrieb auch sein Nachfolger im BOPE, der inzwischen selbst ausgeschieden ist, am Drehbuch mit. So realistisch ist der Film geworden, dass ein paar Bope-Mitglieder seine Ausstrahlung gerichtlich verhindern lassen wollten. Ist ihnen nicht gelungen. Und vor dem Gerichtsentscheid hatten den Film ohnehin schon Zigtausende gesehen. Die Raubkopie. Ob und wie sehr die Kino-Einnahmen durch die Raubkopie beeinträchtigt werden, mögen die Vertreter von Paramount nicht abschätzen. Vorsichtshalber haben sie die Kino-Premiere vorgezogen. Und betonen, dass im Kino die Originalversion gezeigt wird – wogegen die Raubkopie nur die dritte Schnittversion sei, der diverse Spezialeffekte und Szenen fehlten. Den Fans ist das egal: Auf der Website des Hauptdarstellers freuen sie sich alle heftig auf den Kinostart.

Der Film ist also Fiktion. Aber zum Making-Of gibt es Fakten: Hauptdarsteller Wagner Moura brach beim Brachial-Training versehentlich einem Polizei-Ausbilder die Nase: Weil der ihn bis an seine psychischen Grenzen gebracht hatte. Ein Kleindarsteller konnte nach dem Training gar nicht mehr drehen: Er hielt sich inzwischen für einen echten Auszubildenden für den Bope. Die Drehbedingungen waren insgesamt realistisch: Die Darsteller in der „Ausbildung“ durften zur Strafe in eiskaltem Wasser stehen oder vom Boden essen – ganz wie die echten. Mitten in den Dreharbeiten wurde dem Team mal eben ein Kleinbus mit 90 Film-Waffen gestohlen. Und noch bevor der Film fertig war, wurde er gestohlen.

Ein Präzedenzfall in Brasilien, über den sich sogar die Regierung besorgt zeigt. Der Schauspieler, der im Film einen korrupten Luden und Militärpolizei-Hauptmann darstellt, hat dazu im richtigen Leben vor der Polizei aussagen müssen, weil er womöglich der erste war, der eine Raubkopie in die Hände bekam. Ein Geschenk eines Freundes, sagt der Schauspieler. Mag stimmen oder auch nicht. Regisseur José Padilha sagt : „Verbindungsmann zwischen dem Filmdieb und den Raubkopierern war ein Militärpolizist – was die Theorie des Films nur beweist.“

Und das ist das Erschreckende. Der BOPE, der in den 70er Jahren gegründet wurde, gilt als eine der weltbesten Polizei-Spezialeinheiten –ein Vertreter der us-amerianischen Nationalgarde nennt sie im Dokumentarfilm „Wardogs“ sogar die Beste der Welt. Aber der BOPE hat nur wenige Männer, und die rekrutiert er aus den Reihen der Militärpolizei. Bis Ende Juli dieses Jahres wurden aus der brasilianischen Militärpolizei 161 Männer ausgeschlossen, weil sie sich in kriminelle Machenschaften verwickelt hatten. Beinahe täglich wird in Rio ein Militärpolizist festgenommen – 334 waren es im letzten Jahr. Anfang dieser Woche wurden im Bundesstaat Rio aufgrund von abgehörten Telefonaten 56 Militärpolizisten festgenommen. Alle aus dem gleichen Batallion – das heißt, jeder zehnte dieses Batallions ist betroffen und wird von der Militärpolizei ausgeschlossen. Die Gründe: Bandenbildung, Korruption und Verbindungen zum Drogenhandel. Das ist leider keine Fiktion.

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