Freitag, 7. September 2007

Endlich Sommer

Heute fahren alle an den Strand. Denn heute fängt der Sommer an. Anderswo in Brasilien mag das erst in ein paar Monaten passieren, aber hier im Nordosten ist heute „Abertura de verão“ – Sommer-Eröffnung. Wer wann und warum damit angefangen hat, den Sommer vorzuverlegen, weiß ich nicht. Vielleicht ist das so eine ähnliche Marketingmasche wie der antizyklische Karneval, der mancherorts im Oktober zusätzlich zum eigentlichen Termin ausgerufen wird. Jedenfalls kommt die vorverlegte Sommereröffnung hier allseits bestens an. Schliesslich haben alle Strandbarbesitzer und Schmuckhersteller und Buggyfahrer lange, karge, verregnete Wintermonate auf diesen Tag und seine Einnahmen hingewartet. Und auch die strandfern vor sich hin ackernden Binnenland-Brasilianer wollen nur zu gerne die letzten Monate vergessen, in denen der Regen Strassen in Schlammfluten verwandelt hat und Strände in graue öde Landschaften: In Massen strömen sie in alle stadtnah gelegenen Orte am Meer.

Das Wetter hat auf die Kolonnen Sommereröffnungs-Reisender wenig bis keinen Einfluß. Zum Stichtag sind traditionell sämtlich Zugangsstrassen zu Strandorten verstopft, dabei geschehen reichlich Unfälle wegen Trunkenheit am Steuer und wird vermutlich mehr Alkohol konsumiert als in den nächsten Wochen zusammen. Besonders Schlaue reisen schon am Donnerstag an. Hilft aber nichts, weil die Idee nicht so richtig originell ist: Gestern nachmittag etwa hat der Bus von Recife vor lauter Staus statt der üblichen zwei Stunden locker dreieinhalb gebraucht. Ganz zum Schluß hat der freundliche Busfahrer trotzdem für eine kleinere Gruppe Wochenendreisender außerplanmäßig gehalten: Sie hatten ihren Wochenendvorrat an Rum- und Colaflaschen, Bohnen, Reis und Nudeln, Chips, Flips, Milchpulver und Haarkuren in ungefähr vier Dutzend Plastiktüten dabei und brauchten allein zehn Minuten zum Ausladen.

So vorausgedacht haben längst nicht alle; heute mittag hatten die anderen Kurztrip-Besucher den einzigen Supermarkt hier im Dorf beinahe leergekauft. Kein Saft mehr und kein gekühltes Bier, kein Trockenfleisch und kein Brot - was man halt so braucht für ein gemütliches Wochenende mit Freunden. Dafür sind die Strassen um so voller. Dutzende Urlauber in Bikinis oder Shorts laufen durchs Dorf - auf der Suche nach Getränkenachschub für ihre Terrassen, wo der Rest der Familie mit Freunden bei Musik zusammensitzt. Manche machen die Bierdosen gleich vor dem Getränkemarkt auf und improvisieren auf der Mauer des Süssigkeitenladens daneben eine Privatkneipe. Wildfremde setzen sich dazu und bald ist die Party im Gang. So viel los ist hier im Dorf vermutlich erst wieder an Karneval.

Natürlich ist heute Feiertag. An Arbeiten wäre auch gar nicht zu denken: Musikfetzen aus Bossa Nova, Samba, Rio Funk und Schmalzschinken mischen sich zu einem völlig neuen Musikstil, während dicke Schwaden Grillwolken verführerisch durch die Gassen ziehen. Und weil sie so froh sind, dass endlich Sommer ist, feiern viele Ferienhausmieter in Schichten – während eine Hälfte ausruht, singt und trinkt die andere weiter – nur die Stereoanlage macht durch. Manche verlassen ihre Terrasse das ganze Wochenende nicht. Bei der Sommereröffnung geht es nämlich gar nicht darum, wirklich den Strand und das Meer zu sehen. Es geht darum, hinterher sagen zu können: Wir sind am Wochenende an den Strand gefahren und haben mal wieder so richtig gefeiert. Endlich Sommer!

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