Mittwoch, 12. September 2007

Immer nur die Mama

Anhänglicher sind die brasilianischen Schüler bestimmt nicht. Aber vielleicht ihre Eltern ängstlicher. Oder es fällt ihnen einfach keine bessere Ausrede ein. Jedenfalls sagen die Schüler hier meistens: „Das ist meine Mama!“ – wenn ihr Telefon mitten in der Mathestunde klingelt und die Lehrerin einen strengen Blick riskiert. Manchmal sagen sie auch gar nichts, weil sie damit beschäftigt sind, SMS zu schreiben. Oder sie filmen den Lehrer beim Unterrichten und veröffentlichen den Clip dann zur Belustigung im Internet. Echte Kommunikationsfreaks diese Schüler. „Es gibt dringende Gespräche, die man auf jeden Fall annehmen muß, auch im Unterricht“, bestätigt der 16jährige William - und meint damit vor allem Anrufe seiner Freundin. Computer sind in brasilianischen Schulen immer noch keine Selbstverständlichkeit - Handys hingegen gelten als unverzichtbares Alltags-Accessoire.

Und das soll weg. Raus aus den Klassen. Wenigstens während der Unterrichtszeit. Was den Lehrern nicht gelingt, soll jetzt ein Gesetz schaffen: Ein Entwurf sieht Handyverbot in den öffentlichen und privaten Schulen von Sao Paulo vor - im reichsten Bundesstaates Brasiliens ist das Problem vermutlich besonders akut. Sogar vereinzelte Schüler finden es nicht mehr so toll, wenn gleich mehrere Handys im Unterricht klingeln und vom Stoff nichts mehr mit zu bekommen ist. Die Abgeordnetenkammer hat dem Handyverbot schon zugestimmt – es fehlt nur noch das Ok des Gouverneurs José Serra.

Derweil verursacht das Thema reichlich Polemik. Ein Konzentrationshindernis sehen die Autoritäten. Kontaktsperre fürchten Eltern, die aus Sicherheitsgründen ständig mit ihrem Nachwuchs sprechen können wollen. Psychologieprofessor Yves de La Taille von der Universität Sao Paulo USP ruft: Sittenverfall! Lächerlich, dass man etwas per Gesetz durchsetzen wolle, was eine moralische Offensichtlichkeit sei. Die Sitten sind wohl noch weiter verfallen, als der Professor annimmt: Manche Schüler spielen offenbar jetzt schon mit dem Gedanken, gegen das künftige Gesetz zu verstoßen. „Wie hoch sind denn die Strafen“, fragen sie, und „kommt man dann ins Gefängnis, wenn man trotzdem sein Handy dabei hat?“.

Das klingt ein bißchen so, als sei deren Unrechtsbewußtsein tatsächlich eher schwach entwickelt – frei nach dem Beispiel straffrei betrügender Politiker. Denn die Handys in der Klasse bringen natürlich auch handfeste Vorteile. Beim Spicken etwa. Statt sich Wesentliches auf Handrücken, Zettel oder Hemdsärmel zu schrieben, haben in den Handy-Hoch-Zeiten viele die Notizfunktion des Geräts genutzt. Und ein paar ganz Schlaue haben die Prüfungsaufgaben einfach abfotografiert und an Freunde gesendet. Die konnten dann blitzschnell zuhause die Lösungen recherchieren und per SMS in den Prüfungsraum zurückschicken.

So gesehen muß man fast hoffen, dass es mit der Vernetzung der brasilianischen Schulen noch eine Weile dauert. Denn Spicken läßt sich auch per Mail. Und im Zweifelsfall einfach behaupten: „Ist nur von meiner Mama!“

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