Samstag, 15. September 2007

Ein Hoch auf die Heuchelei

Nicht nur in den großen Städten lernen Kinder Schimpfwörter. Und ins Teenie-Alter müssen sie dafür auch nicht erst kommen. Das weiß jeder. Nur die Eltern der kleinen Schätzchen anscheinend nicht.

Es war einmal in einer kleinen Stadt von 35.000 Einwohnern im Osten des nordbrasilianischen Staates Pará. In einer Grundschule dieser kleinen Stadt riefen die Kinder am liebsten: „Caralho!“ (Schwanz) und „Busseta!“ (Möse) – und was es sonst noch an vulgären Bezeichnungen für die primären Geschlechtsorgane gibt. So lange und so häufig taten die Elfjährigen das, bis es ihrer Lehrerin – bekennendes Mitglied einer protestantischen Kirchengemeinde - zu bunt wurde.

„Ihr wißt ja nicht einmal, was ihr da redet“, schimpfte sie. Und zog die logischen Konsequenzen: Sie schrieb all die schlimmen Wörter, die ihre Schüler so gerne in den Mund nahmen, an die Tafel. Forderte sie auf, die Liste ordentlich abzuschreiben. Und im Wörterbuch nach dem Sinn dieser Wörter zu suchen. Wer weiß, dass sein Lieblingsschimpfwort eigentlich „Schwanz“ bedeutet, hat eine größere Chance, darauf zu kommen, dass so ein Schwanz gar nichts Schlechtes ist – und ergo auch eine größere Chance, sich ein anderes Lieblingsschimpfwort zu suchen. Wäre immerhin einen Versuch wert, könnte man meinen.

Die Kinder nahmen also ihre Liste als Hausaufgabe mit. Und plötzlich waren ihnen die Wörter peinlich, wie sie so Schwarz auf Weiß im Schulheft geschrieben standen. So peinlich, dass der Vater eines der Elfjährigen, nachdem er in dessen Heft gesehen hatte, was der peinliche Unterrichtsinhalt war, haarscharf darauf schloß, dass der unschuldige Kleine solchen Schmutz bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal gehört haben müsse. Diese Frau „bringt den Kindern Unrechtes bei und darf nicht straflos davon kommen!“, erregte sich der Soldat und Familienvater – und erstattete Strafanzeige bei der örtlichen Polizei. Seinem Beispiel folgten zwei weitere Eltern. Sie berufen sich auf Artikel 234 und 140 des Strafgesetzbuches, in denen es um Verbreitung öbszoner Ausdrücke und Objekte sowie um Beleidigung geht – Vergehen, die in Brasilien mit Geld- und sogar Gefängnisstrafen geahndet werden können.

Die beanstandeten Worte sind damit nicht aus der Welt zu schaffen. Trotzdem verschweigen sogar die Presseberichte über den Vorfall die Wörter des Anstoßes ängstlich. Wacht auf, Leute! Begriffe wie „Möse“ und „Schwanz“ begegnen auch unter Elfjährigen ständig im Alltag: im TV, im Shoppingcenter oder in Songtexten! Die nächste Lehrerin wird sich bei ähnlicher Gelegenheit wahrscheinlich die Ohren zu halten. Auch wenn ihre strenggläubige Kollegin laut Behördenbeschluß immerhin weiter unterrichten darf. Ein Hoch auf die Heuchelei!

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