Samstag, 26. Januar 2008

Folgenreiche Fotos im Orkut

Die Brasilianer haben ein besonderes Verhältnis zum Orkut. Von Anfang an. Fünf Monate, nachdem das Freundschaftsnetz gegründet wurde, hatten sie schon die größte Gemeinschaft beisammen – und damit die Gründer, die Amerikaner, überrundet. „Wir mobilisieren uns schneller!“, „Wir schließen schneller Freundschaften!“, „Wir sind stärker als wir denken!“ jubelten damals viele. Ein Jahr später reagierte Orkut-Betreiber Google mit einer portugiesischen Version für die inzwischen überwältigende Mehrheit der brasilianischen Orkut-Nutzer. Heute stellen die Brasilianer mehr als 70 Prozent der Acht-Millionen-Gesamt-Gemeinschaft. In dieser Entwicklung sehen manche euphorisch den Beweis für eine digitale „Alfabetisierung“ des brasilianischen Volkes, andere kommentieren bösartig: „Vielleicht sind wir auch nur weniger selektiv in unseren Freundschaften als andere“.

Dumme Menschen machen besonders gerne Lärm“ - behauptet Internaut Ricardo Bánffy. Lärm im Orkut könnte auch heißen: Exhibitionismus. Nirgends ist der öffentliche Raum so leicht zu erobern, wie in der virtuellen Welt. Der Exhibitionistenboom reicht von klischeemässig knapp bekleideten Strandschönheiten bis zu Mackern mit Knarren in der Hand (die Fotos sind vermutlich erst dann illegal, wenn die Knarren echt sind). Demokratisch ist der Orkut allemal. Während einerseits ebenfalls von Anfang an rassistische Gemeinschaften innerhalb des Orkut auftauchten – und ebensolange bekämpft werden - , wird aus der großen Gemeinschaft niemand wegen seiner Farbe, Religion und nicht einmal wegen echter Charakterfehler ausgeschlossen. Jeder, der sich einladen läßt, kann dabei sein. Ein Effekt davon ist: In der virtuellen Welt können Menschen miteinander Kontakt haben, die sich sonst womöglich nie begegnen würden. Das kann spannend sein und ein großer Fortschritt.

Internaut Vladimir hingegen klagt über sich und die anderen Orkut-Benutzer: „Mit raren Ausnahmen sind wir doch nur mit unserem eigenen Bauchnabel beschäftigt und nicht mit dem der anderen.“ Da hat er womöglich Recht. Qualitative Untersuchungen darüber, was die Masse der Orkutianer inhaltlich so bewegt, gibt es anscheinend keine. Das muss aber kein Nachteil sein. Manchmal ist es wunderbar, dass wir so mit unserem Bauchnabel beschäftigt sind und noch wunderbarer, dass es die raren Ausnahmen tatsächlich gibt.

Letzte Woche geschah nämlich Folgendes. Eine mit ihrem eigenen Bauchnabel beschäftigte brasilianische Dame fühlte sich befleißigt, von ihrem Strandurlaub mit ihrem Liebsten reichlich Fotos in den Orkut zu stellen. Inklusive einer Serie, die ihren Kerl in einer Badewanne voll Schaum und mit Rosa Brille zeigte. Waren offensichtlich ausgelassene Urlaubstage.

Bis jemand die Fotos sah, der nicht mit dem eigenen Bauchnabel beschäftigt war. Und in dem fröhlichen Schaumbader den „Barao do Pó“ erkannte, einen der größten Kokainhändler von Rio de Janeiro. Saulo da Rocinha, wie der 32Jährige auch genannt wird, war im Dezember 2005 aus dem Gefängnis ausgebrochen und seitdem untergetaucht. Er soll pro Monat eine Tonne Marihuana und 50 Kilo Koks in die Favelas der Stadt verschoben haben und sogar über ein eigenes Koka-Labor verfügen. Im Januar, dem brasilianischen Ferienmonat, machte auch der Koks-Baron Urlaub und badetet am Strand von Maragogí. Saulos Rückflug aus dem Urlaub in Alagoas am 21. Januar ging dann auf Staatskosten. Und in Handschellen. Dank der brasilianischen Gemeinde im Orkut. Und dank der Bauchnabelschau seiner Frau.

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