Donnerstag, 10. Januar 2008

Ein Freund für den einsamen Urwaldbewohner

Morgens tirilieren hier die Vögel um die Wette wie in einem Garten Eden. Seit einiger Zeit wird das liebliche Getriller und Getschirpse ergänzt durch einen kräftigen Sägeton, ein bißchen so, als rutsche eine Eisensäge auf zu glattem Sägegut ab. Klingt sehr exotisch, ein bisschen wie im Urwald. Nur wohne ich bekanntlich nicht im Urwald, sondern in einem Dorf am Meer.

Aber wenn die Brasilianer Haustiere lieben, so sind es zuallererst Vögel, jedenfalls hier im Nordosten. Und zwar nicht etwa zahme Zucht-Kanaris. Am beliebtesten sind spät domestizierte Wildvögel, besonders solche, die sich nicht leicht fangen lassen – abgesehen davon, dass das Fangen natürlich absolut illegal ist. Das Illegale mag den Besitzreiz noch steigern. Dafür machen sich die Käfigvogel-Liebhaber einige Mühe mit ihren Gefangenen. Vor allem sehr früh morgens sieht man junge bis alte Männer (eine Frau habe ich erstaunlicherweise in all den Jahren noch nie gesehen) viele Kilometer weit durch die Landschaft spazieren – den Vogelkäfig immer schön am ausgestreckten Arm balancierend. Vielleicht ist das ein Trost für die Eingesperrten: Immerhin sehen sie das Grün noch, durch das sie nicht mehr fliegen können. Je mehr sie „raus kommen“, desto mehr singen sie, behaupten die Spaziergänger.

Manche tragen ihre Lieblinge nahezu immer mit sich herum, ich habe schon Bauarbeiter gesehen, die nicht ohne ihren Käfigbewohner zur Arbeit gingen – ob Baulärm und Staub die Singfreude steigern, mag ich allerdings bezweifeln. Ansonsten muß ich zugeben, das die Geräusche der Gefangenen meines Vermieters jeden Morgen überaus lieblich in mein Schlafzimmer klingen, auch wenn sie vermutlich nur verzweifelt schreien: Wo sind meine Kumpels? Lasst mich hier raus!

Vor ein paar Wochen kam der Urwaldsäger dazu. Den trägt nie jemand durch die Gegend. Er ist auch deutlich größer als die üblichen Eingesperrten. Und deutlich verzweifelter. Ich habe mal mitgezählt: Sein Sägen läßt er rund 18 Mal pro Minute ertönen, richtig glücklich klingt das nicht. Er ruft und sägt so laut, als müsse er damit seine Kumpels im Amazonaswald erreichen. Vielleicht versteht ihn das Kleingeflügel in der Nachbarschaft nicht. Dem Besitzer macht das ohrenbetäubende Klagen nichts aus. Als ich diskret angefragt habe, wo denn der Neuling herkomme, sagte der Rentner stolz: „Der Ferreiro kommt aus dem Urwald, toll nicht?“ Toll ja.

Toll verboten auch. Der Ferreiro-Besitzer hält außerdem einen Papagei gefangen, was ebenso verboten ist. Deswegen habe ich insgeheim schon überlegt, ob ich die Umweltbehörde „Ibama“ auf den Plan rufen sollte –für zwei illegal Gekidnappte würden die sich vielleicht sogar auf den Weg hier in die Pampa machen.

Dann ist vor ein paar Tagen etwas anderes passiert: Das Sägen hat deutlich an Frequenz, nicht aber an Intensität zugenommen. Manchmal klang es geradezu schüchtern. Zuerst dachte ich: Der Urwaldvogel wird schwach, wahrscheinlich geht er vor Einsamkeit ein. Bis ich gestern direkt an der (übrigens vergitterten! Der Besitzer steht wirklich auf Käfige!) Terrasse vorbei kam. Dort hingen der Säger und der Papagei in ihren Behausungen nebeneinander. Erst sägte der Säger. Dann sägte der Papagei. Ganz so, als sei er dabei, die Sprache des Exoten-Zugangs zu lernen. Beide sahen dabei sehr konzentriert aus. In Kürze können sie sich wahrscheinlich fließend unterhalten. Der Urwaldsäger und Eisenbearbeiter (Ferreiro) hat einen Freund fürs Leben gefunden. Soll ich die beiden jetzt etwa durch Denunzieren trennen?

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