Dona Fátima hat Sorgen. Das merke ich sofort, weil sie morgens deutlich lauter und länger mit ihren beiden Töchtern schimpft als üblicherweise. Die Töchter sind 13 und 15 Jahre alt – und das ist an sich schon Grund genug, sich aufzuregen, findet Dona Fátima. Momentan ist es aber einer der Söhne, der ihr noch mehr Kopfzerbrechen macht. „Ich habe ihm ja gleich gesagt: Du wirst noch im Gefängnis landen!“, schimpft Fátima.
Das Problem: Der Sohn - 21 Jahre alt, arbeitslos, Schulabbrecher, lebt bei Oma und Opa und schlägt sich so durch – hat sich verliebt. In eine 15Jährige. Tochter aus gutem Hause. Vom Verlieben zum Verführen war der Weg schnell und gedankenlos. Sich-Verführen-Lassen aber ist in ehrwürdigen Familien hier im Nordosten eine Sache, die mit den Worten „sich verlieren“ bezeichnet wird. Die Tochter hat sich mit Fátimas Sohn verloren. Das ist schlimm. Der Vater des Mädchens könnte Fátimas Sohn anzeigen, denn auch in Brasilien wird die sogenannte Unzucht mit Minderjährigen unter 16 Jahren auf Antrag strafrechtlich verfolgt. „Ich hab es ihm vorher gesagt!“, klagt Fátima. Das hat natürlich, wie fast immer bei verliebten Jugendlichen mit Hormonstau, nichts genutzt.
Es ist durchaus üblich, dass Väter ihre verlorenen Töchter nicht mehr haben wollen, sobald sie ihr anscheinend wichtigstes bis einziges Gut weggegeben haben. Hier im Nordosten überleben ja erstaunlich archaische Bräuche. Dazu gehört es, verlorene Töchter bei dem Verlierer einfach abzugeben. Ein Bekannter kam so recht unverhofft zu einer „Ehefrau“: Er hatte sich mit der Siebzehnjährigen eher locker verbunden gefühlt, bis diese ihrem Vater erzählte, dass sie sich verloren hatte. Am nächsten Tag erschien der Vater mit Tochter und einem Kleiderbündel bei meinem Bekannten und lieferte das Mädchen mit den Worten ab: „Jetzt kannst du sie auch behalten“.
Fátimas Lösungsidee war also folgende: sie hat dem Vater der verlorenen Tochter angeboten, das Mädchen bei sich aufzunehmen. Vielleicht würde er dann ja von einer Anzeige absehen. Doch der Vater lachte ihr nur ins Gesicht. „Meine Tochter“, sagte er, „ist ein anderes Niveau gewohnt, als das Ihre – Sie können ja nicht mal ihre Haarpflegeprodukte bezahlen!“ Einerseits war Fátima ganz froh, sagt sie, denn der Mann hatte insofern Recht, als allein ein weiterer zu fütternder Mund ihre wackelige Finanzplanung deutlich ins Wanken gebracht hätte. Andererseits: Wer war dieser Mann, dass er es wagen konnte, sie so zu beleidigen?
Das war vor ein paar Wochen, sagt Fátima. Und jetzt hat sich dieser Mann erneut bei ihr gemeldet und ihr gesagt, sie könne seine Tochter haben. „Was kann denn das nun bedeuten?“, fragt Fátima. „Die ist doch bestimmt schwanger. Da habe ich bald drei Esser mehr am Hals“. Die Sorgen um die 13- und 15jährigen Töchter bleiben ihr außerdem. Aber vielleicht kann sie die dann auch irgendwann woanders abgeben.
Montag, 7. Januar 2008
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