Sonntag, 3. Februar 2008

Verführerische Piraten

Letztens hat mich ein Freund zum Filmegucken eingeladen. So eine Einladung ist hier besonders erfreulich, weil mich stundenlange Busfahrten vom nächsten Kino trennen und ich sämtliche Nicht-Action-DVDs der Dorf-Videothek schon lange kenne. Entsprechend freudig traf ich zur verabredeten Stunde bei Almir ein. Almir kramte stolz in seinem DVD-Regal und zeigte mir, was er für den Abend vorgesehen hatte: „Mein Name ist nicht Johnny“, einen Film nach einer wahren Geschichte über einen Mittelklasse-Sprössling aus Rio, der erst zu einem der größten Drogenhändler wird, in der Knast-Psychiatrie doch noch die Kurve kriegt und heute Musikproduzent ist. Der Film wird in allen Kritiken hochgelobt und ich wollte ihn unbedingt sehen. Nur: Er läuft erst seit wenigen Wochen im Kino und ist noch nicht auf DVD herausgekommen. Woher kam also Almirs Kopie? Almir grinste verlegen. Er habe der Versuchung nicht widerstehen können. Die DVD sei eine Raubkopie (auf Brasilianisch: DVD pirata). Was bliebe ihm denn übrig, wo er doch hier am Ende der Welt in der kulturellen Wüste lebe.

Wie gesagt, ich wollte den Film unbedingt sehen. Wer weiß, ob er nach Karneval noch im Kino läuft. Moral hin, Moral her. Ich schwieg zu dem Thema, wir legten uns ein paar Schokokugeln bereit, gossen uns frischen Graviolasaft ein, und Almir schob die Raub-DVD in den Player.

Auf dem Bildschirm erschien ein zittriges Bild mit seltsamen dunklen Rändern. War das ein Stilmittel? Sollte das Ganze wie ein Amateur-Doku-Drama gefilmt sein? Die Kritiker hatten nichts dergleichen erwähnt. Und was war mit dem Ton los? Waren Almirs Lautsprecher kaputt? Nachdem mein Gastgeber an einigen Kabeln gezupft hatte, schloss er einen Wackelkontakt definitiv aus. Trotzdem blieb der Ton grauenhaft übersteuert, unmöglich, zu verstehen, was gesprochen wurde. Wir konzentrierten uns also um so mehr auf das unscharfe Bild, um den fehlenden Dialog durch die visuellen Informationen zu kompensieren. Dann kippte das Bild plötzlich weg, wurde der ganze Bildschirm schwarz.

Ich hatte mich ja schon vorher leise gefragt, woher diese verdammt frühe Raubkopie herkam, wovon sie kopiert war, wenn es doch noch keine offizielle DVD gab. Jetzt wurde mir alles klar. Der Raubkopierer hatte sich einfach mit seiner Handkamera ins Kino gesetzt und den Film von der Leinwand abgefilmt. Und schwarz war der Bildschirm, weil ihm die Kamera verrutscht war. Vielleicht hatte ihn seine Freundin geküßt. Oder er hatte in die Popcorntüte gegriffen. Auch als das Bild wieder auf die Beine kam, blieb es unscharf, wie verwackelt. Irgendwann versuchte der Hobby-Filmer, wenigstens den schwarzen Rahmen auszuschalten, indem er näher an die Leinwand heranzoomte. Das Ergebnis war so grotesk, dass wir irgendwann nur noch lachen konnten.

Almir schnaufte noch, als er mir erzählte: „Und der Typ, der mir den Film verkauft hat, war sich sicher, einen Stammkunden in mir gewonnen zu haben: Ich bin immer am gleichen Platz, hat er gesagt“. Das war dumm von ihm, denn man kann sogar Raubkopien umtauschen, und genau das hat Almir jetzt vor.

Natürlich ist DVD-Piraterie auch in Brasilien illegal. Gleichzeitig ist dieser illegale Markt eine der größten Wachstumsbranchen des Landes: 2005 wurden zwei Millionen raubkopierte DVDs und CDs beschlagnahmt, 2006 waren es beinahe 7 Millionen, und 2007 sollen es über acht Millionen Stück gewesen sein. Den Kassenschlager des vergangenen Jahres, „Elitetruppe“, der demnächst auf der Berlinale läuft, hatten schon drei Millionen gesehen, bevor er überhaupt in die Kinos kam. Trotzdem brach er in wenigen Monaten sämtliche Eintrittsrekorde. Vielleicht sogar deswegen: Mehr Werbung hatte ein Film selten vor dem offiziellen Start.

An dem Abend bei Almir haben wir dann einen anderen brasilianischen Film gesehen. Im Vorspann lief eine Anti-Piraterie-Kampagne: Vater kommt abends nach Hause und schwenkt stolz eine DVD. „Sohn, guck mal, was ich hier habe – toll, was? Eine brandneue Raubkopie“, sagt er. Darauf der Sohn: “Papa, guck mal meine Mathearbeit, ich hab ne Eins - toll, was? Hab ich alles abgeschrieben!“

Ich fand die Kampagne gar nicht schlecht. Dann hat mir Almir gestanden: auch diese DVD war eine Raubkopie.

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