Montag, 3. Dezember 2007

Lidiane, das rechtlose Luder

Haben Frauen Rechte? Sind Luder Frauen? Können Justizangestellte im Staatsdienst machen, was sie wollen, solange keiner zusieht?

Manche haben die Geschichte auf die Tränendrüsenschiene erzählt. Das Bild der Fünfzehnjährigen von eineinhalb Metern Größe und 35 Kilo Gewicht beschworen, deren Kinderkörper wiederholt brutal vergewaltigt wird. Andere haben die Kleine als Luder hingestellt. Eine Fünfzehnjährige, die schon seit Jahren auf den Strassen der Kleinstadt herumlungert, sich prostituiert und Drogen nimmt – stadtweit bekannt und überhaupt keine 15 sondern schon 20 Jahre alt. Wieder andere haben sich auf ihre Herkunft konzentriert: Eltern getrennt, Vater Kleinbauer, Mutter Hausfrau, die Tochter muß bei einem Onkel unterkommen, um eine weiterführende Schule besuchen zu können

Stimmt fast alles. Die 15jährige Lidiane ist zwar noch keine 20, aber sie ist kein braves Mächen und längst keine Jungfrau mehr. Sie treibt sich herum, anstatt in die Schule zu gehen und ist mit 15 nicht über die fünfte Klasse hinausgekommen. Alles richtig. Und offensichtlich Grund genug für die Beteiligten, Lidiane als rechtloses Luder anzusehen. Beteiligte, die Lidiane festnahmen, weil sie angeblich ein Handy gestohlen hatte. Obwohl sie bei ihr weder ein Handy fanden, noch jemand den Diebstahl eines solchen gemeldet hatte. Beteiligte, die Lidiane ins Gefängnis brachten, obwohl sie betonte, sie sei minderjährig. Und obwohl jeder der Beteiligten wusste, das es in Abaetetuba kein Frauengefängnis gibt

Das Ergebnis: Lidiane, 1,50 Meter, 35 Kilo, Gelegenheitsprostituierte, landete in einer Gemeinschaftszelle mit 30 Männern. Das fand wohl niemand weiter schlimm. Den Antrag auf ihre Verlegung in die Bundeshauptstadt – wo es ein Frauengefängnis gibt – stellte die Gefängnisleitung von Abaetetube jedenfalls erst zwei Wochen später, am 5. November.

Wer meint, dies sei das Werk gefühlloser Machos, irrt. Es waren Frauen, die Lidiane verhaftet und eingesperrt haben: Eine Polizistin und eine Richterin, die das Mädchen nach einer Befragung sogar wieder zurück schickte, in die gleiche Zelle.

Allerdings ist diese Zelle nicht nur von den Wächtern, sondern auch von der Strasse aus einzusehen. So kam es, dass Passanten und Anwohner zugucken konnten, wie die Männer Lidiane zum Sex zwangen. Es war für 30 erwachsene Männer nicht weiter schwierig, dem Mächen das Essen vorzuenthalten, wenn sie nicht mitmachte. Trotzdem schrie und wehrte sich das Luder. Bat Passanten um Essen und um Hilfe.Und mußte schließlich doch mit sich machen lassen. Weil die Männer ihr Zigaretten auf den Armen ausdrückten, Papierschnipsel zwischen den Zehen verbrannten, mit Schlimmerem drohten.

Der Onkel scheint sie in dieser Zeit nicht vermißt zu haben. Der Richterin scheint es nichts ausgemacht zu haben, was passierte. Die Polizistin scheint kein schlechtes Gewissen bekommen zu haben. Und die Angestellten des Gefängnisses scheinen kein Interesse oder keine Macht gehabt zu haben, etwas zu ändern. Drei Wochen dauerte es, bis die Passanten an dem Schauspiel satt gesehen hatten: Irgend jemand erstattete anonym Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und beim Jugendschutz.

Lidiane wurde freigelassen. Und die Presse fing an, Fragen zu stellen. Ana Júlia Carepa, seit elf Monaten Gouverneurin des Pará, erklärte die Vorkommnisse zunächst damit, dass es ganz normal sei in den Gefängnissen ihres Bundesstaates, Frauen und Männer zusammen zu legen. Dann fiel ihr verspätet auf, wie wenig elegant das klang, und sie schob eine Presseerklärung nach: Sie lehne jede Form der Gewalt ab und konnte nur deswegen die Praxis der gemischten Zellen nicht abschaffen, weil der Pará so gross sei. Hat sie nicht daran gedacht, dass der Rückschluß lautet, an den Zuständen wird sich auch künftig nichts ändern, weil der Pará ja auch in Zukunft nicht kleiner wird?

Inzwischen wurde die Polizistin vom Dienst suspendiert, die Lidiane eingesperrt hatte. Wie ihre Bestrafung aussehen wird, weiß noch niemand. Das Mädchen und ihr Vater mussten derweil anonym in einen anderen Bundesstaat gebracht werden, weil Polizisten den Kleinbauern so massiv bedroht hatten, daß er um sein Leben fürchtete. Nach vierzig Tagen wird geprüft, ob eine Rückkehr in ihre Heimat möglich ist. Was dann aus Lidiane wird? Zurück zum Onkel, auf die Strasse?

Lidiane hat es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Vielleicht bringt ihr das eine Sonderbehandlung sogar nach ihrer Rückkehr. Aber Lidiane ist nicht allein. Ähnliche Fälle, so die Staatssekretärin für Öffentliche Sicherheit, kommen sogar im Süden des Landes vor, wo die Gefängnisse deutlich besser ausgestattet sind. Die werden sicher nicht alle Schlagzeilen machen.

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