Freitag, 14. Dezember 2007

Brutale Gewalt gegen selige Sängerinnen

Die Gläubigen hier sind eine Plage. Jeder kann glauben, was er will, keine Frage. Und dass hier im armen Nordosten Glauben besonders Not tut, ist leicht verständlich. Warum aber können die Priester der diversen religiös inspirierten Gemeinschaften von den Pfingstkirchen bis zu den Zeugen Jehovas sich nicht in einem geschlossenen Raum treffen, wie andere Religionsgemeinschaften auch? Oder ihren Open-Air-Gottesdienst wenigstens in menschenverlassenen Gegenden abhalten?

Tatsache ist, dass jedes noch so kleine Dorf zwar deutlich mehr Kirchengebäude als Schulen besitzt (letztens schallte mir lautstarkes „Hallelujah!“ sogar aus einer palmwedelgedeckten Lehmhütte mitten im Wald entgegen – die Hütte war eine Baptistenkirche), die Schafe Gottes sich aber trotzdem gerne irgendwo auf dem Bürgersteig zusammenfinden, um ausgiebig und zu bester Sendezeit zu loben und zu preisen und zu schimpfen. Üblicherweise bewaffnet sich der Priester mit einem Megafon und schmettert seine Überzeugungen jedem ungefragt ins Wohn- oder Schlafzimmer, der im Umkreis von 200 Metern wohnt. Dabei wird hart umgesprungen mit allen, die ihr Leben nicht augenblicklich unserem Herrn Jesus Christus überantworten, und jede Aussage bekräftigt durch ein gebrülltes Glória Deus.

Der andere Teil der wenig besinnlichen Andacht ist womöglich noch schlimmer. Er besteht aus Gesang. Der Herr ist offensichtlich deutlich großmütiger als ich: Er stört sich nicht daran, dass die berufenen Sänger jeden Ton umso lauter in die Nacht schreien, je weniger sie ihn treffen.
Vielleicht sind die Gläubigen ja auch alle ein wenig taub. Oder sie brauchen reichlich Lautstärke zur Befestigung ihrer noch wackeligen Überzeugungen.

Letztens zogen zwei religiöse Damen in die Nebenwohnung ein. Das erfuhr ich um halb sechs Uhr morgens, als in Partylautstärke eine christliche Wecksendung die Töpfe in meiner Küche zum Singen und mich in meinem Bett zum Kochen brachte. Wenig später wechselte das Programm von Erwachet! auf ein Kinder-ABC-Lied. Bis zum fünften „Piu-Piu-Piu“-Refrain hielt ich still. Dann malte ich mir mein weiteres Leben mit diesen Nachbarinnen aus und ging zu meiner Vermieterin, um ihr vorsichtig zu erklären, dass ich am Schreibtisch mein Geld (und ihre Miete) verdiene, was bei Piu-Piu-Beschallung ab halb sechs Uhr morgens eindeutig gefährdet sei. Fátima ist eine freundliche und verständnisvolle Person. Sie erklärte den Neu-Mieterinnen höflich und bestimmt die Lage, und fünf Minuten später war Ruhe. Zwei Minuten lang. Dann hub eine der Religiösen an, im Vorgarten Wäsche zu waschen und dabei zu singen. Ganz in der Tradition der schallend schiefen Töne und kein bißchen leiser als vorher das Radio gedröhnt hatte. Ich gebe zu, dass ich in den nächsten Minuten an allerlei Unchristliches dachte, von Ich-brauche-dringend-eine-Stinkbombe über Woher-bekomme-ich-eine-CD-von-Black-Sabbath bis zu Wenn-das-so-weitergeht-werde-ich-zur-Amokläuferin.

So weit kam es Gott-sei-Dank nicht. Kurz bevor ich der seligen Sängerin ins Gesicht sprang, erhob sich eine Männer-Stimme aus dem Nachbarhaus. „Schluss!“ donnerte die Stimme. „Und zwar sofort! Wenn diese Verrückte noch eine Minute länger die Welt mit ihrem Gejaule stört, komm ich rüber und regele die Sache!“ Augenblicklich trat Stille ein. Wenig später hörte ich die Damen sich bei Fátima beschweren. Noch ein wenig später trugen sie ihre Siebensachen an meinem Fenster vorbei – sie zogen wieder aus.

Nicht dass ich es befürworte, wenn Männer brutal ihre Stimme erheben, um gegen Frauen vorzugehen. Grundsätzlich bin vollkommen gegen ein solches Verhalten. In diesem Fall war ich allerdings geradezu dankbar für die Brutalität. Eine echte Plage läßt sich eben nicht durch höfliche Bitten vertreiben.

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