Mittwoch, 26. Dezember 2007

Pfeif' doch woanders!

Die Deutschen haben wohl mehr Patente angemeldet, dafür haben die Brasilianer womöglich mehr Berufe erfunden. Erfindungsreichtum hat hier schon so manchen über Wasser gehalten. Von der in „Central do Brasil“ dokumentierten Briefeschreiberin über Stehgreif-Bänkelsänger (ok, die gab es auch schon im Mittelalter bei uns) bis zum Briefumschlagzukleber reichen die Professionen, mehr oder weniger legal und meistens an der Steuerbehörde vorbei – aber jede mit Sinn und Zweck und einem Einkommen zum Auskommen.

Hier im Dorf-Grossraum gibt es außerdem den Mann mit der Trillerpfeife. Der hat sich mit einer Minimal-Investition einen Lebensunterhalt geschaffen. Geschäftsgüter sind: eine Trillerpfeife und eine schwarze Weste mit gelber Aufschrift: Wachmann. Auftraggeber: Niemand. Der Mann mit der Trillerpfeife erfüllt einen Auftrag, den er selbst sich gegeben hat. Nacht für Nacht läuft er durch Gassen und Strassen, über Wege und Pfade, schaut nach Dieben und deckt dabei einen Radius von geschätzten drei bis vier Quadratkilometern ab. Damit seine Nachtaktivität nicht unbemerkt bleibt, bläst er ab und an heftig in seine Trillerpfeife. Wo es Hunde gibt – und das ist hier beinahe in jedem Haus der Fall -, fühlen die sich in ihrer Aufgabe als Wachhunde beleidigt und lassen dementsprechend ein wütendes Gebell los, wenn die Pfeife vorbei kommt. Letztens hat das Gebell eine gute halbe Stunde gedauert, bevor ich wieder einschlafen konnte.

Was das Trillern sonst noch bringt? Vielleicht treibt es Diebe in Flagranti zur Eile an, damit sie sich den Wachmann nicht zum Zeugen machen, den sie sonst womöglich vorsichtshalber wegpusten müssen. Dass so ein Trillern und ein einsamer Mann in der Nacht tatsächlich irgendeinen Einbrecher vom Einbrechen abhalten kann, ist wohl eher unwahrscheinlich. Ich bin nicht mal sicher, ob er wirklich jede Nacht unterwegs ist – meistens schlafe ich durch und höre sein Trillern gar nicht. Der Job mag einer der wenigen ohne Sinn und Zweck sein – lukrativ ist er trotzdem.

Jeden Sonntag – wenn die meisten Menschen zuhause gemütlich beim Grillen und Biertrinken beisammen sitzen – macht der selbsternannte Wachmann eine Zusatzrunde zum Geldeintreiben. Dabei klopft er sicher bei mehr als 100 Häusern an – wenn er in jedem einen Mindestspendenbetrag von nur einem Real einsackt, schafft er es auf mehr als einen Mindestlohn im Monat. Bei manchen scheint er allerdings eher Sachspenden in Form von Bier zu bekommen, denn wenn er hier auftaucht, ist er meist schon nicht mehr ganz sicher auf den Beinen.

Macht nichts, denn ich drücke ohnehin nur den Durchschnitt. Monatelang habe ich sein: „Ich bitte um einen kleinen Unkostenbeitrag für die Sicherheit“ mit den gleichen Worten abgeschmettert: „Die Hausbesitzerin wohnt oben!“ Letztens machte mich wütendes Hundegebell darauf aufmerksam, dass der motorisch etwas eingeschränkte Mann bis auf meine Terrasse getorkelt war, ohne dabei gleichzeitiges Artikulieren von Worten auf die Reihe zu bekommen. Besoffenen Überraschungsbesuch fanden weder die Hunde noch ich besonders schön. Während sie den Mann langsam aber sicher in den Rückwärtsgang zwangen, bellte ich ihm leicht genervt entgegen: „Ich pfeif’ auf deine Sicherheit! Ich schlafe lieber! Pfeif’ doch woanders!“

Dann fiel mir auf: Dafür würden womöglich viel mehr Leute gerne viel mehr zahlen - dass er woanders pfeift als vor ihrem Haus. Darauf muß er aber selbst kommen, das verrat ich ihm nicht.

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