Mittwoch, 19. Dezember 2007

Frohe Botschaften für den Adventskalender

Erinnert sich noch jemand an Adventskalender? Die mit den kleinen Türchen zum Aufmachen? Manche hatten dahinter nur bunte Bildchen zu bieten, andere immerhin Milchschokolade –die besten waren eindeutig die mit dem Säckchen für jeden Tag, mit Marzipankartoffeln, Lebkuchenherzen, Mandelplätzchen und anderen Leckereien. Hier bekommt man im Advent bestenfalls trockene Panettone geschenkt. Deswegen stecken in meinem brasilianischen Adventskalender statt Süßigkeiten frohe Botschaften: für jede Woche eine.

Die erste frohe Botschaft ist ganz offiziell und kommt von der UNO. Im diesjährigen Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen ist Brasilien zum ersten Mal unter der Gruppe der „entwickelten Länder“ aufgeführt – zwar auf einem der hintersten Plätze, aber immerhin. Die Vereinten Nationen messen die „menschliche Entwicklung“ anhand von Lebenserwartung, Schulbildung und Wohlstand. Die Erhöhung der Lebenserwartung von 70,8 auf 71,7 Jahre hat der Präsident nicht als persönlichen Erfolg verbucht. Der Wohlstand hat sich dank Lula mindestens für die mehr als 11 Millionen Familien verbessert, die staatliche Sozialhilfe in Form der „Bolsa Familia“ beziehen – auch wenn das für manche weniger als 10 Euro im Monat sind. Die Schulpflicht erfüllen seit Lula auch mehr Kinder als vorher – nicht zuletzt, weil die Bolsa Familia nur ausgezahlt wird, wenn alle Kinder regelmäßig zur Schule gehen. Zusammengefaßt ließe sich also sagen, dass die Bolsa Familia Brasilien zu einem menschlich entwickelten Land gemacht hat.

Die zweite frohe Botschaft ist ebenfalls offiziell und lautet, dass alle brasilianischen Haushalte an das öffentliche Abwassernetz angeschlossen werden sollen. Bislang sind das nämlich nur knapp über die Hälfte – die anderen nutzen hausgemachte Sickergruben oder Improvisationslösungen. Das Programm zur flächendeckenden Abwassernetz-Einführung gehört nicht zu den dringendsten Prioritäten der Regierung (so wie etwa die Bekämpfung des Hungers). Gehen die Arbeiten im Abwasserbereich im bisherigen Tempo weiter, werden im Jahr 2122 alle Brasilianer angeschlossen sein. Die menschliche Entwicklung soll das aber nicht stören.

Die dritte frohe Botschaft sind eigentlich zwei - aus verschiedenen Bundesstaaten, die in letzter Zeit Schmach und Scham erleiden mußten. Im Pará blieb die Minderjährige L. wochenlang in einer Zelle mit 30 Männern eingesperrt – als der Fall bekannt wurde, gab das häßliche Schlagzeilen und Schelte für die Gouverneurin. Es gebe kein Frauengefängnis vor Ort, hieß die offizielle Erklärung. So etwas wird nicht mehr vorkommen. Nicht in dem Gefängnis von Abaetetuba jedenfalls. Denn das wird abgerissen. Frei nach dem Motto: Aus den Augen aus dem Sinn. Das Motto scheint auch den Regierenden von Bahia zu gefallen. Dort ist kürzlich – just nachdem Brasilien als Austragungsland der WM 2014 bestätigt wurde – eine Tribüne des vollbesetzten Stadions Fonte Nova bei einem Endspiel eingestürzt: sieben Tote, dreißig Verletzte. Passiert ist passiert, also nicht lange nach Schuldigen suchen, sondern: Weg damit! Auch das Stadion Fonte Nova soll abgerissen werden. Schnell, konsequent effizient.

"Weg damit“ ist selbst ein schönes Motto und könnte glatt über der vierten und schönsten frohen Botschaft stehen. Die kommt aus dem Senat und lautet: Die CPMF wird nicht verlängert. Die seit beinahe 15 Jahren immer wieder verlängerte „vorläufige“ Steuer auf den Geldverkehr hat seitdem wiederholt für Streit, Intrigen und Polarisierung gesorgt: Das Volk wollte sie nicht mehr zahlen, die Politiker wollten nicht ohne die genehmen Zusatzeinnahmen leben. Angeblich hat sogar der vielfach krimineller Taten beschuldigte Senatspräsident sich nur deswegen so lange im Amt halten können, weil er versprochen hatte. Stimmen für eine weitere Verlängerung der Lieblingssteuer der Regierung zu besorgen. Hat alles nicht geklappt Leute. Keine CPMF in 2008. 40 Milliarden Reais weniger in der Staatskasse. Das heißt: 40 Milliarden Reais mehr in unseren Kassen – solange keinem Schlaumeier einfällt, eine andere Steuer zu erfinden. Dafür lassen sich Unmengen Marzipankartoffeln, Lebkuchenherzen und Plätzchen kaufen! Besser als jeder Adventskalender. Sogar besser als der mit den Säckchen.

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