Jetzt ist es doch wieder passiert. Immer passiert es auf Grillfesten. Und ich kann immer noch nicht damit umgehen. Eigentlich sollten wir das in der Schule lernen. Vielleicht tun das die Schüler heutzutage sogar, wir haben es jedenfalls nicht in der Schule gelernt. Und ich kann’s bis heute nicht.
Es war Sonntag, und sonntags wird hier im Nordosten gegrillt. Auf der Terrasse, im Garten unter Mangobäumen, an befahrenen Strassen und manchmal sogar am Strand. Ich gehe gerade die Dorfstrasse entlang, als mich ein junger Mann anspricht. Groß, bißchen weich in der Hüfte, blaß. Büroarbeiter, Mittelklasse, sagt die Vorurteilsabteilung im Hirn. Die sitzen jetzt alle im Garten und sind schon dicht, flüstert sie weiter. Keine zwingend notwendige Bekanntschaft, sagt die arrogante Skepsis. Ob ich Deutsche sei, fragt der Mann. So eine kleine Antwort kann man ja niemandem ausschlagen, also sage ich: Ja, ich bin Deutsche. Oh toll, da muß ich unbedingt seine Cousine kennenlernen, die ist nämlich auch Deutsche. Oder jedenfalls fast. Sagt der Mann.
Eigentlich wollte ich reiten gehen. Durch den Wald bis zum Fluß und weit weg von allen Grillfesten. Aber wer als Fremde in einem kleinen Dorf wohnt, sollte auch mal ein bißchen offen und kommunikativ sein und das nicht immer nur an den Brasilianern toll finden. „Meine Cousine freut sich, wenn sie mal wieder Deutsch sprechen kann“, sagt der Mann und öffnet schon das Gartentor. Hinter dem Haus sitzen Familie und Freunde beim Grillen: ein Dutzend Menschen die weniger schwitzen als das Rind auf dem Grill, eisgekühltes Bier und Whisky- und Cachacaflaschen auf dem Tisch, direkt daneben ein Falt-Pool für die schnelle Abkühlung. Halt die Klappe, sage ich der Vorurteils-Abteilung, die können alle sehr nett sein.
Die Cousine kann es kaum glauben: „Du bist Deutsche? Und du wohnst hier?“ Sie selbst kommt hier aus dem Dorf, hat vierzehn Jahre in Berlin gelebt und ist seit zwei Jahren in Boa Viagem, dem Strandviertel von Recife. Vor kurzem ist auch ihr Sohn angekommen, und der spricht perfekt Deutsch und will jetzt hier studieren. Ob ihm sein deutsches Abi anerkannt wird?, frage ich interessiert. Hat er gar nicht. Aber elf Jahre Schule plus Berufsausbildung, das reicht, behauptet seine Mutter. Optimistisch die Dame. Und in den Sohn verliebt wie die meisten Mütter. Inzwischen spricht sie längst wieder Portugiesisch und schwärmt von den deutschen Tugenden, die ihr Sohn alle angenommen hat: Pünktlich ist er und fleißig und zuverlässig und ernsthaft, aber auch flexibel...
„Jaja“, tönt es da von der anderen Seite, „die Deutschen haben aber auch Öfen“. Ist nicht wahr. Kann nicht wahr sein. Nicht hier. Nicht von diesem Menschen. „Wie bitte“, fragt die Cousine, ebenfalls ungläubig. „Nun ja, Öfen zum Vergasen“, sagt mein Nachbar zur Linken.
Ich kenne den Mann. Er war mal ein richtig guter Surfer, bevor der Bauch das Gleichgewicht zu stören begann, wohnt schon ewig hier im Dorf, und ich hatte ihn immer zu den Intellektuelleren gezählt. Während ich das denke, redet es schon aus mir heraus. „Findest du das etwa lustig?“, ich weiß genau, das verdirbt jetzt die Stimmung, ist vollkommen kontraproduktiv, wer weiß, ob mich jemals wieder irgendwer mag hier im Dorf. Aber ich bin noch nicht fertig, mein Mund redet einfach weiter: „Ich gehe dann besser. Das Thema brauche ich nicht.“
Der letzte Teil wird übertönt von der Beschwichtigung der Cousine– jetzt aus diplomatischen Gründen wieder auf Deutsch: „Nein, reg dich nicht auf, das lohnt nicht, ich kenne die Geschichte“, während der Mann weiter faselt, aber die Deutschen seien ja so eine reine Rasse, kommen aus dem Indogermanischen, und die Cousine fängt auf Portugiesisch an, dem Mann zu erklären, was die Deutschen alles an die Juden zahlen, andere Völker haben auch gemordet..., und plötzlich kommt der Mann doch irgendwie partiell zur Besinnung und sagt zu mir: „Wenn einer geht, dann bin ich das wegen des geschmacklosen Scherzes, entschuldige bitte“ – und ich will doch niemandem die Stimmung verderben, ich will ja gar nicht auf diesem Grillfest sein, also sage ich: „Ach was, schon vergeben, ich wollte sowieso gehen, solange du so was nicht wiederholst, wenn ich dabei bin, sind wir die gleichen Freunde wie immer.“
Dann trinkt der Mann in rascher Folge drei Wassergläser Cachaca leer, das hat er vermutlich vorher schon mehrmals gemacht, und das hat ihm vielleicht auch die tolle Gaskammer-Inspiration verschafft. Die Cousine erzählt jetzt von ihrem Mann, der auch bald nach Brasilien ziehen will, und von ihrer Farm und ihrer Firma und ihrem Appartment, und ich warte noch solange, bis alles wieder ganz entspannt ist und gehe endlich reiten. Das wird nicht ganz so entspannend, wie ich mir das vorgestellt hatte, weil ich mich dabei frage, ob es total bescheuert war, dem Mann so großzügig zu verzeihen, oder ob es einfach nur uncool war, überhaupt beleidigt auf den dummen Spruch zu reagieren, oder wie ich herausbekomme, wie die richtig lässige Antwort auf so was lauten würde.
Und vor allem: Warum zum Teufel müssen die Brasilianer mir auf Grillfesten immer wieder mit Hitler kommen? Egal welche Bildungsklasse (die mit dem geringsten Geschichtswissen beschränken sich gelegentlich darauf, nur den Namen „Hitler“ ins Gespräch zu werfen und dann zu grinsen), und im Alter von ungefähr vierzig bis achtzig.
Als ich die Geschichte einem Freund erzähle, meint der: „Ach, der Typ war betrunken.“
Stimmt.
Ich mag keine Grillfeste.
Dienstag, 24. April 2007
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