Die neusten Gefahren in brasilianischen Metropolen finden sich zuerst im Vermischten. Da gibt es ständig etwas zu lernen. Etwa: Frisöre, schneidet keine kriminellen Haare, oder: Mädel, lass dein Haar zu Hause.
Es gibt ja hierzulande – auch in ärmeren Stadtvierteln – noch den ehrbaren Beruf des Barbiers. Vertrauenspersonen, denen die Kunden ihren nackten Hals ebenso wie ihren Skalp ausliefern. So einer war Clarismundo. Freundlich, zuverlässig, gutmütig. Abgebrannte Stammkunden schor er schon mal umsonst wochenendfein. Das kam bei Carlos Eduardo öfter vor. Und auch als Carlos Eduardo mit dem neuen Haarschnitt diesmal nicht recht zufrieden war, wurde Clarismundo nicht ungeduldig: „Wart einen Moment, dann bessere ich nach“, bat er freundlich. Statt dessen verließ Carlos Eduardo den Salon, angeblich um Wechselgeld zu holen. Als er wieder kam, schoß er den Friseur nieder und floh. Clarismundo starb wenige Stunden später. Er hatte Carlos Eduardo die Haare geschnitten, seit der ein Kind war. Die Polizei vermerkt: Der weiterhin flüchtige Carlos Eduardo war schon mehrfach erkennungsdienstlich auffällig geworden, in den meisten Fällen wegen Bedrohung und Drogenkonsum.
Zum Schock darüber, wie der kleine Drogenkonsument Carlos Eduardo mal eben das Verbrechen Mord banalisiert, kommt ein weiterer: Die Familie des Frisörs plant, aus dem Viertel wegzuziehen. Nicht, weil sie traumatisiert ist. Sie fürchtet „Repressalien“ von seiten der Angehörigen des Mörders. Will sagen: Sie nimmt an, daß diese Clarismundo und die Schuld dafür geben werden, daß Carlos Eduardo ihn umgebracht hat.
So gesehen ist womöglich auch Mirna selbst schuld. Immerhin wurde sie nicht umgebracht. Sie wurde nur in einem Linienbus in Rio überfallen. Soweit, so normal: Drei Diebe, einer davon bewaffnet, nahmen der Verkäuferin Handtasche, Handy und Dokumente ab. Das Besondere ist, daß die Diebe sich unter allen Passagieren nur für Mirna interessierten. Und daß sie noch etwas klauten. Mirnas Haare.
Die 22jährige hatte glatte, braune Haare, die ihr bis auf die Hüften fielen. Solches Haar fällt auf. Und solches Haar ist eine Ware. Echt-Haare für Perücken, Haarverlängerungen und Ähnliches werden nach Gewicht verkauft, der Preis ist besonders hoch bei „jungfräulichem Haar“, das noch nie gefärbt, geglättet oder sonstwie chemisch bekeult wurde. Solches Haar hatte Mirna. Es mag bis zu 300 Reais gebracht haben. Mehr als die meisten Handys auf dem Schwarzmarkt. Vermutlich war es Haarraub auf Bestellung, glauben Leute vom Fach, die anonym bleiben wollen. Seriöse Perückenmacher kaufen nur vom lebenden Objekt – und mit dessen Einverständnis, sagen andere.
Tatsache ist, daß der Haarmarkt im Jahr 2005 eine Million Reais umgesetzt hat, Tendenz steigend. Der Fall Mirna war in Rio der zweite innerhalb von zwei Monaten. Wenn der Haarklau Schule macht, werden womöglich demnächst in Rio Schleier und Turbane Mode. Oder es tut sich ein neuer Markt für Haar-Versicherungen auf. Dass die Cariocas kollektiv zum Kurzhaarschnitt übergehen, kann sich nicht wirklich vorstellen, wer deren Liebe zu ihrer Haarpracht schon erlebt hat.
Ein verschreckter Vater bietet im Internet vorsichtshalber die Locken seiner siebenjährigen Tochter zum Kauf an: „Angesichts der jüngsten Haarraubgeschichten in den Strassen von Rio will ich ihr Haar lieber verkaufen“, schreibt er in seiner Annonce auf dem virtuellen Haarmarkt
(http://inforum.insite.com.br/cabelos-compra-e-venda/).
Die beklaute Mirna gab nach dem Raub zu Protokoll: „Ich versuche immer, unauffällig zu bleiben, wenn ich ausgehe – aber wie hätte ich mein Haar zuhause lassen sollen?“ Inzwischen soll sie sich neues hüftlanges Haar gekauft haben – hoffentlich zum abnehmen.
Donnerstag, 3. Mai 2007
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