Für eine gewisse Kontrollsucht ist er bekannt. Täglich werden die Telefone in seinem Haus geputzt, jahrelang hat er die Farbe Braun nicht ertragen, und zu seiner Obsessiv-Kompulsiven Störung (OKS) steht er sogar öffentlich. Aber so weit ist er noch nie gegangen. Er hat es noch nicht einmal für nötig gehalten, einen öffentlichen Kommentar abzugeben. Zur Bücherverbrennung. Der potentiellen, muß man fairerweise hinzufügen. Denn noch ist es nicht sicher, ob die 10.700 Bücher tatsächlich verbrannt werden, oder vielleicht doch nur in 2,5 Tonnen Altpapier recycelt. 670 Kisten stehen schon im Privat-Depot des „Rei“ in Santo André, letzte Exemplare werden noch aus den Buchläden zurückgerufen. Auf der Bestsellerliste der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Veja“ rangiert das Werk noch auf Platz 5 – weitere Käufer wird es nicht geben.
Der Mann ist mächtig. Nicht umsonst nennt man Roberto Carlos, den erfolgreichsten Herzschmerz-Sänger Brasiliens, den „Rei“, den König. Der Mann mit den schütteren Haarsträhnen und dem Schmelz in der Stimme singt sich seit 45 Jahren in die Herzen der Brasilianer. Mehr als 75 Millionen Platten hat er in dieser Karriere verkauft, damit ist er bis heute die Nummer eins im Land und finanziell so unabhängig, wie man nur sein kann.
Wie die meisten Berühmtheiten sucht auch der Rei mit gezielt gepflegten Marotten ein schmeichelhaftes Licht auf sich selbst zu werfen. So gibt er sich gerne religiös – schon seit den 1970er Jahren, aber vor allem seit dem Tod seiner Ehefrau Maria Rita – der er nach ihrem Ableben ein ganzes Album und unzählige Texte gewidmet hat. Zu ihren Lebzeiten soll er es, wie die meisten Berühmtheiten, mit der ehelichen Treue nicht so genau genommen haben. Als das ein ehemaliger Angestellter den Fans unter dem Titel „Der König und ich“ verkünden wollte, wurde der Rei richtig wütend. Kann man ja irgendwie verstehen. Wer mag es schon, wenn ihm nachgesagt wird, bei Frauen sei er so gar nicht wählerisch, was grad komme, sei recht, wenn er spitz sei...
Diesmal liegt der Fall anders. Der Historiker – und Carlos-Fan – Paulo Cesar Araujo hat keinen Enthüllungsroman sondern eine Biographie geschrieben. Über einen Mann, der seit 45 Jahren im Rampenlicht steht. Über den bekannt ist, daß er als Kind einen Teil seines rechten Beins verlor und seitdem eine Prothese trägt – auch wenn er das nicht dauernd betont. Nicht nur Fans wissen, daß Carlos gelegentlich ein Kind im Krankenhaus besucht, wenn er davon hört, daß eines einen ähnlichen Unfall erlitten hat wie er damals, um dem KInd Mut zu machen – auch wenn der Star damit nicht prahlt. Über die Obsessiv-Kompulsive Störung, die mit Zwangshandlungen und wiederkehrenden Angstvorstellungen einhergeht, hat Carlos selbst ausführlich in der Presse gesprochen.
Gibt es noch Geheimnisse über Roberto Carlos? Aus Araujos Buch erfährt man sie jedenfalls nicht.
Warum also? Warum verhandelt der Superstar fünf Stunden lang mit dem Verlag, der die Biographie veröffentlicht hat, über moralische und materielle Schäden, die ihm das Werk beigebracht haben soll? Was meint sein Anwalt, wenn er sich auf Ehrverletzung beruft?
Konkret stört sich der Rei an drei Punkten des 504 Seiten-Schmökers.
1. Araujo erzählt von dem Zugunglück, das den Sänger Teile des Beins gekostet hat
2. Araujo erzählt von Carlos’ Sexualleben
3. Der Autor beschreibt die Todesstunde der krebskranken Ehefrau des Stars
Nichts davon ist ein Geheimnis. Carlos selbst hat zu all diesen Stichpunkten schon öffentlich gesprochen.
Und jetzt das. Ergebnis der zähen Verhandlungen beim Gerichtstermin zur gütlichen Einigung: Druckstopp. Auslieferungsstopp. Alle bereits gedruckten Bücher werden an Robeto Carlos ausgehändigt, der damit tut, was immer ihm beliebt.
Ein Detail ist dem Rei dabei entgangen: Die elektronische Version des Werks ist im Internet zu finden: als pdf-Datei zum Runterladen. Ungenehmigt. Unkontrolliert. Umsonst. Und sogar in mehreren Versionen.
Da hätte der König gar nicht so lange verhandeln müssen. Blöd gelaufen.
Samstag, 12. Mai 2007
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