Dienstag, 27. Februar 2007

Irgendwie geht es immer noch glatt

Glatt gehen muß es. Das ist ein nationales Phänomen in Brasilien. Und wenn Formaldehyd dazu nötig ist, auch egal. Zu stark dosiertes Formaldehyd läßt das Haar ausfallen, verbrennt die Haut, läßt die Augen jucken - und um den gewünschten Langzeiteffekt zu erzielen, muß es zu stark dosiert sein. Macht nichts. Wer schön sein will, muß leiden. Und schön heißt in Brasilien: Glatt. Jedenfalls, was die Haare betrifft. Die chemische Bügelkeule mit Formaldehyd, „Alisamento progressivo“ genannt, ist inzwischen verboten. Dafür gibt es zwanzig (sic!) neue Verfahren, um von der simplen Korkenzieherlocke bis zur Afrokrause alles gnadenlos glatt zu zwingen, was auf brasilianischen Köpfen so wächst.


Neun von zehn brasilianischen Frauen haben Locken. Grosse, kleine, wirre, krause, struppige, trockene, spröde, glänzende, schwingende Locken. Das kann man durchaus schön finden. Geschätzte neuneinhalb von zehn Brasilianerinnen kämpfen mit aller Kraft gegen ihre Locken. Die traditionelle Waffe nennt sich: „Fazer Chapinha“. „Chapa“ heisst auch eine gußeiserne Bratpfanne. Oder ein Sandwich-Waffeleisen. Mit einem ähnlichen Gerät brennen die Friseure den Kundinnen die vorher mit chemischen Produkten getränkten Haare glatt. So ähnlich haben unsere Großmüttern mit der Lockenbrennschere ihre ungeliebten glatten Strippen in Form gebracht. Gut für die Haare war das damals auch nicht.


Etwas schonender und auf jeden Fall die unschlagbar billigste Anti-Locken-Methode ist Glattföhnen. Kann notfalls jede Fön- und Rundbürsten-Besitzerin zu Hause machen, dauert bei dem üblicherweise reichlichen Volumen allerdings gute zwei Stunden und hält maximal bis zur nächsten Wäsche – die bei tropischen Temperaturen meist nicht länger als ein bis zwei Tage auf sich warten läßt.


Deswegen ist Glattföhnen eher etwas für weniger finanzkräftige Lockenhasserinnen. Die finanziell besser gestellte Damenwelt stürzt sich begeistert auf jede neue und angeblich sogar pflegende Chemiebügelmethode die hiesige Haar-Gurus empfehlen. Die heißen zum Beispiel Schokoladen-Brushing, Blaulicht-Brushing oder Milch-Brushing. Sie halten die Haare bis zu vier Monate strammgezogen, die Behandlung dauert bis zu fünf Stunden und kostet bis zu umgerechnet 500 Euro. Trotz der stolzen Preise sind die Kundinnen meist schon zufrieden, wenn es nicht allzu sehr in den Augen brennt und ihnen hinterher nicht die Haare ausfallen.


Das ist bei dem jetzt verbotenen Alisamento progressivo öfter vorgekommen: Die 27jährige Roberta aus Rio brauchte fast drei Monate mit UV-Bestrahlungen, Vitamineinnahme und Spezialkuren, um den Haarausfall zu stoppen, den ihr zwei dieser Formaldehyd-Behandlungen eingebrockt hatten: „Jedes Mal, wenn ich mir in die Haare griff, hatte ich gleich ein ganzes Büschel in der Hand“, erinnert sie sich. Und was macht Roberta jetzt mit ihren neurdings dünnen Haaren? Glattföhnen und Chapinha natürlich. Irgendwie geht es immer noch glatt.

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