Freitag, 2. Februar 2007

Heiko zeigt uns Land und Leute

Individualisten sind natürlich nicht dabei. Die suchen sich normalerweise bis ins Detail selbst aus, was sie angucken und lernen Heiko nie kennen. Ich spreche hier von denjenigen unter uns, die sich in den Ferien nicht stressen wollen. Von wohlerzogenen Menschen, die zwar auch am Strand abhängen wollen, aber eben nicht nur. Von Menschen, die Veranstaltern vertrauen und zum Beispiel den Ausflug „Land und Leute“ im Bundesstaat Bahia buchen.

Die bekommen neben einem klimatisierten Kleinbus einen deutschen Reiseleiter. Im Zweifelsfall kann das einer wie Heiko sein. Heiko zeigt uns Land und Leute und fängt gleich mal mit sich selbst an. Heiko war lange in leitenden Positionen in Deutschland tätig, bevor er nach Brasilien ging, sagt er. Nachdem er hier diverse Firmen geleitet und auch sonst so einiges ausprobiert hat, arbeitet er jetzt endlich in seinem Traumberuf, sagt er. Dafür hat er acht Monate die Schulbank gedrückt und vorher noch das brasilianische Abitur nachmachen müssen, sagt er.

Vielleicht liegt es daran, daß Heiko so lange büffeln mußte. Vielleicht auch daran, daß er so lange Chef war. Jetzt blubbert es jedenfalls nur so aus ihm heraus über das Land, und Widerspruch duldet er nicht. Nicht, wenn er sagt, die Gleichberechtigung sei hier im Nordosten schon sehr weit gediehen. Auch nicht, wenn er die afro-brasilianische Religion Candomblé mit dem haitianischen Voodoo verwechselt. Und erst recht nicht, wenn er behauptet, Brasilianer machten schon nach zehn Jahren Abi. Ist ja vielleicht auch nicht so wichtig für Urlauber, die nur mal einen kleinen Eindruck von Land und Leuten haben wollen.

Leute lernen sie immerhin reichlich kennen. Beim ersten Stopp an einem lärmenden Provinzmarkt geleitet Heiko fürsorglich seine kleine Herde zum Tabakhändler seines Vertrauens. Der rollt flink die eine oder andere Probezigarette, verschließt unserem Heiko mit einer dicken Zigarre den Mund und verkauft dann Schnupftabak und Kautabak und Honig und Melasse, und verkauft und verkauft, weil die Urlauber ja sonst nicht viel zu tun haben. solange Heiko seine Zigarre raucht.

Im nächsten und recht hübschen Ort wird nicht ausgestiegen, auch wenn manche begehrlich den Fotoapparat zücken. Die Zeit ist knapp, mahnt Herdenführer Heiko. Statt dessen nächster Pflichtstopp zack-zack durch die Zigarrenfabrik von Dannemann, wo emanzipierte Arbeiterinnen in grünen Kitteln Rauchwerk rollen, und dann weiter zum Mittagessen (im Preis inklusive) mit ordentlich Aufenthalt auf einer ehemaligen Farm mit wunderbarem Blick über ein grünes Tal bis auf einen einladenden Stausee in leider weiter Ferne. Während alle schmausen und gucken, steht eine schweigsame Dame am Tischende und wirft in großer Eile etwas auf Papier. Als alle fertig sind, wirft sie immer noch, ohne Worte, ohne Lächeln, als gälte es, ein Wettrennen zu gewinnen. Heiko erklärt: Die Dame sucht sich bei jeder Tischgesellschaft ein bis zwei besonders markante Gesichter als Modelle aus. Ganz unverbindlich überreicht sie den Auserwählten hinterher die Zeichnungen. Die können dann umgerechnet sieben Euro dafür bezahlen. Oder eben nicht. Meine Mitausflügler sind wohlerzogene Menschen. Keiner der drei Porträtierten traut sich, die Zeichnung unbezahlt liegen zu lassen.

Nächster Stopp: Die kleine Farm von Dona Maria, eine Art winziger botanischer Garten mit Passionsfrüchten, Pfefferranken, Mango und Jackfrucht und Brotfrucht und Maniokwurzeln. Dona Maria ist eine freundliche alte Dame mit einem großen Messer in der Hand. Sie geht voran von Pflanze zu Pflanze und erzählt Heiko etwas, und der erzählt uns dann etwas weiter. Irgendwann betritt Dann Maria eine niedrige Lehmhütte. Hier hat sie Maniokmehl hergestellt, sagt Heiko. Bis vor ein paar Wochen. Dann hat nämlich ein Reiseleiter den Motor der Maniok-Raspel zerstört. Und jetzt hat Dona Maria kein Einkommen mehr. Und ihr Mann hat sich außerdem noch die Hüfte gebrochen. Also sammeln wir alle für Dona Maria, damit die arme sich einen neuen Motor für ihre Raspel leisten kann. Weil wir vor dem Dunkelwerden noch eine Kakaoplantage besichtigen sollen, muß es nach der Spende ganz schnell weitergehen, und niemand bemerkt Dona Marias Sohn im arbeitsfähigen Alter, der außerplanmäßig aus dem Haus lugt und unsanft wieder zurückgestopft wird.

Die Kakaoplantage sollen wir uns eher so als Familienbetrieb vorstellen, bittet Heiko, noch ganz sanftmütig gestimmt von unserer edlen Spende. Statt auf eine weitere kleine Farm fährt der Kleinbus jetzt in eine Siedlung der radikalen Landlosenvereinigung MST – deren plakative Zerstörungsaktionen in Brasilien durchaus umstritten sind. Dort besuchen wir Dona Bibi. Die Dame trägt ein rotes Käppi der Bewegung und macht sich nicht die Mühe, uns in ihren Garten zu begleiten, der so groß ist wie ein Berliner Hinterhof und in dem drei Kakaopflanzen eher unbeachtet vor sich hin wachsen. Dona Bibis Haus ist nicht überall verputzt und der Fußboden besteht aus glattem Zement. Für frisch eingeflogene Urlauber muß das aussehen wie Armut. Die neue Gefriertruhe, den neuen LCD-Fernseher, die neue Waschmaschine, die neuen Küchenmöbel und die neue Stereoanlage bemerken sie vielleicht nicht.

Als Dona Bibi selbstgemachtes Kokoskakao-Krokant (leicht angebrannt) und selbstgemachten Kakaoschnaps (extrem hochprozentig) herumreicht, probieren alle brav. Und als Heiko erklärt, daß es üblich sei, entweder etwas zu kaufen oder etwas zu spenden, entscheiden sich die meisten für grob gemahlenen Kakao für 4 Euro den Plastikbeutel mit vielleicht 100 Gramm. Keiner fragt, ob das nicht ein bißchen überteuert ist. Keiner fragt, wie die drei Kakaobäume in Dona Bibis Garten überhaupt all die vielen Dosen, Flaschen und Tüten mit Kakaocreme und Kakaobutter und Kakaopulver und Kakaolikör füllen können, unter denen Dona Bibis Wohnzimmertisch beinahe zusammenbricht.

Sie fragen vermutlich deswegen nicht, weil sie wohl erzogene Menschen sind. Denn ich erwische mehrere dabei, wie sie sich ganz unauffällig verdrücken, als es ans Spenden geht. Und im Bus bei der Rückfahrt ziehen noch mehr die Kopfhörer ihres I-Pod dem Dauerblubbern von Heiko vor. Heiko haben sie an diesem Tag reichlich kennen gelernt. Aber Land und Leute?

Keine Kommentare:

 
Add to Technorati FavoritesBloglinks - Blogkatalog - BlogsuchmaschineBrasilien