Samstag, 3. März 2007

Die Nummerngucker haben Recht

Aus Deutschland kannte ich das nicht. Diese Manie, erst aufs Display zu gucken, wenn das Handy klingelt. Nach der Lesebrille zu tasten, notfalls so lange zu brauchen, daß es darüber aufhört zu klingeln. Aber auf jeden Fall nur dann ranzugehen, wenn die Nummer eines Bekannten aufleuchtet. Unbekannte gnadenlos wegzudrücken. Immer. Verstanden habe ich das nicht. Bißchen affig fand ich das. Bis vor kurzem.

Es gibt ja so endemische Verbrechen hier in Brasilien. Zum Beispiel die Blitzentführung, bei der bewaffnete Entführer einen Autofahrer mal eben zwingen, sie zum nächsten Geldautomaten zu kutschieren, dort so viel abzuheben, wie Konto und Automat hergeben, alles brav auszuhändigen – und ihn dann wieder frei lassen. Eine meist schnell erledigte, unkomplizierte und relativ gewaltfreie Angelegenheit, gegen die Gesetzeshüter wenig machen können. Jetzt ist den kriminellen Kreativköpfen noch etwas Besseres eingefallen. Geht sogar aus dem Knast - und da sitzen auch die meisten der Adepten der neuen Methode.

Die geht so. Das Handy klingelt. Maria Musterfrau geht dran. Ein Unbekannter erklärt mit hektischer Stimme: „Hier ist die Polizei von der Unfallstelle – einer der Schwerverletzten hat uns Ihre Nummer gegeben, bevor er ohnmächtig wurde. Haben Sie einen Ehemann oder Sohn, der gerade mit dem Auto unterwegs ist?“ In den meisten Fällen schreit die Maria jetzt entsetzt: „Joao!“ oder „Carlos!“ – und dann geben sich auch schon die Entführer zu erkennen: „Es handelt sich nicht um einen Unfall, wir haben Ihren Joao in unserer Gewalt.“ Dann werden - meist vergleichsweise bescheidene -Geldforderungen geäußert und gleich die Übergabe vereinbart. Manchmal weint auch nur eine Stimme „Mama sie haben mich“ in den Hörer – mit gleicher Schockwirkung. Klingt absurd? Funktioniert aber bestens.

Im letzten Jahr wurden der Polizei allein aus vier Großstädten mehr als 10.000 solcher Telefonentführungen angezeigt – etwa jeder Fünfte der Angerufenen zahlte das geforderte Lösegeld. Die Angst um Angehörige bringt die Menschen offensichtlich kurzfristig um ihren Verstand: Die Polizei liegen Aufnahmen von Entführergesprächen vor, wo eine weinende Männerstimme „Mama“ ruft, und anschließend die vermeintliche Mutter den Namen einer Tochter in den Hörer stammelt. Es ist sogar ein Fall bekannt, wo ein Polizist, der zuvor bereits selbst solche Telefonentführer gefaßt hatte, später trotzdem Opfer des gleichen Tricks wurde. Zum einen reißen die Entführer ihre Opfer gerne frühmorgens aus dem Schlaf, zum anderen ist die Angst vor Entführung ein kollektives Trauma der Brasilianer. Noch bevor sie richtig wach sind, kommt ihnen alles ganz folgerichtig vor, nach dem Motto: Jetzt hat es mich erwischt, mußte ja irgendwann mal so weit kommen. Die meisten versuchen nicht einmal, die angeblich entführte Person über ein anderes Telefon mobil zu erreichen, bevor sie einwilligen zu zahlen.

Meine Chance, von den Telefonentführern erwischt zu werden, ist zum Glück eher gering - ich habe keine Kinder, mein Handy ist oft ausgeschaltet, und wenn ich unterwegs bin, vergesse ich es meistens zuhause. In letzter Zeit finde ich nach solchen Abwesenheiten allerdings immer häufiger verpaßte Anrufe von mir unbekannten Nummern. Früher hätte ich die zurückgerufen. Aus Neugier. Mache ich jetzt nicht mehr. Klingelt das Ding, wenn ich es dabei habe, gehe ich zwar immer noch oft einfach so dran. Aber das werde ich mir jetzt vorsichtshalber abgewöhnen. Von wegen affig: Die Nummerngucker haben Recht.

Keine Kommentare:

 
Add to Technorati FavoritesBloglinks - Blogkatalog - BlogsuchmaschineBrasilien