Donnerstag, 21. Dezember 2006

Das fluchende Aschenputtel

Das Aschenputtel heißt Tati und hat es geschafft: Letzte Woche war sie der Wochenzeitschrift Veja eine Doppelseite wert – und vielleicht ist das noch nicht mal das Ende des Märchens.

Es beginnt vor ein paar Jahren, als Tatiana Santos Lourenco noch in einer Kinderkrippe in der Favela Cidade de Deus kocht, 92 Kilo wiegt, und außer ein paar guten Partys nicht viel vom Leben erwartet. Eines Nachts steigt sie auf eine wackelige Bühne in einer der düsteren Buden voller Partywilliger ohne Geld, in denen in Rios Slums „Baile funk“ gefeiert wird. Damals kommen noch keine Muttersöhnchen zu den Bailes. Damals finden nur die anderen Mädels aus der Favela ziemlich gut, was die Dicke da auf der Bühne macht. Tati tut so, als gelte für sie kein Modediktat. Sie quetscht sich in die schlauchartigen Lycrajeans der angesagten Marke „Gang“, läßt den Bauch über den Bund schlabbern und dröhnt los. „Ich bin häßlich, aber ich bin in Mode“ heißt der Titel ihres erster Hits.

Bald schwappt der Funk Carioca auf die andere Seite der Welt: Die Musikgattung mit den simplen Melodien und den peitschenden Rhythmen, mit den einfältigen und eindeutigen Texten und den vulgären Choreografien gefällt den Wohlstandskindern überall. In Brasilien fehlt inzwischen auf keiner Party, in keiner Clubnacht der Funk, es gibt TV-Sendungen darüber, Miss-Funkeira-Wahlen und Fansites. Und in den Clubs in London, Paris, Barcelona und Berlin versuchen die europäischen Kids, ihre Hüften ebenso provokant kreisen zu lassen, wie die Brasilianerinnen.

Tati wird zum Star. Kein Wunder. Wir wollen auch so sein wie Tati. So ungeniert. So frech. So rotzig.

Die Frau schämt sich für nix. Erzählt freiwillig in der Reportage der Veja, daß sie sich nicht mehr an die Zahl ihrer Lover erinnern kann. Dass sie inzwischen mehr als 900 Gang-Jeans und 200 Paar Turnschuhe besitzt – danach hat sie aufgehört zu zählen. Dass sie mindestens 20 Schönheitsoperationen hinter sich hat und damit noch lange nicht Schluß ist. Von den 92 Kilo sind nur noch 57 übrig. „Alles abgesaugt“, sagt Tati stolz: „Allein am Rücken waren das neun Liter. Ich mach keine Diät, ich esse alles und viel davon!“

Tati ist jetzt 27 und hat sich von 300 Reais Mindestlohn vor ein paar Jahren auf bis zu 250.000 Reais im Monat verbessert. Das hat bisher für 15 Mietwohnungen in der Cidade de Deus, für ein Haus in Rio und eine Wohnung in Sao Paulo gereicht. „Sie ist bescheiden geblieben“, behauptet die offizielle Website. Tatsache ist: Tati wohnt immer noch in der Cidade de Deus und kennt die Kumpels von früher. Sie ist kaufsüchtig, zahlt ihrer Mutter 100 Reais am Tag dafür, daß die ihre Wohnung putzt, aber sie verschenkt nix und spendet nix. Sie mag keine Schecks, weil „die nur Illusion sind“, und läßt niemanden ihr Geld verwalten, weil „ich ja morgen wieder arm sein könnte".

Tati ist nicht bescheiden. Sie ist laut und provokant und vulgär wie vorher - nur eben mit viel mehr Geld. Ihr Künstlername „Quebra-Barraco“ heißt übersetzt: „die die Hütte zusammen schlägt“. Genau deswegen lieben wir sie: weil sie um sich schlägt, wenn ihr was nicht paßt, Egal wo. Letztens hat sie einem TV-Ansager, der seine kümmerliche Show mit ihrer Präsenz bis zum Schluss aufwerten wollte, ins Gesicht gesagt: „Ich hab jetzt in deiner verfickten Show gesungen und das wars, ich bleib hier verdammt nicht mehr, ich hau jetzt ab.“ Und weg war sie.

Tati pfeift auf PR, sie ist wie sie ist. Das ist ihre beste PR. Das ist das Märchen. Und das wünschen wir uns auch: Nicht wie das Original-Aschenputtel in der Ecke am Herd warten, bis der Prinz uns rettet. Sondern fluchen, wenn uns danach ist und überhaupt einfach sein, wie wir sind - und genau damit ganz groß rauskommen.

Inzwischen erwartet Tati eine Menge vom Leben. Ihre nächsten Pläne: Silikonimplantate in den Allerwertesten pflanzen, einen Jeep Marke Hilux kaufen, ein Restaurant-Club aufmachen, für Aktfotos Modell stehen...

* ein Real entspricht zurzeit etwa 0,35 Euro

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