Freitag, 13. Juni 2008

Triumph der Paraibas

Es war eine Heimlichtuerei wie bei kleinen Jungs. Niemand sollte wissen, wo die Spieler des Corinthians aus Sao Paulo vor dem Endspiel hier in Recife übernachten würden, damit keine gegnerischen Fans ihren Schlaf stören. (Zur Erinnerung: in Sao Paulo ließen Böllerschüsse die Spieler aus Recife kaum schlafen) Tage vor dem Endspiel der Copa do Brasil war außerdem nicht bekannt, wie die beiden Mannschaften genau aussehen würden. Nur die gegenseitigen Beschimpfungen waren schon in vollem Gang: „Carlinhos Balla, wer soll das schon sein“, taten die Corinthians-Fans den legendären Stürmer des Sport Clube Recife ab. „Ihr könnt ruhig kommen, aber stellt euch darauf ein: wir putzen euch weg“, erwiderten die Sport-Fans. 35.000 Eintrittskarten waren binnen eines halben Tages verkauft. Mein Bekannter Valdenio, dessen Leidenschaft für den Sport Clube seine Ehe bereits um einiges überdauert hat, war unter den ersten und hat umgerechnet rund 16 Euro bezahlt. Auf dem Schwarzmarkt später sollen die Tickets mehr als 120 Euro gekostet haben.

Ich habe keines gekauft, und war trotzdem bei so einigem dabei. Mein kleines Dorf ist nämlich angenehme vierzig Kilometer von Recife entfernt, und es gibt hier ein Fünf-Sterne-Hotel. Jawohl. Das liegt einsam am Ende des Dorfstrands und ist meistens so leer, dass mich der Bademeister auf seinem Wachturm begrüßt wie die letzte Überlebende eines Weltuntergangs, wenn ich mit den Hunden am Strand an ihm vorbei laufe. In diesem Hotel haben die Corinthians-Spieler sich versteckt. Die Medien haben behauptet, sie hätten gut geschlafen, bei Meeresrauschen und dem Surren der Air Condition. Vielleicht haben die Geräusche der Air Condition die Böller übertönt. Ich habe sie jedenfalls gehört, bis in die Morgenstunden. Vormittags rauschte dann der Bus mit den Spielern an mir vorbei. Keine Ahnung, wohin sie unterwegs waren, die Entscheidung war ja erst auf den späten Abend angesetzt.

Ebenfalls vormittags flatterten am Nachbarstrand riesige Fahnen – in den Händen der Corinthians-Fans. Sie waren in Massen in Autokolonnen und angeblich 20 Reisebussen angereist. Die Reisebusse soll der Corinthians-Präsident aus der eigenen Tasche bezahlt haben, um seinen Jungs psychologische Unterstützung auf dem Platz zu garantieren. Und weil 20 Busse viele Freiplätze haben, waren da am Strand neben zivilisierten Fans auch durchaus martialische Gestalten dabei, brasilianische Hooligans eben. Die fragten die einheimischen Strandbesucher – vor allem Surfer – wo es denn verdammt noch mal Drogen zu kaufen gebe in diesem Kaff, sie hätten die ganze Reise gekokst. Als sie vormittags in diesem Kaff auf die Schnelle kein Koks bekommen konnten, ließen sie sich zu mehreren Hundert auf einem Felsen am Ende der Bucht nieder und kifften, dass die Rauchfahnen aufstiegen. Vor den Augen von drei Polizisten, die von unten zusahen. Die drei Ordnungshüter dachten gar nicht daran, auf den Felsen zu steigen: Dort oben hätten sie sich in ein Feindesheer begeben – und das Beweismittel wäre bis dahin ohnehin längst verschwunden. Über der Anarchie-Zone flatterte eine Bob-Marley-Fahne, auf welcher der Rastafari zu seinen Dreadlocks ein Corinthians-Shirt trägt.

Unten am Strand haben sich die wilden Männer übrigens außerordentlich brav verhalten. Zum Beispiel am Zuckerrohr-Saft-Stand von Lúcio. Der ist noch leidenschaftlicher Sport-Fan als Valdenio. Und als ein baumlanger Corinthians-Fan bei ihm einen Saft bestellte, brach es übermächtig aus dem schmächtigen Lúcio heraus: „Ihr werdet schon noch sehen, wie wir Euch vernichten werden, Ihr Stümperverein! Dass ihr euch überhaupt hertraut!“ Und so weiter. Grego, ein Surfer, erstarrte daneben auf seinem Barhocker als hoffe er, dadurch unsichtbar zu werden. „Ich hätte dem Typen die ganze Corinthians-Hymne vorgesungen, wenn der mich nur einmal schief angeguckt hätte. Ich hätte mir deren Wappen auf den Rücken tätowieren lassen, nur um aus der Situation heil rauszukommen“, erzählt er später. Aber der Hüne aus Sao Paulo nahm seinen Saft und trollte sich schweigend.

Es gab nämlich etwas zu verlieren: Außer der Fahrt hatte der Club-Präsident auch noch ein Mittagessen hier im schicken Hotel spendiert. Und dazu wäre der Mann nach einer Prügelei womöglich nicht mitgenommen worden. Wenig später rief eine Lautsprecheransage die Fan-Horden zurück zu den Bussen: Abfahrt zum Essen-Fassen. Die bösen Männer drückten ihre Joints aus, rollten ihre Fahnen zusammen und zogen ab. Wie Schulkinder auf Klassenfahrt.

Der Präsident muss sich ordentlich geärgert haben über seine Investition: die vielen Fans haben eine katastrophale 2:0-Niederlage seines Vereins am Abend nicht verhindern können. Es waren halt doch nur 1000 (laut Angaben der Corinthians) oder 3000 (laut Angaben des Sport Clube) Mannen aus Sao Paulo angereist. Von Polizei eskortiert, haben die erfolglosen Horden anschließend ihre Busse bestiegen, ohne Chance auf Ausschreitungen.

Seitdem tragen hier alle nur noch Schwarz-Rot, die Farben des Sport Clubs. Alte, Junge, Autos, Mopeds und sogar seine Terrasse hat einer in den Farben des Siegs angemalt. Öffentliche Busfahrer hupen im Rhythmus der Sport-Hymne, Fahrradfahrer klingeln sie, Schulkinder brüllen sie durch den Bus. Passenderweise ist morgen lokaler Feiertag Santo Antonio, da läßt sich nahtlos ins Wochenende weiter feiern. Es ist nämlich etwas Unglaubliches passiert: Die Paraibas* haben die Copa do Brasil gewonnen.

* so nennen manche Südbrasilianer, die sich für etwas Besseres halten, die Nordostbevölkerung verächtlich

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