Angefangen hat es damit, dass Botafogo gegen den Nautico zu verlieren drohte. Botafogo ist ein Club aus Rio de Janeiro, dessen Fans und Spieler sich normalerweise über den armen Nordosten und seine Fußballvereine erhaben fühlen – zumindestens, solange sie ihnen nicht gefährlich werden. Solches Denken ist Tradition für viele Cariocas, die ja auch Einwanderer aus dem armen Nordosten gerne mit „Paraiba“ bezeichnen, und das durchaus abwertend meinen. Geraten nun im Fußball solche Welten aneinander, kann das die Gemüter bis zum Siedepunkt erhitzen. So geschehen am vergangenen Sonntag, als Botafogo hier in Recife gegen den einheimischen Nautico spielte.
Botafogo geht es nicht besonders gut in den diesjährigen Meisterschaften. Aus dem Libertadores ist der Club schon draußen, aus der Copa do Brasil ebenfalls, bleibt nur noch der Brasileirao – und auch da ist sein 14. Platz nicht gerade Grund zur Freude. Und nun in Recife, gelingt dem Nautico das erste Tor. Panisch wechselt der neue Trainer als vermeintliche Rettung den Abwehrmann Luis André ein, der seine Ellenbogen so aggressiv auf Körperkontakt programmiert, dass er bald die gelbe Karte zu sehen bekommt und schließlich des Spielfelds verwiesen wird. Schimpfend trollt sich der Mann auf die Reservebank. Auf die er nicht gehört: Wer des Platzes verwiesen wird, gehört in die Umkleide. Jedenfalls: Weg vom Platz.
30.000 Nautico-Fans auf der Tribüne brüllen den Mann nieder, doch Luis André will nicht gehen. Wütend zeigt er den gegnerischen Fans den Stinkefinger und schleudert eine Wasserflasche gegen die Sitzreihen. Es ist wie im Slapstick: die Wasserflasche fliegt in die Höhe, trifft einen älteren Herrn an der Brille und zerschmettert dieselbe. Derweil bittet die Polizistin Lúcia Helena den baumlangen wütenden Kerl, ihr doch bitte vom Platz zu folgen. „Wenn du mich festnimmst, verklag ich dich, du Scheiß-Polizistin“, meckert der Hüne. Woraufhin er wirklich festgenommen wird, die anderen Botafogo-Spieler sich auch noch aufregen und sogar der Vereinspräsident versucht, einzugreifen. Als sei wüstes Meckern und Beleidigen eben so die Art der Botafoguenses. Verloren haben sie dann außerdem, Drei zu Null, was Abrutschen auf Platz 15 bedeutet.
Und die Folge der Geschichte? Die Medien kommentieren nicht etwa das ungehobelte Auftreten von Luis André und seinem Vereinschef. Sie schreiben von Amtsmißbrauch der Polizei, von exzessivem Eingreifen, von „die Polizisten hätten beachten müssen, dass es sich um ein Sportereignis handelt.“ Wie jetzt? Im Fußball darf der Spieler Fans und Polizisten beleidigen, Leute verletzen und alles ist fein? Scheint so.
Vielleicht war es keine gute Idee, in der Macho-Welt des Fußballs ausgerechnet eine Polizistin loszuschicken, um den mehrere Köpfe größeren wütenden Spieler des Felds zu verweisen. Vielleicht war es auch gerade eine gute Idee, denn Lúcia Helena hat in der Stressituation einen weitaus kühleren Kopf behalten als der Macho. Nicht nur in der Situation selbst, sondern auch bei Star-Interviewerin Ana Maria Braga, welche Lúcia Helena Tage später aufs Glatteis locken wollte, frei nach dem Vorurteil: Polizisten sind eben nicht die Hellsten. Ätsch, reingelegt. Lúcia Helena ist durchaus helle und so gelang es ihr, alle Fangfragen so geschickt zu kontern, dass Frau Braga, anstatt sie bloßzustellen, ihr schließlich in allen Punkten Recht gab. Bravo.
Luis André sagte übrigens später auf Anraten seines Anwaltes nicht aus. Der Spieler hat sich durch schnelles Zahlen einer Strafe von 4000 Euro aus der Affäre gezogen. Trotzdem machen sich die Medien weiter über den Bundesstaat Pernambuco und dessen schlecht trainierte Polizei her. Und bestraft wird jetzt der heimische Verein und Stadionbesitzer: Das Stadion ist bis auf weiteres für Spiele gesperrt. Obwohl für die Sicherheit während des Spiels nicht der Club , sondern der örtliche Fußballverband zuständig ist.
So ist das, wenn ein emotionales Volk vom Fußballfieber gepackt wird. Und so ist das, wenn der arme nichtsnutzige, ungebildete Nordosten mit seinen „Paraibas“ Rio und den Süden herausfordert (hier herrscht eher ein Süd-Nord-Gefälle, umgekehrt zu europäischen Verhältnissen). Der Nautico liegt nämlich bislang auf dem dritten Platz im Brasileirao. Und unser Sport Club Recife wird noch heute in Sao Paulo ins Endspiel gegen den dort heimischen Corinthians gehen.
Übermüdet übrigens. Bis in die frühen Morgenstunden ließen Unbekannte Raketensalven vor dem Hotel der Nordost-Spieler explodieren. Es gilt nicht als bestätigt, dass es Corinthians-Fans waren, die den Schlaf der Gegner stören wollten. Trotzdem gehen Gerüchte, die Spieler aus Sao Paulo trauten sich nicht, vor dem Rückspiel in Recife zu übernachten – sie würden in eine benachbarte Stadt ausweichen. Da warnt der Fußballdirektor des Sport Clubs jetzt schon: Falls die Sport-Fans Raketen abfeuern wollen, werden sie dies auch in Maceió und Joao Pessoa tun! Mal sehen, was die Medien dann berichten.
Mittwoch, 4. Juni 2008
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