Dienstag, 30. September 2008

Jetzt also Maria

Am Sonntag rief überraschend Maria an. Sie wolle mit mir reiten gehen. Sagte sie. Tatsächlich wollte sie mir die Neuigkeit mitteilen. Dass sie einen neuen Freund hat, und zwar einen Holländer. Der wolle etwas Festes. Und heute komme er zu ihr nach Hause, wer weiß, vielleicht würde er sie bald beim Ausbau ihres Rohbaus unterstützen. Oder gar ein Haus für sie kaufen. Wer weiß. Dann klingelte Marias Handy. Der Holländer war dran. Die wichtigsten Dinge waren schnell gesagt, auch ohne große Fremdsprachenkenntnisse: Kiss. Saudade.

Bei mir im Kopf klingeln dann schnell die Klischees. Von den treuen, großzügigen Europäern und den exotischen, erotischen, kaum von Emanzipation verdorbenen Nordost-Brasilianerinnen. Das Dumme ist: oft läuft es wirklich so. Ich habe da eine bildhübsche junge Dame erlebt, interessiert an Mode und Haarkunst und Tanzen. Die fabrizierte für ihren Europäer – den sie „mein griechischer Gott“ nannte – Hausmannkost und wusch ihm die Wäsche. Kaum hatte er sie nach Deutschland eingeladen, lernte sie diverse andere griechische Götter kennen. Und wechselte später ohne Tränen zu vergießen zu einem, der außer blauen Augen auch noch eine Firma sein eigen nannte.

Als ich einmal Besuch von zwei Freunden hatte, die beide blond und blauäugig und nicht einmal hässlich waren, klopften Frauen bei mir an der Tür, die bislang noch nie mit mir geredet hatten. Umgekehrt erzählte mir ein Bekannter, als er seine brasilianische Ehefrau am Strand von Boa Viagem kennen gelernt habe, hätte sie ihn nahezu sofort gebeten: Nimm mich mit nach Deutschland. Natürlich gibt es Ausnahmen. Natürlich finden sich manchmal zwei, die sich wirklich von Herzen gern haben.

Heute traf ich im Mini-Baumarkt eine Freundin von Maria. Sie war ziemlich in Eile, weil sie den Holländer in seinem Hotel abholen und zu Marias Haus bringen musste. Der wollte dort den Tag verbringen. Und, sagte die Freundin, „das ist eine ernste Sache: Er hat schon gefragt, wo es hier einen Juwelier gibt…“ Dann verabschiedete sie sich, zu ihrem Job als Cupido und Dolmetscherin für das turtelnde Pärchen.

Natürlich gibt es hier keinen Juwelier. Es laufen ja selbst die Damen der besseren Gesellschaft mit billigem Modeschmuck herum, um keine Banditen anzulocken. Sollte also der Holländer Maria einen echten Ring schenken, wird sie womöglich einen Safe anmieten müssen. Denn ihr Haus ist ein Rohbau, mit Fensterlöchern, durch die die Vögel hereinfliegen können. War bislang kein Problem, denn es gab keine Wertsachen zu stehlen. Das könnte bald anders werden.

„Naja, er hat mir schon Geld gegeben“, druckst Maria herum. „Aber bezahlt hat er mich nicht, das würde ich nie machen.“ Stattdessen träumt sie weiter. Ihr Neuer war schon in Dubai, vielleicht nimmt er sie dahin mal mit? Aber wichtiger wäre doch zuerst das Haus. Und unabhängig wird sie trotzdem bleiben. Arbeiten. Capoeira tanzen. Wenn er das erlaubt. Wer weiß.

Ja, wer weiß. Jetzt also Maria.

Sonntag, 28. September 2008

Lula ist der Größte

Unser Präsident ist der Größte. Das brasilianische Volk liebt ihn, wie noch nie in seiner gesamten Amtszeit: mehr als 77 Prozent loben den Mann persönlich, immer noch mehr als 68 Prozent sind mit seiner Regierung einverstanden, sagen die neuesten Umfragen. Sein Lieblingsspruch: „Niemals in der Geschichte dieses Landes“, mit dem er gerne die von ihm bewirkten Superlative aufzählt: … wurde so viel für die Indios getan, …wurde so viel für die Armen getan, … gingen so viele Kinder zur Schule, etc. ist längst zur festen Redewendung geworden. Kein Wunder, dass Lula in diesen Tagen den Mund noch ein bisschen voller nimmt, als sonst.

Kürzlich hatte der einfache Metallarbeiter sogar Gelegenheit via UNO quasi zum Weltvolk zu sprechen, jedenfalls zu dessen Staatsmännern. Gebührend selbstsicher trat er auf. Erklärte uns allen, warum die Wirtschaft der USA in der Krise ist. Weil die USA nämlich eine Wirtschaftspolitik betrieben, die nur auf maximalen kurzfristigen Gewinn ausgerichtet ist. Stattdessen müsse auch in der Wirtschaft ethisch gehandelt werden, erklärte der brasilianische Präsident., der bekanntermaßen einem Land vorsteht, in dem besonders ethisches Wirtschaftsverhalten an der Tagesordnung ist.

Mehr noch: „Ich habe das von den G8-Staaten verlangt und auch von der Weltbank, dass die sich mal melden zu der Sache – wenn ein kleines Land in die Krise gerät, sind sie gleich mit Rat und Tipps zur Stelle, wenn es um ein großes Land geht, hören wir nichts von ihnen“, meckerte der einzige Vertreter Lateinamerikas bei der UNO-Sitzung. So weit waren wir auch noch nie in der Geschichte dieses Landes, dass Brasilien der Weltbank auf die Füße tritt. Und der Mann scheint Recht zu haben. Die Amerikaner jedenfalls haben nicht etwa über die nicht sonderlich originellen Sprüche gelächelt, sondern dem Brasilianer positive Schlagzeilen gewidmet. Im Wall Street Journal hieß es etwa, Lula sei der Verteidiger eines Mittelwegs zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Dann allerdings auch noch - etwas weniger schmeichelhaft, er „balanciere auf einem schmalen Grat zwischen den Praktiken einer orthodoxen Wirtschaftspolitik und der Finanzierung populistischer Sozialprogramme.“

Tatsächlich, teure Sozialprogramme gibt es jedes Jahr mehr. . Allein die wichtigsten - vom Bolsa Familia, das den regelmäßigen Schulbesuch mit Geldwert belohnt, über Programme gegen Kinderarbeit, welche zur Alphabetisierung, bis hin zu Uni-Stipendien für Bedürftige – machen in diesem Jahr Ausgaben in der Größenordnung von mehr als 8 Milliarden Euro aus. Die Finanzierung sieht der Präsident wohl nicht weiter gefährdet, denn wir haben ja jetzt laut Lula den ersten brasilianischen Scheich. In der Person des Vorsitzenden der Petrobras, die bis 2012 voraussichtlich 112 Milliarden Dollar in die Förderung der neu entdeckten Erdölvorkommen investieren wird.

Das einzige Problem ist das Ende von Lulas Amtszeit. Denn so beliebt der Mann, so chancenlos scheint seine Partei ohne ihn. Ist es ihm überaus geschickt gelungen, sich bei sämtlichen Skandalen als unschuldigen Mit-Geprellten darzustellen, so hat das Volk der ehemaligen Partei der Saubermänner doch die größten und meisten Korruptionsvorkommnisse in der Geschichte dieses Landes ein wenig übel genommen. Der Philosoph Roberto Romano sagte gar letztens: „Die PT läuft Gefahr, sich aufzulösen, wenn Lula aus der Politik aussteigt.“

Vielleicht schwant auch dem Präsidenten selbst, dass das mit seiner Nachfolge nicht so einfach sein wird. Neuerdings sagt er gerne: „Mein Nachfolger wird es schwer haben, er will ja schließlich nicht als einer da stehen, der weniger erreicht hat als ein einfacher Metallarbeiter.“ Lula der Größte forever, also?

Montag, 22. September 2008

Ein Fall für‘s Gericht: Sind Affen Menschen?

Megh und Debbie sind drei und vier Jahre alt und meistens fröhlich: Sie wedeln mit allerlei Dingen, rollen auf einem Skateboard durch die Gegend und machen gerne Lärm, um die Aufmerksamkeit der Familie auf sich zu ziehen. Die beiden haben einen 600 Quadratmeter großen Spielplatz für sich, mit Wippen, Kletterseilen, einem Schwimmbad voller Bälle und sogar einem Laptop für Kinder. Sie schlafen elf Stunden am Tag in Einzelbetten, und dann kümmern sich zwei Kindermädchen um die beiden. Putzen ihnen die Zähne und geben ihnen die Flasche mit Kakao oder Babynahrung. Wenn eine der beiden krank ist, schläft Mama Claudia mit im Zimmer. Kurz: Megh und Debbie sind ziemlich verwöhnte Dinger. Kein Wunder, dass ihr Adoptiv-Vater Rubens Forte die beiden nicht hergeben will. Auch nicht, nachdem ein Gericht bereits gegen ihn entscheiden hat.

Rubens Problem: Megh und Debbie sind Affen. Kleine Schimpansinnen, in die sich der Unternehmer in einem Zoo in Fortaleza verliebt hat. Als der Zoo geschlossen werden musste, adoptierte er die Äffinnen und überhäuft sie seitdem mit Aufmerksamkeiten menschlicher Art. Auf dem Boden schlafen? Nichts für die „Mädels“! Sich selbst Nahrung suchen? Unvorstellbar!

Wenn es nach der brasilianischen Umweltschutzorganisation Ibama geht, sollen sie aber genau das demnächst tun: Wie wilde Affen leben. Der Ibama hat zwar das private Wildtiergehege von Rubens genehmigt, aber deswegen soll der seine tierischen Töchter trotzdem nicht behalten dürfen. Grund: Fehler in der Dokumentation, heißt es offiziell von Seiten des Ibama. Inoffiziell sieht das Ganze mehr nach einem Machtkampf aus – einer Art Rache des Ibama, weil Rubens schon den Transport der Schimpansinnen aus Fortaleza im Nordosten bis nach Sao Paulo gegen den Willen der Behörde durchgeführt hatte. Megh und Debbie ist das soweit egal: Sie spielen weiter auf ihren 600 Quadratmetern – bis zur Entscheidung.

Die liegt inzwischen beim Obersten Gerichtshof. Den hat Rubens mangels besserer Einfälle um Habeas Corpus für die beiden angerufen. Weil sie doch in Afrika bitterlich verhungern müssten. Und weil sie wie alle Schimpansen zu mehr als 99 Prozent gleiches Genmaterial besitzen wie wir Menschen. Da muss doch die in der Verfassung garantierte Bewegungsfreiheit auch für sie gelten. Oder?

Juristisch gesehen, scheint es eine einfache Sache. Die Verfassung gilt für menschliche Wesen. Tier gelten im brasilianischen Zivilrecht als Sachen. Und Sachen haben keine verfassungsmäßigen Rechte.

Ex-Präsident José Sarney verweist hingegen auf einen „Präzedenzfall“ mit anderem Urteil: In den 90er Jahren soll der damalige Arbeitsminister Antonio Magri gesagt haben: „Hunde sind auch Menschen“. Auch Internaut „Mau“ ist für die Bewegungsfreiheit der Äffinnen. Er schreibt: “Wo ist das Problem? Nachdem Dantas*, der meiner Meinung nach weniger Würde besitzt als jedes Tier, gleich zweimal Habeas Corpus gewährt bekommen hat, meine ich, dass jedes Wirbeltier das gleiche Recht haben sollte!“

Sollte der Oberste Gerichtshof dagegen entscheiden, hat Rubens bereits seinen nächsten Schritt angekündigt: Er will bis vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag ziehen.


*Daniel Dantas, umstrittener Banker, dem unter anderem Geldwäsche und Steuerhinterziehung vorgeworfen werden

Donnerstag, 18. September 2008

Wenn der Macho zärtlich brüllt

Ich beschäftige einen Macho. Der ist so alt wie ich, dünn wie eine Zuckerrohrstange, schlau wie Oskar und ein echter Mann. Er schneidet das Gras für meine Pferde und füttert sie auch, wenn ich mal nicht da bin. Dafür zahle ich ihm eine monatliche Pauschale, bin also in gewisser Weise so etwas wie seine Chefin. Und damit bin ich ein Problem für den Macho. Der doch an sich überlegen zu sein hat. Deswegen weigert mein Helfer sich gelegentlich, Dinge so zu tun, wie ich es ihm erkläre. Füttert lieber zwei Eimer Kraftfutter als einen oder an einem Tag keinen, dafür am nächsten Tag drei. Bisher haben alle Pferde überlebt, ich habe mich an den etwas rüden Umgang gewöhnt und mir eine Art kumpelhaften Ton angewöhnt, den der Macho ganz gut vertragen kann. So weit, so gut.

Bis die Sache mit dem Zaun anfing. Weil der Mann unter permanenter Geldnot leidet, gleichzeitig aber – da einerseits unverheiratet, andererseits aber keinesfalls weibisch – eine Wäscherin, eine Köchin und eine Putzhilfe bezahlen muss, habe ich ihm einen zusätzlichen Auftrag gegeben. Er soll für mich einen Zaun bauen. Ich hatte mir so einen hübschen aus geflochtenem Holz vorgestellt. Erklärte dem Mann das und fuhr auf eine Recherchereise. Als ich zurück kam, war alles anders.

Vom Zaun war nur ein Anfang zu sehen, ein ziemlich improvisiertes Werk aus ineinander geschachtelten, vernagelten und aneinander gebundenen Zweigen verschiedener Dicke und Höhe. Von geflochten konnte keine Rede sein. Von dem Mann keine Spur. Er hinterließ zwar Gras für die Pferde, ließ sich selbst aber nicht blicken. Als ich ihn nach Tagen traf, blökte er statt einer Begrüßung los: „Das ganze Holz zu schneiden ist eine Heidenarbeit, ich habe schon den gesamten Wald durch gekämmt!“ Hm. Angeblökt hatte er mich bislang nicht. Ich schwieg und dachte mir: Das war vermutlich seine Art, zu erklären, warum er unmöglich sein Versprechen einhalten konnte - den Zaun bis zu meiner Rückkehr fertig zu haben. Außerdem, so unterbreitete er mir in kaum weniger harschem Tonfall, sei der Zaun nicht gerade zu ziehen, wie ich das vor hatte. Das Grundstück verliefe nämlich dergestalt, dass eine Ecke auszusparen sei, um die der Zaun im Dreieck herum zu verlaufen habe.

Interessant. Bei genauerer Betrachtung erschloss sich mir mühelos seine Eckenlogik: Durch die angeblich nicht zum Grundstück gehörende Ecke hatten die Nachbarn einen Trampelpfad eingerichtet, den sie anscheinend nicht aufgeben wollten, nur weil das jahrelang leerstehende Haus jetzt von mir bewohnt wurde. Aber was hatte das mit dem Macho zu tun? Wenn ich ihn je mit der Nachbarin kommunizieren sah, brüllte er sie meistens an, konnte also kaum freundschaftliche Gefühle für sie hegen.

Dachte ich. Erst nach Tagen fiel mir auf, dass der Zaun zwar keinen Zentimeter wuchs, der Macho aber jeden Tag mindestens zweimal, meist noch öfter bei mir vorbei kam. Auf dem Weg zur Nachbarin, die er dann ausgiebig anbrüllte. Gestern morgens hingen auf der Wäscheleine der Nachbarin zwei Hemden, die mir bekannt vorkamen. Und gestern abends tönte noch lange ein bekanntes Blöken von nebenan herüber. Endlich habe ich begriffen: Der Mann und die Nachbarin pflegen ein Techtelmechtel. Und wenn ein echter Mann zärtlich ist, dann brüllt er besonders laut. Sogar, wenn er mit mir redet.

Sonntag, 14. September 2008

Vertrauen in den König ohne Krone


Die Politiker sind alle Diebe. Haben viele Brasilianer früher geschimpft. Hätten sie mal nicht machen sollen. Denn jetzt ist es schlimmer geworden.

Wir sind ja wieder mitten im Wahlkampf mit allen dessen Annehmlichkeiten: billige Arbeitskräfte halten Plakatwände oder Flaggen mit den freundlich lächelnden Gesichtern der Kandidaten in die Gegend. Radler, Mopedfahrer und Autos beladen sich mit Lautsprechern, um frohe Botschaften auch in jedes noch so kleine Dorf zu schallen. Die Slogans sind bestechend ähnlich: Batata („Kartoffel“) vom kommunalen Radio wirbt ebenso um das Vertrauen der Wählerschaft, wie Chico aus der Pfingstkirche und Bucho („Bauch“) von den Stränden. Warum sie das verdienen, können sie nicht so recht begründen. Und genau das ist ja das Problem: es gibt nicht viel zu vertrauen. Wären die Brasilianer nicht gezwungen, zu wählen, würde womöglich kaum jemand hingehen, am 5. Oktober.

Zur Auswahl stehen ungefähr 380.000 Kandidaten: Bürgermeister und Abgeordnete wollen sie werden. Darunter etwa der wegen Korruptionsvorwürfen abgetretene Severino Cavalcante. Wie viele Diebe dabei sind, hat bislang keiner gezählt. Wenn man nach der Menge der Korruptionsskandale der letzten Jahre urteilen wollte: vermutlich viele. Außer geschätzten Dieben stehen – und das ist bewiesen – in diesem Jahr reichlich Mörder zur Wahl. Mitgeteilt hat das der Präsident der Wahlgerichtsbarkeit von Rio de Janeiro. Dort seien unter den diesjährigen Kandidaten 100 wegen Mordes verurteilt oder haben einen Menschen getötet. Politiker werden dürfen sie trotzdem. Das ist ihnen erst verboten, wenn sie in allerhöchster Instanz verurteilt sind. Sollte das Verfahren noch laufen sind sie wählbar. Und damit die Verbrecher nicht benachteiligt werden, darf das Gericht die Strafregister der Kandidaten nicht einmal veröffentlichen. Der TRE-Präsident hat also keine Namen genannt. Er wollte eigentlich auch niemanden schocken, mit seinen Worten. Er wollte nur begründen, warum sein Gericht einen Metalldetektor am Eingang braucht.

Angesichts dieser Geschichte scheint es ein echtes Privileg, hier auf dem Dorf zu wohnen, wo nur Bauch, noch Chico oder Kartoffel um unser Vertrauen werben. Vermutlich ist keiner von ihnen ein Mörder.

Außerdem dürfen sogar demokratisch einen Monarchen wählen, wenn wir wollen. Der „Rei“ läuft das ganze Jahr mit einer hübschen goldenen Krone herum, auch wenn er in seiner kleinen Kneipe am Straßenrand bedient. Sein Name ist ihm vom „König der Brillen“ übrig geblieben., als der er vor vielen Jahren Sonnenbrillen am Strand verkaufte. Und jetzt will der Rei in die Politik: „Nao pense duas vez, vote no Rei“, lautet sein etwas schütter gereimter Wahlspruch. Schade ist nur, dass ihm seine Partei den Gebrauch der Krone im Wahlkampf untersagt hat. War den Grünen wohl nicht vertrauensbildend genug, das Symbol der Macht und des Reichtums. Aber kann man einem König ohne Krone vertrauen?

Foto: Ricardo Phebo

Montag, 8. September 2008

Hartes Durchgreifen in der Schnapsfrage

„Ich bin auch nur ein normaler Mensch“, sagte Fernando, als er mich vom Flughafen abholte. „Ich bin nicht besser oder schlechter als andere. Aber ich finde das gut, das neue Gesetz“. Was Fernando meinte, ist, dass er genau so gerne ein Bierchen trinkt, wie die meisten Brasilianer. Und, dass er trotzdem dafür ist, in der Schnapsfrage hart durchzugreifen. Das hat die Regierung nämlich soeben getan. Das Bundesgesetz nº. 11.705 ist im Juni in Kraft getreten und soll “den Konsum alkoholhaltiger Getränke für Fahrer von Kraftfahrzeugen“ unterbinden. Seitdem zeigt sich, dass die Schnapsfrage in Brasilien so etwas wie eine Glaubensfrage ist. Erbitterte hoch-emotionale Diskussionen hat das neue Gesetz ausgelöst. Eine Verfassungsklage gar. Und nur bei manchen Erleichterung und Zustimmung, wie bei Fernando.

Fernando ist vor allem am Wochenende für ein paar Gläschen unter Freunden zu haben. Meistens trinkt er die hier im Dorf und kann danach zu Fuß nach Hause gehen. Ganz vorsichtig - weil andere Sonntagstrinker derweil motorisiert die Straßen unsicher machen. Vielleicht ist Fernando deswegen so ausdrücklich für das Schnaps-Verbot. Durch das Internet ging nämlich eher ein Aufschrei des Protests. Zum Beweis, wie absurd das neue Gesetz sei, fanden Internauten Beispiele vom Muttertagsfest, bei dem künftig nicht ein einziges Bierchen getrunken werden dürfe, bis hin zum Pfarrer, der nach der Messe künftig zu Fuß nach Hause gehen müsse. Damit wir uns recht verstehen: Das neue Gesetz bedeutet Null Promille. Null Alkohol. Aus für das Bierchen vor der Heimfahrt, und Aus erst recht für das – unter Nordost-Großgrundbesitzern (und solchen, die das gerne wären) durchaus übliche - Glaschen Whisky on the rocks noch während der Fahrt.

Plötzlich findet sich Brasilien weit vor Deutschland, den USA oder seinen südamerikanischen Nachbarn unter den Ländern mit der strengsten Gesetzgebung, was die Promillegrenzen angeht. Noch sind sich die Medien nicht ganz einig: Ab 0,1 Promille ist der Lappen weg, heißt es in einem Artikel. In einem anderen scheinen 0,2 Promille und also ein kleines Glas Bier gerade noch durch zu gehen. Wer aber mehr als 0,6 Promille im Blut hat, kann jetzt sogar ins Gefängnis wandern. Bei 0,6 lag auch vorher schon die Grenze. Nur wurde die äußerst selten kontrolliert und ihr Übertrinken noch seltener bewiesen. Und das lag nicht nur daran, dass es Polizisten geben soll, die gegen ein kleines Trinkgeld sogar eindeutige Anzeichen von Trunkenheit übersehen: Brasilianer sind grundsätzlich nicht verpflichtet, „Beweise gegen sich selbst“ zu produzieren. Wenn einer sich also weigerte, ins Teströhrchen zu pusten, so war er im Recht – egal wie weit seine Fahne wehte. Damit soll jetzt Schluss sein. Das neue Gesetz sagt, wer sich weigert, zu blasen, kann mit Geldbuße bis zu umgerechnet 400 Euro und Führerschein-Entzug bis zu einem Jahr bestraft werden.

Fies und gemein ist das? Verfassungsfeindlich? Vielleicht. 35.000 Verkehrstote im Jahr verzeichnen die brasilianischen Statistiken, davon 75 Prozent unter Alkoholeinfluss. Psychiater Valdir Ribeiro Campos hat Ende 2006 eine Untersuchung zu Alkohol am Steuer in Belo Horizonte durchgeführt: Von den in Wochenends-Nächten befragten Autofahrern hatte jeder Dritte Alkohol im Blut, mehr als die Hälfte gab an, regelmäßig zu trinken, und jeder Dritte war bereits in einen Unfall verwickelt. Laut Untersuchungen sind in den ersten beiden Monaten seit dem neuen Gesetz knapp 20 Prozent weniger Menschen auf Brasiliens Straßen ums Leben gekommen als in den Monaten davor.

Präsident Lula, bekennender Cachaca-Liebhaber, hat die Schnapsfrage wie folgt zusammengefasst: “Ich weiß, dass diese Maßnahme gewissen Interessen widerspricht”, sagte er in einer Rede anlässlich der Anti-Drogen-Woche, “aber sie dient dem Wohl der gesamten Gesellschaft.” Recht hat er.
 
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