Dienstag, 25. November 2008

Faule Parlamentarier schaffen Inseln des Wohlstands


Schuld ist die Faulheit der Parlamentarier. Natürlich gibt es kleine Dörfer, in einem so großen und so unregelmäßig besiedelten Land wie Brasilien. Santa Cruz in Minas Gerais ist mit seinen drei Quadratkilometern Fläche kleiner als das Universitätsgelände der USP in Sao Paulo. Und Borá in Sao Paulo hat weniger als 800 Einwohner. Beides unabhängige Gemeinden mit eigenem Bürgermeister, Gemeinderat und allem, was dazu gehört. Das Problem liegt woanders. Im Wachstum. Denn das Zwergenwachstum gerät allmählich außer Kontrolle: Gab es 1988 in ganz Brasilien kaum mehr als 4000 Gemeinden, waren es 2000 schon mehr als 5500. Die meisten der neuen haben weniger als 10.000 Einwohner. Weitere 800 Anträge für neue Mini-Gemeinden liegen bereits in den Schubladen.

Vor dem Gesetz sind diese Zwerge in einer Hinsicht gleich gestellt. Egal ob 800 oder 10.000 Einwohner, es fließt die gleiche Mindestsumme Unterstützung in ihre Gemeindekasse: stolze 3,3 Millionen Reais im Jahr. Umgerechnet sind das gut eine Million Euro, die der Bund aus dem FPM - Fundo de Participação dos Municípios schöpft. Den FPM füllen Teile der Einkommenssteuer und einer Steuer auf Industrieprodukte. Je mehr Gemeinden, desto mehr Mindestsummen, ganz einfach. Also, dachten sich ein paar Schlaue Politiker: Schluss mit dem Eingemeinden, im Gegenteil - aus eins mach zwei. Möglich wurde das durch ein vor zwölf Jahren erlassenes Gesetz über die Gründung neuer Gemeinden, das durch konkrete Vorgaben ergänzt werden sollte, die vom Parlament zu verabschieden gewesen wären. Wären, denn seit 1996 sind solche konkreten Vorgaben nicht verabschiedet worden. Statt dessen wurde fröhlich ausgemeindet.

Zum Beispiel im Fall Coqueiro Baixo, im südlichsten Bundesstaat Rio Grande do Sul. Coqueiro Baixo hat nur 4700 Einwohner und war eigentlich Ortsteil von Nova Bréscia. 1996 wurde der Ortsteil zur eigenen Gemeinde erklärt und damit Empfänger von eigenen drei Millionen. Ebenso die nahe gelegene Siedlung Forquetinha – vormals Teil der Gemeinde Lajeados mit immerhin 70.000 Einwohnern. Seit 2001 ist Forquetinha mit seinen 2100 Einwohnern unabhängig – und Empfänger von drei Millionen im Jahr. Bürgermeister Lauri Gisch (siehe Foto) findet das wunderbar. Er wolle den ganzen Ort in eine Art Luxus-Wohnsiedlung verwandeln, sagte er kürzlich dem Nachrichtenmagazin Veja, „wir sind hier eine Insel des Wohlstands“. Was er nicht sagt: Die Hälfte des Wohlstands stammt aus Steuergeldern des Bundes.

Mit dem hemmungslosen Absahnen könnte demnächst Schluss sein. Der Oberste Gerichtshof Brasiliens hat den faulen Parlamentariern jetzt ein Ultimatum gesetzt: Bis Mai 2009 müssen sie endlich genaue Kriterien festlegen, nach denen neue Gemeinden entstehen dürfen. Ein Vorschlag sieht vor, je nach Region Mindesteinwohnerzahlen festzulegen: Im Norden und Mittleren Westen wären das 5000, im Nordosten 10.000 und im Süden und Südosten sogar 15.000 Einwohner. Damit wäre die Schlaraffenzeit sowohl in Coqueiro Baixo als auch in Forquetinha vorbei.

Falls die Parlamentarier in die Pötte kommen. Richtig sicher scheint der Oberste Gerichtshof darauf nicht zu zählen. Deswegen hat er für den Notfall vor gesorgt: Bleiben die Parrlamentarier trotz des Ultimatums bis Mai tatenlos, sieht der Supremo vor, einfach alle seit 1996 entstandenen Gemeinden wieder von der Landkarte zu radieren. Das trifft zwar auch finanziell vollkommen autarke neue Gemeinden wie Mesquita in Rio de Janeiro, dessen 190.000 Einwohner die Gemeindekasse ganz alleine füllen. Aber vor allem die Schmarotzer auf ihren Inseln des Wohlstands.

Foto: Liane Neves, entnommen aus Veja

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