Maria da Penha ist heute 62 Jahre alt und seit beinahe einem halben Jahrhundert querschnittsgelähmt. Eigentlich hatte ihr Ehemann sie umbringen wollen, aber der Schuss ging daneben. Das war 1983, und in einem zweiten Anlauf im gleichen Jahr versuchte der Universitätsprofessor, seine Gattin durch einen Stromschlag und Ertrinken zu töten. Maria überlebte auch diesen Mordversuch, zeigte ihren Mann an und wartete, was passieren würde. Acht Jahre später wurde er zu acht Jahren Haft verurteilt, weitere 11 Jahre später endlich eingesperrt. Zwei Jahre lang.
Als er schon zwei Jahre wieder in Freiheit lebte, wurde 2006 das Gesetz Nummer 11.340 verabschiedet. Es heißt „Maria da Penha“ und sieht strengere Strafen und Maßnahmen im Fall familiärer Gewalt vor. Präventivhaft für aggressive Ehemänner ist seitdem ebenso möglich wie der Hinauswurf des gewalttätigen Mannes aus dem ehelichen Heim und die Verhängung von Sicherheitsabstand. Bereits am ersten Tag, nachdem das Gesetz in Kraft getreten war, wurde ein Mann festgenommen, der seine Ex-Frau erwürgen wollte.
Brasilien liegt weit vorne in der Gewalt gegen Frauen. Und der Bundesstaat Pernambuco liegt ganz vorn innerhalb Brasiliens. Zwischen 1.1. und 30.9.2008 hat die Leiterin des Frauenforums Pernambuco 205 Mordfälle an Frauen gezählt: nahezu eine für jeden Tag. Vielleicht hat Maria da Penha deswegen hier in Recife im letzten Jahr einen Verdienstorden bekommen, weil sie vom Rollstuhl aus gegen Gewalt an Frauen kämpft. Besonders häufig vergreifen sich die hiesigen Männer an Frauen, von denen sie bereits getrennt sind. Nach dem Motto: Wenn ich sie nicht haben kann, soll sie auch kein anderer haben.
Anfang September haben hier im Bundesstaat der Gouverneur und die Frauenministerin Brasiliens einen nationalen Pakt zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen unterzeichnet, in dessen Rahmen umgerechnet mehr als eine Million Euro für Anti-Gewalt-Projekte in den Bundesstaat fließen sollen. Ende September gingen mit dem gleichen Ziel 100 Frauen im ländlichen Goiana auf die Straße. Am 5. November lud die Frauenzeitschrift Claudia Maria da Penha zum Forum der brasilianischen Frau nach Recife, weil „es hier eine Tradition gibt, häusliche Gewalt zu bekämpfen.“ Am 6. November rollte die Namensgeberin des Gesetzes zu einer Feierlichkeit in der Anwaltskammer in Recife: anlässlich des zweiten Geburtstags des Gesetzes soll eine Briefmarke mit ihrem Porträt gedruckt werden.
So richtig euphorisch konnte die Stimmung nicht werden auf der Feier. Denn am Vortag, dem 5. November, während die Chefredakteurin von Claudia den Einsatz der Pernambucanerinnen lobte, wurde sechzig Kilometer entfernt Ananda do Ò beerdigt. Die 19Jährige wurde am 4. November von ihrem Ex-Mann durch einen Kopfschuss getötet. Obwohl sie bereits zwei Monate vorher auf dem örtlichen Polizeirevier um dringenden Schutz gebeten hatte. Obwohl sie danach noch mehrmals die Polizei aufsuchte, zuletzt an ihrem Todestag.
Laut Gesetz hat der Richter 48 Stunden Zeit, um über Anträge auf Schutz bei häuslicher Gewalt zu entscheiden. Am 11. September leitete der Polizeikommissar Anandas Gesuch weiter. Am 21. Oktober hat der Richter laut Angasben des Gerichts entschieden: der Ex dürfe sich Ananda oder ihrer Familie nicht auf weniger als 200 Meter nähern oder auf andere Weise Kontakt zu ihr aufnehmen. Mitgeteilt hat der Richter das weder Ananda noch dem Mann.
Am 2. November tauchte der Ex bei Ananda auf, ohne zu wissen, dass ihn das ins Gefängnis hätte bringen können, wenn alles richtig gelaufen wäre. So aber gerieten die beiden an der Haustür in einen handgreiflichen Streit, bis der Ex schließlich verschwand, Stunden später bewaffnet wieder kam und seine Ex in den Kopf schoss. Ananda hatte am nächsten Tag mit den vorgeschriebenen drei Zeugen auf der Polizeiwache ihre Bedrohung beweisen wollen. Sie starb auf der Stelle. Als ihre Nachbarn die Schüsse hörten und begriffen, was geschehen war, wollten sie den Täter lynchen. Als er sich einschloss, steckten sie ersatzweise sein Auto in Brand. Zu Anandas Beerdigung kamen 300 Menschen.
Wir haben unsere Pflicht getan, sagt der Polizeikommissar. Wir auch, sagt das Gericht. Klingt beinahe so, als rechneten die Bürokraten damit, dass alle so geduldig warten können, wie Maria da Penha selbst. Ananda hat nicht so viel Zeit gehabt - Maria da Penha hat sie nicht retten können.
Fotos: Domingos Tadeu (oben) und Folha de Pernambuco (unten)
Freitag, 7. November 2008
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