Sao Paulo ist uns mal wieder einen Schritt voraus. Und wenn ich die Paulistanos weder um ihr Verkehrschaos, noch um ihre Luftverschmutzung beneide – die neue Liste hätte ich hier in Pernambuco auch gern. Weil ungefähr jeden zweiten Tag bei mir das Telefon klingelt. Nein, viel öfter klingelt der Festnetz-Apparat tatsächlich nicht: Privatmenschen haben Handys und deutsche Redaktionen kommunizieren per Mail.
Die meisten meiner Festnetz-Gespräche verlaufen etwa so: Eine sanfte Stimme säuselt „Guten Tag, mein Name ist Sheila, spreche ich mit Christine?“ Der Namenstrick weckt sofort im wehrlosen Unterbewusstsein eine Resthoffnung darauf, dass es um mich gehen könnte, in diesem Telefonat. Also lege ich nicht gleich auf. Und sage, „Ja, Sie sprechen mit Christine, worum geht es denn?“ Es geht um mein Geld. Immer. In den meisten Fällen wollen die Sheilas des Telemarketing mir eine Kreditkarte andrehen. Und wenn ich sage, „habe ich schon“, werden sie erst richtig heiss. So eine Sheila loszuwerden, kann dauern, schließlich sind sie darauf trainiert, sich nicht abwimmeln zu lassen. Mir ist dabei schon so mancher Kaffee übergekocht, Reis angebrannt oder Schlaf vergangen.
Wohnte ich in Sao Paulo, hätte ich demnächst Ruhe. Keine Sheilas mehr. Gestern hat der Gouverneur ein Gesetz unterschrieben, das eine schwarze Liste für Telemarketing vorsieht: Wer sich darauf einträgt, darf nicht mehr angerufen werden. Kein fröhliches Drauflos-Wählen für die Sheilas mehr, in Sao Paulo müssen sie bald erst auf die Liste gucken. Wer dann noch angerufen wird, ist selbst schuld – oder darf vor Gericht gehen, falls irgendein übereifriger Werber den Namen auf der Liste übersehen hat. Die Strafhöhen werden in den nächsten Wochen fest gesetzt. Ob andere Bundesstaaten planen, ähnliche Gesetze einzuführen, ist leider bislang nicht bekannt.
Heute habe ich eine Rundmail bekommen. So eine, die schon von weitem nach Virus riecht, weil die cc-Liste so lang ist. Ich habe sie trotzdem geöffnet, weil im Betreff stand: „Rache dem Telemarketing“. Hat sich gelohnt. Als mich wenig später eine Lygia anrief, die mir eine Kreditkarte andrehen wollte, habe ich gesagt. „Oh, das interessiert mich sehr. Ich habe nur gerade einen Topf auf dem Herd stehen, könnten Sie bitte kurz dran bleiben?“ Natürlich konnte Lygia dran bleiben. Ich habe erst mal in Ruhe Kaffee getrunken, Wäsche gewaschen und Blumen gegossen. Gelegentlich habe ich vorsichtig den Hörer hochgehoben, um zu lauschen, ob Lygia noch wartet. Sie hat eine halbe Stunde ausgehalten, dann war sie weg. Fand ich beinahe ein bisschen schade. Deswegen habe ich beschlossen, das System zu perfektionieren. Diese Wartezeit lässt sich sicher noch steigern, durch kurze Zwischenbescheide, wie bei den Firmenwarteschleifen, etwa so: „Nur noch einen Moment Lygia, ich komme sofort…“.
Ich hoffe schon den ganzen Tag, dass das Telefon klingelt und mich eine Sheila anruft. Hoffentlich hat Lygia mich nicht auf eine schwarze Liste gesetzt. Sie hat aus Sao Paulo angerufen, und da sind sie uns ja immer einen Schritt weiter.
Donnerstag, 9. Oktober 2008
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