Montag, 27. Oktober 2008

Die Sorgfalt der grünen Männer

Hier im Dorf funktioniert die Müllabfuhr ganz hervorragend. Fleißige grüne Männer durchziehen in aller Herrgottsfrühe die wenigen Straßen und reichlich steilen Gassen, und laden alle am Wegrand abgestellten oder auf Pfosten gehängte Plastik-Mülltüten ein, die sie so finden können. Gelegentlich sieht man sie auch akribisch wildwuchernde Pflanzen vom Straßenrand weghacken oder Einzelabfall aus Wasserrinnen herausfischen. Nie habe ich gesehen, dass die grünen Männer wer kontrollieren würde – die ganze Sorgfalt ist freiwllig.

In den Straßen (Hauptverkehrsadern) kommen die grünen Männer jeden Morgen vorbei. An meinem Haus, das oben auf dem Hügel steht, immerhin dreimal pro Woche. Das heißt, der Dorfplatz ist auch nach einem turbulenten langen Wochenende spätestens am Montag Mittag wieder sauber. Ebenso wie die Rinnsteine neben dem Getränkemarkt oder vor den wenigen Kneipen., die an solchen Wochenenden von den Urlaubern leergetrunken werden. Das ist umso bemerkenswerter, als hier fast niemand Grundsteuern bezahlt – und die Müllabfuhr trotzdem für uns Einwohner kostenlos ist. Kurz: Unser Dorf ist ein sauberes.

Der Brasilianer an sich, wenn er nicht gerade in einem touristisch gepflegten Naturpark mit entsprechenden Umwelterziehungsprogrammen vom Baby bis zum Opa wohnt, hat kein verstärktes Umweltbewusstsein. Kaum hat er eine Tüte Salzsnacks geleert, lässt er sie einfach seiner Hand entgleiten, egal, ob er gerade im Bus sitzt, im Auto, oder auf der Straße steht. Tüten sind hierzulande übrigens immer noch in reichlichem Maß bei jedem Einkauf kostenlos erhältlich. Manche Waren wie Seifen werden – bevor sie in die große Tüte kommen -, extra noch in eine kleine verpackt. Und viele Supermärkte kaufen aus Sparsamkeit so hauchzarte Tüten, dass die Einpacker an der Kasse mindestens zwei davon ineinander stecken, damit eine Chance besteht, den Einkauf darin tatsächlich bis nach Hause tragen zu können.

Zuhause ist natürlich alles anders. Meine Nachbarn etwa fegen ihre Terrasse und ihren kleinen Hof mit gestampftem Lehmboden jeden Tag. Letztens habe ich den weißhaarigen Herrn beobachtet, wie er Laub und Plastikfetzen zusammen und immer weiter von seiner Terrasse weg kehrte. Dabei unterhielten wir uns über die ersten Cashews, die jetzt reifen und andere Alltagsthemen. Bis er mit einem finalen Schwung den ganzen Haufen Unrat endgültig von sich schob. In meinen Garten. Vorsichtig, um die zarten nachbarschaftlichen Bande zwischen uns nicht gleich zu zerreißen, wies ich ihn darauf hin, dass er da Plastikmüll abgesondert hatte, der sich mitnichten in Humus verwandeln würde. Den ich deswegen nicht schätzte, in meinem Garten. Unverständliches brummelnd, zog sich mein Nachbar zurück auf seine sauber gekehrte Terrasse. Ich griff mir eine der Tüten, sammelte darin des Nachbarn Müll und stopfte alles zusammen in meine häusliche Tonne.

Am nächsten Tag erwachte ich von einem Kehrgeräusch auf der Hausvorderseite. Später sah ich: es war meine Nachbarin. Sorgfältig kehrte sie Laub und Plastikmüll neben ihrem Haus zusammen auf einen großen Haufen und verschwand. Leider lag der Haufen direkt neben meiner Grundstücksgrenze, etwa einen Meter höher. Kurz: Der Wind trieb den Müll binnen weniger Stunden komplett in meinen Vorgarten. In meinem hinteren Garten fanden sich ein paar Seiten aus dem Schulheft ihrer Tochter sowie ein paar leere Snacktüten. Ich nahm eine leere Hundefuttertüte, sammelte darin sowohl diesen als auch weiteren Müll, den ich auf der anderen Straßenseite im Gebüsch entdeckt hatte: Einwegwindeln, Schnapsflaschen, Altkleider. Die komplette Beute platzierte ich zusammen mit einem alten TV-Gehäuse, einem zerbrochenen Waschbecken und diversen rostigen Stangen, die nicht in die Futtertüte passten, am Straßenrand: für die grünen Männer.

Am nächsten Tag kamen sie. Planmäßig. Häuften alle üblichen Tüten auf ihre Schubkarre, packten die Futtertüte ganz oben drauf – und wollten weiter ziehen. „Und was ist mit dem Restmüll“, fragte ich erstaunt. Zwei zogen mit dem Karren weiter hügelabwärts, als hätten sie mich nicht gehört. Der dritte blickte ratlos auf das TV-Gehäuse, das Waschbecken und die Eisenteile. Schließlich meinte er: „Warum wirfst du das nicht einfach ins Gebüsch?“ Dann ging auch er.

Unbekannte steckten die Übriggebliebenen in Brand, als ich gerade nicht zuhause war. Zurück blieben hässlich verrußte Teile, die den grünen Männern gar nicht gefielen. Durch freundlich-hartnäckiges Im-Weg-Stehen-Bleiben konnte ich sie erst Tage später nötigen, die Brandopfer doch noch mit zu nehmen. Dann aber kehrten sie eifrig auch noch den letzten Aschestaub zusammen. Nicht ganz freiwillig, aber sehr sorgfältig.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Zu den grünen Männern


Es ist eben so, selbst mit dem Willen, sich anzupassen und nicht alles "auf die Goldwaage zu legen"; Ich kann meine deutsche Herkunft und das mir "mit auf den Weg gegebene" nicht leugnen. Wir haben halt einfach unsere Vorstellungen und antrainierten Verhaltensweisen.

Und, so geht es sicher vielen anderen Deutschen auch, wir nehmen vom Andersartigen Notiz, und zwar viel mehr, als wir wohl je gedacht hätten. Oft handelt es sich dabei um ganz banale Situationen des täglichen Lebens. Das ist es mit, was einen Aufenthalt anderstwo so interessant mancht: Das Erleben von Neuem, und das fast jeden Tag.

Einst durfte ich ein paar Tage mit brasilianischen Bekannten am Strand verbringen.

Viel Interessantes, Überraschungen. Etwa, wie einfach doch die normalen Ferienhäuschen dort beschaffen sind. Aber auch die Erkenntnis, dass es auch ohne viele scheinbar wichtige Dinge gut leben lässt. Zumindest für geraume Zeit.

Auch, daß ein Geländewagen für ganz viele dortige Straßen oft vorteilhafter wäre, gegenüber einem kleinen Gol, Fox, Palio, Civic, oder wie die typischen Autos in Brasilien eben heißen.

Und, das Leben spielt sich in der Nacht ab: Oftmals obligatorisches Grillen am Abend, danach Ausgehen bis tief in die Nacht, und das jeden fast Tag.

Genug der Abscheife, zurück zu Thema Müll

Dort am Ferienhaus zeigte sich etwas Interessantes. Dass wohl auf dem eigenen, von Mauern gesäumten Grundstück des Ferienhauses jeglicher Müll in Plastiktüten verpackt wurde. Die dann ein ein auf einem ca. 1,5m hohen Metallfuß aufgesetztem eisernen Körbchen gelagert werden, ehe sie vermutlich von ebenso "grünen Männern" abgeholt werden. Eine Art feste Mülltone vor dem eigenen Grundstück, wohl wegen freilaufenden Hunden und anderen Tieren etwas vom Boden erhoben.

(Plastiktüten gibt es in brasilianischen Haushalten in Unmengen. Wie schon von der Verfasserin diese Blogs erwähnt, ob in den kleinen Kramläden oder gerade in den großen Supermärkten wie Carrefour: Plastiktüten sind dort nach wie vor üblich und es gibt sie zuhauf. Oft ist es beim Einkaufen so, daß z.B. eine Dose Cola, eine Banane und eine Packung Kaugummi je eine eigene Tüte erhalten, obwohl alles gut auch zusammen ein eine Tüte gepasst hätte.)

Oft gibt es auch z.B. an einem Straßeneck eine Müllsammelstelle in Form einzelner Betonringe, welche eigenlich für den Bau von Schächten oder Kanälen verwendet werden. Diese Sammelstation teilen sich dann mehrere Ferienhausbesitzer.

Soweit, das eigene Grundstück wird schon sauber gehalten. Beim Ausgehen in der nahegelegenen Stadt gingen wir von Lokal zu Lokal, welche alle der Straße zu weit geöffnet waren, keine wirklich geschlossenen Gebäude. Das Leben spielt sich in den heißen Nächten ohnehin mehr auf der Straße ab. Es war kein Strand der Superreichen, viele Jüngere kamen mit ihren Autos und machten mittels Car-HiFi bei geöffnetem Kofferraum ihre Musik. Dazu tanzte man auf der Straße und am nahegelegenen Strand.

Essen, Trinken, Tanzen, Musik, das Leben ereignet sich quasi auf der Straße. Wir kauften uns Bier (und ich hätte nicht erwartet, das in Brasilien so gerne Bier getrunken werden würde). Bier in Dosen.
Nachdem mein Bier alsbald getrunken war und ich Ausschau nach einem Mülleimer hielt, bemerkten meine Begleiter, daß ich nicht wusste, wohin mit der Dose.

Sie nahmen sie mir ab und schleuderten sie ins Gebüsch am Straßenrand(!) Später bemerkte ich, daß man hier zu Mülltrennung einen anderen Bezug hat, als es in Deutschland mittlerweile der Fall ist. Ja, es liegt mehr herum, auf den Straßen. Und Skrupel sind oft nicht vorhanden, jeglichen Abfall genau dann und dort zu entsorgen, wann und wo er gerade anfällt.
-Obwohl es auch Mülleimer gibt.

Was mir im weiteren Verlauf auch auffiel, war, daß kleine Kinder mit Säcken sammeln, und zwar Müll, wie etwa Getränkedosen. Das machen diese Kinder teils tagsüber. Aber ich sah auch nachts welche, nach Mitternacht. Zu einer Zeit, in der ein Kind (wenn überhaupt) nicht mehr damit beschäftigt sein sollte, alleine Müll sammeln zu müssen.

 
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