Mittwoch, 15. Oktober 2008

Relaxe e goze, Marta

Einfach so heraus gerutscht ist es ihr dieses Mal garantiert nicht. Das konnte Marta Suplicy Ex-Bürgermeisterin von Sao Paulo, Ex-Tourismusministerin und aktuelle Bürgermeister-Kandidatin für Sao Paulo beim letzten peinlichen Spruch noch behaupten. Mitten in der Luftfahrtskrise des Landes, als Passagiere wegen Überbuchungen stunden- und tagelang auf ihre Verbindungen warteten und manche gar das Weihnachtsfest auf Flughäfen verbrachten, hatte die Ministerin geraten: „relaxe e goze“. Die Menschen sollten demnach einfach „entspannen“ und - tja, wie übersetzt man jetzt den zweiten Teil? Genießen, ließe sich sagen. „Einen Orgasmus haben“ gehört außerdem zu den gebräuchlichen Bedeutungen von „gozar“. „Relaxe e goze“ wird seitdem genüsslich bei den diversesten Gelegenheiten zitiert. Zuletzt bei einer Gay parade.

Die Gay community von Sao Paulo gehört übrigens zu den Stammwählern von Marta, die sogar bei Besuchen in Favelas ostentativ Designer-Klamotten trägt, für ihre Shoppingtiuren nach Europa berühmt ist, und die ihre öffentliche Karriere als TV-Sexologin begann. Irgendwie ist ihr da wohl etwas durcheinander geraten. Letzte Woche verbreitete ihre Wahlwerbung einen Spot, der ziemlich penetrant die Wähler fragte: „Kennen Sie Kassab? Wissen Sie ob er verheiratet ist? Ob er Kinder hat?“ Kassab ist amtierender Bürgermeister von Sao Paulo, knapper Gewinner der ersten Wahlrunde und Martas Gegner bei der Stichwahl am letzten Oktober-Wochenende. In Umfragen liegt er vor der Ex-Bürgermeisterin, die nach ihrer Amtszeit so desaströse Finanzen hinterließ, dass ihr Nachfolger beinahe zwei Jahre brauchte, um Brasiliens Wirtschaftsmetropole aus den roten Zahlen zu manövrieren.

Kassabs eindeutiger Vorsprung mag Marta nervös gemacht haben. Unter ihren Stammwählern hat es allerdings eher zu allgemeiner Unzufriedenheit geführt, dass die zweideutigen Fragen ihres Radiospots die Gerüchte-Küche um Kassabs mögliche Homosexualität bedienen. „Verletzung der Privatsphäre, Vorurteile und Homophobie“, warfen Sprecher von Gays und Feministinnen der Kandidatin vor. „Dumm“, waren die Fragen, fand der Organisator der Sao Paulo Gay Parade. „Verheiratet sein, ist auch Politik, alles ist Politik“, verteidigte Marta wenig überzeugend ihre Kampagne. „Sie kann doch nicht zum Feind übergetreten sein, das ist unmöglich!“, kommentierte entsetzt die Hardcore-Feministin Maria Amélia de Almeida Teles. Insgesamt jedoch ist es den Wählern, so zeigt eine neue Umfrage, zu zwei Dritteln völlig schnuppe, ob ihr Kandidat Familie hat, oder nicht. Die Frage beschäftigte schließlich das Gericht: Dürfen Wahlkampagnen so direkt unter die Gürtellinie zielen?

Dürfen sie nicht. Kassab bekam deswegen Gelegenheit zur Antwort - innerhalb der Sendezeit, die eigentlich Marta für ihren Wahlkampf zugestanden hätte. „Mein Leben ist ein offenes Buch“, beteuerte Kassab also sichtlich glücklich. Martas dumme Fragen haben seine Umfragewerte auf heute 51 Prozent der Wahlabsichten in die Höhe getrieben. Sollte sie Ende Oktober verlieren, kann sich seine Gegenerin außerdem auf ihren eigenen Kommentar gefasst machen: „Relaxe e goze, Marta!“

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