Dienstag, 21. Oktober 2008

Der Motoboy weiß mehr


Nach dem Baden war das Ohr verstopft. Nicht schmerzhaft, nur dicht, was zu leichter Taubheit führte. Weil das lästig ist und auch abends noch nicht vergangen war, wollte ich Abhilfe schaffen. Selbstmedikation ist hier wohl noch verbreiteter als in Deutschland, weil die wenigsten krankenversichert sind. Also müssen sich die Apotheker eben besser auskennen. Dachte ich.

Die nette Conceicao aus der Apotheke im Nachbarviertel wusste gleich Abhilfe. Sie versprach, einen Motoboy* gleich mit den entsprechenden Tropfen vorbei zu schicken. Nein, der Lieferservice koste nicht extra. Toll. Dachte ich.

Wenig später hupte der Motoboy vor meiner Tür, nahm umgerechnet vier Euro in Empfang, drückte mir eine Medikamentenschachtel und eine Quittung in die Hand und brauste davon. Erstaunlicherweise handelte es sich um ein verschreibungspflichtiges Medikament, durch einen roten Balken auf der Packung gekennzeichnet. Viele Apotheken verkaufen rezeptpflichtige Arznei ohne Rezept. Aber ich hatte ja erklärt, dass ich nur ein verstopftes Ohr hatte, keine Entzündung oder sonstige schlimme Beschwerden.

Der Beipackzettel klärte mich auf: Conceicao hatte mir Kortison-Tropfen geschickt. Die helfen gegen allerlei Entzündungszustände. Ob sie Verstopfungen auflösen können, sagte der Beipackzettel nicht. Also rief ich Conceicao erneut an. Ob sie sich vielleicht geirrt habe? Nun ja, das Medikament gehe sonst sehr gut, sagte die freundliche Dame. Aber wenn ich wirklich meinte, es sei zu stark für meine Ohrenverstopfung, dann hätte sie da noch ein anderes, genau das richtige für mein Problem. Das wäre sogar rund eineinhalb Euro günstiger.

Das Wechselgeld, das der Motoboy mir bei der nächsten Lieferung mit der nächsten Packung in die Hand drücken wollte, gab ich ihm als Trinkgeld zurück: Der Arme war jetzt zum zweiten Mal drei Kilometer über Buckelpiste durch die Nacht gefahren. Erstaunlicherweise wies auch die neue Packung wieder einen roten Balken auf, war also ebenfalls rezeptpflichtig. Neugierig beugte ich mich über das Kleingedruckte. (Beipackzettel müssen auf besonders teurem Papier gedruckt sein, von dem so wenig wie möglich verschwendet werden darf, anders sind die für Normalsichtige nahezu unlesbaren Schriftgrößen nicht zu erklären.) Dieses Mal hatte Conceicao mich mit einem so starken Antibiotikum versorgt, dass der Hersteller extra darauf hinwies, es solle nur dann eingesetzt werden, wenn kein anderes Medikament in Frage käme.

Im Internet fand ich ziemlich schnell, was ich eigentlich suchte: lösende Tropfen gegen Ohrverstopfung, zwei Varianten, ein homöopathisches Mittel, ein allopathisches, beide mit Namensangabe, beide ohne Rezeptpflicht. Also rief ich Conceicao zum dritten Mal an. Das muss sie als Kritik aufgefasst haben, denn sie erklärte mir, sie habe 20 Jahre Erfahrung. Zum Glück hatte sie außerdem auch das allopathische Lösungsmittel gegen verstopfte Gehörgänge. Es kostete mehr als das Antibiotikum, aber Conceicao gewährte mir großzügig eine Art Irrtumsrabatt.

Als der Motoboy zum dritten Mal vor meiner Tür hupte, entschuldigte ich mich für die Umstände. Er blickte kurz auf das neue Päckchen in seiner Hand und sagte fachmännisch: „Ach, Cerumin wolltest du haben - das verschreiben die Otorrinolaringologistas (so heißen die HNOs hier) gerne, wenn jemand nach dem Baden verstopfte Ohren hat.“ Manchmal weiß der Motoboy mehr als die Apothekerin.
Das hatte ich nicht gedacht.

*Motoboy werden Lieferanten genannt, die gegen geringe Gebühren Botenfahrten auf dem Moped erledigen

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