Dienstag, 6. März 2007

Individuelle Spenden

Die Brasilianer sind so was von individuell. Ganz bestimmt die im Nordosten. Und ich wette, die meisten wissen das nicht einmal. Die meisten meckern einfach – wie meine Nachbarn, meine Vermieter und diverse Bekannte – seit ein paar Monaten ganz besonders über hohe Stromrechnungen. In der Menge war das schon etwas verwunderlich, weil von den mir bekannten Fällen niemand eine Mikrowelle, einen Deckenventilator oder sonstige Stromfresser neu angeschafft hat, die das Phänomen erklären könnten. Im Gegenteil, hier in Pernambuco hat der frisch gewählte Gouverneur sogar versprochen, gleich nach der Wahl die Strompreise zu senken. Weil zugegebenermaßen viele schon im letzten Jahr und vor der Wahl gemeckert haben.

Die aktuelle Rechnung meines Nachbarn – Single, PC-User, kein Ventilador, keine Mikrowelle – beläuft sich auf 39 Reais. Klingt gar nicht so schlimm. Nur hat er im Vormonat vier Kilowattstunden mehr verbraucht und dafür knapp 20 Reais bezahlt, wie die statistischen Angaben auf der Rechnung zeigen. Hm. Sonst stimmt alles, Privathaushalt-Tarifklasse, abgelesene Werte. Was kostet denn so eine Kilowattstunde? Ein Vergleich zeigt: Ich bezahle pro kwh 0,12 Reais. Meine Nachbarin bezahlt 0,35, und Ricardo 0,49. Und die erst seit der letzten Rechnung. Vorher waren es bei ihm 0,15 (bis 30 Kilowattstunden) und 0,26 Reais (für alles, was darüber liegt).

Beim genauen Studium der Rechnungen fällt noch etwas anderes auf: Die aktuelle Rechnung weist neben dem üblichen Beitrag zur Strassenbeleuchtung einen weiteren Posten auf, der sich Spendenkampagne nennt. In Klammern dahinter steht nicht erstattbar. Ich erinnere mich, irgendwo gelesen zu haben, daß neuerdings per Stromrechnung gespendet werden kann, für irgendein Kinderprojekt. Kann. Auf der Rechnung ist weder erkennbar, welches Projekt von der Spendenkampagne profitiert, noch, wie es anzustellen ist, wenn einer nicht spenden will. Ricardo spendet schon seit drei Monaten fleißig – er hat es nur nicht gemerkt.

Überhaupt sollte man der Lektüre der Stromrechnung – und zwar von allen Seiten – deutlich mehr Sorgfalt widmen. Die wichtigsten Infos verbergen sich auf der bunten Außenseite: Wer alles rechtzeitig bezahlt, kann nämlich sogar gewinnen. Und zwar einen vollkommen kostenlosen Hamburger – wenn er ein Lokal der Fastfood-Kette Bob’s aufsucht und dort zuerst einen Hamburger mit kleinem Getränk bestellt und bezahlt. Hätte man mal früher wissen müssen. Dann hätte man auch rechtzeitig gezahlt. Zum Beispiel mit der Hipercard, der Kreditkarte eines Supermarktes. Wer die Stromrechnung mit der begleicht, gewinnt automatisch eine zusätzliche Frist von 40 Tagen – und kann derweil fleissig Hamburger spachteln.

Ganz klein steht über der Hipercard-Geschichte auch noch: Du spendest, und dein Team gewinnt. Alle Fußballfans mal herlesen: Zeig deinem Verein, daß du ein besonderer Fan bist. Gestatte die Spende von einem Real auf deiner Stromrechnung – und sie wird dem Verein deiner Wahl zukommen. Daneben ist eine Telefonnummer angegeben. Das läßt zumindest hoffen, daß die Fußballspende nicht automatisch mit der nächsten Rechnung abgebucht wird, wie die Spendenkampagne. Ob man die auch über diese Servicenummer abbestellen kann? Oder muß man sich da beim Energieversorger in die Schlange stellen und persönlich vorsprechen? Am besten gleich morgen, denn die Zwangsspenden sind ja. nicht erstattbar

Im Internet, wo man zum Glück auch in Brasilien fast alles nachgucken kann, findet sich schliesslich eine lange Liste der Strompreise des ganzen Landes. Am teuersten ist demnach die Energie im Bundesstaat Mato Grosso do Sul, mit 0,41 Reais pro kwh, am billigsten im Amazonas mit 0,24 Reais. Pernambuco liegt irgendwo dazwischen mit 0,33 Reais pro kwh. Soweit so übersichtlich. Nur sind die offiziellen 0,33 Reais auf den mir vorliegenden Rechnungen nirgendwo berechnet worden. Dabei ist dieser Tarif laut Internetauskunft der Stromanbieterkontrollorganisation noch bis 28. April gültig. (Über die diesjährige Erhöhung wird diskutiert, es drohen rund 10 Prozent.)

Auch ein neuer Blick auf die Rechnungen bringt keine Aufklärung. Nur so viel: der Strompreis ist seit Wahl des Gouverneurs tatsächlich gesunken. Will sagen: die Steuer auf den Strom ist gesunken. Registrierte sozial schwache Familien, die nicht mehr als 50 Kilowattstunden im Monat verbrauchen, zahlen gar keine Steuer mehr. Und die anderen immerhin fünf Prozent weniger als vorher. So steht es auf einer der Rechnungsrückseiten. Das ist doch mal ein gehaltenes Wahlversprechen. Und nicht mal individuell verschieden. Das wissen bestimmt die meisten auch nicht.

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