Montag, 20. November 2006

Zimtbraune und Weizenbraune sind nicht schwarz

Laut Statistik ist die Hälfte der Bevölkerung Brasiliens schwarz. Tatsächlich bin ich – zumindest hier im Nordosten - meist die Hellste weit und breit. Aber schwarz? Sind die meisten anderen auch wieder nicht. Wo fängt schwarz an, wo hört schwarz auf? Das sind Fragen, mit denen wir Deutschen nicht so viel zu tun haben, die Brasilianer hingegen reichlich. Vor Jahren, bei meinem ersten Brasilienbesuch habe ich mich gewundert, als in einer Frauenzeitschrift auf den Seiten mit Bekanntschaftsanzeigen die einsamen Jungs ausnahmslos alle betonten, sie seien „moreno claro“ – hellbraun. Hier ist das wichtig. Je heller, desto mehr Chancen im Leben und bei den Frauen. Mitten im 21. Jahrhundert heißen hier krause Haare immer noch „schlechte Haare“, verlangen Arbeitgeber in ihren Stellenanzeigen „angenehmes Äußeres“ und meinen damit: Die Kandidaten sollen weiße Haut haben.


Das sind schwierige Voraussetzungen für ein schwarzes Bewußtsein. Schwarze sind als Helden vor allem im Karneval, in der Musik und beim Fußball erlaubt. Auch am heutigen Gedenktag wird das schwarze Bewußtsein mancherorts nur mit Tanzgruppen und schwarzen Bands gefeiert – ganz dem Klischee verhaftet. Dabei könnte ein bißchen mehr Bewußtsein wirklich nicht schaden: Pünktlich zum Festtag (Feiertag in immerhin 225 Städten) gibt das Amt für Statistik Ibge bekannt, daß Schwarze immer noch halb so viel verdienen wie Weiße. Eine andere Untersuchung zeigte kürzlich, daß in den großen Firmen nur 3,5 Prozent der leitenden Angestellten Schwarze sind. Jetzt soll ein neues Gesetz Quoten für Schwarze einführen. An den öffentlichen Unis, im öffentlichen Dienst und sogar in Werbung und TV-Produktionen. Die Intellektuellen diskutieren seit Monaten eifrig darüber, ob das Gesetz ein Fortschritt ist – weil es bessere Chancen für Afro-Brasilianer garantiert. Oder ein Rückschritt – weil damit die Existenz unterschiedlicher Rassen erst juristisch zementiert wird.


Die andere Frage wird dabei oft vergessen: Wer ist eigentlich schwarz? Wer schwarze Eltern hat? Wer negroide Züge aufweist, „schlechtes Haar“ und dunkle Haut? Das scheinen die Brasilianer selbst nicht so genau zu wissen. In einer der Umfragen des Ibge sollten sie ihren Hautton selbst beschreiben: Mehr als hundert verschiedene Farben kamen dabei heraus – darunter so vielsagende Neuschöpfungen wie Zimtbraun, Weizenbraun, Sonnenverbrannt, Schmutzigweiß, Fastweiß, Hellbraun, Gebrochen Weiß oder Nußbraun. Also alle nicht schwarz. Gelten für die Zimtbraunen und Gebrochen Weißen die Quoten dann trotzdem? Oder werden sich mit Einführung von Quoten plötzlich alle Brasilianer als schwarz bezeichnen wollen? Bislang ist eher das Gegenteil der Fall. „Ich denke, daß alle Schwarzen im Fußball unter Rassismus zu leiden haben“, sagte Star-Fussballer Ronaldo letztes Jahr in einem Interview. „Ich als Weißer leide unter so viel Ignoranz.“

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