Brasilien ist ein gläubiges Land. Und in mancher Hinsicht ist Brasilien auch ein konservatives Land, trotz aller Klischees und leichtbekleideter Samba-Tänzerinnen. Deswegen wurde hierzulande die Diskussion um Stammzellenforschung reichlich emotional geführt. Um so erfreulicher ist der Sieg der Vernunft, den das Supremo Tribunal Federal (Oberster Gerichtshof Brasiliens) am Donnerstag verkündet hat: Mit knapper Mehrheit haben sich die Richter gegen die Klage von Ex-Oberstaatsanwalt Fonteles ausgesprochen. Der katholische Claudio Fonteles, der die Verfassungsklage angestrengt hatte, verteidigt die Auffassung, bereits im Moment der Befruchtung entstehe menschliches Leben. Im Gesetz, das die Stammzellenforschung erlaubt, sieht er eine Verletzung der Menschenwürde sowie des menschlichen Rechts auf Leben, und hält es deswegen für verfassungswidrig. Nein, ist es nicht – glauben sechs der hohen Richter.
Jetzt kann es endlich losgehen. Der Gesundheitsminister freut sich schon darauf, der verlorenen Zeit hinterher zu forschen, damit Brasilien nicht den wissenschaftlichen Anschluss verliert. Das Ministerium werde institutionelle, technische, politische und finanzielle Unterstützung gewähren, sagte er. Auch Präsident Lula ist für die Forschung: „Die Welt kann nicht auf wissenschaftliche Kenntnisse verzichten, welche die Menschheit vor vielen Dingen retten können“.
Miguel Martins allerdings, christlicher Abgeordneter und Vertreter der parlamentarischen Gruppe „Recht auf Leben“ will doch noch versuchen, ein Zusatzgesetz auf den Weg zu bringen, das festlegt, es dürfe nur mit Erwachsenen-Stammzellen geforscht werden. Und die Initiative „Brasilien ohne Abtreibung“ spricht leicht resigniert ihr Bedauern über die Gerichtsentscheidung aus – ohne sie anzuzweifeln.
Richtig emotional bleibt lediglich der Abgeordnete Carlos Willians von der christlichen Arbeiterpartei. Er greift zum drastischen Nazi-Vergleich: die Stammzellen-Forschung erinnere an „Experimente Hitlers zur Verbesserung der Rasse“. Berechtigt scheint eher die Sorge des Generalsekretärs der Bischofskonferenz, wenn dieser fürchtet, das bestätigte Gesetz könne einen Weg für die sukkzessive Legalisierung der Abtreibung öffnen.
Die sukzessive Aushöhlung, Nichtachtung oder Umgehung von Gesetzen ist leider keine Seltenheit - nicht nur in Brasilien, dessen häufig hervorragende Gesetzgebung häufig leider nur auf dem Papier hervorragend funktioniert. In diesem heiklen Fall hat der Gesetzgeber versucht, ein besonders lückenloses Netz aus Vorschriften zu weben: Laut dem 2005 verabschiedeten und jetzt bestätigten Gesetz für Biosicherheit dürfen nur solche Stammzellen in der Forschung eingesetzt werden, die von seit mehr als drei Jahren eingefrorenen Embryonen aus künstlicher Befruchtung stammen – also Embryonen, die keine Zukunft als Baby mehr vor sich haben. Zudem müssen die Erzeuger des Embryos zustimmen. Und außerdem ist jeglicher Handel mit Stammzellen untersagt. Gut durchdacht. Hoffentlich gut genug für ein Land voller Schleichwege und Hintertüren.
Samstag, 31. Mai 2008
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