Die Leute hier im Nordosten lieben Superlative. Vielleicht weil sie im besser organisierten und besser verdienenden Südosten als kulturlose Hungerleider nicht ernst genommen werden. Lass die anderen nur lachen: Wir haben den größten Karnevalszug der Welt. Wir haben das größte Freilichttheater der Welt. Und wir haben das größte Sao Joao der Welt. Das behaupten in jedem Jahr diverse Städte hier in Pernambuco von ihrer Juni-Party. Keine Ahnung, ob eine davon rechtmäßigen Anspruch auf den Titel hat. Eigentlich ist das auch völlig schnuppe. Denn Sao Joao darf nicht groß sein.
Mein erstes habe ich im Südwesten des Landes erlebt, auf einer einsamen Farm im Überschwemmungsgebiet des Pantanal. Der Johannistag war gleichzeitig der Geburtstag des Nachbarfarmers, der zur Feier seiner 70 Jahre jedem der Gästen aus der Ferne (außer mir waren auch alle anderen Urlaubsgäste von meinem Farmer eingeladen) auf dem Grill eine Rinderrippe von der Länge eines Männerunterarms aussuchte. Während wir von leichten Berührungsängsten geplagt das zähe Fleisch von unseren Rippen nagten, vertrieb ein haushohes Feuer die Mücken. Wenig später stimmte der alte Herr in seinem Schaukelstuhl schwermütige Tanzlieder auf der Gitarre an, und bald drehte sich ein halbes Dutzend Paare auf dem gestampften Lehmboden seines Hofs. Darüber funkelten die Sterne.
Jahre später habe ich mich dazu verleiten lassen, als Reporterin zu einem der größten Sao Joaos der Welt in die Hinterlandsmetropole Caruaru zu fahren. Caruaru ist eine häßliche Stadt, die niemand zu kennen braucht, außer vielleicht für deren womöglich größten Freiluftmarkt der Welt, in dessen endlosen Gassen ich mich schon öfter verlaufen hatte. Um es gleich zu sagen: Sao Joao war schlimmer.
Freiwillig würden kaum Touristen nach Caruaru fahren, deswegen haben sich die Planer dort irgendwann die Geschichte vom großen Sao Joao ausgedacht. Schon Wochen vor dem eigentlichen Tag spielen auf dem eigens angelegten Festgelände die größten Forró-Bands des Landes – denn erstens hätte es sich nicht gelohnt, so eine Infrastruktur für einen einzigen Tag im Jahr aufzubauen, und zweitens sind die Bands vor dem Stichtag billiger. Selbst drei Party-Wochenenden sind allerdings nicht Grund genug, dass Hoteliers an einem Ort Hotels bauen, also gibt es in Caruaru kaum Übernachtungsplätze. Dafür Zigtausende Festbesucher, von denen eine wesentliche Menge im Auto anreist. Deswegen standen wir im Stau. Stunden. Der Fremdenverkehrsmann, der sich auskannte, hatte mich aus dem Zentrum des Wahnsinns in einen kleineren Vorort kutschieren wollen, wo das Fest noch „richtig ursprünglich“ sein sollte. Auf die gleiche Idee waren allerdings diverse andere Autobesitzer ebenfalls gekommen. Also hörten wir Musik aus dem Autoradio, sahen zu, wie ein paar Leute am Straßenrand tanzten und dabei die Nacht hereinbrach.
Irgendwann kamen wir doch zum Trubel im Zentrum zurück und da war dann immer noch eine sehr lange Nacht übrig, denn wir hatten kein Hotelzimmer mehr bekommen. Das gesamte Festgelände war ungefähr so dicht besucht wie ein Pop-Konzert: Die Shows von Elba Ramalho und anderen Stars konnten wir uns nur von ferne auf der Leinwand ansehen, die typischen Maisgerichte der Junifeiern waren zwar erreichbar, kosteten aber Fantasiepreise. Am nettesten war es an einer kleinen Bude, bei der ein Trio traditionellen Forró Pé de Serra spielte: ein polka-ähnlicher Rhythmus zu schmelzenden Liebesliedern, mit Akkordeon, Tamburin und anderen Rhythmusinstrumenten. Da tanzte ich dann unter einem städtischen Sternenhimmel weit über den Punkt hinaus, an dem ich nicht mehr konnte. Mein Bett war weit, und im Auto schnarchte bereits Julho, der Fremdenverkehrsmann.
Deswegen werde ich an diesem Sao Joao (seit Jahren das erste, das ich nicht voller Sehnsucht in Deutschland verbringe) nirgendwo hin fahren. Nicht einmal in den Nachbarort, in dem dann richtig was los sein soll.
Hier probt schon seit Wochen beinahe jeden Abend die dorfeigene Quadrille (höfische Tänze gehören ebenfalls zu einer echten Junifeier) auf dem Platz, und der scharfe Meerwind zerrt an den Röcken der Mädchen. Im Dunkeln röstet eine Nachbarin Maiskolben für hungrige Tänzer und Zuschauer. Nur eine, weil ja noch kein Festtag ist. Für den basteln seit ein paar Tagen die Stammgäste und Nachbarn der Kneipe von Eduardo in der hinteren Strasse an einer Palmhütte als Regenschutz. Es wird auch eine Forró-Band kommen. Mehr nicht. Das wird ein ganz klitzekleines Sao Joao. Um so besser.
Donnerstag, 19. Juni 2008
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